Asset-Herausgeber

Einzeltitel

"Wir brauchen die Türkei"

Hans-Gert Pöttering spricht im Interview mit der Braunschweiger Zeitung über Flüchtlinge und Terror

Er ist ein Europa-Veteran. Hans-Gert Pöttering bereitet der Streit um die Verteilung der Flüchtlinge Bauchschmerzen. Der Ex-Präsident des Europäischen Parlaments und Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung ist sich aber sicher: Europa wird gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Asset-Herausgeber

Erst die Finanzkrise, nun die Flüchtlingskrise: Die EU hat keine Wohltaten mehr, sondern Kosten zu verteilen. Einige Staaten wollen da nicht mitziehen. Wie ernst ist die Lage?

Wir sind definitiv in einer schwierigen Situation in der Europäischen Union. Das aber nicht zum ersten Mal. Es hat immer wieder große Probleme und Herausforderungen gegeben. Die Krisen haben Europa oft stärker gemacht, als es zuvor war. Das hoffe und erwarte ich auch jetzt.

Abgesehen von Ländern wie Deutschland oder Schweden schotten sich aber viele ab statt Solidarität zu zeigen. Droht die EU nicht gerade auseinanderzubrechen?

Nein. Die Probleme müssen aber offen angesprochen werden. Leider ist die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, sehr unterschiedlich ausgeprägt. Das hat natürlich auch mit unterschiedlichen Erfahrungen und Befindlichkeiten zu tun. Aber Solidarität kann so nicht funktionieren. Andere Länder dürfen Deutschland nicht alleinlassen.

Sehen Sie denn das Schengen-System gefährdet, das auf gesicherten Außengrenzen beruht?

Wir müssen das Schengen-System weiterentwickeln. Unser Ziel muss sein, die Außengrenzen der EU zu stärken, um so eine geordnete Zuwanderung möglich zu machen.

Welche Folgen hätte es für die Bürger, wenn Schengen fallen würde?

Grenzkontrollen zwischen den EU-Ländern sind für mich unvorstellbar. Diese führen zu Grenzen in den Köpfen. Wir müssen das Schengen-System unter allen Umständen erhalten. Wichtig ist dabei, die Außengrenzen zum Beispiel zwischen Griechenland und der Türkei zu stärken.

Gerade nach dem Terror von Paris kann die Antwort doch nur ein Zusammenrücken in der EU sein und nicht ein Wettbewerb um den höchsten Zaun, oder?

Absolut. Bei der Bewältigung des Terrors haben sämtliche Staaten der EU ihre Solidarität nach Artikel 42 des Lissabon-Vertrages mit den Franzosen erklärt. Ein bewaffneter Angriff auf ein Mitgliedsland der EU verpflichtet alle anderen Länder, zu helfen. Das passiert gerade.

Was halten Sie davon, dass einige osteuropäische Länder nur Christen aufnehmen wollen, die neue rechtspopulistische polnische Regierung sogar gar keine Flüchtlinge mehr aufnehmen will?

Als Christ sage ich: Der größte Wert eines Menschen ist seine Würde – vollkommen unabhängig davon, ob es sich um Christen, Moslems, Anhänger anderer Glaubensrichtungen oder Nichtgläubige handelt. Ich kann die Haltung einiger osteuropäischer Staaten nicht nachvollziehen. Diese Haltung darf sich in Europa auch nicht durchsetzen.

Solidarität mit Blick auf militärischer Hilfe fordern jetzt die Franzosen ein. Wie weit kann, wie weit sollte diese Hilfe gehen?

Die Bundesregierung hat über den Bundeswehreinsatz entschieden und damit ihre Solidarität mit Frankreich erklärt. Ich halte das für richtig.

Begehen wir nicht gerade den gleichen Fehler wie im Irak und in Afghanistan? Damals haben die Kriege im Kampf gegen den Terror wenig bewirkt.

Der Islamische Staat ist eine Herausforderung der schlimmsten Art. Die Situation ist nicht vergleichbar mit der in Afghanistan und im Irak. Der Militäreinsatz ist wichtig, darf aber nicht das einzige Instrument sein. Die Staatengemeinschaft muss weiter an den Friedensbemühungen in Syrien arbeiten.

Die EU biedert sich in der Flüchtlingskrise an die Türkei mit ihrem fragwürdigen Präsidenten Erdogan an. Verkauft Europa seine Seele?

Es geht nicht um Anbiederung, es geht schlicht um die Lösung des Flüchtlingsproblems. Wir brauchen die Zusammenarbeit mit der Türkei, müssen dabei aber unsere eigenen Werte verteidigen. Ich bin sicher, dass die EU dies auch in Zukunft in der Türkei deutlich ansprechen wird.

Gutes Stichwort: Erdogan tritt demokratische Werte aber mit Füßen, geht gegen Oppositionelle und Journalisten vor.

Das ist in keiner Weise zu rechtfertigen. Wie gesagt: Die EU muss dies sehr deutlich ansprechen. Wir werden unsere Werte nicht verkaufen.

Wie weit sollte der Westen mit einer noch zwielichtigeren Figur, Syriens Diktator Assad, kooperieren?

Assad kann man realistischerweise von einer Lösung im syrischen Bürgerkrieg nicht ausschließen. Es muss aber klar sein, dass sein Regime keine Zukunft haben darf. Darüber muss verhandelt werden. Russland, Saudi-Arabien, der Iran, die USA und die EU sind hier wichtige Verhandlungspartner.

Nehmen wir mal an, der Kampf gegen den IS ist erfolgreich. Was soll dann mit Assad geschehen?

Das wird Bestandteil der Friedensbemühungen sein. Wir sollten jetzt nicht den Fehler machen und den zweiten Schritt vor dem ersten tun.

Geraten Probleme wie die Bankenunion gerade eigentlich vollkommen aus dem Blick?

Es ist immer so, dass es eine Prioritätenliste gibt. Diese Probleme sind nicht vergessen, die EU wird sich mit ihnen weiter befassen müssen.

Noch einmal zur Eingangsfrage: Bei den riesigen Aufgaben, vor denen die EU steht – dem Terror, den Flüchtlingen und der Finanzkrise –, bleibt der Kitt, der Europa zusammenhält, stark genug?

Wir bewegen uns gerade auf dünnem Eis, das muss allen bewusst sein. Ich bin mir aber sicher: Wir werden die gewaltigen Probleme lösen und am Ende stärker sein als vor den Krisen. Der Zusammenhalt in Europa ist stark genug.

Mit freundlicher Unterstützung der Braunschweiger Zeitung. Das Gespräch führte Andre Dolle.

Asset-Herausgeber

comment-portlet

Asset-Herausgeber