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Welternährung und Klimaschutz

by Joachim von Braun

Was wir in Deutschland dafür tun sollten

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Der Klimawandel hat bereits heute gravierende Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung. Klimaschutzpolitik betrifft nicht die fernere Zukunft, sondern sie ist jetzt erforderlich. Weltweit sind etwa 821 Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheiten betroffen. Die Zahl der Hungernden nimmt seit 2014 wieder zu. Hauptursache für diese Entwicklung sind die durch den Klimawandel verstärkten extremen Wetterereignisse, aber auch militärische Konflikte und eine Verlangsamung des wirtschaftlichen Wachstums in einigen Entwicklungsländern.1 2017 verursachten extreme Wetterereignisse weltweit wirtschaftliche Verluste von 326 Milliarden US-Dollar.

Es werden Produktionseinbußen bei Mais, Reis, Weizen und Soja um neun Prozent bis 2030 und um 23 Prozent bis 2050 erwartet, wenn nicht grundlegende Änderungen in Politik und Innovation erfolgen.2 Die weltweite Versorgungslage ist somit bedroht. Die Produktivität und Widerstandsfähigkeit des globalen Nahrungsmittelsystems muss rasch verbessert werden, wie etwa der weltweite Verbund der 130 Akademien der Wissenschaften (InterAcademy Partnership, IAP) jüngst gefordert hat.3 Erhebliche zusätzliche öffentliche und private Investitionen in das gesamte Nahrungsmittelsystem sind nötig, um das Angebot an gesunden Lebensmitteln zu erweitern.

Der Klimawandel trägt zu Degradation, Versalzung und Qualitätsverlusten der Böden bei. Untersuchungen des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn haben einen globalen Verlust durch Bodendegradation von etwa 300 Milliarden US-Dollar pro Jahr ermittelt.4

Das gesamte Agrar- und Ernährungssystem muss „Klima-smart“ werden. Einzelne Maßnahmen sind nicht ausreichend. Nachhaltige Anbaumethoden sind ein wichtiger Teil der Anpassung. Voraussetzung für eine nachhaltige Landwirtschaft sind gesicherte Landnutzungsrechte, da sonst die Anreize für langfristige Investitionen fehlen. Kleinbäuerliche Strukturen sind und bleiben noch lange das prägende Strukturmerkmal der afrikanischen und asiatischen Landwirtschaft. Wichtig ist die Stärkung ihrer Resilienz durch überbetriebliche Kooperation und Dienstleistungen. Kleine Betriebe sollten aber nicht idealisiert werden.

 

In Bioökonomie investieren

 

Der Agrar-, Klima- und Ökologieforschung sollte höhere Priorität beigemessen werden. Pflanzenzüchtung für angepasste Sorten, klimagerechte Tierhaltung, Präzisionslandwirtschaft, nachhaltige Stickstoff- und Phosphatdüngung werden auch in Entwicklungsländern immer notwendiger. Der beschleunigte Klimawandel bewirkt rasche Veränderungen der Standorte der Nahrungsproduktion. Eine Neubewertung der modernen genetischen Methoden sollte auf wissenschaftlicher Basis in Angriff genommen werden. In gesetzlichen Regelungen sollte eine differenzierte Regulierung der Genom-Editierung vorgenommen werden, denn diese ist nicht mit der früheren Gentransfertechnik vergleichbar, die zum Beispiel die heutigen europäischen Regulierungen definiert.

Hitzewellen, Luftverschmutzung sowie die zunehmende Ausbreitung von klimasensiblen Infektionskrankheiten5 und Pilzbefall der Feldfrüchte (Aflatoxine) belasten die menschliche Gesundheit weltweit sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern.6 Frauen in Entwicklungsländern sind besonders stark betroffen, da sie oft nur über begrenzte Ressourcen verfügen, um Anpassungsmaßnahmen vorzunehmen. Frauen stellen zudem einen wichtigen Anteil der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte in Entwicklungsländern dar.7

Es wäre ineffizient, wenn sich die deutsche Klimapolitik auf Deutschland beschränkte. Das Klima ist ein globales System, und die Situation der Entwicklungsländer muss mit bedacht werden, wenn wir in Klimapolitik investieren. Eine solide Klimapolitik ist keine isolierte Politik, sondern Teil einer Ordnungspolitik, die auf der Basis der Sozialen Marktwirtschaft entwickelt werden muss und ethischen Prinzipien wie Fairness, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit folgt.

Klimabedingter Hunger ist nicht als ein isoliertes Feld der Entwicklungszusammenarbeit zu verstehen. Derzeit spielt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit eine weltweit gute, wichtige und führende Rolle bei der Förderung von Agrarentwicklung und Ernährungssicherung. Deutschland wendet für Ernährungssicherung und ländliche Entwicklung über 1,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr auf und nimmt mit den USA und Japan eine Spitzenstellung ein. Das ist auch erforderlich, denn das beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau gegebene Versprechen, 500 Millionen Menschen bis 2030 aus Hunger und Unterernährung zu bringen, erfordert erhöhte Anstrengungen.

Deutschland sollte verstärkt in eine nachhaltige Bioökonomie investieren, im eigenen Land wie international. Dies beinhaltet, die Klimapolitikmaßnahmen nach Artikel 6 des Pariser Abkommens zu realisieren, also Klimagase zu kompensieren, etwa durch Investitionen in Entwicklungsländern in CO2-Sequestrierung, in Land- und Forstmaßnahmen und eine nachhaltige Holznutzung und Energieentwicklung. Eine stärkere Nutzung von Innovationen im Agrar- und Energiesektor der Entwicklungs- und Schwellenländer würde die Verteilungswirkungen und die Effizienz der Klimapolitik Deutschlands verbessern. Die Aufforstung ehemaliger Waldgebiete ist aufgrund der ökologischen Vorteile zu befürworten.8 Ein wichtiges konkretes deutsches Engagement zusammen mit europäischen und afrikanischen Partnern könnte darin bestehen, in der Sahel-Region und am Horn von Afrika nachhaltige dezentrale Energiesysteme im ländlichen Raum aufbauen zu helfen (Solar-, Windenergie) und eine nachhaltige und produktive Land- und Forstwirtschaft zu fördern, die in Kombination mit der Energieentwicklung CO2 einsparen und Beschäftigung fördern könnte.

 

Verändertes Konsumverhalten erforderlich

 

Der Übergang zu einer stärker pflanzlich basierten Ernährung in Industrieländern im Einklang mit Richtlinien für eine gesunde Ernährung könnte die globale Sterblichkeit um sechs bis zehn Prozent und die durch Lebensmittel verursachten Treibhausgasemissionen bis 2050 deutlich senken.9 Derzeit wird etwa ein Drittel der produzierten Lebensmittel weltweit verschwendet oder geht nach der Ernte verloren. Während in Entwicklungsländern die Lebensmittelabfälle hauptsächlich in der Produktions- und frühen Nacherntephase entstehen, fallen sie in Ländern mit hohem Einkommen oftmals beim Verarbeiter, im Supermarkt und beim Verbraucher an. Die Verringerung solcher Abfälle würde die Treibhausgasemissionen aus den Nahrungsmittelsystemen, die bei Herstellung, Lagerung und Transport anfallen, proportional reduzieren.10

Es gibt eine Vielzahl preislicher und anderer Anreizinstrumente, um eine Umstellung auf die erwähnten Verhaltensmuster zu erreichen, Bildungsmaßnahmen sollten jedoch Priorität haben. Diese beinhalten neben Steuern und Vorschriften auch sogenannte „Nudges“ (deutsch: „Anstubser“), wie zum Beispiel die Bereitstellung von Informationen über nachhaltigen Konsum und Aufklärungskampagnen, die darauf abzielen, eine Verhaltensänderung beim Konsumenten auszulösen. Die „Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit 2030“11 hat dies in Arbeit. Eine CO2-Bepreisung bietet ebenfalls Anreize zur Veränderung des Konsumverhaltens. Nachhaltiger Konsum und die Chancen und Grenzen seiner positiven externen Effekte müssen Forschungspriorität in Industrieländern einschließlich Deutschlands gewinnen.

 

Entwicklungspolitisches Klimapaket

 

Die Folgerungen für ein entwicklungspolitisches Klimapaket lassen sich in sieben Punkten skizzieren:

Erstens: Deutsche Klimapolitik muss global wirken, Entwicklungs- und Schwellenländer mitdenken, darf nicht isoliert geplant werden. Das Pariser Abkommen und die von den Vereinten Nationen ausgerufenen Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) sind die Richtschnur, auch für internationales Investitions-Engagement.

Zweitens: Die systemische Antwort auf die Klimakrise ist die schrittweise Abkehr von einer auf fossilen Energieträgern basierten Wirtschaft hin zu einer nachhaltigen Bioökonomie in einer vermehrt zirkulären Wirtschaft mit nachhaltigen Energiesystemen.

Drittens: Die Welternährung ist durch den Klimawandel bedroht. Dies erfordert global wirksame Maßnahmen, bei denen Europa und Deutschland eine wichtige Rolle übernehmen können und dies auch tun sollten.

Viertens: Landwirtschaft ist Teil der Ursachen des Klimawandels und zugleich besonders leidtragend aufgrund des Klimawandels. Landwirtschaft in den Entwicklungsländern muss stabilisiert und auf einen nachhaltigen Wachstumspfad gebracht werden. Die Zukunft von etwa drei Milliarden Menschen im ländlichen Raum der Entwicklungsländer hängt davon direkt ab. Innovation ist wichtiger Teil der Antworten auf diese Herausforderung, und Deutschland sollte dazu mit seinen Forschungskapazitäten einen signifikanten Beitrag leisten.

Fünftens: Nachhaltiger Konsum in den Industrieländern, also auch in Deutschland, ist zur Erreichung der Klimaziele notwendig. Anreize für eine nachhaltige Ernährung und Reduzierung der Lebensmittelverschwendung müssen verstärkt werden.

Sechstens: Den Hunger bis 2030 zu beenden – wie im SDG2 gefordert – ist noch möglich, aber nicht mit dem gegenwärtigen Einsatz an Mitteln und nicht ohne Politikänderungen sowohl in Entwicklungsländern als auch bei uns.

Siebtens: Ein großes entwicklungspolitisches Programm in der Sahel Region und am Horn von Afrika, das Klimapolitik nach Artikel 6 des Pariser Abkommens (Kompensation deutscher Klimagase) mit nachhaltiger Land- und Forstwirtschaft, Infrastruktur und ländlicher Energieversorgung verbindet, wäre wegweisend und eine notwendige Flankierung der Sicherheitspolitik in der Region.

 

1 FAO/IFAD/UNICEF/WFP/WHO: The State of Food Security and Nutrition in the World 2018. Building climate resilience for food security and nutrition, Rom 2018.

2 Haile, Mekbib G. / Wossen, Tesfamicheal / Tesfaye, Kindie / Braun, Joachim von: „Impact of Climate Change, Weather Extremes, and Price Risk on Global Food Supply“, in: Economics of Disasters and Climate Change, Ausgabe 1, Juni 2017, S. 55–75.

3 InterAcademy Partnership (IAP): Opportunities for future research and innovation on food and nutrition security and agriculture. The InterAcademy Partnership’s global perspective. Synthesis by IAP based on the four regional academy network studies. Triest / Washington D. C. 2018.

4 Nkonya, Ephraim / Mirzabaev, Alisher / Braun, Joachim von (Hrsg.): Economics of land degradation and sustainable land management, Springer Verlag, Heidelberg 2016.

5 Watts, Nick, et al.: „The 2018 report of the Lancet Countdown on health and climate change: shaping the health of nations for centuries to come“, in: The Lancet, 392. Jg., Nr. 10163, S. 2479–2514,  November  2018.

6  Ramanathan, Veerabhadran / Sanchez Sorondo, Marcelo / Dasgupta, Partha / Braun, Joachim von / Victor, David G.: „Climate Extremes and Global Health“, in: Foreign Affairs, 31.07.2018.

7 Doss, Cheryl / Meinzen-Dick, Ruth / Quisumbing, Agnes / Theis, Sophie: „Women in agriculture: Four myths“, in: Global Food Security, Bd. 16, S. 69–74, März 2018; Njiraini, G. / Ngigi, M. / Baraké, E.: Women in African Agriculture: Integrating Women into Value Chains to Build a Stronger Sector, ZEF Working Paper 175 (2018), Universität Bonn.

8   Mbow, Cheik, et al.: „Achieving mitigation and adaptation to climate change through sustainable agroforestry practices in Africa“, in: Current Opinion in Environmental Sustainability, 6. Jg., Februar 2014, S. 8–14.

9  Springmann, Marco, et al.: „Analysis and valuation of the health and climate change cobenefits of dietary change“, in: Proceedings of the National Academy of Sciences, 113 Jg., Nr. 15/2016, S. 4146–4151.

10 Siehe Ergebnisse einer Konferenz der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, 2019, www.casinapioiv.va/content/accademia/en/events/2019/food_waste.html [letzter Abruf: 02.12.2019].

11 Siehe  Wissenschaftsplattform,  www.wpn2030.de  [letzter  Abruf:  02.12.2019].

 

Joachim von Braun geboren 1950 in Brakel, Altstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung und Präsident der Päpstlichen Akademie in Rom, Professor für wirtschaftlichen und technologischen Wandel,  Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

 

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