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Kennst du das Land, wo der Wohlstand gedeiht?

Das polarisierende Denken von Reich gegen Arm schadet der Sozialen Marktwirtschaft

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Kennst du das Land, wo der Wohlstand gedeiht? Es wächst gut im Garten der Sozialen Marktwirtschaft, die Blüten duften gut. Doch irgendwie scheinen den Flaneuren des Gartens die Sinne und das Gemüt getrübt zu sein: Statt von wohligen Düften sprechen sie von Fäulnis, statt strahlender Farben sehen sie nur Grau. Die Erkenntnis ist bitter: Den Erfolg des deutschen Modells sieht man nur im Ausland. Im eigenen Lande überwiegen die Skeptiker. Woher rührt diese Unzufriedenheit der Deutschen? Im Ausland bewundert man den deutschen Arbeitsmarkt, der transparenter und effizienter ist als der vieler europäischer Nachbarn. Die Arbeitslosigkeit liegt unter drei Millionen, die Kaufkraft der breiten Gesellschaft hat die Wirtschaft stabilisiert, und das duale Bildungssystem wird gerade in Zeiten beängstigender Jugendarbeitslosigkeit im europäischen Raum als möglicher Rettungsanker propagiert.

Doch hier überwiegen die Bedenkenträger und Miesmacher. Nivellierte Mittelschichtsgesellschaft? Von wegen, dröhnt die Opposition, die „Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander“. Natürlich gibt es Armut zuhauf in der Welt. Doch auch hier hat trotz allen Geschreis über den erbarmungslosen Kapitalismus und die Globalisierung eine ungeahnte Verbesserung stattgefunden. In den letzten zwanzig Jahren ist es dank des Wirtschaftswachstums fast einer Milliarde Menschen gelungen, der extremen Armut zu entkommen. Zwischen 1990 und 2010 sank die Armutsquote in den Entwicklungsländern von 43 Prozent der Bevölkerung auf 21 Prozent. Und der Prozess ist nicht beendet.

 

Die göttliche Gießkanne des Sozialstaates

Eine solche elementare Armut gibt es in Deutschland nicht. Dank eines gut ausgebauten Sozialstaates stirbt hier niemand Hungers, eher kann man angesichts der Verdreifachung der Ausgaben des Wohlfahrtsstaates von einer Rundumversorgung breiter Bevölkerungskreise sprechen, die weder Steuern zahlen noch einer Arbeit nachgehen. Linke Politiker und Vertreter der Sozialindustrie, die in den letzten zwanzig Jahren exorbitant wuchs und die es, was die Zahl ihrer Mitarbeiter anbelangt, mit Großkonzernen aufnehmen kann, schüren dennoch den Unmut. Ihr Armutsbegriff hat Züge eines politischen Kampfbegriffes, der der Selbsterhaltung dient.

Immer wird von „den Reichen“ gefordert, sie sollten „endlich einen Beitrag leisten“, obwohl seit Jahrzehnten eine Umverteilung von oben nach unten stattfindet. Die Mystifizierung des Sozialstaates, der im Besitz einer göttlichen Gießkanne sein muss, hat zu semisozialistischem Denken in Deutschland geführt, das auch vor bürgerlichen Kreisen nicht haltmacht. Alle Wege führen zum Staat, der alles richten soll. Das gefällt natürlich einigen Politikern, die so entlastet werden, nicht konzeptionell denken und handeln zu müssen, sondern nur fiskalisch. Alles dreht sich ums Geld. Und es muss immer mehr Geld sein, das immer größere Löcher stopfen soll.

Der Sozialstaat ist die „Kriegskasse zur Finanzierung der Wiederwahlkampagnen“, wie der Philosoph Wolfgang Kersting treffend schrieb. Herausgekommen ist dies: In der Sozialhilfe gibt es viele frustrierte Transferempfänger, in den Schulen hat Deutschland die bestbezahlten Lehrer Europas, aber nicht die besten Schüler. Im Gesundheitssystem versickern Milliarden in Mehrfachuntersuchungen.

 

Diffuses Unbehagen an den gegenwärtigen Zuständen

In vielen öffentlichen Debatten hat sich das simple statische und damit auch polarisierende Denken durchgesetzt: Reich gegen Arm, oben gegen unten, Bevorzugte gegen Benachteiligte. Als ob unsere Gesellschaft wirklich so banal wäre. Und dennoch ist dies der Ton: Nicht die Dynamik der Gesellschaft, also die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft jedes Einzelnen zählen. Stattdessen frönt man einem diffusen Unbehagen an der Gegenwart, fördert Nörglertum und Katastrophismus. Warum sind die Deutschen nicht selbstbewusster?

Noch nie hat es in Wahlkampfzeiten derart dreiste Positionierungen fast aller Parteien für deutliche Steuererhöhungen und Vermögensabgaben gegeben wie in diesem Jahr. Der deutsche Sozialstaat, der in Zeiten der Globalisierung härteren Winden ausgesetzt ist und auch den Bevölkerungsschwund zu spüren bekommt, muss hart mit sich ins Gericht gehen, ob seine Leistungen die gewünschten Ergebnisse zeitigen. Hier hat, und dies muss immer wieder betont werden, das „Fördern und Fordern“ der Agenda 2010 eine strukturelle Verschlankung und mentale Mobilisierung bewirkt, von deren Früchten die Deutschen immer noch zehren. Aber beherzigen sie auch die Lektion? Nie darf der Sozialstaat zum Steuerstaat werden, der immer mehr von immer weniger werdenden Beiträgern nimmt und sich in Umverteilungsorgien ergeht. Das Geld „gehört“ nicht dem Staat, wie es so verquer formuliert wird, sondern es ist das Geld seiner Bürger.

Viele verkennen, dass die Verschiedenheit und damit eine gewisse Ungleichheit zwischen den Menschen notwendiger Motor gesellschaftlicher und ökonomischer Entwicklung sind. Wohlstand kann nicht einfach so verteilt werden, er muss erarbeitet und geschaffen sein: Erfolg, Leistung und Reichtum sind seine Bedingungen, nicht Gleichmacherei.

 

Die Gesellschaft schießt sich in den Fuß

Unverkennbar ist in Deutschland die Stimmung gegen Wohlhabende und Reiche wie gegen die Wirtschaft im Allgemeinen negativ. Und dies, obwohl der familiengeführte Mittelstand so erfolgreich und dynamisch ist! Das ist fatal. Sind wir schizophren? Zu schnell werden viele als „arm“ deklariert und erfahren eine materielle und konsumorientierte Daseinsfürsorge statt einer Freiheitsfürsorge, die ihre Mündigkeit stärken könnte: Das könnte man eine sozialstaatliche Gerechtigkeit nennen, die mehr ist als Verteilungsgerechtigkeit! Stattdessen wird der „Reiche“, der ja auch ein Erfolgreicher ist, als Unlauterer und Unehrlicher in Sippenhaft genommen. So bleibt eine Gesellschaft samt ihrer Berufspolitiker, die doch auch im Interessenbetrieb ihre Anteile sichern wollen, hinter ihren Möglichkeiten. Mehr noch: Sie schießt sich in den Fuß. Wer so sehr an Selbstwahrnehmungsstörungen leidet, wie soll der eine führende Rolle in Europa wahrnehmen?

Natürlich macht Wohlstand nicht per se glücklich. Durch Wohlstand kann man auch unfrei werden. Wohlstand kann durchaus zu schrumpfender Souveränität führen, verstanden als Fähigkeit, die Dinge abzuwägen und auch bereit zu sein für Veränderungen.

Es gibt zwei Deutschlands: Nicht Ost und West, nicht Nord und Süd, sondern das der Vereinfacher und Schlechtredner, über die man, würden sie nicht die öffentlichen Debatten so vergiften mit ihren Klassenkampfund Umverteilungsparolen, lachen könnte. Und das der Tatkräftigen, der Macher, der Anpacker, der Ideen und Neugierigen wie Selbstsicheren, der Freien und Selbstständigen, die nicht warten und nach dem Ammenstaat rufen, sondern vorangehen. Mit der gesäßgeografischen Zuordnung links-rechts ist dies nicht mehr zu erfassen. Noch scheint das Wasserglas mehr als halb voll. Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert, nicht nur zum Schlechten. Ein Film hieß: „Die fetten Jahre sind vorbei.“ Das Durchwachsene, teils Fette, teils Magere, ist vielleicht sogar besser.

 

Andrea Seibel, geboren 1958 in Hamm am Rhein, seit 2002 stellvertretende Chefredakteurin und Ressortleiterin Forum, „Die Welt“/„Welt am Sonntag“.

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