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Ein Staatsfonds für Deutschland

Chancen und Risiken einer neuen "Anlagemöglichkeit für jedermann"

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Den Deutschen wird gerne nachgesagt, sie seien Konsummuffel und Weltmeister im Sparen. In der Tat fahren wir Jahr für Jahr gewaltige Überschüsse in unserer außenwirtschaftlichen Leistungsbilanz ein, was nichts anderes heißt, als dass die gesamtwirtschaftliche Ersparnis die Investition erheblich und nachhaltig übersteigt. Schaut man sich dann aber die Ergebnisse dieser gewaltigen Sparleistung für den einzelnen Bürger an, erlebt man eine herbe Enttäuschung: Laut Bundesbank haben die deutschen privaten Haushalte ein mittleres (Median) Nettovermögen von gerade mal 51.400 Euro. Das ist nicht einmal die Hälfte der französischen Vermögen (113.500 Euro) und noch weniger im Vergleich mit Spanien (178.300 Euro) oder Italien (163.900 Euro).[1]

 

Arme Sparer

Wie ist es zu erklären, dass unsere Volkswirtschaft insgesamt viel mehr produziert als verbraucht, davon aber vergleichsweise sehr wenig beim Bürger zur Vermögensbildung bleibt? Die Antwort darauf ist, dass die Sparleistung und damit Vermögensbildung bei uns sehr ungleich verteilt ist. Ein großer Teil der gesamtwirtschaftlichen Ersparnis kommt durch einbehaltene Gewinne der Unternehmen zustande, die diese zur Finanzierung von Investitionen im Ausland verwenden. Da 89 Prozent der deutschen Haushalte aber überhaupt kein Aktienvermögen besitzen, sind nur wenige am Wertzuwachs der Unternehmen beteiligt. Außerdem wohnen nur rund 44 Prozent der deutschen Haushalte in den eigenen vier Wänden – im Vergleich zu 83 Prozent in Spanien, 68 Prozent in Italien und 58 Prozent in Frankreich. Damit nimmt die Mehrzahl der deutschen Haushalte auch nicht am nominalen Wertzuwachs der Immobilien teil und ist nicht der Spardisziplin unterworfen, die eine Hypothek verlangt. Nach Einschätzung der Bundesbank sparen die meisten Deutschen deshalb so wenig, weil sie sich zur Deckung der Grundbedürfnisse, wie Bildung oder Betreuung in Kindheit und Alter, und zur Absicherung vieler Lebensrisiken, wie Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Pflegebedürftigkeit, auf den Staat verlassen. Dagegen wäre im Prinzip nichts einzuwenden, wenn anstelle der privaten Haushalte der Staat einen Teil der Erlöse aus den Sozialbeiträgen verwenden würde, um das Vermögen aufzubauen, das eine alternde Gesellschaft zum Erhalt ihres Lebensstandards braucht. Leider ist dies aber nicht der Fall. Der Staat hat es nicht nur versäumt, Sozialabgaben der Durchschnittsverdiener zum Aufbau von Vermögen zu ihrer Absicherung im Alter zu sparen, sondern er hat seit Beginn der Eurokrise auch einen Teil der Investitionsrisiken der vermögenden Schichten übernommen.

 

Deutscher Staatsfonds wider Willen

Vor Beginn der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) waren es vornehmlich Unternehmen und vermögende private Haushalte, die ihre Ersparnisse im Ausland anlegten. Allerdings war die Nachfrage dieser Gruppen nach ausländischen Anlagen geringer als die Nachfrage ausländischer Importeure nach deutschen Gütern. Dies verknappte das internationale Angebot an deutscher Währung und trieb den Wechselkurs der D-Mark tendenziell nach oben. Letzten Endes wurde dadurch der Überschuss der deutschen außenwirtschaftlichen Leistungsbilanz auf Werte um die zwei Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) begrenzt. Allerdings vollzog sich die Aufwertung der D-Mark nicht graduell, sondern kam oft in Schüben, was die deutsche Exportwirtschaft regelmäßig zu lauter Klage veranlasste. Da eine Phase der Aufwertung in der Regel mit einer Abschwächung der Exporte und damit der Industrieproduktion verbunden war, kam es zu einer Schaukelbewegung zwischen Leistungsbilanz und Arbeitslosigkeit. In Zeiten vorübergehender Wechselkursstabilität stiegen die Exporte und mit ihnen der Leistungsbilanzüberschuss und die Industrieproduktion, sodass die Arbeitslosigkeit zurückging. Wenn der Wechselkurs dagegen anstieg, bewegten sich Export, Leistungsbilanz, Industrieproduktion und Arbeitslosigkeit in die entgegengesetzte Richtung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sowohl Industrie als auch Gewerkschaften an stabilen Wechselkursen interessiert waren und sich von der Währungsunion in dieser Hinsicht eine Verbesserung versprachen.

Tatsächlich erleichterte die Währungsunion wesentlich den Fluss deutscher Ersparnisse ins Ausland. Da nun für Anlagen in den EWWU-Mitgliedsländern kein Wechselkursrisiko mehr bestand, war es auch Banken und Versicherungen möglich, von höheren Zinsen und Erträgen im benachbarten Ausland zu profitieren. Im Gegensatz zu Unternehmen und privaten Haushalten stehen den Forderungen von Banken und Versicherungen Verpflichtungen in beinahe der gleichen Höhe gegenüber. Ihre hauptsächliche Aufgabe ist es ja, die Gelder ihrer Kunden anzulegen. Gehen sie dabei Risiken ein, setzen sie ihr im Vergleich zu den Kundenvermögen geringes Eigenkapital aufs Spiel. Aus diesem Grund scheuen sich Banken und Versicherungen davor, größere Wechselkursrisiken einzugehen. Für diese Institutionen eröffneten sich daher mit dem Wegfall von Wechselkursrisiken durch die Einführung des Euro neue Anlagemöglichkeiten. Mit der Öffnung dieses Ventils wurde es möglich, durch den Export deutscher Ersparnisse die außenwirtschaftlichen Leistungsbilanzüberschüsse zu verdreifachen. Statt um die zwei Prozent des BIP pendelten diese nun um die sechs Prozent des BIP.

 

Vom Wechselkursrisiko zum Kreditrisiko

Für den Wechselkurs des Euro stellten die hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüsse kein Problem dar, denn sie wurden durch die Defizite der anderen EWWU-Länder neutralisiert. Insgesamt war die Leistungsbilanz der Eurozone weitgehend ausgeglichen und der Wechselkurs des Euro keinem Aufwertungsdruck ausgesetzt. Kein Wunder, dass die Industrie zu einem verlässlichen Freund des Euro wurde. In Abwandlung des Charles Wilson zugeschriebenen Spruchs „Was gut ist für General Motors, ist gut für Amerika“ fanden auch deutsche Politiker, dass Deutschland der größte Nutznießer des Euro sei. Dabei übersahen sie, dass ein schwacher Wechselkurs zwar die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Exporteure erhöhen kann, für das Land insgesamt aber das Austauschverhältnis zwischen heimischen und ausländischen Gütern verschlechtert und den Druck auf die Industrie zu Produkt- und Prozessinnovationen verringert.

Noch schwerer wiegt allerdings, dass durch den Euro das Wechselkursrisiko durch ein Kreditrisiko ersetzt wurde. Denn die Empfängerländer verwendeten die deutschen Ersparnisse nicht zum Import ausländischer Kapitalgüter und Aufbau eines produktiven Kapitalstocks, sondern zum Import von Konsumgütern, zum Aufbau von Immobilienvermögen und zum Ausbau staatlicher Leistungen. Als mit dem Ausbruch der internationalen Finanzkrise die Fehlallokation von Kapital in EWWU-Ländern mit besonders hohen Leistungsbilanzdefiziten deutlich wurde, zogen sich insbesondere die Banken, aber auch die Versicherungen von der Finanzierung dieser Defizite zurück. Ohne staatlichen Eingriff wäre es zur Insolvenz von Staaten und Banken im Euroraum gekommen. Da dies wahrscheinlich den Zusammenbruch der EWWU bedeutet hätte, wurden die den Defizitländern fehlenden privaten Kredite durch Kredite anderer EWWU-Länder und des Eurosystems ersetzt. Damit konnten die Defizitländer fällige private Kredite zu unter dem Markt liegenden Konditionen ablösen. Nun sind die deutsche Bundesregierung und, in viel stärkerem Maße, die Deutsche Bundesbank die größten Gläubiger der Defizitländer. Nach Informationen des ifo Instituts München wurden Hilfskredite von insgesamt 1,5 Billionen Euro zugesagt, davon rund eine Billion durch das Eurosystem (Stand: 15. März 2013). Deutschland haftet dafür in Höhe von rund 700 Milliarden Euro, darunter nominal mit 341 Milliarden Euro über das Eurosystem. Über das Interbankzahlungssystem TARGET2 hat die Bundesbank 613 Milliarden Euro (Stand: Ende Februar 2013) an die Europäische Zentralbank (EZB) zur Weiterleitung an die Defizitländer verliehen (wobei für die Differenz zwischen diesem Kredit und der nominalen Haftungssumme der Bundesbank andere Länder haften). Andere Eurostaaten, wie Frankreich, die Beneluxländer oder Österreich, sind ihrer Wirtschaftskraft vergleichbare Haftungsrisiken eingegangen.

 

Ein besserer Staatsfonds

Die insgesamt gewährten Kredite der Bundesrepublik über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und die EZB an die Defizitländer beliefen sich im Frühjahr 2013 auf rund 966 Milliarden Euro (die Summe aus den TARGET-Krediten der Bundesbank über 613 Milliarden Euro und den staatlichen Krediten und der ESM-Kapitaleinlage von 353 Milliarden Euro). Dies ist der Natur nach ein Staatsfonds zur Anlage deutscher Überschussersparnisse im Ausland.2 Gegenüber anderen Staatsfonds zeichnet sich der deutsche Fonds durch seine hohe Konzentration der Anlagen in finanzschwachen Staaten und Banken der Eurozone und durch seine geringe Verzinsung aus (gegenwärtig nur 0,75 Prozent auf die Forderungen der Bundesbank und weit unter Marktkonditionen liegende Zinsen auf ESM-Kredite).

Aufgrund der Schwierigkeit, den privaten Sektor zum Export von Überschussersparnissen zu bringen, haben Länder mit chronischen Leistungsbilanzüberschüssen in der Regel staatliche Fonds zu diesem Zweck geschaffen. Der klassische Fall eines Landes mit chronischem Leistungsbilanzüberschuss ist ein rohstoffreiches Land mit relativ kleiner Bevölkerung. Dort können die Erlöse aus Rohstoffexporten von den Inländern nicht vollständig zu Konsum und Investition verwendet werden und werden deshalb über einen Staatsfonds in ausländischen Vermögenswerten angelegt. Beispiele hierfür sind Ölländer wie Norwegen oder Saudi-Arabien. Aber auch Länder, die aufgrund ihrer Wechselkurspolitik aus Marktinterventionen hohe Devisenreserven angesammelt haben, nutzen Staatsfonds zur besseren Verwaltung dieser Reserven. Typischerweise werden Devisenreserven von der Zentralbank in liquiden ausländischen Staatsanleihen höchster Bonität angelegt. Damit sind sie zwar jederzeit verfügbar, erzielen aber nur eine geringe Rendite. Ist der Bestand an Reserven so hoch, dass zumindest für einen Teil Liquidität keine große Rolle mehr spielt, so können diese Reserven zu höherer Rendite über einen Staatsfonds investiert werden. Beispiele dafür sind China und die Schweiz. Die Auslandsforderungen der deutschen Bundesregierung und der Bundesbank entsprechen den Devisenreserven eines Landes mit einem politisch gesteuerten Wechselkurs, sind aber extrem illiquide und wenig einträglich. Zur Verbesserung der Rendite und Liquidität könnten sie schrittweise in einen Staatsfonds überführt werden.

 

Raum für den Abbau von Leistungsbilanzdefiziten

Eine solche Überführung könnte natürlich nicht in den bestehenden Fazilitäten stattfinden, sondern müsste über eine neue Einrichtung parallel zur Rückführung der über den ESM und die Bundesbank gewährten Kredite erfolgen. Erreicht würde dies dadurch, dass ein zu gründender deutscher Staatsfonds in dem Umfang im Inland Kredite aufnimmt, in dem Kredite des ESM und der Bundesbank zurückgezahlt werden. Die aufgenommenen Mittel müssten dann außerhalb der Eurozone professionell in Abwägung von Rendite und Risiko angelegt werden. Indem die den deutschen Leistungsbilanzüberschuss spiegelnden Überschussersparnisse außerhalb des Euroraums investiert würden, würde Raum für den Abbau von Leistungsbilanzdefiziten in den überschuldeten Ländern geschaffen, ohne dass dort das Wachstum durch eine starke Aufwertung des Euro abgewürgt würde. Natürlich würde dadurch ein Leistungsbilanzüberschuss der Eurozone insgesamt entstehen. Aber wenn er im Wesentlichen aus deutschen Überschüssen von etwa sechs Prozent des deutschen BIP gespeist würde, so wäre er mit ungefähr zwei Prozent des BIP der gesamten Eurozone international wohl noch verträglich. Für die internationale Gemeinschaft wäre dies ein geringeres Übel als ein Zerfall der Eurozone, der durch einen erzwungenen Abbau der internen Ungleichgewichte bei nach außen ausgeglichener Leistungsbilanz kommen könnte, wenn der daraus resultierende Deflationsdruck in den Defizitländern oder der Inflationsdruck in den Überschussländern das politisch akzeptable Niveau übersteigt.

Wie eingangs erläutert, haben die Deutschen relativ wenig privates Vermögen gebildet, können sich angesichts einer schnell alternden Bevölkerung aber auch nicht auf eine auskömmliche staatliche Rente verlassen. Die private Vorsorge hat an Bedeutung gewonnen, leidet aber an den Schwierigkeiten privater Anbieter, in einem global diversifizierten Portfolio Wechselkursrisiken einzugehen und gleichzeitig Garantien auf das eingezahlte Kapital abzugeben. Zur Unterstützung der Altersvorsorge könnte der Staatsfonds langlaufende Anleihen mit einem garantierten positiven Realzins anbieten. Damit die Garantien des Staatsfonds langfristig nicht im Trend relativ zum BIP wachsen, könnte sich der Realzins am deutschen Potenzialwachstum von etwa 0,5 Prozent pro Jahr orientieren. Darüber hinausgehende Anlageerfolge könnten den Sparern als Boni gutgeschrieben werden. Bei Eintritt in den Ruhestand würde dann das Altersvorsorgevermögen zur Aufbesserung der staatlichen Rente graduell abgebaut.


Thomas Mayer, geboren 1954 in Backnang, von Januar 2010 bis Mai 2012 Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Senior Fellow, Center for Financial Studies (CFS) an der Universität Frankfurt, Berater der Deutschen Bank.
 

[1] Siehe Studie der Bundesbank: „Private Haushalte und ihre Finanzen“, 21. 03. 2013.
[2] Siehe Daniel Gros und Thomas Mayer: A Sovereign Wealth Fund to Lift Germany’s Curse of Excess Savings, CEPS Policy Brief, 28. 08. 2012.

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