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by Luise Hölscher

Steuern und Staatsleistungen im internationalen Vergleich

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Die geopolitische Zeitenwende, große Investitionsbedarfe in Infrastruktur, Klimaschutz und Digitalisierung sowie demografische Herausforderungen infolge des Renteneintritts der Babyboomer und des allgemeinen Fachkräftemangels stellen die Leistungsfähigkeit von Volkswirtschaft und Staatswesen auf den Prüfstand. Bürger, Wirtschaft und unsere internationalen Partner erwarten in diesen Zeiten zu Recht einen funktionierenden, handlungsfähigen deutschen Staat. Sind die öffentlichen Haushalte in Deutschland auf der Einnahmen- und Ausgabenseite diesen Herausforderungen gewachsen? Bleiben ausreichende Leistungsanreize erhalten, sodass sich Erwerbsarbeit und unternehmerische Initiative weiterhin lohnen? Ein international vergleichender Blick auf wesentliche Determinanten des staatlichen Einnahmen- und Ausgabensystems kann Antworten auf diese Fragen geben.

Sowohl bei den Staatsausgaben als auch der Abgabenquote liegt Deutschland im Vergleich zu anderen Industriestaaten im oberen Mittelfeld. Eine seit etwa fünfzehn Jahren tendenziell steigende Sozialleistungsquote – auch, aber nicht nur bedingt durch vielfältige Krisenmaßnahmen – hat dazu beigetragen, dass das Niveau von Staatsausgaben und Abgabenbelastung in Deutschland historisch hohe Werte erreicht hat.1 Mit der hohen Steuer- und Abgabenlast gehen verringerte Investitions- und Arbeitsanreize und eine geringere Attraktivität des Standortes im internationalen Vergleich einher. Zugleich müssen mit Blick auf Akzeptanz und Wirkungen der Abgabenbelastung die Präferenzen der eigenen Bevölkerung berücksichtigt werden. Die Höhe der Abgabenquote kann nicht isoliert, sondern nur in Relation zu Umfang und vor allem Wirksamkeit der erbrachten staatlichen Leistungen beurteilt werden. Länder mit einer niedrigen Abgabenquote, wie die USA, Irland und die Schweiz, verfügen entsprechend mehrheitlicher Präferenzen auch über ein schwächer ausgeprägtes soziales Sicherungsnetz. Ein Ziel der Sozial- und Finanzpolitik sollte es daher sein, ein gesellschaftlich gewünschtes Maß an staatlichen Leistungen mit einer möglichst geringen Abgabenbelastung zu erreichen – oder mit dem wirtschaftlich vertretbaren und politisch durchsetzbaren Abgabenniveau ein möglichst hohes Maß an staatlichen Leistungen zu erbringen. Dafür müssen die durch Steuern und Sozialbeiträge eingenommenen Mittel effizient eingesetzt werden.

 

Ausgewogener Steuermix

Insbesondere Durchschnittsverdiener weisen in Deutschland im Vergleich zu den übrigen OECD-Staaten eine hohe Steuer- und Sozialabgabenbelastung auf, die zudem die Arbeitskosten der Arbeitgeber erhöht.2 Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sollte eine tragfähige Steuer- und Abgabenpolitik für Deutschland deshalb auf einen ausgewogenen Steuermix abzielen, der die Belastung mit direkten Steuern respektive Abgaben auf Einkommen und Erträge nicht weiter ansteigen lässt.

Neben dem Steuer- und Abgabenkeil auf Arbeit fällt auch die Besteuerung von Unternehmenserträgen in Deutschland im OECD-Vergleich hoch aus. Die meisten Standorte in anderen Industriestaaten, mit denen Deutschland direkt konkurriert, sind für international ansiedlungswillige Unternehmen hinsichtlich der nominalen Steuersätze attraktiver.3 Zwar relativiert sich der Abstand mit Blick auf die effektiven Steuersätze (also unter Berücksichtigung der Bemessungsgrundlage); die nominalen Steuersätze haben jedoch Signalwirkung für viele internationale Investoren. Für stärkere Investitionsanreize und eine entsprechende Senkung der Steuerlast sind geeignete Maßnahmen sowohl für Kapital- als auch für Personengesellschaften zu ergreifen. Auch wenn genauere quantitative Abschätzungen mit Unsicherheit behaftet sind, zeigen mehrere Studien einen mit der Zeit zunehmenden Anstieg der privaten Investitionen infolge einer Senkung von Unternehmenssteuersätzen.4

 

Wachstumsbremse Bürokratie

Zur Stärkung der Positionierung Deutschlands im globalen Standortwettbewerb ist laut einer aktuellen, vom Bundesfinanzministerium beim ifo Institut in Auftrag gegebenen Forschungsstudie der Bürokratieabbau das mit Abstand wichtigste politische Handlungsfeld. Demnach rangieren in Deutschland Regulierung respektive die Bürokratie klar auf Platz 1 der negativen Einflussfaktoren. Dabei ist das Stimmungsbild sehr deutlich: Die klare Mehrheit (über siebzig Prozent) der Expertinnen und Experten sieht diesen Faktor als kritisch an (global: über vierzig Prozent). Über die letzten zehn Jahre beobachten fast drei Viertel der Befragten eine Verschlechterung der Standortbedingungen in Deutschland, wobei wiederum die Mehrheit ihre Einschätzung mit bürokratischen Hindernissen sowie dem Fachkräftemangel begründet.5

Die Bundesregierung hat 2023 zum Bürokratieabbau mehrere Maßnahmen auf den Weg gebracht, deren Entlastungspotenzial insgesamt über drei Milliarden Euro beträgt; die Wirkung wird zunehmend spürbar werden. Damit kann man sich allerdings nicht zufriedengeben. Bürokratieabbau ist eine Querschnitts- und eine Daueraufgabe, die alle Regelungsebenen betrifft: Sowohl die Europäische Union als auch der Bund, die Länder und die Kommunen müssen dauerhaft daran arbeiten, den Normbestand zu optimieren und unnötige Bürokratie und Belastungen zu vermeiden. Beim Bürokratieentlastungsgesetz IV und bei dem vereinbarten Belastungsmoratorium (keine unverhältnismäßigen zusätzlichen Bürokratiekosten) geht es nun darum, dass alle Ministerien die Vereinbarungen entschlossen umsetzen.

Der zunehmende Einsatz von Künstlicher Intelligenz und die konsequente Digitalisierung der Verwaltung können bereits heute helfen, Bürokratie abzubauen und Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Es darf jedoch nicht nur darum gehen, bisherige Prozesse in all ihren Einzelschritten medienbruchfrei zu digitalisieren. Die technologischen Fortentwicklungen müssen zugleich genutzt werden, um Verwaltungsprozesse grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen: Macht unsere Verwaltung noch das Richtige? Ziel sollte dann sein, alle verbleibenden Verwaltungsverfahren zu optimieren und dabei so weit wie möglich zu automatisieren: Macht unsere Verwaltung das noch richtig? Beide Fragen konsequent zu beantworten, gebietet nicht nur das Wirtschaftlichkeitsprinzip, sondern auch der Fachkräftemangel, der die öffentliche Verwaltung bereits erreicht hat. Bürokratische Hemmnisse verzögern nicht zuletzt dringliche öffentliche und private Investitionsvorhaben. Um Planungsund Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, kommt es darauf an, die im November 2023 im Bund-Länder-Pakt vereinbarten Gesetzesänderungen weiter mit Leben zu füllen und etwa verbindliche Stichtagsregelungen oder Fristverkürzungen in den relevanten Gesetzen umzusetzen.

 

Besteuerungsverfahren vereinfachen

Auch im Bereich der Besteuerung zeigen internationale Vergleiche, dass in Deutschland insbesondere Potenzial bei der Reduktion des bürokratischen Aufwands für die Steuerpflichtigen vorhanden ist.6 Das Wachstumschancengesetz beinhaltet bereits einige Maßnahmen, um das Steuersystem an zentralen Stellen zu vereinfachen und durch Anhebung von Schwellenwerten und Pauschalen vor allem kleine Betriebe von Bürokratie zu entlasten. Aber es ist noch viel mehr notwendig: Verhaltensökonomen bestätigen, dass unter anderem die Reduktion des Aufwands bei der Bearbeitung der Steuererklärung als sogenannte Nudges, „Anstöße“, für die Steuerpflichtigen einen wirksamen Beitrag zu mehr Steuerehrlichkeit leisten kann. Grundsätzlich würden einfachere Regelungen Anreize zu Steuergestaltungen und damit zur Verringerung von Steuerzahlungen reduzieren.7 Daher sollten Bund und Länder den eingeschlagenen Weg zu mehr Vereinfachung, Automatisierung und Pauschalierung im Besteuerungsverfahren mutig und konsequent weiter beschreiten.

Generell sind die in den letzten Jahren gestiegenen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur für die Stärkung der privaten Investitionstätigkeit in den Transformationsprozessen von großer Bedeutung.8 Bei der digitalen Infrastruktur beispielsweise hat sich Deutschland zwischen 2018 und 2022 im EU-Vergleich von Rang 16 auf Rang 4 verbessert. Auch wenn bei der Breitbandversorgung insbesondere in der Fläche weiterhin Nachholbedarf besteht, hat die Bundesregierung mit ihrer Gigabitstrategie einen wichtigen Grundstein für einen beschleunigten Ausbau der digitalen Infrastruktur gelegt. Die Verstetigung des öffentlichen Investitionspfads erfordert jedoch zugleich eine Repriorisierung von Ausgaben der öffentlichen Haushalte. Dies gilt erst recht mit Blick auf die künftig notwendigen Investitionen zur Sicherung der Verteidigungsfähigkeit und Einhaltung von Bündnisverpflichtungen.

Repriorisierung bedeutet: Bei enger werdenden Verteilungsspielräumen und gleichzeitig nötigen stärkeren Arbeits- und Investitionsanreizen muss der Anstieg konsumtiver Staatsausgaben begrenzt werden. Bereits heute entfaltet der deutsche Sozialstaat – vor allem in Form von Sozialtransfers und progressiver Einkommensbesteuerung – nach Frankreich die größte Umverteilungswirkung unter den großen Industriestaaten. So liegt in Deutschland der Gini-Koeffizient als Ungleichheitsmaß der verfügbaren Einkommen nach Steuern und Transfers über vierzig Prozent niedriger als der Gini-Koeffizient für die Markteinkommen.9 In kaum einem anderen Industriestaat wird so viel laufendes Einkommen umverteilt wie in Deutschland! Dennoch legen Studienergebnisse nahe, dass die Bevölkerungsmehrheit das Ausmaß dieser Umverteilung unterschätzt. Die tatsächliche Einkommensteuerlast von sehr hohen Einkommen wird vom Durchschnittsbürger zu gering eingeschätzt, während die Einkommensteuerbelastung von niedrigen und mittleren Einkommen betragsmäßig überbewertet wird.10 Weiterhin wird auch der Wert der im internationalen Vergleich recht umfassenden sozialen Absicherung in Deutschland beziehungsweise der hier bereitgestellten öffentlichen Güter unterschätzt; dadurch verschärft sich die Diskrepanz in der Wahrnehmung zwischen Steuerlast und Staatsleistungen. Das ist bedauerlich, denn insgesamt bleiben bei aller Reformnotwendigkeit Steuern und Sozialabgaben „gut angelegte“ Zahlungen, die solide Ergebnisse und – wie etwa bei Bildung und Gesundheit – weiterhin positive Renditen liefern. Ein Szenario mit deutlich geringeren Steuereinnahmen und damit wesentlich weniger Staatsleistungen würde den Präferenzen und Erwartungen der meisten Bürgerinnen und Bürger in Deutschland nicht entsprechen. Umso mehr wäre zu wünschen, dass die Leistungen, die Deutschland heute schon für seine Steuerpflichtigen bereithält, mehr Würdigung erfahren würden.

Auch wenn sie von interessierter Seite immer wieder propagiert wird: Eine dauerhafte Finanzierung der von der Bevölkerung gewünschten Staatsleistungen über Verschuldung darf nicht in Betracht gezogen werden. Sie würde die Zinsbelastung der öffentlichen Haushalte auf ein immer höheres Niveau treiben und die Wachstumsdynamik erheblich schwächen – zum Schaden aller Bevölkerungsgruppen und Einkommensschichten. Stattdessen ist jede staatliche Ebene gefordert, der eigenen Verantwortung für getroffene Ausgabenentscheidungen verstärkt nachzukommen und zu einer langfristig tragfähigen Finanz- und Steuerpolitik im Gesamtstaat beizutragen. Bei wachsenden budgetären Anforderungen zwingt die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Schuldenregel bei Bund und Ländern zur Festlegung sowohl von Prioritäten als auch – ebenso wichtig! – von Posterioritäten. Nur dieser sorgfältige Abwägungsprozess trägt zu einer zukunftsorientierten, effizienten Aufgabenerfüllung bei und stärkt zugleich die Krisenresilienz. Ein derart handlungs- und funktionsfähiger Staat ist der beste Garant dafür, dass im Innern unseres Landes das Vertrauen in die freiheitlich-demokratische Grundordnung erhalten bleibt und dass Deutschland nach außen seiner internationalen Verantwortung gerecht werden kann.

 

Luise Hölscher, geboren 1971 in Münster, promovierte und habilitierte Wirtschaftswissenschaftlerin, Professorin für Betriebswirtschaftslehre, seit 2022 Staatssekretärin im Bundesministerium der Finanzen.

 

1 Die Staatsquote in Deutschland lag 2022 bei 49,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP), die deutsche Abgabenquote in Abgrenzung der OECD bei 39,3 % (OECD-Durchschnitt: 34,0 %).
2 Bundesministerium der Finanzen (BMF): Die wichtigsten Steuern im internationalen Vergleich 2022, Ausgabe 2023, Rechtsstand zum 31.12.2022, Übersichten 11 u. 12, S. 33 ff., Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeitrag zur Sozialversicherung und Einkommen-/Lohnsteuer in Prozent der Lohnkosten in Deutschland 2022 für Alleinstehende ohne Kind mit Durchschnittseinkommen: 47,8 %, S. 35.
3 BMF: ebd., Übersicht 4, S. 14. Tarifliche Belastung des Gewinns von Kapitalgesellschaften (nominal) in Deutschland 2022: 29,94 %.
4 So etwa die Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen „Standortfaktor Körperschaftsteuer“ vom 02.01.2024.
5 Vgl. ifo-Studie: „Experteneinschätzungen zum globalen Standortwettbewerb“, Dezember 2023.
6 Gemäß der von Weltbank und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) bis 2019 gemeinsam veröffentlichten Vergleichsstudie „Paying Taxes“ mit 190 Ländern (inkl. zahlreicher Entwicklungsländer) benötigte ein mittelgroßes Musterunternehmen im globalen Durchschnitt 234 Stunden zur Erfüllung seiner jährlichen Steuerzahlungen. Der in diesem vereinfachten Modellrahmen ermittelte deutsche Wert lag 2018 bei 218 Stunden (EU/EFTA-Durchschnitt: 161 Stunden).
7 Matthias Kasper / Lilith Burgstaller / Amanda März: „Was uns zu Steuerehrlichkeit motiviert“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.01.2024, S. 16.
8 Die öffentliche Investitionsquote (staatliche Bruttoanlageinvestitionen im Verhältnis zum BIP) ist von 2,4 % (2010) auf 2,1 % (2015) gefallen. Danach ist sie bis 2023 wieder auf 2,7 % angestiegen. Der EU-Durchschnitt liegt bei rund 3,25 %.
9 Statistisches Bundesamt auf Basis der Statistik EU-SILC (European Union Statistics on Income and Living Conditions): Deutschlands Gini-Koeffizient der äquivalenzgewichteten Markteinkommen vor Steuern und Sozialtransfers beträgt rd. 0,5; Gini-Koeffizient des verfügbaren Äquivalenz-Einkommens: 0,288 (2022).
10 Vgl. Befragungsergebnisse, zitiert in Judith Niehues (IW): „Soziale Ungleichheit in Deutschland – Wahrnehmung und Wirklichkeit“, in: ifo Dresden berichtet, 27. Jg., Nr. 02/2019, S. 6–11, hier S. 10 f.

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