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Veranstaltungsberichte

Wie wollen wir leben? Wissenschaftlich-technische Innovationen und gesellschaftlicher Fortschritt

von Elisabeth Helbig
Vortrag und Gespräch

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Am 10. November lud das Politische Bildungsforum Erfurt zu einem Gesprächsabend mit dem Thema „Wie wollen wir leben? Wissenschaftlich-technische Innovationen und gesellschaftlicher Fortschritt“ ein.

Zu diesem sehr aktuellen Thema war Prof. Dr. Jürgen Mittelstraß aus Konstanz angereist, der seines Zeichens auch Direktor des dort ansässigen Wissenschaftsforums, Vorsitzender des Österreichischen Wissenschaftsrates und einer der renommiertesten Philosophen Deutschlands ist. In den Begrüßungs- bzw. Grußworten durch die Landesbeauftragte der KAS Maja Eib und den Präsidenten der Universität Erfurt, Prof. Dr. Walter Bauer-Wabnegg konnte schon ein kurzer Einblick in die Vor- und Nachteile von Fortschritt und Innovation gegeben werden. Wie wollen wir leben? Gibt es neue Prioritäten und ist es überhaupt erstrebenswert einem stetigen Wandel ausgesetzt zu sein? Was bedeutet gutes Leben in einer Welt, die durch Innovationen, Fortschritte und technischen Wandel gekennzeichnet ist? Prof. Dr. Bauer-Wabnegg bezeichnete die Philosophie, in der auch Mittelstraß beheimatet ist, als ein Fach, was sich einzumischen vermag und sich immer mehr einmischen muss. Im Zusammenhang mit Wissenschaft und Forschung, müsse auch eine Zusammenbringung von Lebenspraxis und Lebensphilosophie stattfinden.

Im Anschluss an diese Einführungsworte, in denen Mittelstraß auch für seine vielfältige Forschung auf dem Gebiet der Wissens- und Wissenschaftsgesellschaft gewürdigt wurde, gab dieser an, seinen Vortrag an Hand dreier Stichworte zu konzeptionieren. Zum einen seien Innovation und Forschung zwei konkrete Schlüsselworte, die die Welt in der wir Leben, zu einer Leonardo-Welt werden lässt. Mittelstraß verwendete den Begriff Leonardo-Welt in Bezug auf Leonardo da Vinci, der bereits vor über 500 Jahren Ideen und Konzepte entwickelte, die wir heute als technischen Fortschritt bezeichnen. Wissenschaft und Technik sei heute überall, im anspruchsvollen, nicht im modischen oder inflationären Sinne verstanden und mache die Welt schließlich immer mehr zu einem Artefakt, das wiederum am Menschen arbeitet und diesen verändert. Während man die Natur entdecken könne, werde die Welt immer neu erfunden. Dadurch habe sich auch die Wissenschaft verändert. Sie beobachte jetzt nicht mehr nur, sondern habe auch ein weltgestaltendes und -veränderndes Moment. Forschung und Innovation gehörten zusammen und ohne Forschung sei kein Fortschritt möglich. Dennoch verweist er darauf, dass man sich aus alten Denkmustern befreien sollte und die Grundlagenforschung nicht mehr allein der Wissenschaft und die angewandte Forschung somit nur der Wirtschaft diene. Vielmehr müsse man diese Verbindungen als eine Art Forschungsdreieck verstehen, in dem die Grundlagenforschung, die angewandte Grundlagenforschung, sowie die produktorientierte Anwendungsforschung die Seiten des gleichschenkligen Dreiecks bilden und die Fläche ihre Mischform präsentieren würde. Innovation sei schließlich „die technikorientierte Anwendung von forschungsbezogenem Wissen unter gesellschaftlichen Bedingungen und Zwecken“. Auch hier merkte Mittelstraß an, dass eine Politik, die ständig Innovationen verspricht nur zu Enttäuschungen führen könne. Denn Innovationen seien schließlich etwas wirklich Neues und etwas, was sich auch als sinnvoll für die Gesellschaft erweisen müsse. Eine Innovation könne es nicht ständig geben. Erfindungen wie die Dampfmaschine oder den Klettverschluss gäbe es ja schließlich auch nicht alle Tage. Somit wünscht er sich mehr Augenmaß und Urteilsvermögen, wenn es um die Bewertung von Innovationen geht. Mit diesem Plädoyer leitete er zu seinem zweiten Stichwort über, der Wissensgesellschaft.

Die Wissensgesellschaft sei ein Konstrukt, welches eng verbunden mit den Schlagworten von Innovation und Forschung verknüpft sei. Eine Wissensgesellschaft, so Mittelstraß, habe den Anspruch, eine Gesellschaft zu sein, die über einen klaren Wissensbegriff verfügt, die ihre Zukunft auf die Leistungsfähigkeit ihres Verstandes stützt, das Wissen als ihre Produktivkraft erkennt und zwischen Verstand und Vernunft unterscheiden kann. Wichtig sei hierbei auch die Unterscheidung von Wissensgesellschaft und Wissenschaftsgesellschaft. Über Wissen zu verfügen heiße nämlich nicht automatisch, dass man ein Wissenschaftler sei. Wissen an sich unterscheide sich ebenso fundamental von Information. Denn wer informiert sei, sei keineswegs auch wissend. Der Wissensbegriff ist für Mittelstraß deshalb von besonderer Bedeutung. Denn Information sei mittlerweile fast jedem zugänglich. Doch im Zuge von immer steigender, auch Online verfügbarer, Informationen bürge diese Informationsweitergabe auch Gefahren. Denn wer hinterfrage heute noch wirklich die Informationen, die ihm zugänglich sind? Wir vertrauen den Quellen, obwohl wir sie in den meisten Fällen nicht kennen. Wir denken durch Information über Wissen zu verfügen und unterscheiden kaum noch zwischen Verstand und Vernunft. Doch genau diese Unterscheidung ist notwendig um erkennen zu können, wann Information richtig und wann sie falsch ist und welchem Medium wir wann und wie vertrauen. Als Verfügungswissen bezeichnete Mittelstraß deshalb den Verstand und die Vernunft als Orientierungswissen. Gerade letzteres käme uns durch den wachsenden medialen Fortschritt immer mehr abhanden. Er appellierte schließlich daran, dieses Orientierungswissen wieder stärker zu fördern, denn Wissen sei nicht durch Information zu ersetzen oder gar eine optimierte Version von eben diesem. Information sei eigentlich nur ein Weg, wie man Wissen transportieren könne. Wissen in seiner reinsten Form hieße Lehren können. Wissen vermitteln zu können bedeute also die reinste Form des Wissens. Der Anwender der Information müsste ebenfalls wissen, womit er sich da beschäftige, denn man könne nicht „jeden Dummkopf“ vor den Bildschirm setzen. Die Grenzen zwischen Schein und Sein würden dadurch immer mehr vermischt. In einer Gesellschaft, die sich zum Großteil also von Informationen anstatt Wissen überzeugen ließe und in der die Virtualität Grenzen verwische, sei das Vergessen näher als die Erinnerung. Dadurch dass ständig alles abrufbar oder online verfügbar sei, müsse man sich ja auch eigentlich nichts mehr merken und an nichts mehr erinnern. Doch man müsse daran denken, dass eine Informationswelt bei Weitem noch keine Orientierungswelt darstelle oder gar ersetze.

Bei einer Wissensgesellschaft, die also geprägt sei von Fortschritt, Forschung und Innovation könnte man eine hohe Akzeptanz in den Bereichen Forschung und Technik erwarten. Dies sei nicht per se der Fall. Häufig richte sich auch gesellschaftliche Kritik gegen diese wissenschaftlich-technischen Entwicklungen. Durch eine Überflutung von Neuem und Unbekannten wüchse nämlich auch das Misstrauen, so Mittelstraß. In Bereichen der Medizin beispielsweise sei das Vertrauen und die Akzeptanz groß im Hinblick auf medizinische Errungenschaften und therapeutischen Fortschritt. Im Blick auf ein Eingreifen in die Natur aber, beispielsweise durch Reproduktionsmedizin oder ähnlichem, schwinde die Akzeptanz. Dies begründete er vor allem damit, dass die Folgen hierbei nicht absehbar seien und der Mensch, vor allem in Europa oder Deutschland das Risiko scheue. Ein Prinzip, in dem Risiken meist umgangen werden und ein Handeln, welches er mit Abhandlungen Hans Jonas‘ belegte, führe immer mehr zu einer sinkenden Akzeptanz von Forschung und Technologie. Mittelstraß warnt davor, dadurch letztendlich die Handlungs- und Reaktionsfähigkeiten zu verlieren. Ein Streit über die Forschung und ihre Folgen sei deshalb nicht unnötig, sondern notwendig. Dieser Streit müsse aber mit Vernunft, Verstand und Urteilskraft geführt werden und nicht gegen all diese Prinzipien.

Im Anschluss folgte eine Schlussbemerkung, in der Prof. Dr. Jürgen Mittelstraß noch einmal auf die Eingangsfrage zurückkam, „Wie wollen wir leben?“ Diese Frage stellte er in „Wie sollen wir leben?“ um, und erinnerte erneut an die erforderliche Urteilskraft im Umgang mit Wissenschaft und Technik. Man müsse sich einmal vor Augen halten, was man bisher erreicht und erfunden habe. Man könne nicht weiter mit dem Weltgeist um die Wette philosophieren und dabei alles gegen etwas eventuell viel kleineres eintauschen. In unserer Welt gäbe es keine natürlichen Maße mehr. Diese gelte es mit Vernunft und Verstand zurückzugewinnen.

An dieses Schlusswort anknüpfend eröffnete Dr. Mario Voigt, Mitglied der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag und langjähriger Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Wissenschaft und Kultur im Thüringer Landtag eine spannende und vielfältige Diskussion. Hierbei ging es unter anderem noch einmal um die Frage nach Risiken und Gefahren des Fortschritts. So kam das Beispiel einer jungen Frau aus den USA auf, die sich selbst dazu entschlossen hatte Suizid zu begehen, da ihr eine unheilbare Krankheit diagnostiziert wurde. Mittelstraß begegnete darauf, dass gerade im Prozess des Sterbens Wissenschaft, Technik und Gesellschaft überall seien. Diese Frau habe seiner Ansicht nach Selbstbestimmung geradezu praktiziert. Dennoch sei dieser Fall vielschichtig lasse sich nicht in ein paar Sätzen umreisen, so Mittelstraß. Dies zeige allein die Frage, ob die Frau in ihrem Krankheitszustand auch noch so frei entscheiden konnte, wie sie es unter anderen Bedingungen getan hätte. Ebenso handelte eine Frage davon, wer bestimme welchen Fortschritt wir erlauben. Daraufhin äußerte sich Mittelstraß, dass eine Antwort nur in demokratischen Prozessen erlangt werden könne. Die Öffentlichkeit, die Gesellschaft müsse dies gemeinsam entscheiden. Gerade hier würde die globalisierte Wissenschaft aber häufig an ihre Grenzen stoßen. Auch hier verwies Mittelstraß darauf, dass wir Entscheidungen treffen und dabei die gegebenen und die bereits eingegangenen Risiken gegeneinander abwägen müssten. Risiko sei immer eine Situation in der eine Entscheidung getroffen werden müsse. Hierbei müsse man gegebene und eingegangene Risiken unterscheiden. Auch die Politik könne dabei eine Rolle spielen, in dem sie einen Diskurs anrege, der informativ, wissensbringend und kurzweilig sei. Spannende Diskussionsfelder öffnete sich zudem, in dem Zuhörerinnen und Zuhörer Zukunftsfragen zur Wissenschaftsförderung und -finanzierung, der Erleichterung der wissenschaftlichen Kommunikation durch den technischen Fortschritt oder aber auch der Verkehrs-Infrastruktur stellten.

Wissensbringend, kurzweiligen und spannend waren die beiden Veranstaltungsstunden für die sich abschließend Maja Eib bedankte und das Publikum noch einlud im Rahmen eines kleinen Empfangs noch etwas zu verweilen. Dieser Einladung folgten die ZuhörerInnen zahlreich und nut-zen die Chance in persönlichen Gesprächen das Thema zu vertiefen.

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Landesbeauftragte und Leiterin Politisches Bildungsforum Thüringen

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