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by Bernd Löhmann

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„Und einmal kam eine große Teuerung ins Land“ – im Märchen von „Hänsel und Gretel“ ist ein plötzlicher Preisanstieg Auslöser einer ganzen Serie von Katastrophen: Zwei Kinder aus prekären Holzfällerverhältnissen werden für ihre Eltern zum existenziellen Risiko und sind in der Folge unsäglichen Grausamkeiten ausgesetzt. Auf sich allein gestellt, überwinden sie – in Grimms Märchen am Ende glücklich und zufrieden – alle Gefährdungen.

Märchen gehen meist gut aus, reflektieren aber tief sitzende Krisenerfahrungen. Ängste vor steigenden Preisen und Versorgungsmängeln gehören fraglos dazu, selbst wenn sie weitgehend aus unserem Bewusstsein verdrängt waren. Noch im Herbst des vergangenen Jahres hielt das Gros der Experten den Anstieg der Verbraucherpreise für ein temporäres Problem.

Inzwischen schlägt die Wahrnehmung um. Nicht nur in Deutschland ist „Hänsel und Gretel“ wieder mehr als eine bloße Phantasie. Weltweit drohen sich die Volkswirtschaften in einem Wald wildwüchsiger Krisen zu verlieren. Es fehlt an Orientierung, wie der Düsternis aus explodierenden Energie- und Lebensmittelkosten, Konjunkturschwäche, wachsenden sozialen Spannungen und fiskalischen Notwendigkeiten zu entrinnen ist. Manch Irrweg staatsdirigistischer Preiskontrolle und -verzerrung wird bereits beschritten.

Die deutsche Ampel-Regierung hat es mit „Brotkrumen“ wie dem Tankrabatt probiert und streitet nun intern darüber, wer Schuld daran trägt, dass der milliardenschwere Entlastungsversuch nach kurzer Frist weggefressen war. Koalitionswahrend diffus erscheinen die Ansätze. Will die Regierung überhaupt einen gemeinsamen Plan? Lieber delegiert sie die Frage der Inflationsbekämpfung an „runde Tische“ und Kommissionen – Prozess statt Aktion!

Die „Hänsel und Gretel“ von heute sind so wie ihre Vorbilder ziemlich allein unterwegs. Nacktes Elend droht Menschen im globalen Süden, fehlt es ihnen doch zunehmend sogar an Nahrung. Die Nöte bei uns sind weit weniger existenziell, doch spitzt sich auch hier die soziale und wirtschaftliche Lage in kaum gekanntem Maße zu. Für viele Menschen geht es ans Eingemachte, wenn Essen, Wohnen und Heizen extrem viel teurer werden. Mittelfristig birgt die weitere Schädigung der Altersvorsorge gesellschaftliche Sprengkraft. Auch politisch, nicht zuletzt zur Abwehr Putins, ist das Scheusal Inflation eine Katastrophe. Nicht Zögerlichkeit, sondern Gretel‘sche Wachheit und Entschlossenheit sind gefragt, um es wieder loszuwerden.

 

Bernd Löhmann, Chefredakteur

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