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Zwischen innenpolitischer Polarisierung und außenpolitischem Machtverlust

Manfred Berg: Das gespaltene Haus. Eine Geschichte der Ver-einigten Staaten von 1950 bis heute, Klett-Cotta, Stuttgart 2024, 544 Seiten, 35,00 Euro. || Stephan Bierling: Die Unvereinigten Staaten. Das politische System der USA und die Zukunft der Demokratie, C. H. Beck, München 2024, 336 Seiten, 28,00 Euro. || Bob Woodward: Krieg. Aus dem Englischen von Sylvia Bieker et al., Hanser, München 2024, 464 Seiten, 25,00 Euro. || Andreas Rödder: Der verlorene Frieden. Vom Fall der Mauer zum neuen Ost-West-Konflikt, C. H. Beck, München 2024, 250 Seiten, 26,00 Euro.

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Henry Luce, Herausgeber des Wochenmagazins Time, prägte 1941 den Begriff „Das amerikanische Jahrhundert“. Auftrag und Anspruch zugleich, machte das Schlagwort Karriere, und mit ihm eine ganze Nation. Macht und Vision miteinander verbindend, nahm jeder Präsident für sich in Anspruch, für eine Weltmacht zu sprechen, die sich stets von Neuem anschickte, mit missionarischem Eifer die eigenen Werte um den Globus zu tragen. Allen gegenläufigen Trends zum Trotz wurden die Grundlagen einer weitgehend wohltätigen US-Hegemonie in einer geteilten Welt in den 1940er-Jahren gelegt. Als Empire by Invitation hat Geir Lundestad das einmal treffend beschrieben. Erfolg war diesem Unterfangen nur beschert, weil es immer wieder gelang, das realistische und das idealistische Element der amerikanischen Außenpolitik zur Deckung zu bringen – oder verkürzt gesagt: Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson miteinander zu versöhnen.

In den beiden zurückliegenden Dekaden hingegen haben Hybris und Scheitern nicht selten die Oberhand gewonnen. Die Strahlkraft der amerikanischen Missionsidee ist verblasst. Und ihr Verblassen ist weitgehend selbst verschuldet. Die Vereinigten Staaten sind nicht mehr Vorbild für die Welt, sondern Sinnbild einer strategisch überdehnten Macht, die wider Willen den Rückzug auf Raten antritt, um sich den enormen innenpolitischen Herausforderungen zuzuwenden.

Mit diesen Herausforderungen und mit der Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die Vereinigten Staaten vom Vorreiter zum Krisenfall der Demokratie geworden sind, befasst sich der an der Universität Heidelberg lehrende Historiker Manfred Berg in seiner ausführlichen Geschichte der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Konflikte, deren Wurzeln bis in die 1950er-Jahre zurückreichen.

 

Vom liberalen Konsens zur Polarisierung

Die ebenso analytisch wie diskursiv angelegte Untersuchung, bei der der chronologische Rahmen hinter dem inhaltlichen Fokus verblasst, gehört zum Besten, was bislang im deutschsprachigen Raum über die Polarisierung der amerikanischen Politik und Gesellschaft geschrieben wurde.

Den Ausgangspunkt der dreiteiligen Erzählung bildet das Selbstbild der amerikanischen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Über rund zwei Jahrzehnte wurde der „liberale Konsens“ als Grundlage des amerikanischen Gemeinwesens beschworen: Konservative akzeptierten den „New Deal“, jene Wirtschafts- und Sozialreformen, die in den 1930er-Jahren unter Präsident Franklin D. Roosevelt als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise durchgesetzt wurden. Und Demokraten reihten sich in die antikommunistische Front des frühen Kalten Krieges ein. Die Exzesse des McCarthyismus, die Stärke des Konservatismus und religiösen Fundamentalismus und das kontroverse Ende der Rassentrennung konnten dem Konsens letztlich nichts anhaben.

Das änderte sich in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren, als der Vietnamkrieg entscheidend zur Diskreditierung des Liberalismus beitrug, die „New Deal“-Koalition zerbrach und der Protest gegen den fortwirkenden heimischen Rassismus eine neue Dynamik erfuhr. Die Verschiebung der Kräfteverhältnisse vollzog sich über nahezu zwei Jahrzehnte, die von politischer und gesellschaftlicher Polarisierung, ökonomischen Krisen, einem sinnlosen Krieg sowie internationalem Macht- und Prestigeverlust geprägt waren.

Aber erst mit dem Ende des Kalten Krieges und vor allem seit der Jahrtausendwende schufen die zentrifugalen Kräfte der Globalisierung jenen Resonanzboden für die populistische Revolte, die Donald Trump im Winter 2016/17 erstmals ins Weiße Haus trug. Besonders hart geht Manfred Berg mit der Republikanischen Partei ins Gericht, also jener Partei, die fast im Alleingang die Demokratisierung Amerikas nach dem Bürgerkrieg vorantrieb und in den 1960er-Jahren einen wesentlichen Beitrag zur Durchführung von Bürger- und Wahlrechtsreformen leistete, sich 2023 jedoch ein weiteres Mal in die Arme jenes Mannes geworfen hat, der „Diktator für einen Tag“ sein möchte.

An die Spielregeln der Demokratie halten sich die Republikaner immer weniger. Während die Demokratische Partei höchst unterschiedliche Wählergruppen unter ihrem Dach versammelt – von der intellektuellen Elite über Angehörige ethnischer Minderheiten und sozial Benachteiligte bis hin zur Welt von Hollywood –, haben die Republikaner dieses Problem nicht. „Ein Besuch in Mar-a-Lago [dem Anwesen Donald Trumps in Palm Beach im US-Bundesstaat Florida, V. M.] ist ein bisschen wie ein Besuch in Nordkorea“, erzählte Lindsay Graham, der republikanische Senator von South Carolina, dem legendären, mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Journalisten der Washington Post Bob Woodward, der 1973 gemeinsam mit Carl Bernstein die Hintergründe der Watergate-Affäre aufdeckte. „Immer, wenn Trump hereinkommt, stehen alle auf und klatschen“ (Woodward, S. 165).

Trumps Präsidentschaft, so Manfred Berg, war und ist langfristig betrachtet kein Betriebsunfall, sondern das Produkt jahrzehntelanger Polarisierung einer Gesellschaft auf der Suche nach der eigenen Identität. In ihrem heutigen Zustand ist die amerikanische Demokratie kein Vorbild mehr. Die Präsidialdemokratie und das Zwei-Parteien-System stoßen in der Krise an Grenzen.

 

Demokratien verschwinden leise

Das ist auch das Fazit des politikwissenschaftlichen Einführungswerks in das politische System der USA von Stephan Bierling, Professor für Internationale Politik und Transatlantische Beziehungen an der Universität Regensburg.

„Die parteipolitische Polarisierung kontaminiert mittlerweile alle Träger, Verfahren und Institutionen der amerikanischen Demokratie“ (S. 11), stellt Bierling gleich zu Beginn ernüchtert fest, um seinen Befund danach in zehn Kapiteln am Beispiel von Verfassung und Gesellschaft, Parteien und Präsident, Wahlen und Wahlkämpfen, Kongress und Gerichten sowie Föderalismus und Bürokratie aufzufächern. Berg und Bierling sind weit davon entfernt, der Geschichte die Funktion einer Blaupause für Handlungsanweisungen zu erteilen.

Historisches Wissen als Beitrag zur Selbstverständigung in der Gegenwart wollen sie aber nutzbar machen. Deshalb stellt Berg – die Erschütterungen durch den Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 vor Augen – am Ende die Frage, ob die Vereinigten Staaten vor einem neuen Bürgerkrieg stehen. Die Antwort überlässt er dem Leser. Anlass für allzu viel Optimismus bietet er allerdings nicht. Nicht anders klingt es bei Bierling, dessen Reformvorschläge zur Behebung von Demokratiedefiziten im Schlusskapitel selbst nach eigener Aussage absehbar keinen Erfolg versprechen. Dekaden, wenn nicht Generationen werde die Reparatur des deformierten politischen Systems beanspruchen. So erinnert manches an George Packers „innere Geschichte des neuen Amerika“, in dem das parteiübergreifende Amerika der Mittelschicht nicht mehr existiert, das Narrativ von gesellschaftlichem Aufstieg und fairen Chancen erodiert, die Parteien zu einer Art Glaubensgemeinschaft verkommen und Institutionen und Werte zunehmend ausgehöhlt sind.

Demokratien, so zeigen jüngere Forschungen, verschwinden leise. Sie klingeln nicht, wenn sie gehen. Diese Sorge treibt Manfred Berg und Stephan Bierling erkennbar um. Gerade deshalb ist es wichtig, an eine Mahnung Harry Trumans zu erinnern: Um dem Rest der Welt glaubwürdig die Vorzüge der Demokratie zu predigen, müssten die Amerikaner erst einmal „das eigene Haus in Ordnung bringen“, erklärte der 33. Präsident der Vereinigten Staaten im Juni 1947. Aktueller könnte die Aussage kaum sein. Das sollten auch diejenigen bedenken, die in Europa am Rockzipfel der USA leichtfertig ein neues Zeitalter der Bipolarität herbeireden.

Dabei sah es 1989/90, zur großen weltpolitischen Zeitenwende, noch ganz anders aus. Ein neues Zeitalter schien angebrochen zu sein, eine Art global gesteigerte Reprise des Fortschrittsoptimismus der liberalen Viktorianer, der auf das Versprechen eines weltpolitischen Monismus hinauslief, in dem das machtpolitische Paradoxon von Hegemoniestreben und Gegenmachtbildung erodiert, die Staatenwelt zur Weltgesellschaft mutiert und (neo)realistische Ansätze ihre Erklärungskraft verlieren. Mit dem Ende des Kalten Krieges schickten sich die USA an, im Gewand der liberalen Hegemonie von der Führungsmacht des Westens zur Führungsmacht der Welt aufzusteigen und die internationale Ordnung dauerhaft zu prägen. Indes, mit einer Mischung aus Dilettantismus, Doppelmoral und Hybris verspielten sie leichtfertig den „unipolaren Moment“ (Charles Krauthammer). Der missionarische Eifer, mit dem die eigenen Werte um die Welt getragen wurden, fand seinen Höhepunkt im Frühjahr 2003. Zunächst die völkerrechtswidrige Irak-Intervention, dann die Finanzkrise und schließlich das Scheitern in Afghanistan haben den USA das Gefühl für die eigenen Grenzen zurückgegeben.

Mit flotter Feder lässt Andreas Rödder, Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die letzten 35 Jahre in seinem jüngsten Buch Revue passieren: vom Optimismus der 1990erüber die 2000er-Jahre bis in das letzte Jahrzehnt, in dem strategische Überdehnung, neoimperiale Begehrlichkeiten sowie eine Kaskade von Krisen zum Signum einer neuen Epoche geworden sind.

Im Mittelpunkt steht die Frage, warum der Frieden verloren wurde und die Ordnung von 1990 gescheitert ist. Gewiss, so lautet die prägnant formulierte Antwort, die Politik der USA „animierte Ambitionen zur Revision der internationalen Ordnung“, aber sie „erzeugte sie nicht“. Denn die „entscheidende Ursache ihres Scheiterns lag in einem Ordnungskonflikt zwischen liberalen und imperialen Vorstellungen, der bereits zu Beginn angelegt war“ (Rödder, S. 184, 186).

Gestützt auf eine Mischung aus Destruktion, die Räume der Gewalt geöffnet hat, und klassischer Gegenmachtbildung ging Russland unter Präsident Wladimir Putin seit dem Jahr 2007 zunehmend zu einer Politik der Systemänderung über, die ihren sichtbarsten Ausdruck in der gewaltsamen Annexion der Krim im März 2014 und schließlich im brutalen Angriffskrieg gegen die gesamte Ukraine im Februar 2022 fand. Das russische Streben nach Einfluss, verankert in dem Anspruch, Großmacht unter Großmächten zu sein, degeneriert zur rigorosen Herrschaftssicherung. Und doch ist bei aller Verschlagenheit, Rücksichtslosigkeit und Aggressivität Unsicherheit als Faktor im Umgang mit dem Westen nicht zu übersehen. Gerade deshalb ist Andreas Rödders Hinweis auf die Vernachlässigung eines moderierenden Ordnungsmanagements auf westlicher Seite wichtig, das „die Aufrechterhaltung der liberalen Ordnung zwischen den Staaten betrieb[en], aber auf die Verbreitung der liberalen Ordnung in anderen Ländern verzichtet“ hätte – auch wenn der grundlegende Ordnungskonflikt dadurch nicht hätte ausgeräumt werden können (Rödder, S. 189). So gesehen stellten die 1990erJahre tatsächlich eine Abweichung von der Norm struktureller Interessendivergenzen dar.

 

Kriege in der Ukraine und Gaza

Aktuell dreht sich die Eskalationsspirale immer weiter. Während unter Putin postimperiale und neoimperiale Phasen ineinander übergehen, waren die Vereinigten Staaten unter Präsident Joe Biden bemüht, jenen weltund ordnungspolitisch „leeren Thron“ wieder zu besetzen, der nach der treffenden Einschätzung eines japanischen Diplomaten zum Charakteristikum amerikanischer Außenpolitik seit Barack Obama gehört hatte. „2014 haben sie es verbockt“, erklärte Biden einem Freund, um seinem Ärger über die unzulängliche Reaktion des 44. US-Präsidenten auf die Annexion der Krim und des Donbass im März 2014 Luft zu verschaffen. „Darum sind wir in der Lage. Barack hat Putin nie ernst genommen. […] Wir haben Putin einen Freibrief ausgestellt, so weiterzumachen!“ (Woodward, S. 129f.)

Und so wurde der Krieg in der Ukraine neben dem Krieg im Gazastreifen zum Dreh- und Angelpunkt einer ganzen Präsidentschaft. Beide Kriege stehen im Mittelpunkt des jüngsten Buches von Bob Woodward. Gestützt auf Hunderte Stunden Interviews mit hochrangigen amerikanischen Entscheidungsträgern und mit unverkennbarer Sympathie für die zentralen Akteure, gibt der Doyen des investigativen Journalismus einen ebenso fesselnden wie faszinierenden Einblick in die Entscheidungsprozesse zwischen Weißem Haus, State Department und Pentagon.

In Washington befürchtete man nicht nur, dass die Eroberung der Ukraine für Putin während der Pandemie zu einer Art Fiebertraum geworden war. Seit Oktober 2021 verfügten die US-Nachrichtendienste auch über zuverlässige Quellen bis in das Innerste des Kreml, wonach der russische Präsident einen Angriff auf die Ukraine mit 175.000 Soldaten plante. „Klingt irrwitzig“, sagte Außenminister Antony Blinken zu Biden, und der Präsident hielt gegenüber CIA-Direktor William J. Burns fest: „Das wäre so verrückt.“ Ungeachtet dessen nahmen Biden und sein Kabinett die detaillierten nachrichtendienstlichen Erkenntnisse „todernst“ (Woodward, S. 87f., S. 90) – und bereiteten sich auf den Ernstfall vor.

 

Offensichtliches Dilemma

Wie tief der in das Jahr 2002 zurückreichende Vertrauensverlust bei den amerikanischen Verbündeten war, zeigte sich zwischen Ende Oktober 2021 und Februar 2022. Außer dem britischen Premierminister Boris Johnson, der sich auf vergleichbare Informationen seiner Nachrichtendienste stützen konnte, blieben alle skeptisch. Wunschdenken und Wirklichkeit klafften auf bemerkenswerte Weise auseinander. Putin, so die vorherrschende Überzeugung, nutze die russische Truppenkonzentration an den ukrainischen Grenzen als Druckmittel für politische Zwecke, nicht aber zur Vorbereitung einer militärischen Invasion. Auch im Rückblick von drei Jahren stellt man sich kopfschüttelnd die Frage, was um alles in der Welt Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, am Morgen des 24. Februar 2022 in Kiew machte.

Von Joe Biden zeichnet Bob Woodward das Bild eines zu jeder Zeit klug abwägenden Präsidenten mit einem klaren strategischen Kompass, der einen direkten russischen Angriff auf die Ukraine verhindern wollte, sich seiner begrenzten Möglichkeiten jedoch allzu bewusst war. Die direkte militärische Konfrontation mit Russland vermeiden, Nachahmungseffekte mit Blick auf China verhindern, eine internationale Koalition zur Unterstützung der Ukraine schmieden, die NATO stärken, die Verbündeten zusammenhalten und bei alldem die Kontrolle über den politischen und militärischen Entscheidungsprozess behalten – das waren die Kernanliegen des amerikanischen Präsidenten. Sein Dilemma war offensichtlich: Je erfolgreicher seine Politik war, umso mehr musste er eine russische Eskalation fürchten. Und je erfolgreicher Russland war, umso mehr musste Biden Nachahmungseffekte in Europa und Asien fürchten. Russland in einem brutalen Abnutzungskrieg langfristig zu schwächen, bedeutete zugleich, Gefahr zu laufen, die Ukraine ausbluten zu lassen. Daran hat sich bis heute, drei Jahre nach der russischen Invasion, nichts geändert. Noch Schlimmeres verhindert zu haben, ist vermutlich das eigentliche Verdienst des 46. US-Präsidenten und seiner Administration.

Die Grenzen seiner Macht bekam Präsident Biden im Gaza-Krieg schonungslos aufgezeigt. Eindrücklich schildert Woodward Bidens seit vielen Jahren von Misstrauen geprägtes Verhältnis zum israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu bis hin zur Zerrüttung. „Ein verflucht übler Kerl“, „ein verdammter Lügner“, brach es aus ihm heraus, als Netanjahu einmal mehr Bidens eindringlichen Appell ignorierte, die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu schützen. Doch auch wenn Biden und sein Außenminister, „seelisch und körperlich von Netanjahus Machenschaften und Manövern ausgelaugt“ (Woodward, S. 366, S. 368), sich seit dem barbarischen Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 nicht selten wie hilflose Zuschauer vorkamen, stand über allem die Entschlossenheit, die Sicherheit Israels zu keinem Zeitpunkt zu gefährden und zugleich einen regionalen Flächenbrand zu verhindern.

 

Welche Ordnung für die Welt?

Was den Vereinigten Staaten bevorsteht, ist ungewiss. Unbestritten ist jedoch, dass das erratische Verhalten, die ungezügelte Rhetorik und eine gegenüber Freund und Feind auf Einschüchterung und Gefügigkeit abzielende Politik des alt-neuen US-Präsidenten Donald Trump den Verlust von Autorität und Glaubwürdigkeit nach sich ziehen sowie Einfluss und Machtstellung der USA langfristig unterminieren werden. Ordnungsmächte, zumal Weltordnungsmächte, verhalten sich anders.

Was aber bedeutet all das für die Ordnung der Welt? Für das weltpolitische Machtspiel ohne Schiedsrichter hat Carlo Masala bereits vor rund zehn Jahren den Begriff „Weltunordnung“ geprägt, in der die liberalen Fundamente erodieren, disruptive Tendenzen zunehmen und konträre Ordnungsprinzipien miteinander ringen. Anders als Herfried Münkler, der vor rund zwei Jahren ein neues System regionaler Einflusszonen, dominiert von einer neuen Pentarchie, heraufziehen sah, spricht Andreas Rödder von einem neuen „Konflikt zwischen einem herausgeforderten globalen Westen und einem neu formierten, revisionistischen globalen Osten“, einer „Achse der Revisionisten“ (Rödder, S. 12, S. 186).

Ist die Zukunft also Geschichte, wie die Journalistin und Schriftstellerin Masha Gessen in ihrer preisgekrönten Erzählung über den Weg des postsowjetischen Russlands mit einem Blick in den historischen Rückspiegel feststellt? Mit den Herausforderungen der Weltpolitik im 21. Jahrhundert hat die wirkmächtige Analogie kaum etwas gemein. Kein einziges Strukturmerkmal der Epoche des Ost-West-Konflikts hat heute noch Bestand. Das heißt freilich nicht, dass das Vergangene tot ist. Es ist nicht einmal vergangen. Denn Mentalitäten erweisen sich auf beiden Seiten des ehemaligen Eisernen Vorhangs als Gefängnisse von langer Dauer.

Wenn es aber richtig ist, dass strategische Zurückhaltung Legitimität und Legitimität Autorität schafft, dann ist Andreas Rödders abschließendes Plädoyer für eine wertebasierte Realpolitik in einer sich neu formierenden Weltordnung ein kluger gedanklicher Ausgangspunkt, auf den sich auch eine „außenpolitisch unerzogene Nation“, wie Max Weber Deutschland einmal nannte, einlassen sollte.

 

Victor Mauer, geboren 1968, promovierter Historiker, Lehrbeauftragter am Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

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