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Mein Vater: Der DDR Spion

Thomas Raufeisen las aus seinem Lebensbericht

Ein Stasi-Spion in der Bundesrepublik flieht mit seiner Familie aus Furcht vor der Enttarnung überstürzt in die DDR. Der Sohn, Thomas Raufeisen, war 16 als er erfuhr, dass sein Vater DDR-Spion war.

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Der Oberleutnant des Ministeriums für Staatssicherheit, Werner Stiller, läuft im Jahr 1979 in die Bundesrepublik Deutschland über. Er bringt detaillierte Informationen über die Spione der Stasi in der Bundesrepublik mit. 17 Westagenten werden sofort verhaftet, andere fliehen in die DDR. Einer von ihnen ist Armin Raufeisen.

Aus Furcht, enttarnt zu werden, flieht er mit seiner Familie nach Berlin. Seiner Frau und seinen beiden Söhnen täuscht er einen Besuch beim Großvater in der DDR vor, der plötzlich erkrankt und pflegebedürftig sei. Erst in Ost-Berlin erfahren die Kinder, wer ihr Vater wirklich ist.

Für die Söhne bricht eine Welt zusammen. Von nun an sollen sie ihre Heimat nie wieder sehen und in der DDR leben.

Thomas Raufeisen, der auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung Freiburg zu einer Lesereise nach Südbaden gekommen ist, ist damals 16 Jahre alt. Die DDR kennt er nur aus sommerlichen Verwandtschaftsbesuchen. Da er noch minderjährig ist, wird er gezwungen, bei Vater und Mutter in der DDR zu bleiben. Trickreich gelingt es den "Betreuern" der Stasi, der Familie einen Antrag auf DDR-Staatsbürgerschaft unterzuschieben.

Nur sein zwei Jahre älterer Bruder Michael ist gewarnt. Er weigert sich, den Staatsbürgerschaftsantrag zu unterschreiben, und "darf" - 11 Monate später! - zurück nach Hannover.

Der Vater realisiert nach kurzer Zeit, dass der "real existierende Sozialismus" nichts mit seinen früheren Idealen zu tun hat. Der verdiente "Kundschafter des Friedens", der mehr als zwei Jahrzehnte bei der Preussag Wirtschaftsspionage betrieben hatte, fällt wegen der Ausreise seines Sohns in Ungnade. Die Versprechungen, in der DDR werde es seiner Familie nicht schlechter gehen als im Westen, erweisen sich als falsch. Er will wieder mit seiner Familie zurück in den Westen. Die drohende langjährige Haftstrafe nimmt er dabei in Kauf.

Ausreiseanträge werden abgelehnt. Verzweifelte Versuche, Hilfe zu finden, um zurück in den Westen zu flüchten, schlagen fehl. Die Aktivitäten bleiben der Stasi nicht verborgen.

Thomas Raufeisen wird am 12. September 1981 von fünf Männern abgeführt und auf verschlungenen Wegen in das geheime Untersuchungsgefängnis der DDR in Berlin-Hohenschönhausen verschleppt. 13 Stunden dauert das erste Verhör, zahllose weitere werden folgen. Erst in der Haft erfährt er, dass auch seine Eltern verhaftet wurden und getrennt voneinander festgehalten werden. Am Ende gesteht der in die Enge getriebene Jugendliche, die Vorbereitungen zur Flucht aus der DDR. Nach vierzehn Monaten Untersuchungshaft wird der Familie der Prozess gemacht.

Thomas wird unschuldig zu drei Jahren Haft im Stasigefängnis Bautzen II verurteilt. Seine Mutter zu 7 Jahren Haft.

Beide müssen ihre Strafe bis zum letzten Tag absitzen.

Thomas wird im September 1984 entlassen. Endlich darf er zu seinem Bruder nach Hannover ausreisen. Im Westen will aber niemand seine Geschichte hören. Erst nach dem Fall der Mauer beginnt man sich zaghaft für seine Erlebnisse zu interessieren.

Die Eltern bleiben weiterhin in Haft. Im Oktober 1987 ein Brief der Mutter: "Euer Vater ist vor zwei Tagen verstorben. Ich erhielt gestern die Nachricht, seitdem bekomme ich Beruhigungsmittel. Anders kann ich es nicht ertragen … Ich lebe nur noch in der Hoffnung, euch wieder zu sehen.” Charlotte Raufeisen wird im September 1988 aus der Haft entlassen, doch erst im April 1989 schreibt sie: "Ich komme zu euch, nach so vielen Jahren. Ich kann es kaum erwarten, euch endlich wieder zu sehen.” Sieben Monate später fällt die Mauer.

Jahre später findet Thomas Raufeisen in den Stasi-Akten einen Vermerk des Staatssicherheitsdienstes, in dem für jedes Familienmitglied exakt jenes Strafmaß "vorgeschlagen" wird, das am Ende auch im später stattfindenden Gerichtsverfahren ausgesprochen wird. Stasi-Chef Erich Mielke vermerkte handschriftlich "Einverstanden!". Der Prozess war nur ein Farce.

Fünfeinhalb Jahre seines Lebens mußte Raufeisen gegen seinen Willen in der DDR verbringen, die weit überwiegende Zeit in Haft. Die DDR nahm ihn in Sippenhaft. Heute führt Thomas Raufeisen Besuchergruppen durch die ehemalige Untersuchungshaftanstalt der DDR in Berlin-Hohenschönhausen.

Gebannt folgten die Zuhörer in Südbaden dem nüchtern vorgetragenen, erschütternden Bericht Raufeisens, der mit Bildern aus der damaligen Zeit illustriert war. Einige Realschüler aus Lörrach und Waldshut, die erst Jahre nach dem Fall der Mauer geboren wurden, hatten bei einer Klassenfahrt nach Berlin die Gedenkstätte Hohenschönhausen besucht. Mit 16 Jahren waren sie im gleichen Alter wie Thomas Raufeisen, "Am Tag, an dem Vater erzählte, dass er ein Spion der Stasi sei".

Thomas Wolf | Leiter des Bildungswerks Freiburg der Konrad-Adenauer-Stiftung

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Thomas Wolf

Thomas Wolf

Leiter Regionalbüro Südbaden des Politisches Bildungsforums Baden-Württemberg

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