Konjunkturstottern, Exporteinbruch, Börsencrash im kürzlich noch allseits bestaunten Wirtschaftswunderland China! Statt der Glitzerwelt Shanghaier Hochhauspaläste stehen westlichen Beobachtern zunehmend die Bilder ökologischer Verheerungen vor Augen. Die Katastrophe von Tianjin im August 2015, bei der Tausende Tonnen hochgiftiger Chemikalien in unmittelbarer Nähe eines Wohngebiets explodiert sind, hat einiges dazu beigetragen.
„Wir müssen uns verabschieden von einem berechenbaren China“, sagte ein hochrangiger westlicher Wirtschaftsvertreter unter dem Eindruck der jüngsten Geschehnisse. Könnte es nicht sein, dass dieses riesige Land mit seiner exorbitanten Entwicklung schon früher schwer berechenbar gewesen ist? Chancen wie Risiken in kaum vorstellbarer Dimension erwachsen fast zwangsläufig aus einer solchen tief greifenden Transformation. Wenn man in den zurückliegenden Jahren in Deutschland und Europa weit lieber die Chancen als die Risiken wahrnahm, dann hat das möglicherweise damit zu tun, dass ein rosa eingefärbtes China-Bild eine leichte Ausflucht aus hiesigen Euro- und Schuldenkrisen bot.
Spätestens jetzt lässt sich nicht mehr übersehen, dass auch im „Reich der Mitte“ nicht immer alles wie „geplant“ läuft, einiges sogar krachend schiefgehen kann. Nun kommt es darauf an, dass die verflogene China-Euphorie nicht in Enttäuschung oder gar in Ressentiments umschlägt: Chinesische Studierende in Deutschland sind schon pauschal als Technologiediebe abgestempelt worden!
China ist nicht der Rettungsanker für hausgemachte Wirtschaftsprobleme, aber es ist ein Land mit 1,3 Milliarden Menschen, das über die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft verfügt und noch dazu enorm in Forschung und Entwicklung investiert: 2013 waren es rund 253 Milliarden Euro, in Deutschland dagegen 76 Milliarden. Trotz aller berechtigten Ernüchterung, besonders in Fragen der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte: Die Zukunft findet zu einem nicht geringen Teil in und mit China statt! Gerade jetzt sollte das Ziel eines möglichst breiten, auch kritischen Dialogs mit China weiterverfolgt werden – ohne Illusionen, aber nicht gänzlich ohne Visionen.
Bernd Löhmann, Chefredakteur