In der Diskussion um schwindende Unterstützung von Parteien, den Rückgang der Mitgliedschaften und um neue Beteiligungsmöglichkeiten wird oft eine wichtige Stellschraube übersehen: die Mitglieder selbst. Ihre Erwartungen und Wünsche, etwa mehr Partizipation und Beteiligung, die sie jeweils sehr individuell und womöglich auch emotional und ideologisch bis idealistisch mit einer Partei verbinden, werden, so scheint es, mitunter von Parteiführungen, aber auch von der massenmedial produzierten Öffentlichkeit ausgeblendet (vergleiche Seeliger/Richel in ZEIT Campus Nr. 04/2013).
In der öffentlichen Diskussion wie innerhalb der Parteien dominiert der „Blick von oben“, eine Zentrierung auf die Führungsebene, auf Funktionäre und Spitzenpolitiker sowie deren politische Strategien. Die Strategien der Spitzenpolitiker sind besonders in den medialen Diskursen meist interesseleitend und bestimmen die Diskussion darüber, was eine politische Position strategisch oder taktisch bedeutet, was mit ihr intendiert gewesen sein könnte und was nicht. Die Fakten geraten dabei ebenso ins Hintertreffen wie die Substanz politischer Prozesse: der Streit um Konsens- und Entscheidungsfindung nach Abwägung verschiedener Lösungsmöglichkeiten für ein Problem. So konzentriert sich die Darstellung von Politik immer weniger auf diese selbst als vielmehr auf das vermutete „Dahinter“ – eine Meta-Ebene, die dem Verständnis von Politik nicht gerade zuträglich erscheint. Eine solch verzerrende Darstellung wirkt sich – logischerweise – auch auf Parteimitglieder aus, die ihre Informationen über „ihre“ Partei nicht nur aus parteiinternen Medien, sondern vermehrt über die Massenmedien beziehen. Parteimitgliedschaft ist traditionell gesehen ein wichtiger Ort gesellschaftlicher und politischer Teilhabe; das klingt zwar angestaubt, sollte aber neu bedacht werden.
„Mehrwert“ der Mitgliedschaft?
Etwas – politisch rückgekoppelt – zu bewegen, zu ändern oder auch beibehalten zu wollen, sind Motive, einer Partei beizutreten. Auch sich für andere einzusetzen und Werte zu vertreten, sind Motive, einer politischen Vereinigung anzugehören und sich ihr zugehörig zu fühlen. Abgesehen davon lassen sich in Parteien, wie in anderen Gruppen auch, Gemeinschaft und Gesellschaft unmittelbar erleben sowie die individuellen Fähigkeiten zur Argumentation und Diskussion schulen. Das sind alles schöne Werte und sicherlich gute Gründe für eine Parteimitgliedschaft, doch wie ist es konkret um diese bestellt in Zeiten, in denen insbesondere die traditionellen und traditionsreichen großen Parteien an Mitgliedern und Zuspruch verlieren – ohne eine gesicherte Prognose auf deren Zukunft? Was ist in einer informationsüberfluteten, schnelllebigen und selbstbezogenen Zeit die Mitgliedschaft in einer Partei noch „wert“, wo liegt ihr „Mehrwert“, um es ökonomisch auszudrücken? Diese Fragen gilt es genauer zu betrachten: Muss sich immer alles lohnen? Muss jede Beteiligung auch praktisch verwertbar sein? Gibt es noch – zumindest partiell – altruistische Handlungen und Orientierungen am „Allgemeinwohl“? In den Motiven oder Erwartungen der Mitglieder beziehungsweise potenzieller Mitglieder haben sich Veränderungen (wie Forderungen nach mehr Mitbestimmung und Dialog im Sinne eines Mehr an Basisdemokratie) ergeben, die der klassischen Mitgliedschaft teilweise entgegenstehen (Spier et al. 2012). Zudem könnten sich Parteien derart von gesellschaftlichen Gruppen und individuellen Befindlichkeiten und Bedürfnissen (wie einem „Mehrwert“) entfernt haben, dass sie Letztere nicht mehr spiegeln und auffangen und auf das gesamte politische Gebilde projizieren können.
Die Gründe dafür, dass immer weniger Menschen in Parteien organisiert sind, versucht die Parteienforschung schon länger zu erklären (zum Überblick etwa Niedermayer 2013; Wiesendahl 2012). Zum einen liegen sie sicherlich in den Parteien und ihren internen und schwer durchschaubaren Entscheidungs- und Machtstrukturen selbst, die sich über Jahrzehnte herausgebildet haben. Diese Strukturen zu verstehen, sich ihnen anzupassen und sie womöglich auch verändern und modernisieren zu wollen, bedarf mühsamer Arbeit und einer Zurücknahme des eigenen Egos – nicht aber der eigenen Ideen. Genau die gegenteilige Haltung ist aber inzwischen immer häufiger zu beobachten; viele verharren aus einem Ohnmachtsgefühl heraus in Schweigen und Inaktivität (Seils im Tagesspiegel online, 26. November 2012). Hinzu kommt: Unsere stark individualisierte, leistungs- und nutzenorientierte Gesellschaft führt Etiketten wie „Nachhaltigkeit“ und „Entschleunigung“ oder gar „Entspannung“ zwar gerne ins Feld, tatsächlich aber wagt es kaum noch jemand, aus dem Hamsterrad der gesellschaftlichen, ökonomischen und sozialen Produktion auszubrechen. Jeder ist sich selbst der nächste – so scheint das unhinterfragte Credo zu lauten. Eine Alternative zu solch individualisierten Einstellungen der Mehrheitsmeinung ist nicht in Sicht.
Füreinander einstehen
Für den „Mehrwert“ von Parteiengagement gilt: Nicht nur das Erleben von Gemeinschaft und das individuelle Einüben von Rhetorik können einen Mehrwert bieten, sondern auch die Sorge um das und der Dienst am Allgemeinwohl, das Einstehen für Werte (im Sinne einer „Bürgerpflicht“) und politische Ideen. Parteien sind mit Fußballvereinen nicht zu vergleichen, auch wenn sich die Mitgliederversammlungen mitunter ähneln. Politische Parteien zeichnen Allgemeinwohlorientierung und eine dahinterstehende gesellschaftliche Aggregationsfunktion aus. Das heißt nichts anderes, als dass Parteien dafür zuständig sind, die Befindlichkeiten und Meinungen der Bürger – nicht nur ihrer Mitglieder – in das politische System hinein zu transportieren und zu übersetzen. Insofern fungiert jedes einzelne Mitglied als Element dieses Bündelungsprozesses und übernimmt eine Teilfunktion bei der politischen Willensbildung. Dadurch, dass sich Parteimitglieder auch in anderen sozialen Sphären wie Sport- oder Kulturvereinen aufhalten und engagieren, vermitteln sie Ansichten in Parteien hinein, die diesen nicht unmittelbar entstammen und teilweise vielleicht radikaler sind als jene der Führung oder der Anhänger beziehungsweise der Wähler ebendieser Partei (Spier 2012). Mitglieder übernehmen also eine wichtige Kommunikationsfunktion.
Wie kann nun die schwindende Mitgliederbasis in dieser Funktion gestärkt werden? Eine engere kommunikative Anbindung an die Führungsebene wäre eine Möglichkeit. Das würde bedeuten, nicht nur Mitgliederentscheide über Regierungs- und Koalitionsbeteiligungen zu führen, sondern den Austausch und die individuellen Kontakte der Funktionäre mit „normalen“ Mitgliedern vor Ort zu pflegen. Dies ist langfristig ein mühsamer Dialog, da er kontinuierlich – abseits von politischen Eigenzeiten wie Wahlkämpfen – geführt werden muss. Grundsätzlich beruht ein solcher innerparteilicher Austausch auf gegenseitigem Interesse und Anerkennung: Die Funktionäre würden erfahren, wie die „einfachen“ Menschen denken, und die Mitglieder, welche Zwänge und Nöte auf der politischen Entscheidungsebene zu bewältigen sind. Dies würde – im Idealfall – zu mehr Verständnis auf beiden Seiten führen und zu mehr Wertschätzung, die wiederum von den Mitgliedern nach außen getragen würde. So könnte ein Einstehen für das gemeinsame Füreinander gelingen. Das dadurch vorhandene Potenzial blieb bislang weitgehend ungenutzt, weil oft die machtpolitische Frage im Mittelpunkt steht, wer welche Position bekleidet. Eine verordnete Strukturreform würde das Gefühl der Mitglieder und Sympathisanten, nicht mitgenommen zu werden, nur verstärken. Eine große Partei mit dem Anspruch, Volkspartei zu sein, müsste deshalb zunächst eruieren, wie ihre internen Kommunikationsstrukturen womöglich zugunsten erhöhter Transparenz gegenüber den „einfachen“ Mitgliedern verändert werden könnten. Dies könnte ermöglichen, dass auch Ideen und Vorschläge „von unten“ berücksichtigt und umgesetzt werden könnten.
Wertschätzende Diskussionskultur
Voraussetzung dafür ist eine offene und wertschätzende Diskussionskultur, die geschaffen oder verbessert werden muss, um den grundsätzlich an Politik interessierten Menschen zu zeigen, dass sie auch heutzutage in Parteien noch etwas bewirken können. Das ist genuine Aufgabe jener Mitglieder, die an der Basis wirken. Sie leben in ihren Dörfern und Gemeinden vor, was es heißt, in einer Partei Mitglied zu sein und sich für die Gemeinde zu engagieren. Die Führung einer Partei kann hier unterstützend oder auch behindernd einwirken. Ein von der Basis beförderter Kommunikationsprozess, der den dezentralen, föderalen Strukturen einer Partei entspricht, nimmt eine Verankerung der Parteimitlieder an der gesellschaftlichen Basis vor. Denn nur, wenn sich Anhänger, Unterstützer und vor allem Mitglieder mitgenommen, ernst genommen und angenommen fühlen, kann auch eine Wertschätzungskette von unten nach oben in Gang gesetzt werden, die die Ideen und das Potenzial der an der Basis Arbeitenden aktiv für die Parteiarbeit und deren Entwicklung nutzbar macht. Dann ist eine große Partei auf dem Weg, ihre alten Verbindungen zum „Volk“, also zu ihrer Wählerschaft, neu aufzunehmen und aufleben zu lassen. Doch dies muss aktiv gewollt, unterstützt und zugelassen werden. Das bedeutet nicht weniger als eine kommunikative Neudeutung der inneren Parteikommunikationskultur, die sich der gegenseitigen Wertschätzung und dem Respekt jeweiliger Ideen und Bedürfnisse verschrieben hat.
Isabelle Borucki, geboren 1981 in Friedrichshafen, Politikwissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin (Akademische Rätin a. Z.) am Lehrstuhl für Regierungslehre, Westliche Regierungssysteme der Universität Trier.
Literatur
Niedermayer, Oskar: „Parteimitgliedschaften“, in: Oskar Niedermayer (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Springer VS, Berlin 2009, S. 147–177.
Spier, Tim / Alemann, Ulrich von / Hoffmann, Hanna / Klein, Markus / Laux, Annika / Nonnenmacher, Alexandra / Rohrbach, Katharina (Hrsg.): Parteimitglieder in Deutschland, VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, Wiesbaden 2012.
Wiesendahl, Elmar: „Partizipation und Engagementbereitschaft in Parteien“, in: Tobias Mörschel und Christian Krell (Hrsg.): Demokratie in Deutschland. Zustand – Herausforderungen – Perspektiven, VS Verlag, Wiesbaden 2012, S. 121–157.