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Vetospieler oder Motor der Energiewende?

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Die Deutschen haben ein recht undogmatisches Verständnis vom Bundesstaat: Einerseits wird er als Hort regionaler Eigenständigkeit geliebt, andererseits als undurchsichtiges und reformunfähiges Verhandlungssystem verteufelt – allzu reformfreudig soll es auch wieder nicht zugehen. Die scheinbar ewig andauernde Föderalismusreformdebatte berührt die Mehrheit der Bürger kaum. Lebendig wird der Föderalismus erst so richtig, wenn beispielsweise ein Ministerpräsident „denen in Berlin“ die Rote Karte zeigt. So geschehen im Frühjahr 2014, als einige Ministerpräsidenten sich gegen den Bau von Übertragungsleitungen aussprachen. Besonders die Politikfelder der Energiewende bieten Konfliktpotenzial zwischen der Bundesebene und den Ländern.

Zu nennen wäre hier vor allem die im Juni/Juli 2014 beschlossene Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Die Ökostromumlage geht mit erheblichen – auch regionalen – Verteilungseffekten einher; kein Bundesland will da das Nachsehen haben.[1] Dass der Novellierung nicht nur heftige Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern, sondern auch zwischen den Ländern vorausgehen würden, kündigte sich schon 2012 an, als der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin die Umlage mit dem Länderfinanzausgleich gleichsetzte.[2] Das Verhältnis von Föderalismus und Energiewende ist also vor allem eines: heikel. Nicht einfacher wird es, wenn die Bürger zusätzlich im föderalen Geflecht „mitmischen“ und Energiewendeprojekte mit Protesten blockieren.

Käme die Energiewende in einem unitarischen Staat nicht besser voran? Dürfen engagierte Bürger, die sich an der Planung der Energiewendeprojekte beteiligen wollen, sich zu Vetospielern im Mehrebenensystem aufschwingen?

Der Ausbau der Erneuerbaren Energien erfolgt weitgehend dezentral und kommt damit der föderalen Struktur der Bundesrepublik entgegen. Wer beispielsweise die unterschiedlichen Ziele der Bundesländer für den Ausbau der Erneuerbaren Energien als Chaos beklagt, übersieht leicht, dass diese Vielfalt den Wettbewerbsföderalismus gerade ausmacht. Die bundesstaatlichen Strukturen haben den Ausbau eher vorangetrieben als behindert. Aber auch grundsätzlich wird die Dezentralität der Energiewende überwiegend positiv bewertet. Sie bietet den Menschen die Chance, von ihr zu profitieren und selbst zu Stromproduzenten zu werden – auch dies ist eine Form der Partizipation. Der Einfluss der Bürger auf die Gestaltung und Umsetzung der Energiewende nimmt zu, je dezentraler die Maßnahmen voranschreiten. Die Chance steigt, dass die Betroffenen selbst zu Entscheidern und Finanziers werden. Damit erhöht sich auch die Akzeptanz der Energiewende.[3]

 

Lehrstück der Politikverflechtung

Die Schattenseite der Dezentralität ist freilich, dass mehr Menschen von den Veränderungen des Landschaftsbildes durch Windenergieanlagen und Stromtrassen betroffen sind und mit den negativen Anlageneigenschaften zurechtkommen müssen.[4] Sie erntet also nicht nur Zustimmung, sondern kann auch die Akzeptanz der Energiewende gefährden; eine labile Akzeptanz dezentraler Maßnahmen ist an dieser Stelle jedoch kein spezifisches Merkmal des Föderalismus.[5] Die Sorge vor einer föderalen Gefährdung der Energiewende erwächst vermutlich aus einer voreiligen Gleichsetzung von Föderalismus mit planloser Dezentralität. Dabei gehört zur Energiewende nicht nur der dezentrale Ausbau der Erneuerbaren Energien, sondern dazu gehören auch der zentral geplante Netzausbau und die gemeinschaftlich unter der Leitung des Bundes geplante Abwicklung der Atomenergie. Die Energiewende besteht aus zentralen und dezentralen Elementen[6] und ist damit Ausdruck des für Deutschland so typischen kooperativen Verbundföderalismus, bei dem die Grenzen der Kompetenzzuordnung zwischen den Staatsebenen verschwimmen. Genau in dieser Grauzone finden Bürgerprotest und Bürgerbeteiligung die besten Voraussetzungen, um bundespolitische Bedeutung zu entfalten – allerdings nur bedingt aus eigener Kraft!

In kooperativen föderalen Strukturen gehen Entscheidungen aus Verhandlungen zwischen den Gebietskörperschaften hervor. Die Handlungslogik dieser Strukturen ist von Politikverflechtung geprägt, die die exekutiven Eliten stärkt. Sie folgt den Spielregeln der repräsentativen Demokratie.[7] Für den Governance-Ansatz, der voraussetzt, dass die staatlichen Stellen Akteure aus der Bürgerschaft als gleichwertige Partner anerkennen, sodass beide Seiten auf Augenhöhe gemeinsam Regeln aufstellen,[8] ist hier nur wenig Platz.[9] Nicht gesetzlich vorgeschriebene und in die repräsentativen Strukturen eingebettete Beteiligungsverfahren sind aus dieser Perspektive externe Einflüsse. Mit anderen Worten: Informeller Bürgerbeteiligung und informellem Bürgerprotest kommen im Föderalismus nur Bedeutung zu, wenn die Vertreter der Gebietskörperschaften dies wollen. Die Ablehnung der zentral von der Bundesnetzagentur geplanten Höchstspannungsleitungen durch einige Ministerpräsidenten ist dafür ein gutes Beispiel. Hierbei trat besonders der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hervor, der im März 2014 ein Netzausbau-Moratorium forderte. Er begründete dies mit den damaligen Plänen des Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel, die Förderung der Offshore-Windenergieanlagen zu reduzieren, wodurch seiner Meinung nach die großen Nord-Süd-Stromtrassen überflüssig würden.[10] Damit sicherte sich Bayern Einfluss auf die Reform des EEG, obwohl dieses zu den nicht-zustimmungsbedürftigen Gesetzen gehört. Es handelt sich also nahezu um ein Lehrstück der Politikverflechtung im Verbundföderalismus. Nachteile sind freilich eine Blockade und höhere politische Transaktionskosten.[11] Die konkreten Planungen der Übertragungsnetzbetreiber liegen vorerst auf Eis.

 

Zentrale Beteiligung, dezentrale Gestaltung

Was oberflächlich wie ein Sieg des Bürgerprotests aussah, ist also nur ein Verhandlungsargument im Verbundföderalismus. Die engagierte Zivilbevölkerung agierte nicht als eigenständiger Akteur – als Vetospieler – im Föderalismus, sondern nur als Veto-Option der Ministerpräsidenten. Bürger, die sich in den Netzausbau einbringen wollen, dürften mit dieser abhängigen Rolle nicht sonderlich zufrieden sein.

Umso wichtiger sind die formellen Beteiligungsmöglichkeiten, die im Planungsrecht verankert sind. Gerade beim Ausbau der Übertragungsleitungen sind diese deutlich ausgeweitet worden. Aufgrund der zentralen Planung und Genehmigung durch die Bundesnetzagentur erlauben sie den Bürgern eine unmittelbare Mitwirkung auf Bundesebene.[12] Dennoch zeigt das Netzausbau-Moratorium, dass auch diese Verfahren in die Politikverflechtungsfalle geraten können. Eine Lösung für dieses Problem bestünde darin, die Planungs- und Genehmigungsverfahren für bundesweite Infrastrukturprojekte der Energiewende dezentral zu gestalten und damit die Länder stärker in die Pflicht zu nehmen, die Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung jedoch zentral zu organisieren.

 

Tobias Montag, geboren 1981 in Erfurt, Koordinator für Innenpolitik, Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.


[1] Vgl. Bannas, Günter: „Mit Fitzelkram zum Ziel“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 03.04.2014, und Roßbach, Henrike / Schwenn, Kerstin: „Verbraucher zahlen für Energiekompromiss“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 03.04.2014.
[2] Reisener, Thomas: „Minister empört. NRW bezahlt die Energiewende“. In: RP Online vom 23.07.2012 [07.07.2014].
[3] Vgl. Hildebrand, Jan / Rau, Irina / Schweizer-Ries, Petra: „Die Bedeutung dezentraler Beteiligungsprozesse für die Akzeptanz des Ausbaus erneuerbarer Energie. Eine umweltpsychologische Betrachtung“. In: Informationen zur Raumentwicklung, (2012) 9–10, S. 491–492, und Mans, Ulrich / Kayser, Lena: „Bürgerschaft und dezentrale Energieversorgung“. In: Töpfer, Klaus / Volkert, Dolores / Mans, Ulrich (Hrsg.): Verändern durch Wissen. Chancen und Herausforderungen demokratischer Beteiligung: von „Stuttgart 21“ bis zur Energiewende. – München: oekom, 2013. – S. 159–171.
[4] Vgl. Hildebrand / Rau / Schweizer-Ries: Bedeutung, S. 491.
[5] Vgl. Münch, Ursula: „Energiewende im föderalen Staat“. In: Jahrbuch des Föderalismus, 14 (2013), S. 35.
[6] Vgl. Bauknecht, Dierk / Funcke, Simon: „Dezentralisierung oder Zentralisierung der Stromversorgung: Was ist darunter zu verstehen?“ In: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 63 (2013) 8, S. 14–17.
[7] Kropp, Sabine: „Stuttgart 21“: Prellbock für den Bundesstaat? Zur Vereinbarkeit von kooperativem Föderalismus und nicht-repräsentativen Formen der Demokratie. In: Jahrbuch des Föderalismus, 12 (2011), S. 192–204.
[8] Vgl. u. a. Baule, Bernhard: „Bürgergesellschaft als „starke Demokratie“ – Engagementpolitik im föderalen System der Bundesrepublik“. In: Härtel, Ines (Hrsg.): Handbuch Föderalismus. – Bd. 3: Entfaltungsbereiche des Föderalismus – Berlin; Heidelberg: Springer-Verlag, 2012. – § 77, S. 861–863.
[9] Vgl. Kropp: „Stuttgart 21“, S. 195.
[10] Vgl. „Die Problemtrassen“. In: faz.net vom 31.03.2014 [08.07.2014].
[11] Zur Theorie Kaiser, André: „Politiktheoretische Zugänge zum Föderalismus“. In: Härtel, Ines (Hrsg.): Handbuch Föderalismus. – Bd. 1: Grundlagen des Föderalismus und der deutsche Bundesstaat. – Berlin; Heidelberg: Springer, 2012. – § 6, S. 165–178.
[12] Dieser Aspekt wird bei aller berechtigten Kritik am „Planungszentralismus“ des NABEG m. E. bisher unterschätzt. Zum Begriff des Planungszentralismus Gärditz, Klaus Ferdinand: „Die Entwicklung des Umweltrechts im Jahr 2011: Umweltpolitische Herausforderungen zwischen Partizipation, Wutbürgertum und Energiewende“. In: Zeitschrift für Umweltrecht, 35 (2012) 3, S. 262–271.

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