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Public domain, via Wikimedia Commons
Olivenzweige, Symbole des Friedens, verbinden die irdische und himmlische Sphäre. Im Zentrum: die Anbetung Christi. Oben: Ein Engelsreigen öffnet den Himmel. Unten: Engel und Menschen umarmen sich. Die griechische Inschrift am oberen Bildrand lautet auszugsweise: „Dieses Bild malte ich, Alessandro, am Ende des Jahres 1500, in den Wirren Italiens …“ Sandro Botticelli, „Mystische Geburt“, Öl auf Leinwand, 108,6 × 74,9 cm, National Gallery, London.

Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas wird in Gang gebracht durch eine Demonstration politischer Macht, durch die Ausübung eines bekannten Disziplinierungs- und Unterdrückungsinstruments. Sie erinnert die Leserinnen und Leser des gegen Ende des ersten Jahrhunderts verfassten Evangeliums, die immer noch unter dem ‚römischen Frieden‘ und wahrscheinlich unter Kaiser Domitian lebten, an die Schattenseiten der ‚Pax Augusta‘ – und überrascht nun von Vers zu Vers. Denn nicht eine der bedeutenden Städte, nicht Caesarea, die Stadt der politischen Macht, oder Jerusalem, die religiöse Zentrale, wird zum Ort der Geburt des „Heilands“, sondern Bethlehem, ein Städtchen am Rande, das politisch keinerlei Bedeutung hatte, mit dem sich jedoch die Erinnerung an König David verbindet und die messianische Hoffnung, es möge dereinst wieder einer wie David kommen. Der Retter wird auch nicht von bedeutenden Menschen, geboren, sondern kommt in einer augenscheinlich eher mittellosen Familie zur Welt; es gibt keinen Raum in der Herberge, sodass sich die Geburt in einem Stall ereignet. Schritt für Schritt erzählt Lukas eine Gegengeschichte gegen den Glanz der römischen Herrschaft und gegen die dominierenden ökonomischen und realpolitischen Logiken – damals und durch die Zeiten.

 

Himmlische Revolution

Dann öffnet sich der Himmel – und ein Engel verkündet die frohe Botschaft von der Geburt des „Heilands“. Im griechischen Original steht dafür soter – ein Wort, das in den östlichen Provinzen des Römischen Reichs auch für die römischen Kaiser verwendet wurde. Überhaupt begegnet im Osten ein gesteigerter Kult der Kaiserverehrung. In der Stadt Priene etwa, in der heutigen Westtürkei, wurde eine Inschrift gefunden, auf der es heißt: „Die Geburt des Gottes [gemeint ist Augustus] war für die Welt der Beginn der guten Botschaft [wörtlich: des Evangeliums].“ Es ist alles andere als Zufall, dass der Engel im Himmel nun das Baby im Stall, „in Windeln gewickelt“ (Lk 2,12), als „Retter“ bezeichnet. Lukas schildert inmitten irdischer Machtkonstellationen eine himmlische Revolution.

Daher fangen die himmlischen Heerscharen an zu jubeln: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“ (Lk 2,14). Der „Friede“ verbindet sich mit der Ehre Gottes: Wo Gott allein geehrt wird (und nicht ein Mensch auf dem Thron in Rom sich als Gott verehren und sich Altäre des Friedens bauen lässt), wird Friede. Und wo Gott in der radikalen Hilflosigkeit eines Babys auf dieser Welt erscheint, werden die Machtansprüche der mächtigen Männer ebenso leise wie wirkungsvoll infrage gestellt.

Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas liest sich wie die Inszenierung dessen, was Maria in ihrem Lobgesang bereits gesagt hatte. Nachdem der Engel ihr die Geburt des kommenden Königs verkündet hatte, sang sie: „Er [Gott] stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen“ (Lk 1,52). Weihnachten ist ein Fest der friedlichen Revolution. Es spricht vieles dafür, dass der Termin des Weihnachtsfestes im Westen des Römischen Reiches auch deshalb im vierten Jahrhundert auf den 25. Dezember festgelegt wurde, weil dies der Tag war, den Kaiser Aurelian 274 n. Chr. als Festtag des „Sol invictus“ bestimmt hatte. Die politisch-kritische Unterbrechung, die Weihnachten bedeutet, hat sich auch in die Datierung eingeschrieben.

 

Auf die Engel hören und wie die Engel reden

Es dürfte sich lohnen, die Geschichte des Lukas gegenwärtig nicht in Glühweindunst und Weihnachtsgansseligkeit, in Plätzchenduft und Bescherungen aufgehen zu lassen, sondern neu auf die Stimmen der Engel zu hören. Freilich: Das Kind in der Krippe vermochte nicht, den ‚Friedensgott‘ Augustus, den Autokraten in Rom, zu stürzen: Augustus blieb bis zu seinem (natürlichen!) Tod an der Macht, und das Römische Reich behielt über Jahrhunderte die Herrschaft auch im heutigen Israel/ Palästina. Aber die Botschaft der Engel von Bethlehem wird bis in die Gegenwart weitergetragen und auch an diesem Weihnachten von rund 2,6 Milliarden Christinnen und Christen gehört; demgegenüber ist der Friedensaltar in Rom längst zerstört, und die Macht des Augustus taugt nur noch als Stoff in Schulbüchern. Die Worte der Engel verheißen Menschen, die unter den Potentaten und Autokraten dieser Welt leiden, dass diese Mächtigen doch nur „kleine Große“ sind, wie es Pfarrer Philipp Friedrich Hiller 1755 einmal zum Trost für die Christenmenschen seiner Tage gedichtet hat: „Trachten irdische Monarchen / dieses Herdlein anzuschnarchen, / o mein Hirte lacht dazu; / er lässt diese kleinen Großen / sich die Köpfe blutig stoßen / und den Schafen gibt er Ruh.“ Das wäre durchaus eine Perspektive weihnachtlicher Ruhe, die nichts mit einem selbstgenügsamen Rückzug aus der Welt zu tun hat, sondern mit einem hoffnungsfrohen Hören auf die Worte der Engel, die die Machtverhältnisse gegen allen Augenschein zurechtrücken – und Menschen somit das geben, was wir heute als Resilienz bezeichnen würden: Es muss ja nicht immer schlimmer werden! Die Großen spielen sich mächtig auf, ja, und viel zu viele leiden und sterben deshalb. Aber sie bleiben nicht auf ewig mächtig. Kein Putin und kein Trump dieser Welt wird sich als bedeutender erweisen als das Baby von Bethlehem. Gerade deshalb ist es nicht vergeblich, wenn Menschen schon jetzt Wege gehen, die die Macht des Geldes und der Waffen unterlaufen.

Wenn wir so auf die Worte der Engel hören, stellt sich auch die Frage, ob wir nicht selbst mit Himmelsstimmen reden und von ihnen lernen könnten – inmitten aufgeheizter gesellschaftlicher Debatten und vielfältiger Kommunikationsabbrüche. Der Friede, den die Engel verkünden, ist ein Geschehen in Beziehung: Gott tritt verletzlich und dienend in die Geschichte ein. Der Friede in der Logik der Macht und Kontrolle und der Friede in der Logik der Liebe und der Beziehung stehen einander gegenüber. Und es stellt sich die Frage, ob auch wir so miteinander reden können, dass wir neu in Beziehung treten. Dass klar wird, dass wir den Menschen als Gegenüber akzeptieren, aber gerade deshalb nicht jede seiner Meinungen für richtig halten. Dass aber auch klar ist, dass auch wir die Wahrheit nicht einfach ‚haben‘ und uns nur überlegen müssten, wie wir diese mit Sprach- oder Medienmacht durchsetzen. Gott riskiert sich im Kind von Bethlehem – kann auch ich mich riskieren im Dialog? Und wird gerade so in all dem polaren Gegenüber neu ein ‚Wir‘ sichtbar, das uns verloren zu gehen droht?

Darum könnte es gehen: wahrhaftig reden und nicht verletzen; Frieden zusprechen, anstatt den Hass zu kultivieren; von Hoffnung reden und nicht die Eskalationsdynamik der Krisenrhetorik weiter anheizen – und als Theologe darf ich sagen: Gott groß machen und ihm die Ehre geben, nicht vor allem den eigenen Machtinteressen folgen. Der jüdische Dichter Jehuda Amichai (1924 bis 2000) hat einmal von dem „Ort, an dem wir recht haben“ gesprochen und das folgende Gedicht über ihn geschrieben:

„An dem Ort, an dem wir recht haben, werden niemals Blumen wachsen
im Frühjahr.
Der Ort, an dem wir recht haben, ist zertrampelt und hart
wie ein Hof.

Zweifel und Liebe aber lockern die Welt auf
wie ein Maulwurf, wie ein Pflug.
Und ein Flüstern wird hörbar an dem Ort, wo das Haus stand,
das zerstört wurde.“


Die Engel wollten nicht „recht haben“. Sie wiesen vielmehr weg von sich und auf das Kind hin. Von Maria erzählt der Evangelist Lukas, dass sie hört, was die Engel ihr berichten, und „alle diese Worte“ „behielt“ und sie „bewegte in ihrem Herzen“ (Lk 2,19). Ein letzter Blick auf das Griechische: „sym-ballousa“ steht da; Maria ‚symbolisierte‘ alle diese Worte. Wörtlich heißt das: Sie warf sie zusammen; sie brachte zusammen, was die Hirten von dem „Retter“ sagten und von dem „Frieden auf Erden“ und was sie nun gerade erlebt hatte: die Geburt ihres Kindes, das nun schlafend oder schreiend in der Krippe liegt. Ob das Sinn ergibt? Vielleicht noch nicht – aber sie lässt es nicht los, sondern hält daran fest – und kann so zum Vorbild werden auch für alle, die Weihnachten 2025 die viel zu großen Worte von der Entmachtung der Mächtigen und Gottes friedlicher Revolution hören, von der Pax Christi in Zeiten der vermeintlichen Pax Augusta.

 

Alexander Deeg, geboren 1972 in Rehau (Oberfranken), Professor für Praktische Theologie und Dekan der Theologischen Fakultät, Universität Leipzig, Leiter des Liturgiewissenschaftlichen Instituts der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD).

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