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Kriminalität und Hass in der Flüchtlingskrise. Radikalisiert sich die gesellschaftliche Mitte?

Vortrag und Gespräch

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Im Erfurter Kulturforum Haus Dacheröden trafen sich am Montagabend des 15. Februars 2015 100 Interessierte Bürger, um Vorträgen und einer Podiumsdiskussion zum Thema „Kriminalität und Hass in der Flüchtlingskrise. Radikalisiert sich die gesellschaftliche Mitte?“ zu folgen. Seit Mitte Oktober 2015 wird über diese Frage in der Bundesrepublik debattiert. Auslöser war dazumal eine Titelseitenschlagzeile der Mitteldeutschen Zeitung („Bürgertum verliert Scheu vor Extremisten“) nach einer entsprechenden Veröffentlichung des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt. Seither ist vor allem in der Flüchtlingsdebatte eine Verrohung der Sprache zu erkennen. Insbesondere die Erkenntnis, dass Täter von Straftaten gegen Flüchtlinge und ihren Einrichtungen aus der gesellschaftlichen Mitte stammen, stellt einen gesellschaftlichen Weckruf dar und ist in hohem Maße besorgniserregend. Nach einer kurzen Einführung in die Thematik durch Daniel Braun, Konrad-Adenauer-Stiftung Politisches Bildungsforum Thüringen, wurden die Referenten und Podiumsteilnehmer vorgestellt.

Verbale Abrüstung und Versachlichung notwendig

In seinem Grußwort betonte Jörg Geibert, CDU-Abgeordneter im Thüringer Landtag und früherer Thüringer Innenminister, dass es der Politik gelingen muss, Vertrauen zurück zu gewinnen. Die Flüchtlingsdebatte habe eine Dynamik entwickelt, die sich nicht nur durch Veränderungen verbaler Äußerungen zur Flüchtlingsthematik bemerkbar mache. Auch ein Anstieg von Straftaten gegen Flüchtlinge sei zu verzeichnen. Ein möglicher Weg verbaler Entschärfungen sei das akribische Vorbringen von Fakten.

Im Anschluss referierte der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes, Peter Henzler, über die Kriminalitätsentwicklung seit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen in Deutschland. Eingangs betonte Henzler, dass eine sachliche Darstellung von Kriminalitätsentwicklungen ein wichtiger Auftrag des BKA sei. Deshalb habe sich das BKA in den vergangenen Monaten noch stärker mit den Polizeibehörden der Länder vernetzt, um ein authentisches Bild der Lage zu erhalten. Henzler gab einen detaillierten Überblick über die Kriminalitätsstatistiken der Flüchtlinge in Deutschland.

Großteil der Flüchtlinge begeht keine Straftaten

Nach seinen Angaben kamen im Jahr 2015 ungefähr 1,1 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland, 40 Prozent davon stammten aus den Balkanstaaten, die aufgrund mangelnder Bleibeperspektive in überwiegender Anzahl wieder in ihre Herkunftsländer gereist sind. Der Großteil der in Deutschland verbleibendenden Flüchtlinge begeht nach den Erhebungen des BKA keine Straftaten. Insgesamt wurden im Jahr 2015 160.000 Straftaten registriert, an denen Flüchtlinge beteiligt waren. Jeweils ein Drittel dieser Straftaten stellen Vermögens- und Fälschungsdelikte sowie Eigentumsdelikte dar; 18 Prozent entfallen auf Rohheitsdelikte (z. B. Körperverletzung); 0,8 Prozent entfielen auf Sexualstraftaten. Davon waren ungefähr ein Drittel ernsthafte Delikte, wie z. B. sexuelle Nötigung und Vergewaltigung, und fanden zu großen Teilen innerhalb der Flüchtlinge statt. 0,1 Prozent der Straftaten entfielen auf Mord oder Totschlag. Insgesamt ermitteln die Behörden in 27 vollendeten Tötungsdelikten. Aus Sicht des BKA sind – gemessen an ihrer Anzahl – die Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien und dem Irak unterdurchschnittlich an Straftaten beteiligt; die Flüchtlinge aus den Balkanstaaten hingegen deutlich überdurchschnittlich. Der Kriminalitätsanstieg seit Beginn der hohen Flüchtlingszahlen bezeichnete Henzler als moderat und überwiegend auf die Flüchtlingsunterkünfte beschränkt. Zudem ging das BKA im Jahr 2015 insgesamt 266 Hinweisen auf terroristische Aktivitäten nach. Dies führte zu mittlerweile 25 derzeit noch laufenden Ermittlungsverfahren in neun Bundesländern.

Deutlicher Anstieg von Straftaten gegen Flüchtlinge

Einen deutlichen Anstieg von Straftaten, die sich gegen Asylunterkünfte richten, verzeichnete das BKA in jüngster Vergangenheit: Wurden im Jahr 2014 200 Straftaten in diesem Bereich registriert, so waren es 2015 bereits 1.000. Zu 80 Prozent gehen die Straftaten von lokalen Tätern aus, in der Hälfte der Fälle sind Einzeltäter am Werk und 80 Prozent der Täter waren noch nicht mit politisch motivierten Straftaten in Erscheinung getreten. Im politischen links-rechts-Spektrum ist ebenfalls ein Anstieg der Straftaten zu beobachten: So stiegen Straftaten aus dem rechten Milieu vor allem gegen politische Entscheidungsträger an. Im linken Spektrum richten sich die Straftaten vor allem gegen staatliche Institutionen und politische Gegner.

Unterm Strich erkennt Henzler eine deutliche Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und der tatsächlichen Lage der Kriminalität rund um die Flüchtlinge. Daher dient die nüchterne Betrachtung der BKA-Daten der Entschärfung öffentlicher Zuspitzungen über die Flüchtlingskriminalität. Viel alarmierender als die Flüchtlingskriminalität sind die strafrechtlichen Entwicklungen im Bereich der gesellschaftlichen Mitte. Hier sind die Polizeibehörden mit sinkenden Hemmschwellen und steigender Radikalisierung konfrontiert.

Bewusstsein schärfen und Problem beim Namen nennen

Jochen Hollmann, Leiter des Landesverfassungsschutzes Sachsen-Anhalt, erläuterte im Anschluss die Rolle des Verfassungsschutzes als Informationsbeschaffer und Berater für Politik und Öffentlichkeit. Hollmann, der sich auf zahlreichen Veranstaltungen rund um die Flüchtlingsfrage auch selbst ein Bild von der gesellschaftlichen Lage verschaffte, war verantwortlich für die für bundesweite Aufregung sorgende Schlagzeile über die Radikalisierung des Bürgertums vom Oktober 2015. Hollmann führte aus, der Verfassungsschutz wollte damit das Bewusstsein schärfen und das Problem beim Namen nennen. Hollmann gab zudem, auch mit Blick auf die anstehende Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, einen detaillierten Überblick über rechtsextreme Entwicklungen in Sachsen-Anhalt.

Radikalisierung der gesellschaftlichen Mitte auch in Thüringen erkennbar

Das anschließende Podium komplettierten neben Henzler und Hollmann der Thüringer Landtagsabgeordnete und frühere Polizeidirektor Raymond Walk (CDU) und Moderator Kai Mudra, Redakteur der Thüringer Allgemeine Zeitung und zuständig für Berichterstattung des NSU-Prozesses in München. Zunächst führte Walk aus, dass auch in Thüringen eine zunehmende Radikalisierung der gesellschaftlichen Mitte zu erkennen sei. So haben sich die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte 2015 im Vergleich zu 2014 verzehnfacht. Walk warb für eine differenzierte Betrachtung der Thematik. Auch das Publikum wünschte sich eine stärkere Versachlichung der Problematik und forderte stärkere Bemühungen dahingehend von Politik und Behörden. Andere Gäste formulierten die Angst vor einer Vorverurteilung, wenn die eigene Meinung kundgetan wird. schilderten Ereignisse, bei denen die Äußerung der eigenen Meinung äußerten Bedenken, die eigene Meinung öffentlich kundzutun.

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