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Auslandserfahrungen bereichern die persönliche und berufliche Entwicklung

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Ein Studium oder Praktikum in einem anderen Land ist für Studierende heute viel selbstverständlicher als noch 1987, als die Europäische Gemeinschaft das ERASMUS-Programm startete. Ziel der neuen Initiative war, die Mobilität in Europa zu steigern. Der Start war eher verhalten: Im ersten Förderjahr konnten 3.244 Studierende aus den damaligen zwölf Gemeinschaftsstaaten, darunter knapp 700 Deutsche, zu einem mehrmonatigen Auslandsstudium bewogen werden. Das hat sich inzwischen geändert.

25 Jahre danach stellt sich ERASMUS als ein wirkliches Erfolgsprogramm dar: Rund drei Millionen Studierende aus jetzt 33 Ländern Europas haben die Gelegenheit wahrgenommen, für einen Teil des Studiums ins Ausland zu gehen. Deutschland zählt dabei mit über 400.000 Geförderten zu den Ländern mit den mobilsten Studierenden. ERASMUS trägt auch erheblich dazu bei, dass inzwischen jeder dritte deutsche Hochschulabsolvent einen temporären Auslandsaufenthalt vorweisen kann, davon sechzig Prozent in Westeuropa. Gefragte Zielländer sind vor allem Großbritannien, Frankreich und Spanien. Besonders mobil sind Studierende der Wirtschaftswissenschaften sowie der Sprach- und Kulturwissenschaften. Auch die Zahl der deutschen Studierenden, die ihr gesamtes Studium im Ausland absolvieren, ist mit 127.000 beachtlich und hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Achtzig Prozent davon studierten in Westeuropa.

 

Mobilität steigern

Deutsche Studierende gehören also erfreulicherweise zu denen, die eingesehen haben, dass sich ein Studienaufenthalt im Ausland lohnt. Ein weltoffenes und exportorientiertes Land braucht viele kluge und innovative Köpfe mit internationaler Erfahrung in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Bund und Länder streben in ihrer Internationalisierungsstrategie für die Hochschulen gemeinsam mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) an, dass jeder zweite Hochschulabsolvent im Laufe seines Studiums studienbezogene Auslandserfahrungen sammelt. Um die Mobilität weiter zu steigern, müssen ihre Rahmenbedingungen weiter verbessert werden. So müssen mehr Stipendien bereitgestellt werden, denn noch immer gilt bei den Studierenden eine fehlende Finanzierung als größtes Hindernis für einen Auslandsaufenthalt. Das neue ERASMUS-Programm der Europäischen Union (EU) mit einer deutlichen Erhöhung der Stipendienmittel wird ab 2014 hier einen erheblichen Beitrag leisten. Eine signifikante Steigerung der Mobilität kann aber nur gelingen, wenn zusätzlich auch die nationalen Fördermittel aufgestockt werden.

Als weiterer wichtiger Entscheidungsgrund gegen ein Auslandsstudium wird eine erwartete Verlängerung des Studiums vorgebracht, etwa wegen fehlender Anerkennung der im Ausland erbrachten Studienleistungen – ein Argument, das im Zuge der Bologna-Reformen längst entkräftet sein sollte, gerade in Deutschland aber immer noch zutrifft. Zwar hat sich die Anerkennungsrate mit der Einführung von Bachelor und Master und mit der Nutzung des Europäischen Systems zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen (European Credit Transfer and Accumulation System, ECTS) in den letzten Jahren verbessert, ist aber im europäischen Vergleich noch stark zu optimieren. Letztlich müssen trotz erfreulicher Fortschritte auch die Curricula konsequent mobilitätsfreundlich gestaltet werden und Auslandsfenster vorsehen. Die Entwicklung gemeinsamer Studiengänge, wie sie etwa vom DAAD oder von ERASMUS Mundus unterstützt wird, bietet dazu eine gute Gelegenheit.

 

Persönlich erlebbar

Die Mehrzahl der auslandsmobilen Studierenden berichtet von prägenden Erfahrungen: neuen Freundschaften, verbesserten Fremdsprachenkenntnissen, Gewinn an Selbstständigkeit und neuen Perspektiven auf das Gastland, aber auch auf die Heimat. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten des DAAD und des ERASMUS-Programms haben dazu hervorragende Belege geliefert. Mit Blick auf die Erfahrungen in Europa berichten deutsche ERASMUS-Studierende in der Publikationsreihe Generation Erasmus. Auf dem Weg nach Europa des DAAD über ihren Aufbruch aus den vertrauten Lebensverhältnissen und darüber, was der Aufenthalt im europäischen Ausland bewirkt hat: Weltoffenheit, Entwicklung eines europäischen Lebensgefühls, Mobilitätsbereitschaft, Flexibilität in den Denkweisen und Vertrautheit mit verschiedenen Sprachen und Gedankenwelten. ERASMUS ist zu einem Synonym für europäische Erfahrung und das Zusammenwachsen Europas geworden und damit zu einer überzeugenden Erfolgsgeschichte, die dazu beigetragen hat, dass das gemeinschaftliche Europa nicht nur als politisches und wirtschaftliches Projekt existiert, sondern durch die Begegnungen mit Menschen und Kulturen anderer europäischer Länder konkret und persönlich erlebbar auch in den Herzen verankert wird.

Damit ist eine wichtige Voraussetzung geschaffen, um auch in Zeiten der europäischen Finanz- und Wirtschaftskrise und wachsender Euroskepsis für ein solidarisches Miteinander und Handeln einzutreten und gemeinsam Wege aus der Krise zu finden. Zu diesen europapolitischen Themen ist jedoch zumindest in den öffentlichen Diskursen aus den Reihen der zahlreichen ehemaligen ERASMUS-Studierenden, die nach Umfragen zu den überzeugtesten Europäern gehören und zum Teil inzwischen prominente berufliche Positionen einnehmen, leider wenig zu hören. Vermutlich müssen auch die Politiker das Potenzial dieser auslandserfahrenen Europäer konsequenter für ihre Überlegungen und Debatten nutzen. EU-Kommissionspräsident José Barroso hat dazu anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU in Oslo ein gutes Beispiel gegeben, als er mit ERASMUS-Studierenden über die Krise und die Zukunft Europas diskutierte.

 

Arbeit und Qualifikation für junge Menschen

Selbstverständlich braucht es mehr als politische Debatten, um die Stabilität und die Einheit der EU und ganz Europas zu sichern. Vor allem gilt es, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um den jungen Menschen neue Perspektiven zu eröffnen. Auf politischer Ebene haben die Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel daher Beschäftigungsprogramme beschlossen, um die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa zu bekämpfen, die etwa in Spanien und Griechenland über fünfzig Prozent beträgt. Sie haben aber auch erkannt, dass zur Sicherung der Staatengemeinschaft und zum Erhalt der Zukunftsfähigkeit von Europa vor allem in die Bildung investiert werden muss, und daher insgesamt 14,7 Milliarden Euro für das neue Bildungsprogramm ERASMUS plus für die Jahre 2014 bis 2020 bereitgestellt. Davon werden rund vier Millionen Jugendliche in Europa aus allen Bildungsbereichen profitieren, darunter allein zwei Millionen Studierende. Diese können sich mit dem Programm zusätzliche internationale Kompetenzen im Ausland erwerben und damit ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern.

 

„Europa macht Schule“

Dabei darf aber gerade mit Blick auf die Zukunft und den Zusammenhalt Europas nicht vergessen werden, dass die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit der jungen Generation nicht das alleinige Ziel des Studierendenaustauschs in Europa sein darf. Vielmehr muss die Mobilität künftig noch bewusster als jetzt auch zur Bildung eines europäischen Gemeinsinns und einer europäischen Identität beitragen. Dazu können europäische Lehrinhalte, das Lernen von Fremdsprachen, aber auch Projekte wie das vom DAAD koordinierte „Europa macht Schule“ beitragen, bei dem ausländische Gaststudierende in deutschen Schulen ihr europäisches Heimatland vorstellen und mit den Schülern interkulturelle Themen erarbeiten. Die vielfältigen Chancen, die junge Generation für Europa zu begeistern, müssen entschlossen genutzt werden.

 

Margret Wintermantel, geboren 1967 in Bruchertseifen (Westerwald), seit 2012 Präsidentin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes e. V.

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