Superwahljahr 2018
Als die US-Regierung im vergangenen Jahr den Ausstieg aus dem Klimaabkommen von Paris verkündete, folgte ein globaler Aufschrei. Zivilgesellschaft und Politik weltweit verurteilten gemeinsam diesen Schritt. Vor allem in Lateinamerika zeigten sich zahlreiche Länder, zum Teil mit Stellungnahmen auf höchster Regierungsebene, schockiert. Ein Umstand der nicht verwundert. Waren es doch gerade auch viele lateinamerikanische Staaten, die über Jahre hinweg auf ein globales Klimaabkommen konstruktiv zugearbeitet haben und auf den letzten Verhandlungsmetern in Paris wesentlich am Zustandekommen desselben beteiligt waren. Vor allem Brasilien und Mexiko brachten ihr politisches Gewicht ein.
Nach den Wahlen 2018 sieht die Situation erheblich anders aus. Ausgerechnet in Mexiko und Brasilien wurden Präsidenten gewählt, die ein Risiko für ambitionierte Klimapolitik darstellen können. So verkündete der designierte brasilianische Präsident Jair Bolsonaro während seines Wahlkampfes den Austritt aus dem Klimaabkommen von Paris. Und in Mexiko hinterfragte der designierte Präsident Andrés Manuel López Obrador (AMLO) die weitreichende Energiemarktreform, die zugleich mit einer umfassenden Klimaschutzgesetzgebung einhergeht. Außerdem wurde in Costa Rica, Kolumbien, Paraguay und Venezuela gewählt. In all den Wahlen nahmen die Themen Energie-, Klima- und Umweltpolitik zwar keine zentrale Stellung ein, aber für Lateinamerika, das trotz Ausnahmen im globalen Vergleich als eine klimapolitische Vorreiterregion betrachtet werden kann, ergeben sich daraus erhebliche regionale und internationale Konsequenzen.
In den Ländern
In Mexiko hat im Juli Andrés Manuel López Obrador (AMLO) die Präsidentschaftswahl gewonnen.[i] Energiepolitik war ein Thema in seinem Wahlkampf. Vor allem die noch relativ junge Energiereform, die das jahrzehntelange staatliche Energiemonopol aufbrach und internationale Investitionen auslöste, stand im Zentrum seiner Kritik. Hintergrund waren gestiegene Energiepreise vor allem im Bereich des Transportsektors, die mit massiven Protesten einhergingen. AMLO forderte in dieser Gemengelage eine Renationalisierung der heimischen Energieressourcen und distanzierte sich damit deutlich vom bisherigen Kurs der Modernisierung des mexikanischen Energiesektors mit Hilfe internationaler Investitionen. Es ist gegenwärtig nicht klar, inwieweit AMLO seinen energiepolitischen Ankündigungen aus dem Wahlkampf regierungspolitische Taten folgen lässt. Eine komplette Rückkehr zum Energiemonopolismus wäre grundsätzlich möglich, jedoch mit großem politischem Aufwand verbunden. Einfacher wären hingegen exekutive Eingriffe im Energiesektor. Geplante Ausschreibungen für Energieprojekte könnten verschoben werden oder Energiesteuern zum Einsatz kommen.
Einen konkreteren Eindruck über die zukünftige energiepolitische Ausrichtung Mexikos geben die öffentlichen Auftritte seiner energiepolitischen Berater.[ii] Danach soll die mexikanische Energieabhängigkeit verringert und der staatliche Energiekonzern Pemex umstrukturiert, modernisiert und politisch gestärkt werden. Hierfür sollen öffentliche Gelder eingesetzt werden. Außerdem sollen eigene Raffinerien aufgebaut werden, um die eigenen Öl- und Gasvorkommen besser nutzen zu können. Zudem sollen die technischen Kapazitäten zur Erschließung fossiler Energieressourcen in Tiefseegebieten erhöht werden. Der Kurs des Ausbaus Erneuerbarer Energien soll fortgesetzt und vor allem mit Blick auf den sozialen Mehrwert weiterentwickelt werden. Die Einbindung lokaler Gemeinden steht dabei im Vordergrund. Der neue energiepolitische Kurs könnte regionale Auswirkungen nach sich ziehen. Gegenwärtig wird ein Großteil des Gases im mexikanischen Energiemix aus den USA importiert. Dieser Anteil könnte sich perspektivisch verringern und gewiss Unmut auf Seiten der USA auslösen. Gas ist für Mexiko aufgrund seiner im Vergleich zu Öl geringeren CO2-Emissionen auch ein wichtiges Instrument, um seine eigenen Klimaziele zu erreichen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob dadurch klimapolitische Risiken entstehen. Hier schließt sich der Vorschlag der Berater AMLOs an, die erst kürzlich erfolgte Mitgliedschaft in der Internationalen Energieagentur (IEA) wieder aufzulösen und sich strategisch stärker der OPEC anzunähren. Inwieweit die genannten energiepolitischen Vorschläge Eingang in die konkrete Regierungspolitik finden werden, bleibt abzuwarten, aber sollte das tatsächlich passieren, dann wird Mexiko seine klimapolitische Vorreiter- und Brückenbauerrolle vermutlich nicht mehr ausfüllen können.
In Brasilien hat der ultrarechte Kandidat Jair Bolsonaro von der Partido Social Liberal die Präsidentschaftswahl gewonnen.[iii] Er hat im Wahlkampf den Ausstieg aus dem Klimaabkommen von Paris angedeutet – erst deutlich erklärt und später relativiert – und wird von der mächtigen brasilianischen Agrarlobby gefördert, die u.a. wenig Interesse an Waldschutzprogrammen hat. Der Wahlkampf war extrem polarisierend, wobei Energie- und Umweltthemen keine tragende Rolle einnahmen. Allerdings schaffte es Bolsonaro, die aufgeheizte Stimmung für sich zu nutzen. So gab es mitten im Wahlkampf einen LKW-Fahrerstreik, der das Land kurzzeitig lähmte. Hintergrund waren stark gestiegene Dieselpreise, die aufgrund einer Entscheidung des brasilianischen Präsidenten Michaels Temers nicht mehr staatlich diktiert sondern über den Markt bestimmt werden. Hier zeigte sich dann auch die Stärke des Wahlkämpfers Bolsonaro, der mit einer sehr wirtschaftsliberalen Sicht eigentlich an dieser Stelle in die Defensive hätte gedrängt werden können. Stattdessen prangerte er Willkür, Unordnung und Korruption mit Blick auf die Regierung und deren mangelnde Problemlösungskompetenz an. So konnte er auch aus dieser Situation einen Vorteil für sich ziehen. Schon wenige Tage nach seiner Wahl äußerte sich Bolsonaro unter Hinweis auf dringend notwendige Einsparmaßnahmen zum Zusammenlegen zahlreicher Bundesministerien. Darunter auch den Zusammenschluss des Landwirtschafts- und Umweltministerium. Allerdings ist dieser Schritte zunächst verschoben worden. Denn nicht nur die Umweltlobby wehrt sich lautstark dagegen, auch das Landwirtschaftsministerium selbst hält diesen Schritt für wenig zielführend. Unabhängig davon deuten diese ersten Schritte Bolsonaros darauf hin, dass Klimapolitik in Brasilien zukünftig nur eine untergeordnete Rolle einnehmen wird. Es ist davon auszugehen, dass die Agrarlobby sich nun mit Blick auf Waldschutzgesetze und konkreten Regularien besser durchsetzen könnte und die Abholzungsrate wieder ansteigen wird. Im Energiebereich ist davon auszugehen, dass die bisherige Liberalisierungspolitik seines Vorgängers Temers fortgeführt wird. Hierbei steht die Liberalisierung und Öffnung des heimischen Energiemarktes im Vordergrund. Die großen Energieunternehmen Petrobras und Eletrobras werden dabei zunehmend unabhängiger vom Staat agieren können. Gegebenenfalls ist sogar eine vollständige Privatisierung möglich. Wie weit die Liberalisierung des Energiesektors gehen wird, wird sich an „erlaubten“ Beteiligungen internationaler Unternehmen an der Ausbeutung heimischer Energieressourcen wie den Pre-Salt-Öl-Vorkommen an der Atlantikküste vor Rio de Janeiro zeigen. Für die brasilianische Klimapolitik ist der anhaltende Trend zur Ausbeutung heimischer Ölvorkommen ein mittelfristiges Risiko. Brasilien ist seit Kurzem sogar Ölexporteur. Dieser Trend könnte die bis dato, aufgrund der großen Bedeutung der Wasserkraft für den Stromsektor, im globalen Vergleich relativ geringen CO2-Emissionen Brasiliens erhöhen. Auf der anderen Seite ist davon auszugehen, dass Energiegroßprojekte wie Staudämme in Zukunft noch weniger auf Umweltkriterien Rücksicht nehmen müssen. Dies würde zwar die Wasserkraft fördern, könnte aber die Biodiversität gefährden. wieweit Bolsonaro seinen Überlegungen, aus dem Klimaabkommen von Paris auszusteigen, Taten folgen lässt, kann gegenwärtig nicht gesagt werden. Hier wird sicherlich die anstehende COP25 2020 in Brasilien richtungsweisend sein. Immerhin ist die United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) aus der großen Nachhaltigkeitskonferenz 1992 in Rio de Janeiro hervorgegangen. Nicht auszudenken, was es hieße, wenn mit Brasilien einer der Initiatoren und Hauptakteure das Klimaabkommen von Paris verließe.
In Costa Rica hat sich Carlos Alvarado von der Partido Acción Cuidadana bei einer Stichwahl durchsetzen können.[iv] Im Wahlkampf nahmen Energie-, Klima- und Umwelthemen keine tragende Rolle ein. Allerdings hat der neue Präsident Alvarado bereits kurz nach seinem Amtsantritt den bisherigen energiepolitischen Kurs Costa Ricas noch einmal unterstrichen, indem er ein Ende der Nutzung fossiler Energien bis 2021 ankündigte, auch wenn er diese Aussagen später relativierte. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien und die weitere Senkung klimaschädlicher Treibhausgas stehen dabei im Vordergrund. Costa Rica ist immer wieder als lateinamerikanischer Klimaschutzvorreiter in den Medien präsent. Vor allem im Strombereich kann das Land bereits über lange Zeiträume hinweg komplett auf erneuerbaren Energien zurückgreifen, wofür die heimischen Wasserkraft und Geothermie ausschlagegebend sind. Eine drängende Herausforderung wird in den kommenden Jahren allerdings der Transportsektor werden. Costa Rica hat sich zum Ziel gesetzt, die Elektromobilität deutlich auszubauen. Ein entsprechendes Gesetz, das punktuelle Steuerbefreiungen für Elektroautos vorsieht, wurde bereits im vergangenen Jahr verabschiedet. Es ist jedoch fraglich, ob das allein ausreicht. Elektroautos bleiben extrem teuer und eine ausreichende Infrastruktur mit Ladestationen gibt es noch nicht. In Costa Rica ist die Transportinfrastruktur insgesamt schwierig. Zu wenige Straßen, ein unzureichend ausgebauter öffentlicher Nahverkehr und ein kaum vorhandenes Schienennetz verursachen regelmäßig erhebliche Staus. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund plant die Regierung in Zusammenarbeit mit der Partido Unidad Social Cristiana den Ausbau einer zentralen Schnellbahnverbindung, die als zentrale Verkehrsachse zwischen den Zentren dienen soll. Es wird sich deshalb vor allem am öffentlichen Transportsektor zeigen, ob die Elektromobilität in Costa Rica zum Klimaschutz signifikant beitragen kann.
In Kolumbien konnte sich der konservative Präsidentschaftskandidat Iván Duque Márquez von der Partei Centro Democrático durchsetzen.[v] Mit Blick auf die Energie- und Klimapolitik sind in Kolumbien mit Duque voraussichtlich keinen drastischen Veränderungen zu erwarten. Es ist mit einer Fortsetzung der Diversifizierung der Energieversorgung zu rechnen. Die ökonomische Anfälligkeit mit Blick auf die volatilen Ölpreise der vergangenen Jahre sowie die absehbar abnehmenden eigenen Öl- und Kohleressourcen sind bekannt und machen diesen Schritt erforderlich. So gibt es auch zunehmend Überlegungen, heimische Schiefergasvorkommen zu erschließen und die Energieeffizienz insgesamt zu erhöhen. Außerdem sollen Erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Eine der ersten Ankündigungen der neuen Regierung war die erstmalige Anwendung von Auktionen und Ausschreibungen für Erneuerbare Energien. Ein Schritt, der vor allem von ausländischen Investoren mit großem Interesse verfolgt wird. Kolumbien vertritt insgesamt eine pragmatische Haltung zur Umwelt-, Klima- und Energiepolitik, wobei es weder als Vorreiter noch als Bremser in der regionalen und internationalen Klimapolitik eingeordnet werden kann. Diesen Weg wird es voraussichtlich weitergehen.
In Paraguay wurde Mario Abdo Benítez zum Präsidenten gewählt. Er steht für einen wirtschaftsliberalen Kurs. Die Energie- und Klimapolitik Paraguays steht ganz im Fokus ihrer großen Wasserkraftwerke, die nicht nur einen Großteil der eigenen Elektrizitätsversorgung sicherstellen, sondern in den vergangenen Jahren auch zu einer signifikanten Größe für Brasilien und Argentinien geworden sind. In Venezuela gab es ebenfalls Präsidentschaftswahlen, die Nicolas Maduro gewonnen hat. Allerdings gibt es erhebliche Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahlen, die von den USA, Europa und zahlreichen lateinamerikanischen Staaten nicht anerkannt werden. Die marode Energiewirtschaftsstruktur wird voraussichtlich trotz finanzieller Hilfen aus China und Russland nicht modernisiert. Korruption und massive ökonomische Instabilität lassen Venezuela, das ressourcenreichste Land Lateinamerikas, weiter in die energiepolitische Bedeutungslosigkeit versinken.
Wenn Brasilien aus dem Klimaabkommen von Paris austritt, dann…
wäre das für die Glaubwürdigkeit des Abkommens an sich und den Klimaschutz insgesamt sehr negativ. Der Austritt der USA aus dem Abkommen konnte politisch noch erstaunlich gut bewältigt werden. Die globale Solidarität mit dem Abkommen war überwältigend. Außerdem erzeugte der Schritt innerhalb der USA eine Welle lokaler Klimaschutzinitiativen als Gegenreaktion. Verlässt jedoch Brasilien das Abkommen, würde ein Schwellenland austreten, das über einen klimarelevanten Waldbestand in kritischer Größe verfügt. Andere Länder könnten das zum Anlass nehmen, um ihre eigenen Verpflichtungen im Rahmen des Abkommens zu vernachlässigen oder sogar selbst austreten. Außerdem könnte die Klimaagenda im Rahmen der G20, die schon aufgrund der gegenwärtigen Ausrichtung der USA an Bedeutung verloren hat, mit Brasilien einen weiteren Dämpfer erhalten. Der Klimamultilateralismus würde dadurch enorm geschwächt. Für das zukünftige klimapolitische Agieren Brasiliens werden gewiss auch mögliche Reaktionen der EU, immerhin sein größter Wirtschaftspartner, eine wichtige Rolle spielen. Inwieweit diese Entwicklung sich auch auf regionale Initiativen wie die Pazifikallianz oder den MERCOSUR auswirken wird, bleibt abzuwarten. Im Rahmen dieser Kooperationen haben energie-, klima- und umweltpolitische Erwägungen bisher nur eine untergeordnete Rolle eingenommen. Detaillierte Vorhersagen zur Klimapolitik der neu gewählten Regierungen sind noch nicht möglich, allerdings ist zu erwarten, dass sich die energie- und klimapolitische Landkarte Lateinamerikas mit den neuen Regierungen in Mexiko und Brasilien erheblich verändern könnte. Eine linke Regierung in Mexiko, die die Renationalisierung der Energieversorgung anstrebt, und eine rechte Regierung in Brasilien, die dem Markt die Nutzung der heimischen Energie- und Naturressourcen überlassen will – beides hätte negative Konsequenzen für den Klimaschutz. Zum einen braucht der Klimaschutz private Investitionen und Know-how, über die Mexiko selbst nicht verfügt; zum anderen führt ein unkontrollierter Markt in Brasilien kurzfristig evtl. zu Wirtschaftswachstum, entzieht diesem aber mittel- bis langfristig durch Übernutzung der Naturressourcen zugleich die Grundlage. Generationengerechtigkeit sieht anders aus. An der roten Absatzmarke bei Bedarf einen Seitenumbruch einfügen
[i] Blomeier, Hans (2018): Mexiko hat gewählt…und wie!, Länderbericht KAS Mexiko, https://www.kas.de/web/mexiko/laenderberichte/detail/-/content/mexiko-hat-gewaehlt-und-wie-1
[ii] The Dialogue (2018): Markets Tailwinds and Political Headwinds for Latin American Energy, Read coverage of the Second Annual Latin America Latin America Energy Conference in S&P Global Platts, Forbes México, and Energy, Intelligence. https://www.thedialogue.org/analysis/market-tailwinds-and-political-headwinds-for-latin-american-energy/
[iii] Hübner, Franziska und Woischnik, Jan (2018): Jair Bolsonar zum neuen Staatspräsidenten Brasiliens gewählt, Länderbericht KAS Brasilien, https://www.kas.de/web/brasilien/laenderberichte/detail/-/content/jair-bolsonaro-zum-neuen-staatsprasidenten-brasiliens-gewahlt.
[iv] Böhler, Werner (2018): 100 Tage Regierung Carlos Alvarado Quesada in Costa Rica, Länderbericht KAS Costa Rica, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=d963c648-ff6d-c1e9-f439-d725dc8a14e2&groupId=252038.
[v] Gehring, Hubert und Cepeda, María Francisca (2018): Kolumbien hat gewählt, Länderbericht KAS Kolumbien, https://www.kas.de/web/kolumbien/laenderberichte/detail/-/content/kolumbien-hat-gewaehlt
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