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Die islamistischen Netzwerke im Norden Deutschlands

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Am Anfang beten junge Männer gemeinsam in einer kleinen Hinterhofmoschee in Pinneberg (Schleswig-Holstein). Am Ende wird einer von ihnen im Norden Syriens getötet. Immer mehr junge Männer schließen sich dem bewaffneten Kampf in Syrien und damit Terrorgruppen wie dem „Islamischen Staat“ an. Viele der Ausreisewilligen aus Deutschland sind eingespannt in islamistische Netzwerke, deren Hierarchien für Außenstehende nur schwer zu durchschauen sind, weil sich vieles in kleinen Zirkeln abspielt. Dahinter stehen oft jahrelang gewachsene Strukturen – und im Fall der Schleswig-Holsteinischen „Zelle“ ein mittlerweile verbotener Verein, der immer noch Anhänger in ganz Deutschland hat.

Auch wenn es den Verein "Millatu Ibrahim" offiziell nicht mehr gibt, seine ehemaligen Mitglieder bilden immer noch die Speerspitze des Islamismus in Deutschland, sagt Extremismus-Forscherin Claudia Dantschke vom Zentrum für Demokratische Kultur Berlin: "Schwerpunktmäßig ist Millatu Ibrahim dieses Netzwerk gewesen, aus dem die meisten Jugendlichen für den Dschihad geworben werden. Es ist eine dschihadistische Jugendkameradschaft, die den Jugendlichen den Weg Richtung Syrien oder Irak ebnet."

Anfang 2011 ist der Pinneberger Salim O. 26 Jahre alt. Er wohnt in einem Hochhaus, nur ein paar Schritte von der Moschee entfernt. Fast täglich sind er und seine Freunde dort. Salim O. gehört dem Vorstand der As-Sunnah-Moschee an, in der damals einer der neuen Vorzeigeprediger des Salafismus in Pinneberg zu den Jugendlichen spricht - eine Art Popstar. Der Ex-Rapper Denis Cuspert aus Berlin, der der harten Musik und den Drogen abgeschworen hat und sich ganz dem Islam zuwendet. Er singt jetzt religiöse Lieder, sogenannte Nasheeds (siehe auch Jihadistische Hymnen und Gedichte).

Der Bürgerkrieg in Syrien hat gerade begonnen und in Deutschland fangen die Muslime an zu diskutieren, wie sie ihren Glaubensbrüdern helfen können. In dieser Zeit hat Cuspert, der sich fortan Abu Maleeq nennt, seine ersten öffentlichen Auftritte - auch in der Hinterhofmoschee in Pinneberg. "Wie könnt ihr schlafen, während Eure Geschwister fallen?", singt er damals in seinen Liedern, die er auch im Internet verbreitet. "Wir wollen den Dschihad." Heute lebt Cuspert irgendwo in Syrien und hat sich dem „Islamischen Staat (IS)“ angeschlossen. Er steht mittlerweile auf der Terrorliste der USA.

„In diesen Netzwerken findet eine Art Gehirnwäsche statt“, sagt Extremismusforscherin Dantschke. „Wenn die Eltern in irgendeiner Form versuchen diese Jungs umzustimmen, dann werden die Eltern zu Feindbildern. Die ganze Umgebung wird zum Feind aufgebaut.“

Die Biografien von Cuspert und Salim O. ähneln sich. Beide kommen in ihrer Jugend früh mit dem Gesetz in Konflikt und suchen Erlösung im Islam. Salim ist bereits mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Körperverletzung. Er macht Kampfsport.

"Die typische Biografie eines Salafisten", findet Sozialwissenschaftlerin Matenia Sirseloudi von der Universität Bremen: "Das sind Menschen, die sich in ihrer Jugend in ihrem Kontext nicht zurechtfinden oder die in ihrer Identitätsfindung sehr unglücklich sind. Und dann haben sie hier eine Struktur, die ihnen einen Heldenstatus verspricht."
Salim O. geht ganz im Islam auf. Er nimmt an Koranseminaren teil und verteilt das heilige Buch des Islam in den Fußgängerzonen im Norden. Doch die Moschee wird im Februar 2011 dicht gemacht.

Salim O. und seine Freunde, die teilweise im Umkreis von nur wenigen Straßen wohnen, treffen sich privat weiter. Sie gehören "Millatu Ibrahim" an, der "Gemeinschaft Abrahams", einer besonders militanten islamistischen Jugendorganisation. "Dieses Netzwerk ist sehr gefährlich, wie auch im Rechtsextremismus die Kameradschaftsszene gefährlich ist", sagt Claudia Dantschke. "Als Struktur war es das Gefährlichste, was wir im Dschihadismus in Deutschland hatten."

An Samstagen stehen sie in den Einkaufsstraßen im Norden: Junge Männer mit den typischen Salafisten-Bärten und weiten Hosen. Sie verteilen den Koran. Die Netzwerke von Salim O. und seinen Freunden wachsen: Sie gehen zu großen Spendenaktionen, u.a. des Vereins „Helfen in Not“, der im Visier des Verfassungsschutzes ist. Mit anderen Mitgliedern von „Millatu Ibrahim“ reisen sie nach Solingen und Bonn und gehen gegen die rechtsextreme „Pro NRW“ auf die Straße. Doch die Demo eskaliert, einzelne Islamisten greifen Polizisten an, verletzen sie teils schwer. „Millatu Ibrahim“ wird verboten. Die Netzwerke bestehen aber weiter. Die ersten aus der Gruppe setzen sich nach Syrien ab.

Dadurch erweitern sich die Kreise der norddeutschen Salafisten. Sie bauen Kontakte zu Islamisten in Großbritannien auf und treffen sich in Lübeck mit einem verurteilen Al Qaida-Mann, der wegen Gründung einer Terrororganisation in Haft saß. Extremismusforscherin Dantschke sieht darin eine Aufwertung der Gruppe um Salim O. Sie festigt ihren Status – nach außen und innen. Denn der Al Qaida-Mann soll laut interner Berichte des US-Geheimdienstes auch Kontakt zu den Hintermännern des 11. September gehabt haben.

Für Islamwissenschaftlerin Matenia Sirseloudi sind die Anschläge vom 11. September auch einer der Gründe, warum die islamistische Szene in Hamburg und Schleswig-Holstein so stark ist: "Der Nimbus der 9/11-Gang ist enorm." Dies könne auch international für eine große Attraktivität gesorgt haben. "Der Nimbus dieses großen Anschlags, der von Hamburg aus geplant wurde, hängt über der Region."

Die Netzwerke, die sich in der Hinterhofmoschee in Pinneberg aufgebaut haben, reichen mittlerweile bis nach Syrien. Mindestens 24 Menschen sind nach Angaben des Kieler Innenministeriums bis Ende des Jahres 2015 in den Nahen Osten gereist, ein Teil von ihnen aus dem Umfeld von "Millatu Ibrahim".

Es seien Menschen, die sich vertrauen, sagt Islamwissenschaftlerin Matenia Sirseloudi. "Das gefährliche sind die Verbindungen ins Ausland, die mittlerweile etabliert sind. Das ist eine Gruppe, die sehr brutal die Grundsätze des Dschihad umsetzt."

Einer der ersten Ausreisenden nach dem Vereinsverbot war der Ex-Rapper Denis Cuspert. Ihm folgte bald ein junger Salafist aus Husum. Anfang 2015 tauchte im Internet ein Video der "Deutschen Brigade Millatu Ibrahim in Syrien" auf. Denis Cuspert singt ein religiöses Kampflied und dirigiert einen Chor aus zwölf mutmaßlich deutschen Islamisten. Sie recken ihre Kalaschnikows, Panzerfäuste und Handgranaten in die Luft während sie singen: "Der Dschihad ist unser Leben!"

"Die geistigen Brandstifter, und dazu zähle ich Salim O.", sagt Extremismus-Forscherin Claudia Dantschke, "halte ich für gefährlicher als die paar Jungen, die nach Syrien gehen, sich über Facebook als die großen Männer stilisieren und dann irgendwo als Kanonenfutter enden."

Nach Angaben der Hamburger Staatsanwaltschaft hat Salim O. unter anderem Geld an einen weiteren jungen Mann übergeben: Gökhan C., der kurz darauf von Hamburg aus nach Syrien reist. Nur wenige Wochen nach seiner Ankunft im Herbst 2013 wird er im Norden von Syrien erschossen.

Simon Kremer

 

(Der Text beruht auf Recherchen des Autors für den Norddeutschen Rundfunk.)

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