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Expert conference

Leadership, Autorität und die Suche nach Frieden

Interreligiöse Konferenz mit der Eliyah School for the Study of Wisdom in World Religions

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Details

Krieg und Frieden fallen nicht vom Himmel. Sie sind das Ergebnis politischer Entscheidungen. Politik wiederum entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern beruht auf Prozessen der politischen Meinungs- und Willensbildung, die durch vielfältige Instanzen und Autoritäten vermittelt und beeinflusst werden. Indem ideologische Rechtfertigungsgrundlagen von Politik im 21. Jahrhundert immer mehr in den Hintergrund treten und religiöse Aspekte an Bedeutung gewinnen, stellt sich auch die Frage nach der Rolle religiöser Autoritäten. Welchen Einfluss auf den politisch definierten Frieden können sie ausüben und wie ist dieser Einfluss zu bewerten? Die Suche nach Antworten auf diese Frage ist weitaus mehr als theoretischer Zeitvertreib. Der Zusammenhang von Religion und Politik ist selten ein unmittelbarer, sondern in der Regel ein über religiöse Autoritäten vermittelter. Das gilt für die säkularisierten westlichen Gesellschaften, es gilt aber noch viel mehr für die religiös geprägten Staaten und Gesellschaften im Nahen Osten. Gerade hier ist religiöse Autorität politisch bedeutsam und wirksam. Dies kann sich im Sinne der spirituellen Inspiration und Mahnung zu Moral und Mäßigung vollziehen. Religiöse Autorität kann aber auch zur Rechtfertigungen von Gewalt und zur Agitation gegen den politischen Gegner missbraucht werden.

Auf der Konferenz „Authority, Leadership and the Quest for Peace: An Interreligious Conference“ sollte beleuchtet werden, welchen Einfluss religiöse Führer auf politischen Frieden tatsächlich haben und wie dieser Einfluss gestaltet werden kann. Hierzu hatten die Konrad-Adenauer-Stiftung in Israel unter der Leitung von Johannes Gerster und die Elijah School for the Wisdom in World Religions mit ihrem Gründer Alon Goshen-Gottstein 30 Theologen, Religionsvertreter, Philosophen, Soziologen und Politikwissenschaftler in das Konrad-Adenauer-Konferenzzentrum Mishkenot Sha‘anim nach Jerusalem eingeladen. Drei Tage lang sollten sich hier Juden, Christen, Muslime und Buddhisten Gedanken über religiöse Führung und Politik machen.

Religiöse Autorität in der Krise

Im Vordergrund stand dabei zunächst Grundsätzliches, nämlich die Frage der generellen Funktion religiöser Führung. Bereits hier ist für Chief Rabbi Shear Yashuv Cohen ein Spannungsverhältnis angelegt. Führung verlangt Autorität und damit Macht, und Macht steht oft in einem strukturellen Gegensatz zu Frieden. Dennoch ist Autorität in religiösen Fragen auch für Erzbischof Boutrous Mualem und den muslimischen Religionswissenschaftler Paul Ballanfat von der Universität Lyon unumgänglich, denn der religiöse Führer soll das Verbindungsglied zwischen Gott und den Menschen sein. Ein solches Verbindungsglied ist notwendig und konstitutiv für jede Religion. Das zunehmende Aufkommen von Privatreligionen ohne gefestigte Autoritäten, die den Glauben gleichsam à la carte konstruieren, könnte demnach in die falsche Richtung weisen. Dies gilt insbesondere für politische Führer, die allzu oft der Versuchung erliegen, Religion und Moral stromlinienförmig den Erfordernissen des politischen Tagesgeschäfts anzupassen. Die maßvolle Ausübung von Autorität bedingt die Anerkennung von Autorität, auch und gerade in Bezug auf die eigene Person. Anders gesagt: nur wer Führung anerkennt, kann selber Führung ausüben. Der Glaube an Gott ist hierbei ein erster Schritt.

Kein Zweifel unter allen Teilnehmern: religiöse Führung steckt in der Krise; in einer Krise deren Symptome Fundamentalismus auf der einen und Säkularismus auf der anderen Seite heißen. Altertümlich, hinfällig und überholt wird religiöse Autorität dadurch nicht. Sie muss allerdings den Strömungen der Zeit Rechnung tragen. Die Konzentration auf das Kultische und die Vernachlässigung des Prophetischen führen sowohl aus der jüdischen Perspektive des Warschauer Gelehrten Stanislaw Krajewski als auch aus der christlichen Sicht des kanadischen Religionswissenschaftlers John Stackhouse in die falsche Richtung. Religiöse Autorität darf nicht nur auf dem Amt, sie muss vor allem auf Charisma und Überzeugung beruhen. Dies ist insbesondere dort wichtig, wo das Amt traditionell nur eine untergeordnete Rolle spielt. Chancen und Risiken neuer Formen religiöser Autorität zeigen sich vor allem im Islam. Die muslimische Islamwissenschaftlerin Marcia Hermansen beobachtet in den USA den neue Typus des „public convert intellectual“, des jungen smarten Konvertiten, der sich in Sprache und Erscheinungsbild westlicher Gesellschaften auskennt und zum Sprecher neuer Generationen junger Muslime wird. Trotz aller Eloquenz: er bleibt eine selbst ernannte Autorität und ist nur der Kontrolle durch das eigene Gewissen unterworfen.

Ein tragfähigeres Leitbild bietet die Person des aufgeklärten spirituellen Führers, der auch zu politischen Fragen nicht schweigen darf. Der Politikwissenschaftler Charles Liebman von der Bar-Ilan Universität überträgt dies auf den politischen Bereich und plädiert für Tugenden, wie sie das Ideal des Staatsmannes verkörpert: die eigenen Ziele zurückstellen und öffentliche Ziele fördern; eine seltene Spezies im Nahen Osten und anderswo. Adenauer sei ein Staatsmann gewesen (nicht nur, weil sein Name über allem stand, was besprochen wurde), Ben Gurion nach Ansicht des Publikums wahrscheinlich auch, Arafat hätte einer werden können. Aber da sind sich selbst die anwesenden Palästinenser nicht so sicher.

Die Privatisierung der Religion

Wie aber lassen sich im Zeitalter der Postmoderne letzte Wahrheiten vermitteln? In gesellschaftlichen Witterungsverhältnissen, die es immer seltener zulassen, Ideologien ebenso wie Wahrheiten zu akzeptieren, wird Religion zunehmend individuell konstruiert. Der Priester oder Rabbi oder Imam gerät zum Dienstleister. Er wird zum Anbieter der Ware Religion auf dem Marktplatz des interreligiösen Wettbewerbs um das Seelenheil seiner Kunden. Wenn der Gläubige nicht zufrieden ist, geht er zum nächsten Prediger oder wechselt die Religion. Die Folgen sind nicht nur dem amerikanischen Religionsphilosophen William Thompson-Uberuaga von der Duquesne Universität bekannt und nicht anders als bei anderen nachfrageorientierten Produkten: die Ware Religion wird plakativer, schneller, moderner und politischer präsentiert und verkauft; oft auch radikaler.

Für John Stackhouse, Brenda Brasher und Marcia Hermansen bestätigt die empirische Beobachtung den theoretischen Befund: Rabbis werden radikaler, Imame und Priester sowieso. In dem Maße, in dem religiöse Autorität erodiert, werden die Propheten einfacher Wahrheiten eher gehört. Flotte Sprüche sind ebenso wohlfeil wie das virtuose Spiel auf der Klaviatur der neuen Medien. Bibel-online-Angebote, koschere Seiten und der E-Dschihad werden zum Ausdruck der religiösen Spaßgesellschaft und zur Herausforderung an Glaube und Vernunft gleichermaßen. Der „Individuation“(Thompson-Uberuaga) der Religion kann vor allem durch die Stärkung der Gemeinschaft, oder besser der Gemeinde, Einhalt geboten werden. Auch für Erzbischof Mualem und Paul Ballanfat steht fest, dass nur in organisch gewachsenen Gemeinden die religiöse Autorität vom Zwang der permanenten Amtsrechtfertigung befreit ist. Die gegenwärtige Krise religiöser Autorität ist auch eine Folge des Zusammenbruchs traditioneller Sozial- und Gemeindestrukturen.

Das Problem der Wahrheit

Die Verflachung religiöser Inhalte ist insbesondere dort problematisch, wo einfache Wahrheiten nicht gefragt sind. Das Konzept der Wahrheit ist ohnehin eines der schwierigsten, gerade aus interreligiöser Perspektive. Denn die Anerkennung aller Religionen als gleichermaßen wahr und damit gleichwertig führt für Stanislaw Krajewski geradewegs in die Sackgasse des Relativismus. Die Zuflucht in die relativistische Beliebigkeit hilft nicht, weil es für jede Religion konstitutiv ist, dass sie sich über andere stellt – auch wenn es kaum ein aufgeklärter Religionsvertreter zugeben will. Aber wo ist der Ausweg, wenn auf der anderen Seite das Bekenntnis „Nur ich kenne die Wahrheit“ und damit die Intoleranz lauert?

Annäherungen verspricht für Krajewski das Bild der Mutter, die natürlich davon überzeugt ist, dass ihr Kind das schönste sei. Indem eine Mutter wirklich glaubt, dass gerade ihr Kind das schönste ist und eben nicht nur davon ausgeht, dass es aus ihrer subjektiven Sicht so sei, zeigt sie die Grenzen des Relativismus auf. Glaube ist keine Sache der Perspektive. Wahrheit führt nicht über die Abstraktion. Wahrheit ist vielmehr, was Gott den Menschen zeigt. Also kann es mehrere Wahrheiten geben, da ist sich nicht nur Paul Ballanfat aus muslimischer Sicht sicher. Bei allen Bedenken ist aber auch richtig: Relativismus ist so schlecht nicht, Absolutismus und Radikalismus sind das Problem. Letztendlich bedeutet dies auch, politische Probleme auf praktischer Ebene zu lösen und sich hierbei nicht von der religiösen Wahrheitssuche aufhalten zu lassen.

Der Beitrag des interreligiösen Dialogs

Wendet man diese Überlegungen zur Praxis, ergeben sich Einsichten für das Zusammenleben der Religionen. Hier ist aber zunächst vor Naivitäten zu warnen: Der Islam ist kein grün angestrichenes Christentum und der jüdische Messias nicht die Reinkarnation des Buddha. Differenzen und Unterschiede auch zwischen den Religionen sind wichtig, weil nur Gott einig ist. Wir sollen sehen, dass die Welt unterschiedlich und vielfältig ist, Religionen sollen sich verständigen, aber sie sollen sich nicht zu Synkretismen vermischen. Gerade aus ihrer Unterschiedlichkeit – und hier treffen sich jüdische, islamische und christliche Mystik – resultiert ihre Besonderheit. Die Differenz ist gewollt und Teil des göttlichen Willens. Die Verständigung zwischen den Religionen vollzieht sich also nicht als Akt der Vermischung und Verwässerung, sondern als Prozess selbstkritischer Interaktion in Demut vor der Schöpfung. Voraussetzungen für diese Interaktion sind Respekt, Neugier, Offenheit und der Wunsch nach Gerechtigkeit und Frieden, oder das, was der Theologe Werner Jeanrond von der Lund-Universität mit dem Begriff der Liebe umschreibt.

Begegnung und Interaktion funktionieren am besten, wenn es um konkrete Sachfragen und Probleme geht, die alle Religionen gleichermaßen betreffen. Eines dieser Probleme ist die Anpassung religiöser Lehren an die Herausforderungen der Moderne. Gerade den „Religionen des Buches“ stellt sich immer wieder die Herausforderung, ihre ewigen Schriften mit dem Wandel der Zeit in Einklang zu bringen. Die Einsicht, dass Theologie mit der Realität interagiert, stößt dabei auf zum Teil heftige Widerstände. Vor allem im Islam erhalten Reformer fast nur außerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft Anerkennung. Es gehört zu den Paradoxien dessen, was sich „Dialog der Religionen“ nennt – wundert sich Marcia Hermansen –, dass reformislamische Stimmen vor allem im christlichen Westen gehört werden. Bei anderen Muslimen überwiegt die Kritik an der historisch-kritischen Methode der Hermeneutik. Wer Glaube auf Geschichte „herunterbricht“, lässt häufig nur noch die eigene Wahrheit übrig. Auch mit der spirituellen Kraft der Offenbarung mache die historische Methode oft kurzen Prozess. Für einen der mystischen Tradition nahestehenden Muslim wie Paul Ballanfat ist das nicht akzeptabel. Am Ende ist das Göttliche an den Heiligen Schriften derart in Grund und Boden interpretiert, dass nur noch alte Bücher von historischem Wert übrigbleiben.

Religionen und politischer Friede

Diesseits von Hermeneutik und Exegese bleibt die Frage nach der religiösen Inspiration von Politik. In dieser Hinsicht ist im Nahen Osten ein Wandel feststellbar. In Israel werden Rabbis zunehmend auch politisch aktiv. Ronen Lubich, Ehud Bandel und Uri Regev bestätigen sich hier aus orthodoxer, konservativer und reformorientierter Perspektive gegenseitig. Gleichzeitig setzt sich mehr und mehr die moderne amerikanisch-jüdische Sichtweise durch, Antisemitismus als endemisches Phänomen anzusehen. Die klassisch-zionistische Position, dass der Antisemitismus mit der Existenz Israels aussterben werde, tritt in den Hintergrund. Dafür spricht natürlich die Alltagserfahrung der Juden in Israel und anderswo, politisches Programm ist es aber auch.

Und im Islam? Gerade hier scheint es mit der Trennung von Religion und Politik im Argen zu liegen. Das hat allerdings mehr mit der aktuellen politischen Praxis als mit der historischen Entwicklung zu tun. Sicherlich: ganz früher hatte es die Trennung zwischen Gelehrten und Politikern nicht gegeben. Unter den Umayyaden, also ziemlich am Anfang der islamischen Geschichte, wurde sie aber rasch eingeführt. Danach ging der islamische Politiker zum Gelehrten, um sich Rat und Rechtleitung zu holen. Der Rechtsgelehrte blieb bestenfalls politischer Berater und diente der Autorisierung politischer Entscheidungen. Der Imam blieb Prediger, beschränkt auf eine Funktion. Die Politiker hörten und hören Rat und Predigt oft, doch umso öfter fehlte und fehlt ihnen der Glaube. Mustafa Abu Sway, Islam-Gelehrter an der palästinensischen Al Quds Universität, weiß wovon er spricht. Fast hätte er gar nicht anreisen können, weil man in Israel und Palästina lieber an den Primat der Sicherheit als an die friedensstiftende Kraft der Religionen glaubt.

Aufgaben für die Zukunft

Auch dies zeigt: Die Stimme der Religion ist schwach, wenn es um Politik geht. Da hilft es wenig, an der Beratungsresistenz nahöstlicher Politiker zu verzweifeln. Bangemachen gilt nicht, weder für den Muslim Mohammad Hurani noch für den Juden Shlomo Riskin oder den Christ George Khoury. Wenn das Fehlen politischer Freiheiten und Handlungsspielräume dem religiösen Einfluss nur wenig Platz lassen, sind Zivilcourage und Mut gefragt. Religiöse Positionen müssen in der Politik Gehör finden, sie dürfen aber nicht den Ton angeben. Es gibt politische Fragen, aus denen sich die Religion heraushalten muss, wenn sie der Gefahr der Vereinnahmung entgehen will. Die Siedlungen in den besetzten Gebieten lassen sich nach Ehud Bandel mit Heiligen Schriften nicht rechtfertigen. Ebenso falsch ist für Aviezer Ravitzky von der Hebräischen Universität die islamisch begründete Kritik am Friedensprozess im Nahen Osten. Der umfassende gerechte Frieden ist nur bei Gott, alles andere muss fehlerhaft sein.

Trotzdem – und dies ist die Botschaft und das Ergebnis der Jerusalemer Tagung – kann sich religiöse Autorität nicht vor der Verantwortung drücken. In drei Richtungen muss deshalb weitergedacht und weitergearbeitet werden: Erstens muss das Training und die Ausbildung religiöser Führer dem veränderten Aufgaben- und Erwartungsprofil angepasst werden. Zweitens sollte die Idee der Gemeinde auch in interreligiöser Perspektive gestärkt werden, weil sich hier Frieden in der Praxis erreichen und erfahren lässt. Drittens müssen Wege und Instrumente gefunden werden, um unter den Bedingungen der Individualisierung von Religion zum Frieden beitragen zu können.

Trotz dieser Anknüpfungspunkte gibt es kein religiöses Patentrezept für politischen Frie den. Religionsführer müssen sich damit abfinden, dass es Politiker sind, die über Krieg und Frieden entscheiden. Klar ist aber auch, dass Politik nicht besser wäre, wenn sich die Religion heraushielte. Religionen sind nicht die quertreibenden Friedensverderber. Sie sind zwar oft Teil des Problems, aber immer öfter auch Teil der Lösung. Es geht deshalb nicht ohne sie, gerade hier im Nahen Osten nicht, wo die Politik oft nicht weiter weiß. In Gaza etwa wollen fast alle Kinder für Gott sterben. Es ist die Aufgabe der Religionen ihnen zu sagen, dass es besser ist, für Gott zu leben.

Andreas Jacobs

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Venue

Jerusalem, KACC

Contact

Amos Helms

Amos Helms

Desk Officer for Asia in the Department International Dialogue Programs

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