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Mein Großvater, ein Nazi?

Presseberichte, Interviews und Bilder.

Der junge Historiker Moritz Pfeiffer hat seine Großeltern nach deren Haltung und Erlebnissen im Dritten Reich und im Zweiten Weltkrieg befragt.

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Wenn die Enkel an den Mauern der Verdrängung rütteln…

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Moritz Pfeiffer stellte sich die Frage: „Mein Opa – ein Nazi“ – Bemerkenswerter Vortrag vor voll besetztem Bürgersaal.

„Vielleicht fragen uns unsere Kinder und Enkel auch einmal: Wie habt ihr euch damals verhalten – zum Beispiel, als der Klimawandel zum Thema wurde?“ Moritz Pfeiffer, Junghistoriker und Autor des Buches „Mein Großvater im Krieg 1939 bis 1945“, beendete mit dieser Frage seinen bemerkenswerten Vortrag vor voll besetztem Bürgersaal, zu dem die Konrad-Adenauer-Stiftung am Montagabend aus Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus eingeladen hatte. Wie in seiner Schilderung über die persönliche Auseinandersetzung mit der Frage: „Mein Opa – ein Nazi?“ lag dem jungen Referenten der Unterton eines Vorwurfs fern, vielmehr versuchte aufmerksam zu machen, dass so manches für Nachfolge-Generationen auf Anhieb nicht leicht zu verstehen ist.

Die Enkel-Generation – sie ist es vor allem, die in der Lage zu sein scheint, die Mauern des Schweigens und des Verdrängens aufzuweichen. Das stellte auch Thomas Wolf, Moderator der Veranstaltung, in seinen einleitenden Worten fest. „Die Generation der Enkel setzt sich erfahrungsgemäß distanzierter mit jener Epoche auseinander“, so Wolf. In vielen Familien fand diese Auseinandersetzung nicht statt – und wo sie stattgefunden hat, bestimmten oft „Abrechnung mit viel Selbstgerechtigkeit“ die Diskussionen.

Davon war der gebürtige Wuppertaler, der sieben Jahre in Freiburg Geschichte studierte und mit seiner bemerkenswerten Arbeit unter anderem auch schon bei Günther Jauch eingeladen war, weit entfernt. Er wollte einfach verstehen, was in jener Zeit des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkriegs, des Hitler-Regimes passiert sei und sah den richtigen Ansatzpunkt in der eigenen Familie, bei seinen Großeltern. Pfeiffer stellte klar, dass er nie für sich habe in Anspruch nehme würde, dass er sich anders verhalten hätte, vielmehr wolle er aus der Geschichte für eigenes, heutiges Verhalten lernen.

Weder Pauschalverurteilung noch „Persilschein“

Als glücklichen Umstand bezeichnete Pfeiffer, dass er in einer grundsätzlich diskussionsfreundlichen Familie aufgewachsen sei, in der sich auch sein Großvater nach anfänglicher Zurückhaltung nach und nach dieser Erinnerungsarbeit gestellt habe. Für ihn, den jungen Historiker, sei eine Pauschalverurteilung ebenso wenig in Frage gekommen wie das Ausstellen eines „Persilscheins“. Ihm sei immer klar gewesen, dass es rein spekulativ wäre zu behaupten, wie man sich selbst in jener Zeit verhalten hätte. Seine Großeltern bezeichnete der Referent als „ganz normale Deutsche“, die den Nationalsozialismus zweifellos mitgetragen haben. Wo er im Interview mit dem Großvater Diskrepanzen zwischen dessen Rückmeldung und seinen eigenen geschichtlichen Recherchen festgestellt habe, sei er überzeugt, dass sich der Opa „seine Version zurecht gelegt (habe) ohne Absicht (den Enkel) zu täuschen.“

In der Vita der Großeltern zeigte Pfeiffer Stationen auf, wie sie damals in unzähligen Familien normal waren: BDM, Jungvolk, engagierter Arier-Nachweis, Beitritt (seiner Großmutter) in die NSDAP. Der Großvater meldete sich freiwillig zur Wehrmacht, gelangte über Polen, Frankreich, Russland schließlich in die 6. Armee, „die eine traurige Berühmtheit erlangte“. Schwer verletzt wurde er von der Front zurückgezogen; „das hat ihm wahrscheinlich das Leben gerettet.“ Des Opas Bruder trat der Waffen-SS bei, und war offenbar aktiv beteiligt an Deportationen und Vernichtung in Polen. In ihrer Familie sieht der Enkel die nationalsozialistische Grundprägung seiner Großeltern. In den Strukturen der Nazis hätte vor allem die Großmutter eigene Erfolgserlebnisse, Stärkung des Selbstbewusstseins erfahren.

„Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten hätte“

„Ich weiß nicht, ob ich gleicher Situation der Dynamik des Aufstiegs hätte widerstehen können“, räumt Pfeiffer ein und erinnert an die Olympiade, an wirtschaftlichen Aufschwung („heute bekanntermaßen auf Kosten anderer“). „Die Zeit war eben so“, habe er oft von seinem Opa zu hören bekommen, wenn er ihn auf die vielfachen Widersprüche zwischen scheinbar positiven und unbestritten negativen Begleiterscheinungen jener Zeit angesprochen habe.

Aber auch Schuldabwehr und Verdrängung, gelegentliche Sprachlosigkeit der befragten Familienangehörigen lässt Pfeiffer urteilsfrei im Raum stehen. „Da kann ich leider nichts dazu sagen“ - sein Opa war sicherlich nicht der einzige, der im Nachhinein so antwortete, zumal ja auch seine Großeltern durch die Zeitgeschehnisse selbst Leid zu verarbeiten hatten: langfristige Trennung, existenzielle Kriegserlebnisse, persönliche Verluste, quälende Ungewissheit – wie das ja Millionen von Deutschen jener Zeit widerfuhr.

„Ich bin keinen Informationen nachgelaufen“

Interessant ist für den jungen Historiker, wie die Großeltern nach dem Zusammenbruch den Blick nach vorne richteten: sich eine neue Existenz aufbauten, sich ganz und gar ins Private zurückzogen, ihre Kinder frankophil erzogen, obwohl ihnen vorher der Frankreich-Hass eingeredet worden war, wie sie in ihrer Familie auf einen liberalen Lebensstil Wert legten, obwohl sie selbst noch streng hierarchisch erzogen worden waren. Moritz, der Enkel, glaubt heute schon einschätzen zu können, dass die Großeltern doch sehr viel mehr gewusst hätten, als sie im Rückblick einräumten, auch wenn sich der Opa immer wieder mit Formulierungen „Da hab ich dann nichts mehr davon mitbekommen“ oder „Ich bin keinen Informationen nachgelaufen“ aus der Affäre zu ziehen versuchte.

„Mein Großvater war mit Sicherheit kein Nazi“, meint Moritz Pfeiffer im Abgleich von Geschichtsquellen und persönlichen Äußerungen klar belegen zu können. Er sei sehr patriotisch gewesen, sei von der Großmutter bisweilen auf die allgemeine politische Linie eingeschworen worden. Andererseits: auch pure, unbedachte Mitläufer seien beide sicherlich nicht gewesen, dafür hätten sie sich in vielen Dingen einfach zu stark engagiert.

Nicht einfach nur Mitläufer

Für sich selbst, für seine eigene Sensibilisierung betrachtet der junge Mann die angestrengten Recherchen, das Aufweichen der großelterlichen Mauer der Verdrängung, des Schweigens als hilfreich, auch heute, in einer Zeit, in der nationalsozialistisches Gedankengut weiter besteht.

Nein, als „Nestbeschmutzer“ sei er bei seiner Arbeit von der eigenen Verwandtschaft nicht angesehen worden. Seine Großeltern bezeichnet er immer wieder als lieb, bei seinen Recherchen habe er sich nie als Ankläger verstanden. In der Tat: Das Wort „Schuld“ nimmt man in Pfeiffers Vortrag kein einziges Mal wahr, vielmehr aber Begriffe wie Wachsamkeit oder Verantwortung. Thomas Wolf von der Adenauer-Stiftung nennt einige Brandherde der heutigen Zeit, bei denen, neben vielen anderen, Wach-Sein, Verantwortungsgefühl gefordert sind: Lampedusa, Afrika, Syrien. Ob da unsere Enkel auch einmal fragen: Wie habt ihr da damals reagiert?

Text: Klaus Schade, Ettenheimer Stadtanzeiger

Foto: Herbert Birkle

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Thomas Wolf

Thomas Wolf

Leiter Regionalbüro Südbaden des Politisches Bildungsforums Baden-Württemberg

thomas.wolf@kas.de +49 761 156 4807-2 +49 761 156 4807-9

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