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Veranstaltungsberichte

"Die Banalität des Bösen"

Hannah Arendt und die deutsche Vergangenheit

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Vortragsabend mit Prof. Dr. Alfons Söllner

Apolda (05. November 2003)

Im Rahmen der 11. Tage der jüdisch-israelischen Kultur in Thüringen, die sich im Herbst 2003 unter dem Motto „Töchter Jerusalems“ mit Frauen im Judentum bzw. im Staat Israel beschäftigten, führte das Bildungswerk Erfurt in der Kreisstadt Apolda eine Vortrags- und Gesprächsveranstaltung über Hannah Arendt durch. Als Referent wirkte Prof. Dr. Alfons Söllner, der als Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Chemnitz tätig ist und sich im Zuge seiner wissenschaftlichen Arbeit bzw. seiner Lehrtätigkeit seit vielen Jahren mit der wohl bekanntesten deutsch-jüdischen Philosophin beschäftigt. Gleich zu Beginn seines Vortrages betonte Söllner, dass es ihm keine Schwierigkeiten bereitete, sich bei Hannah Arendt auf den Aspekt Vergangenheitsbewältigung zu konzentrieren, denn nahezu alle ihre Schriften und fast ihr ganzes Wirken fixieren dieses Thema.

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Hannah Arendt

Foto: Intellectual History Newsletter

Der Referent stellte die drei wohl bekanntesten Werke Arendts in den Mittelpunkt: „Rahel Varnhagen“, „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“, „Eichmann in „Jerusalem“. In der Biographie zu Varnhagen - Arendts Habilitationsschrift (aufgrund der Emigration erst 1958 erschienen) -, stellt die Autorin die umstrittene These auf, dass die Emanzipation der Juden durch Assimilation nicht möglich sei. An der Person ihrer Untersuchung weist Arendt ihre Aussage nach: Die Jüdin Varnhagen (geborene Levin) lebte im Preußen des 18./19. Jahrhunderts und führte einen literarischen Salon. Für die Ehe mit einem preußischen Diplomaten trat sie zum Christentum über, doch litt sie Zeit ihres Lebens daran, als Jüdin geboren zu sein. Diesen Konflikt arbeitet Hannah Arendt als für Varnhagen zentral heraus, wobei sich die Frage stellt, ob nicht ein ähnlicher Konflikt auch für Arendt selbst zutrifft. Dies kommt besonders im Jahr 1933 zum Ausdruck, als sich die Jüdin bereits auf der Flucht vor den Nationalsozialisten befand, während sich ihr Hochschulprofessor Martin Heidegger, mit dem sie ein Liebesverhältnis verband, als junger Mann zu den neuen Machthabern bekannte.

Mit dem zweiten Buch, das Söllner in Apolda vorstellte, begab sich Arendt auf das geisteswissenschaftliche Neuland, dass sich aus den beiden gleichzeitigen neuartigen Diktaturen ergab: In „Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft“ äußert sich die Verfasserin als eine der ersten Wissenschaftler zum Totalitarismus, indem sie den Nationalsozialismus mit dem Stalinismus vergleicht und eine Wesensgleichheit beider Menschen verachtender Regime erkennt. Als Gemeinsamkeiten beider Regime arbeitete die Autorin eine Geheimpolizei, eine durch Führer gesteuerte Massenbewegung sowie Konzentrationslager heraus – zentral sei eine dominante Ideologie, die alle Bereiche des Lebens durchdringt. Söllner hob die Bedeutung des Buches für die politikwissenschaftlich-philosophische Forschung hervor – allein 2001 habe es aus Anlass des fünfzigsten Jahrestages der Erst-Publikation gleich drei internationale Konferenzen gegeben.

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Prof. Dr. Alfons Söllner referiert in Apolda.

Anlass des Buches waren Arendts persönliche Erfahrungen als Jüdin unter dem Nationalsozialismus: Zunächst saß sie in Berlin in Haft, später in dem berüchtigsten französischen Zwischenlager Gurs. Ihr gelang die Flucht nach Marseille und über die iberische Halbinsel in die USA, wo sie für die deutsch-jüdische Zeitschrift „Der Aufbau“ schrieb, dabei früh Kritik am Nationalsozialismus übte. Nach dem Krieg veröffentlichte Hannah Arendt ihre Überlegungen über den Transformationsprozess im Denken der (West-) Deutschen nach der Diktatur. Laut ihrer These, die Söllner referierte, sei damals im Zeichen des „Wirtschaftswunders“ eine Verdrängungsmentalität verbreitet gewesen: Aufbauarbeit ersetzte Trauer.

Das bekannteste Buch Arendts ist allerdings „Eichmann in Jerusalem“, in dem die Verfasserin die These von der „Banalität des Bösen“ aufstellte. Sie stellte Adolf Eichmann, den Organisator der Judenvernichtung im Dritten Reich, als „normalen Menschen“ dar, nicht als blutrünstiges Monster, wie die Nationalsozialisten oft beschrieben worden sind. Dieses Buch avancierte sowohl in den USA als auch in Israel und Deutschland zum Skandal. Prof. Söllner betonte, dass sich die Autorin damit „zwischen alle Stühle“ gesetzt habe. Entstanden ist der Band anlässlich des Prozesses gegen Eichmann in Israel. Hannah Arendt berichtete für die US-amerikanische Zeitschrift „New Yorker“ über das Verfahren und trug somit zur Dokumentation des Geschehens im Gerichtssaal bei, ebenso zur juristischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen.

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