„[…] Wenn es so etwas wie politische Ziele eines ganzen Parlamentes gibt, dann ist es doch, dass Deutschland mit seinen 16 Ländern und vielen Standorten besonders attraktiv für junge Leute und Talente aus aller Welt ist. Deutschland muss auch in den nächsten Jahren Talentschmiede sein. […] Wenn man mich fragt, was ich in all den Jahren in der Politik getan habe, antworte ich, dass ich in Wirklichkeit nur ein Thema hatte: die Zukunftschancen der jungen Generation. Ich bin zutiefst davon überzeugt: Es ist eine der vornehmsten Aufgaben jeder guten und überzeugenden politischen Kultur, nicht gegenwartsverliebt zu agieren und sich nicht in dem zu erschöpfen, was hier und heute wichtig ist, sondern bei allen Entscheidungen und allen Projekten den Blick auch auf die nächste Generation zu richten, auf deren Kreativität, auf deren Gestaltungswillen, auf deren Leistungsbereitschaft und auf deren Talente. […] wir werden es in diesem Parlament nicht akzeptieren und nie akzeptieren dürfen, dass 25 Prozent der jungen Erwachsenen im Alter bis 25 Jahre in Europa ohne Berufsperspektive sind. Das ist ein europäischer Skandal. Wir in Deutschland haben viele Möglichkeiten, aufgrund unserer Erfahrungen deutlich zu machen, wie europäische Weichenstellungen aussehen können. […] Das Bildungssystem in Deutschland spiegelt unsere Überzeugung wider […], dass eben nicht nur das akademische Studium der Königsweg ist, sondern dass anspruchsvolle berufliche Bildung, die damit verbundenen Berufsbilder und die damit verbundene berufliche Selbstständigkeit für uns gleichbedeutend und gleichwertig sind. Deshalb dürfen wir uns in diesem Parlament nicht verrückt machen lassen. Die große Bandbreite unseres Bildungssystems ist seine Stärke; sie sollte zu einer europäischen Stärke werden. […]
Wenn Bildung und Forschung für uns die Quellen künftigen Wohlstands sind und wenn wir davon überzeugt sind, dass die Zukunftschancen der jungen Generation nur gewahrt, gestärkt und verbessert werden können, wenn wir die Quellen des künftigen Wohlstands pflegen, dann ist das, was in der Kulturpolitik geschieht, die Quelle des kulturellen Wohlstands. Auch das gehört zur Attraktivität unseres Landes. Auch das gehört zu dem, was junge Leute in Deutschland und in Europa suchen: kulturelle Substanz; Orte, an denen deutlich wird, von welchen Überzeugungen die Gesellschaft in Deutschland und die europäischen Gesellschaften geprägt sind, was die geistige und spirituelle Substanz dieses Kontinentes ausmacht oder, wie Jacques Delors einmal gesagt hat, was die Seele Europas ausmacht. […] gerade angesichts der Veränderungen und der noch nicht überwundenen Finanzkrise gehört zu den großen Leistungen der Bundesregierung, […] dass sie in diesem Haushalt an ihren Prioritäten festhält: […] Bildung und Forschung, die Kräfte des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft, die kulturelle Substanz und der große internationale Einsatz. […]
Meine Fraktion hat mir die Gelegenheit gegeben, heute diese wenigen Worte zu einem Thema zu sagen, das mich zeit meines politischen Lebens innerlich bewegt hat. Dafür danke ich sehr. Ich danke für gutes Miteinander und faires Ringen im Hohen Hause. Ich danke auch für die Situationen, in denen nach einem Streit neue Gemeinsamkeit gewonnen werden konnte. Zur Gemeinsamkeit kommt man ja nicht ohne Streit; man muss zwischendurch auch streiten dürfen.
Ich war gerne Mitglied des Parlamentes. Ich war gerne in der Politik. Ich sage herzlichen Dank für gutes Miteinander und wünsche Ihnen allen, den Mitgliedern des Hohen Hauses, dem Parlament und den Mitgliedern der Bundesregierung, von Herzen persönliches Wohlergehen und Gottes Segen.
(Lang anhaltender Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, Beifall bei der LINKEN. Die Abgeordneten der CDU/ CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN sowie die Mitglieder der Bundesregierung erheben sich.)“
Annette Schavan, geboren 1955 in Jülich, 2005 bis 2013 Bundesministerin für Bildung und Forschung, ab Sommer 2014 Botschafterin Deutschlands beim Heiligen Stuhl.
Aus den Stenographischen Berichten des Deutschen Bundestages, Mittwoch, 25. Juni 2014: www.bundestag.de/blob/285130/ca183b73a92b5a73ad47d302323757aa/18042-data.txt