Büdingen, 01.12.14
Lieber Horst Teltschik,
mit großem Interesse ich habe Ihr Interview „Türen nie zuschlagen!“ in der „Politischen Meinung“ (Nr. 528, September/Oktober 2014, online abrufbar unter www.kas.de/wf/de/33.39178/) gelesen. Ich stimme mit Ihren Auffassungen bezüglich der langfristigen Strategie absolut überein und finde es gut, dass es einmal in aller Deutlichkeit ausgesprochen wird, welche langfristigen Ziele wir gerade im Verhältnis mit Russland ansteuern müssen und dass wir den Dialog mit Russland auf keinen Fall aufgeben dürfen. Ihre Argumente in diesem Bereich sind meines Erachtens absolut durchschlagend. Unterschiedlicher Meinung bin ich allerdings in den kurzfristigen Maßnahmen, die aufgrund der russischen Aktionen von Putin erforderlich sind. Da wir eine militärische Auseinandersetzung nicht anstreben dürfen, ist es eine richtige Entscheidung, die Sanktionen zu beschließen, welche zumindest klarmachen, dass es noch gemeinsame Beschlüsse der NATO-Mitglieder und der westlichen Gemeinschaft gibt, was meines Erachtens absolut erforderlich ist. Ihrer Aussage über die Sanktionen, „die noch nie irgendwo erfolgreich waren“, halte ich in dieser Pauschalität wirklich für falsch. Entscheidend ist, dass die Sanktionen nicht nur die armen Bürger, d. h. das Volk, treffen, sondern dass sie gezielt die Führung Russlands in Mitleidenschaft ziehen, sodass die Auswirkungen bei den Entscheidungsträgern, ob sie nun jetzt reden oder schweigen, wirksam werden. Die Fachleute auf dem wirtschafts- und finanzpolitischen Gebiet sind sich ziemlich einig, dass sie bereits jetzt anfangen zu wirken. Natürlich ist damit auch eine riskante Dynamik verbunden, dass zum Beispiel der freie Fall des Rohölkurses zu einer für Russland sehr gefährlichen Entwicklung führen kann.
Aber solange Russland diese Maßnahmen bagatellisiert, müssen wir solche Risiken in Kauf nehmen. Es wird die Zeit kommen, wo Russland zur Besinnung kommen wird und feststellt, dass es Jahre dauern wird, um den entstandenen Schaden wieder zu reparieren.
Aber ein Zweites scheint mir noch außerordentlich wichtig: die gesamte politische Lage in Osteuropa, insbesondere auch in Südosteuropa, ist zu einer ganz anderen Aktualität geworden, weil die Ukraine-Krise gezeigt hat, dass Russland in günstigen Augenblicken durchaus bereit ist, Völkerrecht zu brechen und militärisch einzugreifen. Hier müssten wir alle Anstrengungen unternehmen, um zu einer Stabilisierung der Lage in den übrigen Teilen Osteuropas und Südosteuropas zu kommen. Wobei viele Fragen eben gerade wegen der Haltung Russlands ungelöst und instabil sind.
Zum Beispiel die Haltung Serbiens den Kosovo betreffend ist nach wie vor die Haltung der Blockierung von Fortschritt für den Kosovo. Der leichtfertige und oberflächliche Vergleich, dass ja im Kosovo auch eine Abtrennung von Serbien vorgenommen worden ist, muss durch die historischen Tatsachen und entsprechende politische Positionen Europas deutlich gemacht werden. Längst müssten jetzt die Staaten der Europäischen Union, die die Anerkennung des Kosovo bis heute unterlassen haben und damit praktisch auf der Seite der Blockierer stehen, verändert werden. Dieses wäre eine erste Priorität seitens der Europäischen Union, die auch entsprechend angegangen werden müsste, um endlich Handlungsspielraum für die Europäische Union zu gewinnen. Ich kann davon bis heute nichts sehen. Damit erhöht man die Gefahr, dass auch in der Frage der Beziehungen zwischen der serbischen Nation und dem Kosovo sich ähnliches abspielt, wie wir es jetzt in der Ukraine erleben. Ein weiteres komplexes Kampfgebiet ist immer noch in Bosnien und Herzegowina durch das trojanische Pferd der Republika Srpska, die alles tut, um den Fortschritt des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina zu verhindern.
Ganz grundsätzlich kann sich auch durch die gerade stattgefundenen Wahlen in Bosnien-Herzegowina daran nichts ändern, solange der Westen nicht klar bekennt, dass die Zeit der Blockaden auf diesem Gebiet vorbei ist. Dazu gehört eine klare Ansprache an die Republika Srpska, und das heißt, dass Maßnahmen gegenüber dem Anführer der Blockadepolitik, Dodik, ergriffen werden müssen, nachdem solche Maßnahmen sogar völkerrechtlich nach dem heutigen Friedenskonstrukt möglich wären. Man müsste sich endlich in Europa und in den USA zu klaren Entscheidungen durchringen. In den letzten Jahren hat man alles laufen gelassen und sich damit begnügt, die bosnischen Politiker zu beschimpfen, dass sie keine Reformen anpacken und nicht in der Lage sind, das Land auf einen schnelleren europäischen Weg zu bringen.
Hier müsste man durch kurzfristige und sehr stringente Maßnahmen Russland klarmachen, dass man, solange man nicht wieder in den richtigen Dialog kommt, auch seitens des Westens in der Lage ist, kurzfristig entsprechend wirksame Schritte zu unternehmen. Dazu gehörten eine entsprechende Ausrichtung in der PIC-Konferenz als Überbleibsel des Dayton-Vertrages und die Anwendung diesbezüglicher Resolutionen des Sicherheitsrates, falls erforderlich. Davor müssten dann entsprechende Gespräche mit Russland geführt werden. Nur wenn der Westen die Momente erhöhter Spannung dazu benutzt, auch die völkerrechtlich verbindlichen Maßnahmen dann im eigenen Interesse kräftig voranzubringen, kann Russland mittelfristig zu einer Veränderung der Orientierung gebracht werden, wenn parallel dazu die langfristigen Ziele durch einen intensiven Dialog angepackt werden. Hier ist eine Doppelstrategie erforderlich.
Es wäre sicher interessant und notwendig, wenn man über diese Fragen näher ins Gespräch käme und wenn auch die CDU diese Abhängigkeit zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Zielen durch entsprechende Initiativen ins Auge fassen würde. […]
[…] Und so kann man als Mitglied der älteren Generation eben nur mahnend jeweils zu den einzelnen Themen Stellung nehmen. Ich habe mich sehr gefreut, Ihr Interview zu lesen, und darf Ihnen alles Gute wünschen, Ihre Sicht weiterhin hörbar zu machen.
Mit besten Grüßen verbleibe ich Prof. Dr. Christian Schwarz-Schilling