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Veranstaltungsberichte

„Demokratie und Tabu“

von Maja Eib

Ettersburger Diskurs. Zur gesellschaftlichen Situation der Zeit - in Zusammenarbeit mit dem Schloss Ettersburg

Gespräch

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Den zweiten Ettersburger Diskurs eröffnete der Direktor Schloss Ettersburg Dr. Peter Krause am 24. Oktober im Gewehrsaal mit einer kleinen Ortskunde. Dort, wo Großherzog Carl August seine Waffen lagerte, die allerdings nach den Wirren des 2. Weltkrieges verloren gingen, aber auch Liszt und Goethe ihre Spuren hinterließen, empfehle sich der Ort erneut für intellektuelle Nachhaltigkeit.

In seiner kleinen Einführung kam der „Schloßherr“ schnell auf das Thema des Abends: Demokratie und Tabu. Den passenden Rahmen schuf das Ambiente, für anregende Inhalte sorgten der langjährige verantwortliche Redakteur für Innenpolitik der FAZ, Stefan Dietrich und der Autor und SPD-Landtagsabgeordneter Mathias Brodkorb. Die Moderation des Abends übernahm der Schirmherr der Veranstaltungsreihe Mike Mohring. Bevor dieser jedoch durch die 120 Minuten führte, unternahm Dr. Krause einen kleinen Exkurs zur Demokratie und Tabu und gab damit wichtige Impulse, die nicht nur vom Podium sondern auch den etwa 70 Gästen und aufmerksamen Zuhörern aufgegriffen wurde.

So existiere keine Gesellschaft ohne Tabus, anders formuliert auch „ungeschriebene Gesetze“. Sie bilden das Gerüst der Gruppenidentität. Das Befolgen von Tabus biete als Gegenleistung Schutz und Hilfe und schafft ein geregeltes Miteinander. Allerdings seien Tabus auch dazu da, um gebrochen zu werden. Ohne ein Infragestellen von Tabus gäbe es keinen gesellschaftlichen oder individuellen Fortschritt, auch keine Weiterentwicklung. Solche Brüche könnten auch Indizien auf Veränderungen sein. Dr. Krause verweist sowohl auf Tabuhüter und –brecher und bejahte, dass in einer aufgeklärten Gesellschaft Tabubrecher nötig seien.

Als Schirmherr ergriff Mike Mohring anschließend das Mikrofon, um mit gezielten Aussagen auf das Thema einzustimmen. Und da die beiden Gäste auf ihre Impulsbeiträge verzichteten, entspann sich schnell ein anregender Diskurs um aktuelle Themen in Politik und Gesellschaft. Die Aussage „Man wird doch wohl sagen dürfen, was man denkt“, stellte Mohring an den Anfang seiner Ausführungen. Diese, unlängst von ihm gemachte Aussage zur Situation im MDR aber auch die Formulierungen „Sehnsucht im Volk nach Tabubrechern“ sowie „Die Gnade von der späten Geburt“ riefen erste Wortmeldungen hervor. „Ein Teil der Bürger fühlt sich in der Gesellschaft nicht respektiert“, warf Stefan Dietrich ein. Gleichfalls achte er Persönlichkeiten, die zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort seien, um gesellschaftliche Umbrüche bzw. Tabus zu brechen. Mathias Brodkorb indes belegte anhand konkreter Beispiele „Parteienspiele“ in der Gesellschaft. „Jede Partei nutzt die Schwächen der anderen, um dann eine unanständige Jagd zu inszenieren. Aussagen auf sachlicher würden sich dann auf moralischer Ebene verschoben. Bei solch einer „Jagd“ gäbe es Unterstellungen und eine Nähe zur Vergesslichkeit ließe sich vermuten, da keine Argumente mehr fruchten. Wer die Macht hat, so Brodkorb weiter, versündigt sich oft an der politischen Kultur; so inszenieren sich Machtspiele, um die eigenen Reihen zu schließen.

Ziemlich schnell lenkte sich die Debatte um den Tabubrecher Thilo Sarrazin und seine integrationspolitischen Thesen. Stefan Dietrich war sich allerdings sicher, dass Sarrazin kein Tabufall darstellt. Sein heiß diskutiertes Buch sei eher mühsam zu lesen, dennoch hätte der Autor längst Notwendiges öffentlich gemacht. Dietrich sieht den Verdienst des Autors in seinem Nichtnachgeben. Obwohl er „Teile besser nicht geschrieben hätte, ist der Rest schwer zu widerlegen.“ Und die Gesellschaft setze sich mit den Texten und Fakten auseinander.

In diesem Zusammenhang wurde auch der große Aufklärer Immanuel Kant bemüht, der für eine ausreichende Meinungsfreiheit stritt und mit dem Zitat „Wage zu wissen“ gerade auf Tabubrüche zusteuerte. Die einhellige Meinung der Runde: Die nichtrationale Debatte der Zeilen von Sarrazin hätte sich der Autor selbst zuzuschreiben.

Das Thema DDR, Flucht und Vertreibung griffen die Referenten anschließend auf. Eine Wortmeldung aus dem Publikum belegte anhand eines konkreten Beispiels die Verdrängung der Vertreibung in der DDR. Schnell bewegten sich die Gespräche um Tabugrenzen, staatliche Sanktionen und Ausgrenzungen sowie erzwungene Integration, die wieder den Bezug zu aktuellen Tagesthemen herstellten.

Die Meinung „Integration gelingt nur, wenn Tradition und Bräuche mitgenommen werden“ geriet zum Zündstoff für weitere Äußerungen. Das Beherrschen der deutschen Sprache, das Wissen des deutschen Rechts aber auch das Annehmen gewisser Sitten und Bräuche des „Aufnahmelandes“ gepaart mit gegenseitiger Achtung sei, so Brodkorb, nur mit staatlichem Nachdruck möglich. Auf eine weitere Entwicklung machte Stefan Dietrich aufmerksam, der auf Parallelgesellschaften hinwies. „Bestimmte Gruppen von Zuwanderern muslimischen Glaubens werden in Deutschland auch von muslimischen Schiedsgerichten verurteilt und nehmen damit deutschen Gerichten die Arbeit ab. Nur würde dann auch nach Sharia-Recht verurteilt, das Auge-um-Auge-Prinzip gilt.“

Weitere Themen des Abends umrissen Vorstellungen der Gäste zur Rolle der Politiker, auch der konservativen Politiker getreu dem Motto „Politiker brauchen Positionen“. Interessante Aussagen gab es zudem auch über angewandte und mögliche Schulsysteme in den Bundesländern. Mathias Brodkorb wünschte sich dabei eine neue Rolle der Pädagogen und Lehrer sowie eine zielgerichtete Ausbildung, auch eine bessere Auswahl der Lehreramtskandidaten. Seiner Meinung nach brauche das Land gute Lehrer, deren Leistungsansprüche konkret formuliert stehen. Eine Sorge bereite jedoch den Referenten die herrschende bzw. wachsende Politik(er)verachtung.

„Politiker sollten nicht danach beurteilt werden, was sie sagen, sondern nach dem Charakter und seinen Taten“. Auch diese Aussage versetzte die Zuhörer in Mitmachstimmung, denn die „Bürger wollen den Wahlkandidaten kennen und auch nach Jahren noch wählen können.“ Weitere Diskussionen umrissen Themen zum Tabubruch Jugendlicher in der Sprache aber auch Tabus in konservativen Kreisen sowie die Frage zum Tabubruch Fraktionszwang. Die Politiker in den Reihen gaben Auskunft, dass es diesen Fraktionszwang nicht gäbe. Die Option der Gespräche vor den Abstimmungen wäre eine gern genutzte fraktionsübergreifende Praxis. Einig waren sich die drei Diskursteilnehmer jedoch auch, dass es starker Persönlichkeiten in Politik und Gesellschaft bedürfe, um Tabubrüche voranzutreiben. Das Spiel um Macht und nicht um die Sache erschwere solche Brüche. Zudem befürworteten die Redner eine stärkere Profilierung der einzelnen Parteien, die sich wohl im Laufe der Jahre immer mehr ähnelten und so den Bürgern keine klaren Linien vorgeben.

Im Schlusswort bedankte sich die Leiterin des Bildungswerkes Erfurt bei allen Diskutanten im Podium und im Publikum für die offene und couragierte Diskussion, die so noch vor 22 Jahren undenkbar gewesen wäre. Sie verabschiedete das Publikum mit den Worten Konrad Adenauers „Das Wichtigste ist der Mut! Meine Herren, der gute Politiker, der muß nicht nur vieles wissen, er muß nicht nur realistisch denken, er muß überlegen können, aber er muß auch Mut haben, dasjenige, was er als richtig erkannt hat, nun anderen zu sagen, zu vermitteln und durchzuführen.“ (Interview in einer Sendung des ZDF unter dem Titel „Adenauer blickt zurück - Stationen einer vierzehnjährigen Kanzlerschaft“, gesendet am 15.10.1963, Anhang I zum Nachrichtenspiegel des BPA vom 16.10.1963, st. N., S. 1.)

Autorin: Krisitn Seyfarth

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