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Country Reports

Exceptional Marriage

by Claudia Crawford

New Cabinet in UK

David Cameron von den Konservativen ist neuer Premierminister von Großbritannien. Sein Stellvertreter ist Nick Clegg von den Liberaldemokraten. Eine Woche nach der Wahl am 6. Mai, die ein „Hung Parliament“ ergab, steht das Kabinett fest. Es ist die erste Koalitionsregierung seit dem zweiten Weltkrieg.

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Es war eine ungewöhnliche Pressekonferenz am Mittwoch dem 12. Mai. Knapp einen Tag nach Amtsübernahme präsentierte sich David Cameron gelöst, energiegeladen und schlagfertig den Journalisten – aber nicht allein. Im vollbesetzten Rosengarten von Downing Street 10 waren zwei Rednerpulte aufgebaut, einer für den Premierminister, einer für seinen Stellvertreter Nick Clegg. Beide unterstrichen in ihren Eingangsworten den Willen zu einer starken, geeinten und entschlossenen Regierung. Sie betonten die Herausforderungen, die vor Großbritannien liegen, die Notwendigkeit, sparen zu müssen, den Aufschwung zu sichern und die Gesellschaft zu stärken. Dabei ließen sie keinen Zweifel, sich diesen Aufgaben stellen zu wollen. Sie gaben das Bild zweier jugendlicher Männer, die aus Freundschaft heraus solch einen politischen Bund angestrebt haben. Die Journalisten wirkten irritiert und ungläubig, weshalb sich die meisten Fragen darum drehten, wie so ein Bündnis funktionieren kann. Die Antwort von Cameron war einfach und ehrlich: Die Alternativen waren nicht inspirierend. Jetzt ist die Zeit, Parteiinteressen hinter die Interessen des Landes zu stellen.

Noch vor zwei Wochen standen sich Cameron und Clegg während der TV-Debatte in harter Auseinandersetzung gegenüber. Differenzen wurden bei vielen wichtigen Themen deutlich, bei der Wirtschafts- und Steuerpolitik, der Einwanderungs- und Verteidigungspolitik, vor allem aber bei der Europapolitik. Schon zu dieser Zeit war ein „Hung Parliament“ nach den Wahlen absehbar. Umso härter wurde gefochten, um doch noch viele Wähler auf die je eigene Seite zu ziehen. Die Wahl machte allerdings alle zum Verlierer: Labour mit Gordon Brown an der Spitze bekam das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte, Nick Clegg blieb mit seinen Liberalen weit hinter den durch seinen furiosen Auftritt in der ersten TV-Debatte hochgepuschten Erwartungen zurück und David Cameron hat das Ziel einer eigenen Mehrheit für die Konservativen verfehlt, trotz eines ungeliebten Premierminister Brown als Gegner.

Die nachfolgenden fünf Tage entwickelten sich zum Politikthriller. Schon einen Tag nach der Wahl bot David Cameron den Liberalen Verhandlungen über ein „großes, offenes und umfassendes Bündnis“ an. Diese nahmen an, hielten aber weiterhin Kontakt zu Labour, die ihrerseits versuchten, die Liberalen für sich zu gewinnen. Das ging soweit, dass nach drei Verhandlungstagen mit den Konservativen, die Liberalen offizielle Verhandlungen mit Labour begannen.

Sowohl ideologische als auch traditionelle Gründe sprachen eher für ein Bündnis zwischen Labour und den Liberaldemokraten. Zumal Gordon Brown Änderungen des Wahlsystem schon frühzeitig anbot - eine der Hauptforderungen von Lib Dem für ein Bündnis. Schließlich kündigte Brown am Montag seinen Rückzug als Parteivorsitzenden für September an, was einen Abgang als Premierminister zu gleichen Zeit einschloss. Clegg hatte im Wahlkampf mehrmals deutlich gemacht, dass er zwar mit Labour zusammengehen würde, aber nicht unter Brown. Demzufolge bedrängten in den letzten Tagen mehrere führende Labourpolitiker Brown zu diesem Schritt.

Damit war ein kritischer Punkt für die Verhandlungen zwischen den Konservativen und Lib Dem erreicht. Die Tories haben zwar eine Reihe von Änderungsvorschlägen für das bestehende Wahlsystem. Vor allem möchten sie eine vergleichbare Größe der Wahlkreise erreichen, aber auch Missbrauch von Spesengeldern künftig ausschließen. Keine Bewegung zeigten sie bis dahin allerdings, das „first-past-the-post“ – Prinzip aufzugeben. In dieser Situation brachten sie überraschend ein letztes Angebot an Lib Dem: Sie sagten ein Referendum über eine Wahlrechtsänderung in Richtung „alternativ vote“ zu. Jede Partei sollte dabei frei sein, für ihre Ansicht zu werben.

Es war nun an den Lib Dem zu entscheiden. Dass sie dies zu Gunsten der Konservativen taten, dürfte mehrere Gründe haben. Zum Einen ist die Zusage von Labour für die Änderung des Wahlrechts keinesfalls eine Sicherheit dafür, dass diese auch kommt. Ein entsprechendes Gesetz braucht die Zustimmung beider Kammern, die für diesen Fall im House of Lords nicht zu erwarten wäre. Bei Rückweisung durch das Oberhaus kann das Parlament bis zu dreimal geänderte Entwürfe erneut vorlegen. Ob es aber am Ende das Oberhaus überstimmen könnte ist unklar – denn diese Möglichkeit ist nur für den Fall, dass es eine Einparteienregierung gibt, die das entsprechende Vorhaben auch so in ihrem Manifesto verankert hat, klar geregelt. Zum Anderen hätte eine Lib-Lab-Regierung keine eigene Mehrheit im Parlament gehabt. Man hätte für jede Abstimmung, was besonders wiegt, wenn es um den Haushalt geht, auf die kleinen, zum Teil sehr national orientierten Parteien von Wales, Schottland, ggf. Nord Irland, zurückgreifen müssen. In Zeiten, in denen viele schwierige Entscheidungen getroffen werden müssen, ist das keine gute Voraussetzung und weit entfernt von einer stabilen, berechenbaren Regierung. Zudem wäre vollkommen unklar, wer denn ab September Premierminister sein würde. Gordon Brown kam schon nicht über eine Wahl ins Amt sondern über einen Wechsel während der Legislatur. Ein wiederholter Fall ist alles andere als attraktiv. Aber auch atmosphärische Gründe spielten anscheinend eine Rolle. Verhandlungsführer der Liberaldemokraten beschrieben die Gespräche mit Labour in Teilen als feindlich.

Im Ergebnis hat Großbritannien nun eine liberal-konservative Regierung. Für jemanden, der es aufgrund bestehenden Verhältniswahlrechts gewohnt ist, dass es nach der Wahl keine klaren Mehrheiten gibt und Koalitionsverhandlungen geben muss, ist das Tempo, mit dem die Verhandlungen geführt und zum Ende gebracht wurden, überraschend. Es schien den Wählern und dem Markt nicht zumutbar, länger als einige Tage für eine Regierungsbildung zu benötigen. Regierungswechsel in Großbritannien verlaufen normaler Weise von jetzt auf gleich, sodass sich die Politik nicht erlaubte für diesen neuen Fall mehr Zeit zu nehmen.

Die politischen Eckpunkte für das neue Bündnis, die Platz auf ganzen sieben Seiten finden , sind deshalb auch sehr generell gefasst. Sie beinhalten folgende Themen:

1. Defizitreduzierung

2. Ausgabenüberprüfung im öffentlichen Sektor

3. Steuergesetzgebung

4. Bankreform

5. Einwanderung

6. politische Reformen

7. Pensionen und Wohlfahrt

8. Bildung

9. Beziehungen mit der EU

10. Bürgerrechte

11. Umwelt

Sie lassen Raum für weitere Verhandlungen im Detail – positiv ausgedrückt. Man kann voraussehen, dass im Umsetzungsprozess der Vereinbarungen so manche Diskussion geführt werden wird. In Teilen wird von vornherein ein unterschiedliches Abstimmungsverhalten hingenommen. So zum Beispiel bei der Frage von Kernkraftwerken, deren Erneuerung von den Lib Dem abgelehnt wird, sie aber den Konservativen entsprechende Initiativen zubilligen. Aber beide Parteien können sich in den getroffenen Vereinbarungen wiederfinden: Die schnellere Rückführung des Haushaltsdefizit und Einsparungen bis zu 6 Milliarden Pfund bereits in diesem Jahr aus dem Wahlprogramm der Tories finden sich genauso darin wieder wie die stückweise Anhebung des Einkommensteuerfreibetrags auf 10.000 Pfund pro Jahr sowie mehr Freiheiten für die Schulen, Forderungen von Lib Dem. Und auch im Kabinett spiegelt sich das Bemühen um volle Einbindung der Lib Dem wieder. Sie haben fünf Kabinettsposten inne, davon den stellvertretenden Premierminister, der für die politischen Reformen zuständig sein wird, den ersten Minister im Finanzkabinett von George Osborne (Tory, Schatzkanzler) im Kabinettsrang und den Wirtschaftsminister.

Bekanntlich sind Koalitionen keine Liebeshochzeiten. Potential für Spannungen gibt es reichlich. Der linke Flügel von Lib Dem ist weit entfernt vom rechten Flügel der Tories. Es gibt keine Erfahrungen mit Koalitionsregierungen. Und die zu treffenden Entscheidungen werden so schwierig sein, dass es schon problematisch ist, Einigung innerhalb einer Partei herzustellen, geschweige denn zwischen zwei.

Es kann aber auch gut gehen mit der neuen Koalition. Cameron könnte die Verbindung helfen, die Erneuerung der Konservativen substantiell zu vollziehen. Mit dem Verweis auf den sehr pro-europäischen Koalitionspartner ließen sich beispielsweise die starken rechten Kräfte bei den Tories in Fragen der Europapolitik leichter zurückdrängen. Schwierige Entscheidungen, wie unvermeidliche Einschnitte im öffentlichen Sektor, wären auf breitere Schultern verteilt und machen Polarisierungen in der Gesellschaft schwerer. Das junge Führungsduo könnte einen neuen Politikstil in Großbritannien prägen und Koalitionspolitik zu etwas Positiven werden lassen. Den Willen dazu haben Cameron und Clegg gezeigt. Und um ihn zu besiegeln haben sie einen fixen Termin für die nächste Wahl bereits festgelegt: den ersten Donnerstag im Mai 2015.

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