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Nach den Regeln der Labour-Party werden jetzt Bewerber für die Nachfolge als Parteivorsitzender sechs Tage Zeit haben, zunächst die Unterstützung von mindestens 44 Unterhausabgeordneten (12,5% der Fraktion) zur Nominierung zu erhalten, um anschliessend in einem sechswöchigem „Wahlkampf“ die Voraussetzungen für die Abstimmung unter den Mitgliedern und schliesslich die förmliche Wahl auf einem Sonderparteitag – vermutlich am 24.Juni - zu schaffen. Nachdem die Bemühungen von Anhängern des Premierministers, einen gleichwertigen Gegenkandidaten zu Gordon Brown zu finden, mit den Absagen der Betroffenen endeten, ist davon auszugehen, das der jetzige Schatzkanzler nach teilweise quälenden Jahren des Wartens im Juli sein Ziel erreichen und zum Vorsitzenden seiner Partei und zum Premierminister gewählt wird.
Es ist nicht auszuschliessen, dass einer der links-gerichteten Hinterbänkler (Michael Meacher oder John McDonnell) gegen Brown kandidieren wird und dabei taktischen Zuspruch von einzelnen Anhängern Blair’s erhält, bei denen Wunden aus vielen Kämpfen der zurückliegenden Jahre nur schwer verheilen.
Neue Aufgaben für Blair
Von Blair selbst wird erwartet, dass er sein Unterhausmandat bis zur Klärung seiner beruflichen Zukunft beibehalten wird. Mit 54 Jahren und – trotz gelegentlicher Herzprobleme – ungebrochener Vitalität scheint er noch für neue Aufgaben in der Privatwirtschaft oder der internationalen Politik geeignet.
Und wenn die Tränen der Freude bei seinen Kritikern und der Trauer bei seinen Anhängern über seinen Rücktritt getrocknet sind, wird er – trotz vieler Fehler und Versäumnisse - als einer der erfolgreichsten und bedeutendsten Politiker in der Geschichte seines Landes gesehen werden. Ein gewinnender Kommunikator, ein entschlossener, mutiger, zum Teil verbohrter Kämpfer für die Überzeugungen, die er für richtig hält, ein Mann, der seine Partei fundamental verändert und sein Land als eine der ersten Industrienationen für das Zeitalter der Globalisierung fit gemacht hat.
Zeit für Bilanzen
In seiner Abschiedsrede verwies er darauf, dass nach 1945 nur die von ihm zehn Jahre lang geführte Labour-Regierung sagen könne, sie habe es erreicht, dass
- mehr Arbeitsplätze entstanden sind,
- weniger Menschen arbeitslos sind,
- das Gesundheitswesen, Schule und Ausbildung verbessert wurden,
- die Kriminalität gesunken
- und die Wirtschaft in jedem Quartal gewachsen ist.
Tony Blair will in den verbleibenden Wochen noch an Themen arbeiten, die ihm wichtig sind. Dazu zählen die Energiepolitik und der Klimawandel, die Bekämpfung von Armut und Aids sowie die Europapolitik und die Begleitung der ersten Schritte der neuen Regierung in Nordirland.
Abschiedstournee
Er wird morgen kurzfristig nach Frankreich reisen, um sich mit Nicholas Sarkozy zu treffen und nächste Woche in Washington seinen Abschied von George Bush feiern. Sie werden sich noch einmal in Heiligendamm zum G8-Gipfel treffen. Am 21./22.Juni schliesslich will Blair in Brüssel seine im Vorfeld heftig kritisierte Bereitschaft dokumentieren, an einer Verabredung zur künftigen Struktur der Zusammenarbeit in der Europäischen Union mitzuwirken, die den gescheiterten Entwurf für eine Europäische Verfassung ersetzt und es zugleich erlaubt, ein riskantes Referendum in Grossbritannien zu vermeiden.
Der Neue
Mit Gordon Brown wird ein Premierminister in 10 Downing Street einziehen, der sich zumindest im Stil deutlich von Blair unterscheidet. Eher spröde und uncharismatisch, ist Brown niemand, dem Sympathien sofort zufliegen. Angesichts der Verdrossenheit über alle Formen des „Spins“ und dem damit einhergehenden dramatischen Vertrauensverlust in Politik und ihre führenden Repräsentanten mag ihm dies für kurze Zeit zugute kommen.
Entscheidend aber wird sein, wie er den Spagat zwischen Kontinuität und Wechsel in der Sache wird leisten können, ohne dabei von den einen als verbraucht und Teil einer ans Ende ihrer Talente gekommenen Regierung bewertet zu werden oder umgekehrt Gefahr zu laufen, mit der Erfolgsgeschichte von Tony Blair und New Labour brechen zu wollen.
Neben den inhaltlichen Fragen und der Neuordnung der Führung der Labour-Party sowie der Regierung bleibt abzuwarten, ob sich Brown nach einigen Monaten der Präsentation dem Wagnis von vorgezogenen Neuwahlen stellen wird. Eine Mehrheit der politischen Beobachter glaubt nicht daran. Dafür allerdings spräche, dass er sich mit der Forderung eines „Mandats vom Volke“ Sympathien verschaffen könnte, er die Tories mitten im Prozess ihrer personellen und programmatischen Erneuerung empfindlich stören würde und zugleich noch vom Image des erfolgreichen Managers des wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten Jahre in Grossbritannien profitieren könnte. Ob dies alles noch für 2009/2010 zutreffen würde, wenn spätestens ein neues Unterhaus zu wählen ist, darf bezweifelt werden.
Grossbritannien wird sich in den nächsten Monaten weitgehend mit sich selbst beschäftigen. Das könnte Chancen für schnelle Entscheidungen zu strittigen Fragen der künftigen EU-Strukturen schaffen. Wenn solche Themen allerdings erst einmal zum Gegenstand des innenpolitischen Hahnenkampfs werden, entziehen sie sich sehr schnell jeglicher Kalkulierbarkeit.