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Wie wir zum Ausrüster der Welt werden können

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Die Digitalisierung verändert unser Leben. Nicht nur, dass immer mehr Menschen morgens beim ersten Kaffee die News online lesen und Interessantes an Freunde in sozialen Netzwerken weiterleiten: In Zukunft werden wir wohl beim Verlassen der Wohnung alle überflüssigen Elektrogeräte mithilfe des Smartphones abschalten, die Heizung herunterregeln und die Haustür verriegeln. Was sich vor fünfzehn Jahren noch nach Science-Fiction anhörte, ist heute teilweise schon Alltag, zumindest aber vorstellbare Realität. Die digitale Vernetzung von Menschen und Objekten sowie die Verschmelzung von realer und virtueller Welt schreiten unaufhaltsam voran. Derzeit erreichen die dafür benötigten Technologien – angefangen von RFID-Chips [Abkürzung für „Radio-frequency identification“; Sender-Empfänger-System zur automatischen und berührungslosen Identifikation und Lokalisierung von Objekten], Sensorik und Aktuatorik (Antriebstechnik) bis hin zu Cloud-Computing und Semantik – hinsichtlich Rechenleistungen, Netzkapazitäten und Speichergrößen einen „Tipping Point“, einen Zeitpunkt also, an dem sie exponentiell wachsen. Parallel sinken die Preise und machen diese Technologien flächendeckend einsatzfähig. Schon heute kommunizieren mittels der digitalen Vernetzung weltweit 12,5 Milliarden „Objekte“ und 4,5 Milliarden Menschen. Bis 2020 wird ein Anstieg auf fünfzig Milliarden „Objekte“ und 6,5 Milliarden Menschen erwartet.

 

Sweet phone, smart home

„Objekte“ sind in diesem Zusammenhang mehr als nur Computer und mobile Endgeräte, zunehmend werden auch andere Alltagsgegenstände, wie Autos, Waschmaschinen, Kleidungsstücke oder Laufschuhe, digital anschlussfähig und damit zu „Smarten Produkten“. Diese Smarten Produkte reagieren eigenständig auf ihr Umfeld, kommunizieren und interagieren über das Internet untereinander und mit ihren Besitzern. Sie stellen so eine Verbindung zwischen der physischen und der virtuellen Welt der Daten her.

Gleichzeitig erheben die Smarten Produkte eine Vielzahl von Daten – intelligent analysiert und verknüpft, bilden diese Smart Data die Grundlage für neue Services. Produkte, Prozesse und Dienstleistungen werden digital veredelt und zu Smart-Service-Paketen für den einzelnen Nutzer verbunden. In unserem Smart Home, das über das Smartphone gesteuert wird, lässt sich zum Beispiel jede neu gekaufte Waschmaschine mit wenigen Klicks in das eigene Heimnetzwerk integrieren und fortan ein Waschgang von unterwegs starten.

Diese als Internet der Dinge, Daten und Dienste bezeichnete nächste Stufe der Digitalisierung hat tief greifende Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Sie stellt den Innovations- und Wachstumsmotor der kommenden Dekaden dar: Der volkswirtschaftliche Nutzen der allgegenwärtigen Vernetzung wird auf rund 56 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

 

Startvorteil für Deutschland

Das in die Hightech-Strategie der Bundesregierung eingebettete und von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften koordinierte Zukunftsprojekt Industrie 4.0 ist ein Anwendungsbeispiel: Mit der Industrie 4.0 hält das Internet der Dinge, Daten und Dienste Einzug in die Fabrik. Hier werden Menschen, Maschinen, Ressourcen und Betriebsmittel ad hoc miteinander vernetzt, sie verhandeln und regeln untereinander, wer freie Kapazitäten hat und bestimmte Aufgaben übernimmt. Das stellt die bisherige Produktionslogik auf den Kopf: Die zentrale Produktionssteuerung wird aufgelöst, die Fabrik organisiert sich selbst. Mehr noch, sie ist vertikal mit den betriebswirtschaftlichen Prozessen in anderen Fabriken des Unternehmens sowie horizontal mit global verzweigten Wertschöpfungsnetzwerken verknüpft. In die Netzwerke sind Unternehmen verschiedenster Branchen integriert – von der Bestellung bis zur Lieferung. So entsteht eine flexiblere und effizientere Produktion. Die Herstellung maßgeschneiderter Produkte – etwa einer der eigenen Wirbelsäule angepassten Matratze – zum Preis eines Massenprodukts wird möglich. Doch was bedeuten die tief greifenden Veränderungen durch den nächsten Digitalisierungsschritt für die deutsche Wirtschaft insgesamt?

Während der Industrieanteil in traditionellen Industrieländern wie Frankreich, Großbritannien und den USA in den letzten Jahrzehnten immer schneller sank, liegt der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung in Deutschland weit über dem europäischen Durchschnitt. Deutschland hat als Ausrüster der Welt eine gute Startposition bei der Herstellung und Entwicklung von Smarten Produkten. Mit einem starken Maschinen- und Anlagenbau, umfassendem Know-how in den benötigten Basistechnologien, wie etwa der Automatisierung, und nicht zuletzt mit ihrer gut qualifizierten Belegschaft erfüllt die deutsche Wirtschaft sämtliche Voraussetzungen, um ihre smarten Produkte in das Internet der Dinge, Daten und Dienste erfolgreich zu integrieren und dort zu etablieren und sich damit neue Geschäftsmodelle zu erschließen. Dabei ist die konsequente Zusammenführung dieser High-Tech-Produkte und -Technologien mit den beschriebenen Internetbeziehungsweise Informations- und Kommunikationstechnologien eine zentrale Aufgabe der nächsten Jahre. Deutsche Unternehmen haben diesen Trend erkannt und aufgegriffen – das zeigt nicht zuletzt das starke Engagement bei Industrie 4.0.

 

Was fehlt?

Smarte Produkte sind für den Nutzer künftig jedoch nur interessant, wenn sie mit Smart Services verknüpft werden, beispielsweise der lernfähige Feuermelder, der seinen Batteriestand regelmäßig checkt und bei Bedarf selbstständig Batterien nachbestellt. Die deutsche Industrie muss daher auch bei Smart Services führend werden. Durch die nun anstehende Integration von Produkt- und Dienstleistung und das damit einhergehende Verschmelzen von Branchengrenzen werden die Karten im internationalen Wettbewerb neu gemischt. Auf dem globalen Markt von morgen haben Plattformanbieter die Poleposition. Software-basierte Unternehmen, wie Google, haben das erkannt. Das Herstellen von (Smarten) Produkten allein reicht nicht mehr aus, um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten.

Ein Beispiel aus unserem Smart Home: Im Januar sorgte Google mit der zweitgrößten Firmenübernahme seiner Geschichte für Schlagzeilen. Google kaufte „Nest“, ein Unternehmen, das lernfähige Thermostate und Rauchmelder herstellt. So passen die Thermostate von Nest etwa die Zimmer- an die Außentemperatur und an die Gewohnheiten der Bewohner an. Neben der Herstellung dieser Geräte und dem Anbieten maßgeschneiderter Anwendungen positioniert sich Google damit auch als Plattformbetreiber im Smart Home-Markt. Bisher werden die meisten smart Home-Anwendungen unverbunden als separate Lösungen angeboten, beispielsweise werden Heizungs- und Beleuchtungssysteme nicht miteinander verknüpft. Der Trend aber geht zum intelligenten Zuhause. Auf dem internationalen Markt ändern sich dadurch die Geschäftsmodelle: Verschiedene Hersteller, Anbieter, Dienstleister und Start-ups finden sich auf Plattformen zu digitalen Ökosystemen zusammen und bieten dem Nutzer individuelle Servicepakete an. Den Plattformbetreibern kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

Im internationalen Wettbewerb kommt es nun auf Schnelligkeit an: Durch ihre exponentielle Weiterentwicklung und ihre kostengünstige Verfügbarkeit werden Informations- und Kommunikationstechnologien zunehmend Bestandteil von Produkten und Dienstleistungen. Aber erst durch die darüberliegenden Plattformen können sie zu Smart-Service-Paketen verknüpft werden. Das Internet der Dinge, Daten und Dienste steht schon heute in den Startlöchern. Gerade Smart-Service-Lösungen können recht kurzfristig und – im Vergleich etwa zu Industrie 4.0 – ohne größere Migrationskosten umgesetzt werden. Auch andere Volkswirtschaften haben diesen Trend erkannt und positionieren sich. Insbesondere dort, wo größere Produktionssektoren fehlen, sieht man die Chance, durch Stärken im Dienstleistungs- und Softwarebereich wieder wichtige Marktanteile im Produktionssektor zurückzugewinnen. Gerade die USA und China treiben diese Entwicklung voran.

 

Digitale Agenda

Mit den beiden von acatech koordinierten Zukunftsprojekten „Industrie 4.0“ und „Smart Service Welt“ hat sich Deutschland frühzeitig auf den Weg gemacht, den nächsten Digitalisierungsschritt zu gestalten. Die Visionen sind formuliert, die Handlungsempfehlungen an Wirtschaft, Politik und Gesellschaft übergeben. Ihre Umsetzung muss nun beherzt angegangen werden.

Um die Vision der Industrie 4.0 und der Smart-Service-Welt zu realisieren, ist die Kooperation zwischen unterschiedlichen Akteuren und Branchen unabdingbar. Auf den Plattformen werden Unternehmen künftig über Branchengrenzen hinweg und gemeinsam mit Forschungseinrichtungen, Nutzern und anderen gesellschaftlichen Akteuren neuartige Innovationspartnerschaften und Geschäftsmodelle entwickeln. Anwendungen des Internets der Dinge, Daten und Dienste, wie Industrie 4.0 und das Smart Home, sind nicht als in sich geschlossene Systeme, sondern als übergreifende Struktur zu begreifen und zu gestalten.

Der Ausbau von Breitbandanschlüssen ist dafür eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung. Die Beschränkung der politischen Diskussion allein auf diesen Teil der technischen Infrastruktur greift zu kurz. Die Infrastruktur der Zukunft ist das Internet der Dinge, Daten und Dienste – inklusive dazugehöriger Plattformen und Basistechnologien.

Eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Etablierung der Smart-Service-Welt ist die Akzeptanz der Technologien in der Gesellschaft. Ein breiter gesellschaftlicher Diskurs ist notwendig, um die Chancen und Folgen der fortschreitenden Digitalisierung zu begleiten und die mit dieser einhergehenden Wertkonflikte – etwa im Bereich Datensicherheit und Privatsphäre – auszubalancieren. Deutsche Lösungen könnten dabei insbesondere durch umfassende und vertrauensvolle Sicherheitskonzepte punkten.

Mit der Erarbeitung und Umsetzung einer Digitalen Agenda hat Deutschland gute Chancen, seinen Wettbewerbsvorteil zu verteidigen. Als Ausrüster der Welt ist Deutschland führend bei der Herstellung Smarter Produkte. Jetzt gilt es, die Plattformen für innovative und nutzerorientierte Dienstleistungen und Geschäftsmodelle und damit für neue Wachstumsimpulse zu realisieren.

 

Michael Püschner, geboren 1985 in Dresden, Referent des Präsidenten Henning Kagermann bei acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, Berlin.

Veronika Stumpf, geboren 1985 in München, wissenschaftliche Mitarbeiterin, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, Berlin.

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