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Der Instrumentenkasten moderner Parteireformen

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Die CDU steht vor organisatorischen Erneuerungen, mit denen ihr Anspruch, eine moderne Volkspartei auf einem breiten, lebendigen Mitgliederfundament zu verkörpern, bekräftigt werden soll. Organisationsreformen stellen einen gezielten Wandel der Binnenorganisation von Parteien dar. Mit ihnen wird auf innere Probleme und auf gewandelte gesellschaftliche Bedingungen reagiert, die zumeist zusammenhängen. Die erste und wichtigste Herausforderung stellt der Mitgliederrückgang der Partei dar, der vor allem darauf zurückgeht, dass mittelfristig nicht genügend Nachwuchs vorhanden ist, um die hohe Zahl an Mitgliedern aus älteren Generationen zu ersetzen. Dadurch droht ihr Binnenleben zu veröden, und die Partei verliert an organisatorischer Dynamik und Schlagkraft. Zudem mangelt es unter den Mitgliedern an Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund. Zweitens muss die CDU auf den Wandel politischer Beteiligungsformen sowie auf veränderte Ansprüche an die Partizipation in Parteien reagieren. Die Attraktivität der Mitarbeit in Parteien sollte gesteigert werden, um potenzielle Neumitglieder durch ein einladendes Angebot anzusprechen. Um öffentliches Ansehen und Prestigegewinn geht es auch, damit sich die CDU als mitgliederstärkste oder gar modernste Mitgliederpartei darstellen könnte. Nicht zuletzt muss die Fähigkeit zum Anschluss an einen gewandelten gesellschaftlichen Erwartungshorizont und Zeitgeist erhalten bleiben.

Was der Instrumentenkasten zur Organisationsreform von Parteien an Gerätschaften und Gebrauchsanleitungen enthält, ist nicht absolut neu, sondern kommt hier und da bereits zum Einsatz. Bei ihrer Erneuerung kann die CDU deshalb auf eigene, aber auch auf Reformerfahrungen anderer Parteien zurückgreifen.

 

Mehr Beteiligung

Parteien sind in Deutschland repräsentativ-demokratische Delegierten- und Gremienparteien. Sie sind in Form einer Stellvertreterdemokratie organisiert, was nicht mehr den allgemeinen Erwartungen entspricht. Entscheidungen selbst treffen zu können, verlangen nicht nur über siebzig Prozent der Bevölkerung, sondern das ist auch der Mehrheitswille befragter Parteimitglieder.

Für mehr direkte Beteiligung an der innerparteilichen Willensbildung steht ein ganzes Arsenal an Instrumenten zur Verfügung, die teilweise schon ihren Niederschlag in Parteisatzungen gefunden haben und sich einerseits auf Personal- und andererseits auf Sachentscheidungen beziehen.

So können Wahlkreis- und Listenkandidat(inn)en für Bundestags- und Landtagswahlen durch Direktwahl von Mitgliedervollversammlungen bestimmt werden. Des Weiteren ist es mittlerweile weit verbreitet, Spitzenkandidat(inn)en für ein Bürgermeister- oder Ministerpräsidentenamt, gar für die Kanzlerschaft über ein unmittelbares Mitgliedervotum auszuwählen. Innerparteiliche Amtsträger ließen sich ebenfalls per Urwahl bestimmen.

Mitglieder können direkt an Sachentscheidungen über die Programmentwicklung, politische Kursbestimmungen, gar zu Koalitionsbildungen entweder konsultativ per Befragung oder bestimmend per Urabstimmung beziehungsweise Mitgliederentscheid beteiligt werden. Per Befragung lässt sich ein Überblick über die unter den Mitgliedern verbreiteten Ansichten gewinnen, oder Mitglieder können zu Programmentwürfen beziehungsweise größeren Vorhaben wie etwa einer Organisationsreform befragt werden. Von anderer Qualität wären indes regelmäßige Mitgliederbefragungen, mit denen, wie in Unternehmen üblich, die Zufriedenheit der Organisierten mit ihrer Partei und ihren Spitzenvertretern ermittelt werden könnte.

Die CDU kennt bereits statuarisch eine Befragung in Sachfragen, wobei die Initiative hierfür von mindestens einem Drittel nachgeordneter Gebietsverbände unterstützt werden muss. Über die Annahme entscheidet der Vorstand der nächsthöheren Ebene. Auch die CSU erlaubt seit 2010 unverbindliche Mitgliederbefragungen zu Sach- und Personalfragen auf allen Ebenen.

Eine unverbindliche Befragung bezieht Mitglieder konsultativ in den Entscheidungsprozess ein. Der Mitgliederentscheid delegiert dagegen das Entscheidungsrecht an die Parteibasis. Entweder können von oben den Mitgliedern Anliegen zur Entscheidung vorgelegt werden oder Mitgliedern steht ein Initiativrecht zu, selbsttätig einen Mitgliederentscheid herbeizuführen. Bei der SPD hat ein Mitgliederbegehren Erfolg, wenn es innerhalb einer Dreimonatsfrist von mindestens zehn Prozent der Mitglieder unterstützt worden ist. Der anschließende Mitgliederentscheid wird bei einer Beteiligung von mindestens einem Fünftel der Mitglieder an der Abstimmung wirksam. Das Votum kann durch die Zweidrittelmehrheit eines Parteitags wieder aufgehoben werden.

Mitgliederentscheide in Sachfragen kennen verschiedene Parteien, wobei das dabei verlangte Verbindlichkeits-Quorum zwischen null (Die Grünen), zwanzig (SPD), 25 (Die Linke) und 33 (FDP) Prozent schwankt. Beteiligungssteigernd wirken sich Mitgliederbegehren und Mitgliederentscheide per Briefwahl oder online aus.

Um die Mitarbeit in Parteien attraktiver zu machen, müssen die Kosten eines Beitritts ebenfalls gesenkt werden. Parteimitgliedschaft kommt im Wettbewerb mit aufwandsarmen, spontanen, zeitlich begrenzten und erlebnisreichen Formen bürgerschaftlicher Partizipation nicht daran vorbei, niedrigschwelliger zu werden.

 

Ortsungebunden und interaktiv

CDU und SPD haben die Beitrittsschwelle bereits durch eine zeitlich befristete und beitragsreduzierte Schnupperbeziehungsweise Gastmitgliedschaft abgesenkt. Bislang ließ sich ein numerisch durchschlagender Erfolg dadurch nicht erzielen. Tabuisiert wird nach wie vor die Idee, Mitgliedsbeiträge als massives Eintrittshemmnis abzuschaffen, obgleich sich die Umstände und Gründe für die Erhebung dieser „Parteisteuern“ (1906 durch die SPD) längst überlebt haben. Einnahmeausfälle ließen sich anders kompensieren.

Eintritts- und Mitmachhemmnisse lassen sich etwa durch die Nutzung des Internets umgehen. Online-Partizipation in und mit Parteien schließt zum stark angestiegenen Trend der Nutzung des Internets auf und ermöglicht den Betroffenen, technisch zeit- und ortsungebunden und zugleich flexibel interaktiv über Online-Formate zu kommunizieren und selbst Abstimmungen zu organisieren. Die Hinwendung nachwachsender Generationen zum Web 2.0 müssen Parteien ihrerseits vollziehen, um mit diesen Zielgruppen überhaupt in Kontakt treten zu können. Jetzt schon schreibt das Verfahren, Neumitglieder online zu rekrutieren, eine Erfolgsgeschichte. Darüber hinaus sollte aber auch eine innovative, vom Wohnortsprinzip losgelöste virtuelle Parteimitgliedschaft erwogen werden. Der virtuelle Ortsverein der SPD oder der virtuelle Landesverband der FDP liefern hier bereits Vorlagen.

 

Gefahr der „Verbonzung“

Parteispitzen und Inhaber öffentlicher Wahlämter üben ihre Funktionen zumeist dauerhaft aus. Bleibt ein regelmäßiger Wechsel in diesen Positionen aus, droht die Gefahr der „Verbonzung“ (Helmut Kohl). Zudem bleibt karriereorientierten Neumitgliedern so die Karriereleiter verschlossen; das hält diesen wichtigen Kreis des politischen Nachwuchses davon ab, in eine Partei einzutreten.

Kandidatenaufstellungen für Parlamentsämter oder Vorstandspositionen müssten nach dem Auswahl- und nicht nach dem Akklamationsprinzip erfolgen. Auch ließen sich bei Listenpersonalwahlen mithilfe von Mehrfachstimmen Kumulationsmöglichkeiten einführen. Obendrein könnte man nach der Häufigkeit der Wiederwahl eines Amtsträgers/einer Amtsträgerin das Stimmenquorum erhöhen, das notwendig wäre, um erneut im Amt bestätigt zu werden. Bereits statuarisch umgesetzt ist die Norm der Ämterbegrenzung, die Ämterhäufungen verhindern soll. Auf den härtesten Einschnitt läuft die Einführung von Amtszeitbegrenzungen hinaus. Wie oft eine Wiederwahl gestattet werden soll, hängt nicht zuletzt von der Länge der Amtsperiode ab, mit der ein Wahlamt ausgeübt werden kann.

Dagegen haben längst alle Parteien für Frauen und Jungmitglieder unterschiedlich hohe Quoten eingeführt, um deren angemessene Repräsentation in den innerparteilichen Führungsgremien und bei der Kandidatenaufstellung zu gewährleisten. Der Blick richtet sich jetzt auf Migranten; prominenten oder womöglich parteilosen Quereinsteigern sichere Plätze auf den Kandidatenlisten freizuhalten, wäre eine bedenkenswerte Möglichkeit, die Attraktivität zu steigern.

 

Inklusion von Nichtmitgliedern

Parteien kommen nicht an einer Öffnung vorbei, die die strikte formale Trennung zwischen Mitglied und Nichtmitglied überwindet. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wird durch offene Bürgerdialoge oder -foren eingeschlagen. Die Inklusion von Nichtmitgliedern in das Binnenleben ist sinnvoll, weil Sympathisanten und potenzielle Unterstützer bereitstehen, die sich zeitlich begrenzt und thematisch konzentriert für die Mitarbeit gewinnen ließen. Das amerikanische Parteiwesen liefert hierzu das Vorbild. Von dort stammt auch die Praxis, Bewerber/-innen für öffentliche Spitzenämter der Parteien durch offene Vorwahlen bestimmen zu lassen.

Nichtmitglieder für die Mitarbeit zu gewinnen, heißt allerdings, sie aus Gratifikationsgründen an innerparteilichen Sachentscheidungen und Personalauswahlen zu beteiligen. Dies lehnen Parteimitglieder jedoch mehrheitlich strikt ab. Um die Partei zu öffnen, hat die SPD unlängst eine beitragspflichtige Unterstützermitgliedschaft eingeführt, aus der indes elementare Mitentscheidungsrechte in Personal- und Sachfragen ausgeschlossen sind. Unterstützermitglieder werden an Arbeitsgemeinschaften der Partei sowie an Themenforen und Zukunftswerkstätten angebunden und besitzen in deren Rahmen aktives und passives Wahlrecht. Aus der Anreizperspektive muss hierin ein organisationspolitischer Fehlgriff der Partei gesehen werden. Nicht von ungefähr ist bislang die Zahl rekrutierter Unterstützer enttäuschend gering.

Besser scheint es zu sein, ein engmaschiges außerparteiliches Unterstützernetzwerk aufzubauen, welches der Kontaktpflege dient und das für spezielle Aktionen mobilisierbar ist. Die Initiative „Bürgerpartei“ der CDU von 2003 verfolgte bereits ähnliche Absichten. Aufbau und Pflege eines solchen Netzwerkes hängen heute indes von der Nutzung des Internets ab; auf diesem Gebiet geht es bei den Parteien bislang eher schleppend voran.

 

Erfolgreiches Changemanagement

Der Erfolg bisheriger Organisationsreformen der Parteien wird von Parteienforschern durchweg skeptisch beurteilt. Die Wirkungen, die man sich davon versprochen hat, bleiben aus. Entscheidend sind vor allen Dingen Vorgehensmängel, die sich aus einer Changemanagement-Perspektive vermeiden lassen. Nun stellt sich die CDU auf Bundesebene an die Spitze einer Parteireform und verleiht so dem Anliegen Gewicht. Die oberste Parteispitze steht als treibende Kraft hinter der Erneuerung und leistet hierfür aktive Überzeugungsarbeit. Zündende Ideen und ansteckender Reformschwung lassen sich allerdings nur dann generieren, wenn über kleine Kommissionen hinaus die unteren Ebenen und interessierten Parteimitglieder mit ihren Ideen einbezogen werden. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Parteien mit ihren zahlreichen Ehrenamtlichen und Aktiven in den Ortsvereinen überwiegend träge, manchmal sogar eigensinnig auf Reforminitiativen von oben reagieren. Deshalb ist es mit Parteitagsbeschlüssen und Änderungen von Parteistatuten auch nicht getan: Reformen müssen an der Parteibasis angenommen und praktisch umgesetzt werden. Gleichwohl ist mit Widerständen der mittleren Führungsschicht zu rechnen, die Einflussverluste befürchten könnte. Vollmitglieder nehmen schwerlich eine Entwertung ihrer privilegierten Stellung hin, falls Nichtmitgliedern beziehungsweise Unterstützern Einfluss auf Personal- und Sachentscheidungen eingeräumt werden sollte.

Dass sich bei Kann-Vorschlägen zu erweiterten Beteiligungsmöglichkeiten der Mitglieder und zur Öffnung von Parteien wenig ändert, zeigt die bisherige Erfahrung: Sie werden nur höchst selten genutzt und ändern nichts an der Struktur der Delegierten- und Gremienpartei. Grundsätzlich anders verläuft der Veränderungsprozess, wenn die Neuerungen statuarisch in Sollvorschriften gekleidet werden. Hiervon losgelöst verbreitet sich auf Landesebene die Praxis, rivalisierende Bewerber für Führungspositionen und Spitzenkandidaten für öffentliche Spitzenämter per Urwahl zu bestimmen. Nicht zu vergessen: Der Einführung direktdemokratischer Basispartizipation, der Öffnung von Parteien gegenüber Nichtmitgliedern oder virtuellen Mitgliedschaftsformen stehen Regelungen des Parteiengesetzes entgegen, die an die gewandelten Realitäten angepasst werden müssten.

Der Verlauf des Reformprozesses ist immer ein integraler Bestandteil der Organisationsreformen selbst, der über Gelingen und Misslingen der Veränderungen entscheidet.

 

Elmar Wiesendahl, geboren 1945 in Arnsberg (Sauerland), lehrte Politikwissenschaften an der Universität der Bundeswehr München, seit 2010 Geschäftsführer der Agentur für Politische Strategie (APOS) in Hamburg.

 

Literatur

Jun, Uwe / Niedermayer, Oskar / Wiesendahl, Elmar: Zukunft der Mitgliederpartei, Opladen & Farmington Hills, MI 2009.

Alemann, Ulrich von / Morlok, Martin / Spier, Tim (Hrsg.): Parteien ohne Mitglieder?, Nomos Verlag, Baden-Baden 2013.

Münch, Ursula / Kranenpohl, Uwe / Gast, Henrik (Hrsg.): Parteien und Demokratie. Innerparteiliche Demokratie im Wandel, Nomos Verlag, Baden-Baden 2014.