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Die Europäische Volkspartei vor der Europawahl

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Die Europawahl im Mai 2014 wird zu einer strategischen Richtungsentscheidung. Die Europäische Volkspartei steht vor drei Fragen: Was soll den Menschen in Europa gesagt werden? Wie soll diese Botschaft transportiert werden? Und: Wie kann das europäische Projekt in den nächsten Jahren weitergeführt werden?

Diese Europawahl wird geprägt sein von der wirtschaftlichen Krise, aus der die Europäische Union (EU) nun langsam herauskommt. Die Krise nahm zwar ihren Anfang außerhalb der EU: in den USA und in den Exzessen der Finanz- und Immobilienmärkte. Sie traf aber auf mangelnde Konkurrenzfähigkeit und viel zu hohe Verschuldung in einigen Staaten der Eurozone. Und sie traf auf eine Währungsunion ohne Politische Union. Seitdem hat sich vieles getan: In den am stärksten betroffenen Krisenländern Irland, Portugal, Spanien und Griechenland sind Parteien der EVP-Familie in die Regierungen gewählt worden. Sie haben mit schmerzhaften, aber notwendigen Schritten die Finanzen ihrer Länder besser geordnet und die Wirtschaft konkurrenzfähiger gemacht. Irland hat die Bail-out-Zone schon verlassen. Griechenland wird dieses Jahr zum ersten Mal seit Langem wieder eine wachsende Wirtschaft und einen ausgeglichenen Primärhaushalt aufweisen. In Portugal sinkt die Arbeitslosigkeit.

Auf EU-Ebene haben wir mit dem Stabilitätsmechanismus und seinen Hilfsprogrammen die Solidarität gestärkt. Mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt kann unverantwortliche Verschuldung verhindert werden. Die kommende Bankenunion soll den Bankensektor vor zukünftigen Krisen schützen und die Unterstützung der Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes, sicherstellen.

All das geschah unter der Führung der christlich demokratischen und konservativen Parteien der EVP-Familie. Das sind Leistungen, die vorzeigbar sind und so auch kommuniziert werden sollten. Diese Bilanz gilt es in der kommenden Wahl zu verteidigen, und zwar nach zwei Seiten: gegenüber einer Linken, die immer eher an das Ausgeben von Geld denkt als daran, wie es verdient werden kann, sowie gegenüber Populisten und Nationalisten von links und rechts, die lieber Ängste schüren, als tragfähige Lösungen vorzuschlagen, und die den Euro und die Europäische Union am liebsten morgen abwickeln würden.

 

Erstmals europäische Spitzenkandidaten

Diese Wahl wird also zu einer großen Abstimmung darüber, in welchem Europa die Menschen in Zukunft leben wollen. Sie wird auch zur Abstimmung darüber, wer Präsident der Europäischen Kommission wird. Zum ersten Mal in der Geschichte des Europäischen Parlaments stellen fast alle europäischen Parteien Spitzenkandidaten auf, die die jeweiligen Wahlprogramme verkörpern und, je nach Wahlausgang, die Führung der Kommission übernehmen könnten. Die europäischen Sozialisten haben sich zunächst eine komplexe Prozedur zur Nominierung ausgedacht, um dann, bereits im November 2013, den gegenwärtigen Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz, ohne Konkurrenz zum „designierten Kandidaten“ zu küren. Die EVP wird ihren Kandidaten, wie seit einem halben Jahr angekündigt, auf ihrem Wahlkampfkongress am 6./7. März 2014 in Dublin nominieren.

Es wird in vielen Mitgliedsstaaten öffentliche Auftritte der Spitzenkandidaten geben; auch eine Fernsehdebatte zumindest der Kandidaten von EVP und Sozialisten ist geplant. Zwar sind weiterhin die jeweiligen nationalen Parteien für den Europawahlkampf verantwortlich, aber es wird, zumindest in der EVP, mehr denn je eine übergreifende Linie geben. Diese ist im Detail im EVP-Aktionsprogramm dargelegt, das in der Rohfassung vorliegt, jetzt in den Mitgliedsparteien in die Feinabstimmung geht und ebenfalls im März 2014 in Dublin beschlossen wird. Auch die EVP-Fraktion im Europäischen Parlament hat – in enger Abstimmung mit der Partei – ihre Prioritäten formuliert.

 Dieser Wahlkampf wird kein Spaziergang. Selbstverständlich werden Sozialisten, Grüne und Liberale alles tun, um die Bilanz der EVP-Parteien in ein schlechtes Licht zu rücken. Insbesondere Sozialisten und Grüne werden, wie schon in den letzten Monaten, ihre falsche Alternative zwischen „Austerität“ und Wachstum propagieren. Es ist den Wählerinnen und Wählern aber sehr wohl verständlich zu machen, dass diese Sichtweise vollkommen an der Realität vorbeigeht: Solide Haushalte und wirtschaftliche Reformen sind nämlich die Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum, welches dann Quantität und Qualität der Arbeitsplätze erhöht. Denn Wachstum lässt sich nicht befehlen, und Regierungen schaffen keine Arbeitsplätze, das tun Unternehmer und Verbraucher, wenn die Bedingungen stimmen. Und diese Bedingungen schaffen die EVP und ihre Mitgliedsparteien zuverlässiger als ihre Konkurrenten. Diese Botschaft muss im Mittelpunkt des Wahlkampfes gegen die Parteien links der Mitte stehen.

Nationalisten und Populisten von links und rechts werden die Politik der EVP aber auf einer viel fundamentaleren Ebene angreifen: Sie wollen die Ängste vieler Menschen vor Zuwanderung und Arbeitsplatzverlust, vor Verarmung und Kriminalität in Wut auf das europäische Projekt verwandeln. Sie machen den Euro, die Institutionen der EU und die „Eliten“ verantwortlich für die Probleme Europas. Hier besteht die Gefahr, die Sorgen der Menschen als kleinkariert und rückwärtsgewandt zu bezeichnen und beiseitezuwischen. Diese Themen dürfen nicht den Populisten überlassen werden – es muss dringend über sie gesprochen werden. Die angebotenen Lösungen müssen überzeugender sein als jene der Radikalisten. Vor allem aber gilt es, Europa erfolgreich aus der Krise herauszuführen. Jenseits aller Wahlkampfrhetorik werden in dieser Wahl die Ergebnisse der letzten Jahre zählen.

 

Verständliche Vision

Über die Betonung unserer Leistungen und die Konzepte zur Bewältigung der Krise hinaus muss die EVP auch eine verständliche Vision für eine zukunftsfähige Union anbieten: Die EU muss stärker, einfacher und demokratischer werden.

Das heißt erstens und konkret, dass wir zunächst an unserer Grundüberzeugung festhalten: Wir brauchen eine politische Union, die die Währungsunion erst krisenfest und dauerhaft macht. Europa wird in einer globalisierten Welt nicht bestehen und das europäische Sozialmodell kann nicht bewahrt werden, wenn die EU nicht weiter institutionell gefestigt wird. Dazu muss kein neuer Unionsvertrag verhandelt werden. Aber die Gemeinschaftsmethode muss gestärkt werden, und Parlament sowie Rat müssen ihre gemeinsame Rolle als Legislative einer effizienteren Union besser einüben. Die Eurozone sollte sich nicht permanent vom Rest der Union abgrenzen, aber wo es im Sinne der Handlungsfähigkeit nötig ist, muss sie ihre eigenen Institutionen entwickeln – immer verbunden mit dem Angebot, sich ihr anzuschließen. Wir müssen außerdem zweitens den Abbau von Bürokratie ernsthafter betreiben als bisher. Nicht alle europäischen Gesetzgebungsvorhaben der letzten Jahre sind in gleichem Masse sinnvoll. Wenn Regelungsvorschläge veraltet oder, bei Licht betrachtet, wenig sinnvoll sind, wenn Dinge besser auf nationaler oder regionaler Ebene entschieden werden als auf europäischer, dann müssen die EU-Institutionen auch entsprechende Konsequenzen ziehen – die Vorhaben stoppen oder die Gesetze wieder zurücknehmen. Die Kommission selbst muss sorgfältiger als bisher darauf achten, nur das regeln zu wollen, was notwendigerweise auf europäischer Ebene geregelt werden muss. Das ist auch ein Teil der Bemühungen, die Institutionen der EU wieder näher an die Bürgerinnen und Bürger der Union heranzubringen. Die EVP kann dabei, im Gegensatz zu anderen europäischen Parteien, ein bewährtes christlich demokratisches Prinzip ins Feld führen: die Subsidiarität. Nur so kann das Vertrauen in die europäischen Institutionen wieder gestärkt werden.

Drittens: Schließlich brauchen die gestärkten Kompetenzen der Union bei der wirtschaftspolitischen Koordinierung auch eine entsprechend gestärkte demokratische Legitimität. Der erste Schritt in diese Richtung ist die schon im Lissabon-Vertrag verankerte Verbindung zwischen dem Resultat der Europawahl und der Wahl des Kommissionspräsidenten. Das ist aber erst der Anfang einer neuen Entwicklung, die in den nächsten Jahren auch die Einbindung der nationalen Parlamente in den europäischen Willensbildungsprozess einschließen sollte. Wie das genau aussehen kann, ohne den europäischen Entscheidungsprozess unnötig kompliziert zu gestalten, das muss noch erarbeitet werden. Bei zukünftigen Europawahlen sollte jedenfalls auch ein Teil der Sitze im Parlament von paneuropäischen Listen gewählt werden.

Es geht also bei der Wahl im Mai 2014 um nichts Geringeres als die zukünftige Gestalt Europas. Deshalb kämpft die EVP darum, wieder stärkste Fraktion im Parlament zu werden, den Kommissionspräsidenten zu stellen und so viele Spitzenpositionen wie möglich zu besetzen. Die Bilanz der letzten Jahre muss hierzu deutlich herausgestellt werden. Die besseren Lösungen müssen vermittelt werden.

 

Joseph Daul, geboren 1947 in Straßburg (Frankreich), Präsident der Europäischen Volkspartei (EVP) und Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament.