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Engagierte Bürger sollt ihr sein!

Warum Politische Stiftungen Begabte fördern – eine Standortbestimmung

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„Die Universität sieht sich im 21. Jahrhundert mit neuen und schwer überschaubaren Herausforderungen konfrontiert, doch verharrt sie in ihrem Denken und ihren Methoden im 19. Jahrhundert.“ Mit diesem harten Urteil wirbt die Körber-Stiftung für eine ihrer Studien, die der 2012 verstorbene Wissenschaftstheoretiker Yehuda Elkana zusammen mit Hannes Klöpper verfasst hat.[1] „Engagierte Bürger“ solle die Universität ausbilden, sie auf die globalen Fragen der Zukunft vorbereiten, vernetztes Denken vermitteln, kurz: Die Universität solle – und das so rasch wie möglich – ihre intellektuelle Krise überwinden.

Die Ergebnisse der Studie sind nicht unbedingt neu, aber sie treffen oft genug den Kern der Sache. Die Umsetzung ihrer Empfehlungen könnte einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Lehre leisten. Eines aber können diese Empfehlungen nicht: Universitäten wie Studierende davor bewahren, dass sie sich ihrer – unteilbaren – politischen Verantwortung entziehen.

Neue Curricula, eine neue Didaktik, vernetztes Lernen in Kleingruppen, der gezielte Einsatz digitaler Technologie, die abgestimmt wird auf die unterschiedlichen Aufgaben der Wissensvermittlung, des Feedbacks durch die Lehrenden und des Austauschs der Lernenden untereinander – all das ist im Wettbewerb um hoch qualifizierte Fachkräfte – oder plakativer: im „Kampf um die besten Köpfe“ – überlebensnotwendig. Auf das ebenso überlebensnotwendige Engagement in der Zivilgesellschaft können die Hochschulen nicht auch noch hinreichend vorbereiten.

 

Grenzen der Hochschulen

Gegenwärtig erleben wir einen Studentenboom, auf den die Universitäten und Hochschulen nicht eingerichtet sind. Inflationsbereinigt stehen den Universitäten pro Studierendem heute sechs Prozent weniger Mittel zur Verfügung als noch im Jahr 2000. Bei den Fachhochschulen beträgt der Rückgang sogar 18 Prozent. Es mag immerhin möglich sein, dass neue Vermittlungsformen die deutliche Verschlechterung des Betreuungsverhältnisses halbwegs kompensieren helfen. Ein Aufbruch zu neuen Ufern wird angesichts dieser Rahmenbedingungen nicht gelingen.

Austausch ist die konstitutive Voraussetzung für die Ausbildung zum engagierten Bürger. Immer mehr Universitäten jedoch entwickeln sich förmlich zu Absenzhochschulen. Das betrifft keineswegs nur die Zunahme der Immatrikulationen an den Fernhochschulen; auch dort verändert es den Charakter der Ausbildung, wo Hochschulen sich angesichts zunehmender Überfüllung gezwungen sehen, auf die Anwesenheit ihrer Studierenden zu verzichten. Zu glauben, der Austausch von Lehrenden und Studierenden ließe sich ohne eine Verbesserung der Ressourcensituation auf digitale Netzwerke verlagern, ist illusorisch. Die gezielte Vernetzung erfordert Steuerung und Begleitung – mithin ein höheres Engagement aller Beteiligten. Sie bleibt eine – zweifellos unverzichtbare – Form der Vermittlung, die gleichwohl den unmittelbaren persönlichen Austausch nie vollständig wird ersetzen können, einen Austausch, der einen entscheidenden Vorteil bietet: die Ausbildung von Verlässlichkeit im Umgang von Menschen untereinander, ohne die niemand bereit ist, für andere Verantwortung zu übernehmen.

Schließlich: So wichtig neue Curricula sind – auch sie müssen erarbeitet und laufend angepasst werden. Schon jetzt lässt sich an unseren Hochschulen eine Tendenz zu selbstreferenziellem Arbeiten und zu symbolischen Maßnahmen beobachten. Evaluierungen, so notwendig sie sein mögen, um das eigene Tun an Zielen auszurichten, fordern ihren Preis: Zeit und Personal. Beides aber haben die Hochschulen nicht.

Allein die Ausstattung der Hochschulen ist kaum geeignet, in Euphorie zu verfallen, wenn es darum geht, zum „engagierten Bürger“ auszubilden; mehr noch unterliegt die Vorstellung, die Institution Universität sei der geeignete Ort für diese Aufgabe, einem Missverständnis. Die Übernahme von Verantwortung in der demokratischen Zivilgesellschaft setzt die Vermittlung von Werten, setzt Persönlichkeitsbildung voraus.

Bei der Vermittlung gibt es in einer pluralistischen Gesellschaft jedoch kein Monopol; niemand kann für sich beanspruchen, den allein selig machenden Weg zur Wahrheit zu kennen. Es geht also um den Wettbewerb von Ideen und Lösungsvorschlägen; ständig muss – oft ein mühsames Unterfangen – um Kompromisse gerungen werden. Diesen Wettbewerb zu organisieren, ist nicht Aufgabe der Hochschulen.

Wollen wir uns die Möglichkeit bewahren, verschiedene Interessen und Lebensstile zuzulassen, dann lässt sich die Ausbildung zum „engagierten Bürger“ nicht in Curricula fassen. Überfordern wir die Hochschulen nicht! Die Orte dieser Aufgabe sind andere: Es sind die Begabtenförderwerke, die neben der finanziellen Unterstützung eine ideelle Förderung anbieten.[2]

 

Die Wahl der „passenden Denkfabrik“

Grundvoraussetzung für zivilgesellschaftliches Engagement in der pluralistischen Gesellschaft ist die Möglichkeit, zwischen Alternativen zu wählen – eine bewusste Entscheidung darüber zu treffen, mit wem die oder der Einzelne zusammenarbeiten möchte. Die Entscheidung für eine Universität orientiert sich – sofern überhaupt möglich – an anderen Maßstäben: Für die heutige Generation der Studierenden stehen die Verwertbarkeit und der konkrete Nutzen von Erfahrungen an erster Stelle.

Anders die Auswahl des Förderwerks: Der Bewerbung soll eine bewusste Entscheidung vorausgehen, welches Werk am besten „passt“, wo die eigenen Überzeugungen die größtmögliche Resonanz finden. Die Wahl haben, gleichwohl nicht wahllos entscheiden – das ist eine erste Voraussetzung für die Teilhabe am Gemeinwesen und für die Übernahme von Verantwortung.

Fällt die Wahl dabei auf das Förderwerk einer politischen Stiftung wie das der Konrad-Adenauer-Stiftung, so erwartet die Studierenden – im Falle eines erfolgreichen Auswahlverfahrens – zudem die Infrastruktur einer weltweit operierenden „Denkfabrik“ und damit eine Art institutioneller Einladung zum Mitdenken und Handeln.

 

Ideelle Förderung kann prägen

Das entscheidende Stichwort ist schon gefallen: die ideelle Förderung. In der Konrad-Adenauer-Stiftung speist sie sich aus der individuellen Betreuung der Stipendiatinnen und Stipendiaten durch die Referentinnen und Referenten der Begabtenförderung, aus der Kooperation der Stipendiatinnen und Stipendiaten in den Hochschulgruppen und mit den eigens berufenen Vertrauensdozenten. Im Mittelpunkt des ideellen Förderangebotes steht ein umfangreiches, interdisziplinär ausgerichtetes Seminarprogramm. Es dient nicht nur der Wissensvermittlung, sondern der Vermittlung von Werten und der Persönlichkeitsbildung. Gefördert werden Persönlichkeiten, keine Karrieren; Lernort ist die Kleingruppe. Es kommt darauf an, die Sprech- und Argumentationsfähigkeit der Stipendiaten auch zu Themen zu gewährleisten, die jenseits der eingeschlagenen Studienrichtungen liegen. Das bedeutet nicht, dass die Entwicklung der Fachkompetenz aus dem Blickfeld geraten darf, sie muss vielmehr fortwährend begleitet werden. So bilden in der Konrad-Adenauer-Stiftung die bis zu zweimal jährlich stattfindenden Hochschulortgespräche in einem strukturierten Verfahren den Fortschritt der Stipendiaten im Studium, aber eben auch die Entwicklung des politischen oder gesellschaftlichen Engagements und die Teilhabe und Mitwirkung in der Hochschulgruppe ab. Sensibilisiert wird in diesen Gesprächen für Vertiefungen oder Korrekturen – eine besonders wichtige Aufgabe bei angehenden Erstakademikern und bei Studierenden mit Migrationshintergrund.

Dass die unabhängige Evaluierung des ideellen Programms, mit der das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Förderwerke seit 2008 kritisch unter die Lupe genommen hat,[3] diesen ein ausgesprochen gutes Zeugnis ausstellt, ist hilfreich, aber kein Grund auszuruhen. Schließlich gilt es, einer zunehmenden Unzufriedenheit in unserer Gesellschaft mit einem angeblich defizitären demokratischen System Herr zu werden.

 

An Rahmenbedingungen orientieren

Ideelle Förderung im einundzwanzigsten Jahrhundert muss sich daher an folgenden Rahmenbedingungen orientieren:

Erstens: Die Ausbildung von Stipendiaten zu „engagierten Bürgern“ setzt beiderseitige Zielvereinbarungen voraus. Stipendien sind nicht Instrument einer Gnadenerteilungspraxis, die sich am Wohlverhalten des Einzelnen orientiert. Sie sind vielmehr Ergebnis eines an eindeutig definierten Anforderungen orientierten Auswahlverfahrens, das bereits eine Entwicklungsperspektive abbilden muss, die anschließend kontinuierlich begleitet wird. Auf diese Perspektive hat nicht nur die Gesellschaft ein Anrecht, die Stipendien mit Steuermitteln finanziert, sondern auch der Stipendiat, der – will er sich auf die Übernahme von Verantwortung vorbereiten oder sie weiter ausbauen – sich auf die Infrastruktur der unterstützenden Institution verlassen können muss. Zielvereinbarungen können nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn in ihnen gemeinsame Ziele auf der Grundlage dafür benannter Voraussetzungen festgehalten werden.

Zweitens: Angesichts einer Vielzahl zivilgesellschaftlicher Initiativen, die Partizipation ermöglichen oder anregen, reicht es nicht, lediglich auf diese Möglichkeiten zu verweisen und eine Beteiligung zu fordern beziehungsweise zu kontrollieren. Eine fördernde Institution muss vielmehr die Frage beantworten, welchen Zielen demokratische Teilhabe aus ihrer Sicht dient und welche Instrumente sie dafür bevorzugt. Diese Instrumente sind im Umgang mit den Geförderten selbst einzusetzen.

Kurz: Politische Stiftungen müssen ihren Stipendiaten mittels aktiver Beteiligungsmöglichkeit vermitteln, welches Bild von Demokratie sie haben, wenn sie die Begriffe Bürgergesellschaft, Zivilgesellschaft und Partizipation verwenden. Das reicht weit über die Vermittlung theoretischer Grundlagen im Seminarprogramm oder über die bilaterale Betreuung hinaus. Die Zusammenarbeit mit den Vertretungskörperschaften der aktiven und der ehemaligen Stipendiaten ist Teil dieses Auftrags, sie müssen daher kontinuierlich in die Gestaltung der Förderung einbezogen werden und müssen sich umgekehrt aber auch einbeziehen lassen. Wichtig sind feste Regeln, die zugleich der Gefahr einer Selbstselektion vorbeugen. Partizipation stirbt, falls der Eindruck entsteht, dass sie instrumentalisiert wird oder lediglich der Information über andernorts getroffene Entscheidungen dient.

Drittens: Da die Hochschulen ihre Angebote immer stärker fächerübergreifend organisieren und die Grenzen der Fakultäten und der einzelnen Fachbereiche häufig überschreiten, darf sich das Seminarprogramm eines Begabtenförderwerks heute weder an der klassischen Form der universitären Wissensvermittlung noch am Prinzip des Studium Generale orientieren. Das gilt sowohl für Themen wie Personen. Gefragt sind ein inhaltlich strukturiertes und erläutertes Gesamtprogramm mit aufeinander abgestimmten Teilbereichen, fest umrissene – mittels Teilnehmerevaluierung überprüfbare – Lernziele sowie Seminarleiter, die über den geistigen Standort des Förderwerks jederzeit Auskunft geben können, dessen Demokratiebild „leben“ und durch die Kombination von Seminarleitung und individueller Betreuung Identität stiften. Nur wer alle Fähigkeiten in einer Person vereint, kann der „beste Kritiker“ seiner Stipendiaten sein. Ohne eine solche Vorbildfunktion wird die Aufforderung, Verantwortung in der und für die Gesellschaft zu übernehmen, nicht oder nur bedingt Früchte tragen.

Viertens: Stipendiaten brauchen nicht nur ihre Förderwerke, Förderwerke brauchen auch ihre Stipendiaten und ihre Altstipendiaten. Die Einbindung eigener wissenschaftlicher Expertise der Stipendiaten sowie ihrer Erfahrungen im Umgang mit neuen Formen und Methoden der Wissensvermittlung ist auch für die Arbeit eines Begabtenförderwerks beziehungsweise einer politischen Stiftung von großem Wert. „Kreativ voneinander lernen“ – so könnte das Motto zukünftiger Wissensvermittlung lauten. Kreativität zu steuern, mit Lernzielen zu versehen und eine ausgewogene Mischung zwischen Präsenzkultur und digitaler Vernetzung bereitzustellen – diese Aufgaben werden zukünftig die Qualifikationsanforderungen, denen sich die Förderwerke stellen müssen, ergänzen.

Fünftens: Demokratie lebt vom Wettbewerb. Das gilt auch für die Begabtenförderwerke. Wer über einen eigenen Kompass, über Zielvereinbarungen mit seinen Stipendiaten, über Instrumente der Partizipation verfügt, wer in der Lage ist, inhaltliche Lernziele zu benennen, wer bereit ist, neue Formen der Vermittlung einzusetzen, dem muss vor einer Begegnung der Stipendiaten verschiedener Förderwerke nicht bange sein. Das Ringen um die beste Lösung, der demokratische Wettbewerb beginnt dort, wo die Zivilgesellschaft aus guten Gründen Ressourcen bereitstellt: nicht nur in, sondern auch zwischen den Begabtenförderwerken.


Längst ist der intellektuelle Austausch nicht mehr zeit- und ortsgebunden. Dies ist keine Entwicklung, die aufgehalten werden könnte oder gar sollte. Es ist eine Entwicklung, die wir nutzen müssen, um global wettbewerbsfähig zu bleiben. Dennoch – oder vielmehr deshalb – gilt es, Schneisen in das Informationsdickicht zu schlagen und einen Ort zu erhalten, an dem Orientierung gegeben wird und an dem Studierende tatsächlich zu „engagierten Bürgern“ ausgebildet werden: die Begabtenförderung.
 

Frank Müller, geboren 1964 in Bonn, leitet die Abteilung Studienförderung der Hauptabteilung Begabtenförderung und Kultur der Konrad-Adenauer-Stiftung.


[1] Elkana, Yehuda/Klöpper, Hannes: Die Universität im 21. Jahrhundert. Für eine neue Einheit von Lehre, Forschung und Gesellschaft. Hamburg 2012.
[2] Über die zwölf vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützten Förderwerke und ihre Schwerpunkte informiert die gemeinsame Plattform www.stipendiumplus.de. Die Förderwerke spiegeln das pluralistische Spektrum der politischen, weltanschaulichen, konfessionellen, wirtschafts- oder gewerkschaftsnahen Strömungen in Deutschland wider. Die Werke erhalten vom BMBF die Mittel zur finanziellen Unterstützung ihrer Stipendiaten (materielle Förderung), nicht jedoch – abgesehen von Sonderprogrammen – für die ideellen Förderangebote.
[3] Der zusammenfassende Gesamtbericht über die „Begleitende Evaluierung der ideellen Fördermaßnahmen der Begabtenförderungswerke im Rahmen der Begabtenförderung im Hochschulbereich“ findet sich unter www.bmbf.de/pubRD/GIFTSUP-Evaluationsbericht.pdf (Abruf: 15.02.2013).

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