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Veranstaltungsberichte

Die 1968er Bewegungen aus heutiger Sicht

von Anna Czenthe, Bence Bauer, LL.M

14. Symposium der Reihe "Verbrechen des Kommunismus"

„Die 1968er Bewegungen aus heutiger Sicht“ war der Titel eines Symposium der Konrad-Adenauer-Stiftung, des Nationalen Gedenkkomitee und der Stiftung Verbrechen des Kommunismus. Im Mittelpunkt der Veranstaltung am 22. Mai 2018 im Hotel Gellért in Budapest stand ein Resümee der linken Bewegungen in Westeuropa sowie einen Vergleich zum Prager Frühling. An dem 14. Symposium der Reihe „Verbrechen des Kommunismus” nahmen rund 120 Teilnehmer aus Wissenschaft, Verwaltung und Bürgergesellschaft teil.

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Péter Eötvös, Vorsitzender der Stiftung Verbrechen des Kommunismus, stellte in seiner Eröffnungsrede die 1968er in einen historischen Kontext: Wie sich die Forderungen der Pariser Studenten zu einer linken Bewegung entwickelten, die sich dann in Deutschland verbreiteten und wie diese im Anschluss im „Marsch durch die Institutionen“ mündeten. Frank Spengler, Leiter des Auslandsbüros Ungarn der Konrad-Adenauer-Stiftung wies darauf hin, dass die Auswirkungen der 1968er Bewegung bis heute in Deutschland ihre Wirkungen zeigen würden.

Im Sinne der Veranstaltung erklärte Staatssekretär Bence Rétvári, dass es sich bei 1968 um eine Jahreszahl ausgefüllt mit vielen Ereignissen handle. Nicht nur die linke Bewegung feiere ihr 50-jähriges Jubiläum sondern auch der Prager Frühling. Durch diese doppelte Herangehensweise sei die damaligen Spaltung zwischen Ost- und Westeuropa sichtbar und erfahrbar, auf der einen Seite Revolution gegen den Kommunismus und der Wunsch nach Freiheit, auf der anderen Seite die Suche nach radikalen Visionen und die Ablehnung der traditionellen Gesellschaft. Die Folgen der 1968er würden noch heute in der Gesellschaft gespürt, in der liberalen Idee der offenen Gesellschaft. In der offenen Gesellschaft gebe es keine traditionelle Wertegemeinschaften mehr, die auch Pflichten einfordere. Es gebe nur noch individuelle Rechte und der Konsum sei der einzige gemeinschaftsbildende Faktor.

Dr. Áron Máthé, Stellv. Vorsitzender des Nationalen Gedenkkomitees, trug die Interpretation von 1968 auf internationaler Ebene vor. Europa wäre damals keine Einheit gewesen, der Osten sowjetisiert, der Westen amerikanisiert. Während der Prager Frühling bewiesen hätte, dass der Sozialismus nicht einmal ein menschliches Antlitz hervor bringen könne, hätten die westlichen neuen Linken die Revolution in den antiimperialistischen Ländern der Dritten Welt als eine Chance gesehen. Wobei Afrika in den unmittelbaren Jahren nach der Unabhängigkeitswelle eine sehr gemischte Gesellschaft hervor gebracht hätte. In China führten die Experimente von Mao Tse-Tung – der Große Sprung nach vorn und die Kulturrevolution – zu Hungersnot, Tod von vielen Menschen, Vernichtung des kulturellen Erbes durch die Roten Garden und bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Trotzdem würde noch heute ein großer Kult im Westen um Mao betrieben. In den USA wäre 1968 das Jahr der Niederlage gewesen, nicht nur bezüglich des Vietnamkrieges, sondern auch innenpolitisch. Der Ermordung von Martin Luther King und John Fitzgerald Kennedy folgten Ausschreitungen von schwarzen Bürgerrechtlern und radikalisierten Studenten. Die Parole „Make love not war“ hätte sich zwar bis nach Europa verbreitet, dahinter stand aber Hass gegen den Staat, den Lehrer und gegen jegliche Autorität.

Dr. Michael Borchard, Stellv. Hauptabteilungsleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung löste in seinem Vortrag die Mythen über die 1968er auf. Sein Fazit war, dass diese Bewegung zwar viele Veränderungen voran getrieben hätten (u.a. die Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit und den Liberalisierungsprozess in Deutschland), viele dieser gesellschaftlichen Dispute hätten aber schon vor 1968 begonnen, so z.B. die juristischen Aufarbeitung der Nazi-Zeit. „Die 1968er haben Kontinuitäten verschärft, aber wenig initiiert.”, so Dr. Borchard. Er erklärte weiter, im Gegensatz zu vielen Mythen hätten die 1968er keine Massenbewegung gebildet und nur einen geringeren Einfluss ausgeübt. Der Marsch durch die Institutionen funktionierte umgekehrt: „Die jungen Wilden passten sich rasant an und wurden zu parteikonformen Pragmatikern. Nicht die 1968er haben die SPD verändert, die SPD hat die 1968er verändert“, so der Wissenschaftler. Die Grünen repräsentierten in Deutschland heute wohl am ehesten das Erbe der 1968er, u.a. in ihren Parteiprinzipien der Machtteilung und der Doppelspitze.

Gábor Mezõ, Wissenschaftler am Hamvas Béla Kulturforschungsinstitut, präsentierte am Beispiel einer von maoistischen bzw. linksradikalen ungarischen Studenten (v.a. Gábor Demszky) organisierten verbotenen Demonstration im Jahr 1972, wie das Prinzip „Marsch durch die Institutionen“ in Ungarn funktionierte. Die damaligen Studenten wurden nämlich damals auf Grund der hohen Stellung ihrer Eltern nicht bestraft. Außerdem hätten sie und selbst ihre Denunzianten nach der Wende wichtige Positionen besetzt.

Im zweiten Teil des Symposiums verglich Dr. Martin Valenta, Institut zur Erforschung totalitärer Regime, die Ideen des Prager Frühlings mit denen der westeuropäischen Studentenbewegungen. Auf einer direkten, eng gefassten Zeitachse von Frühjahr bis Sommer 1968 hätten die divergierenden Umstände und die teils völlig konträren Vorzeichen die Differenzen zwischen beiden Bewegungen betont. Dahingegen zeige der langfristige Vergleich durchaus Parallelen, so der tschechische Forscher.

Mit dem Titel „Popkultur und Aufruhr: Raufbolde, Dandies und Hippies“ stellte Dr. Bence Csatári vom Nationalen Gedenkkomitee die Folgen der kommunistischen Willkürherrschaft bei den Musikern und Künstlern vor und stellte die These auf, dass 1968 für viele systemkritische Akteure eine neue Unterdrückung zur Folge gehabt hätte. Am Ende der Veranstaltung referierte Dr. Károly Szerencsés von der Eötvös Loránd Wissenschaftsuniversität über die ungarisch-tschechischen Beziehungen.

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