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Country reports

Rechtsstaatliche und -politische Entwicklungen in Mazedonien

by Evelyn Klöss
Die Vorbereitungen der mazedonischen Regierung und Verwaltung auf die EU-Beitrittsverhandlungen sind fortgeschritten, allerdings ins Stocken geraten – in ihrem Erweiterungsbericht 2015 spricht die EU-Kommission mehrere „dringende Reformprioritäten“ an, welche für der weiteren Ablauf des Beitrittsverfahrens unerlässlich sind.

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Es handelt sich dabei um Reformen in den Punkten Rechtsstaatlichkeit, Entpolitisierung der öffentlichen Verwaltung, Meinungsfreiheit und Wahlrechtsreform. Allerdings hindern das Veto aus Griechenland und der Streit um die Namensfrage die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen. In den letzten drei Jahren hat die Kommission in kritischem Ton auf die wenigen Fortschritte und z.T. auf Rückschritte in Fragen der parlamentarischen Arbeit, der Meinungsfreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz in Mazedonien hingewiesen.

Am 6. April 2016 wurde das mazedonische Parlament, in Abwesenheit der oppositionellen Parlamentarier, aufgelöst. Neuwahlen sind für den 5. Juni geplant, allerdings kündigte die von der Sozialdemokratischen Liga Mazedoniens (SDSM) geführte Opposition ein Boykott der Wahlen an. Vorwürfe des Wahlbetrugs schaffen neue Spannungen zwischen Regierung und Opposition, weshalb bedeutende Verzögerungen in der Umsetzung der empfohlenen Reformprioritäten zu erwarten sind.

Aktueller Stand der Justizreform

Der neue Strategieentwurf für die Justizreform 2016-2020 wurde von lokalen Experten mit Unterstützung der EU unter Federführung des Justizministeriums erarbeitet. Eine öffentliche Debatte über die vorgeschlagenen Maßnahmen ist im Gange. Die Strategie wird ferner von der Regierung gebilligt, sollte das Feedback der EU-Kommission positiv ausgehen. Für die Koordinierung und Überwachung der Strategieumsetzung wurde der Rat für die Justizreform gegründet. Dieser besteht aus hochrangigen Beamten aus dem Justizbereich, einschließlich Vertreter der Anwalts-, Gerichtsvollzieher- und/oder Notarkammer.

Die Rolle der mazedonischen Selbstverwaltung der Justiz wurde in den letzten Jahren institutionell gestärkt. Der Justizrat besteht aus 15 Mitgliedern, davon acht Richter und fünf Laienmitglieder – ebenfalls Rechtsexperten. Letztere werden vom Parlament ernannt, wobei zwei davon eine Empfehlung des Präsidenten voraussetzen. Der Präsident des Obersten Gerichts und der Justizminister sind ex officio-Mitglieder, verfügen aber nicht über Stimmrechte. Der Justizrat übernimmt u.a. die Ernennung, Beurteilung, Disziplinarbehandlung, Amtsenthebung u.a. von Richtern. Der Rat der Staatsanwälte verfügt über ähnliche Befugnisse, ist allerdings unterbesetzt und -finanziert.

Hinsichtlich der tatsächlichen Gewährleistung eines transparenten, offenen und leistungsbasierten Ernennungs- und Beförderungsverfahrens für Richter und Staatsanwälte stehen erste Ergebnisse noch aus. Dies würde den politischen Druck auf den Justizrat verringern und höhere Standards der Professionalität im Justizwesen fördern.

Bekämpfung der Korruption

Wie in anderen südosteuropäischen Ländern ist die Korruption auch in Mazedonien weit verbreitet. Der Mangel an politischem Willen und der tatsächlich oder potentiell ausgeübte Druck auf Richter und Staatsanwälte erschwert die Korruptionsbekämpfung auf hoher Ebene. Diese Tatsache wirkt sich ebenfalls negativ auf die proaktive Aufnahme von Ermittlungen aus.

Die Staatliche Kommission für Korruptionsprävention wurde 2002 gegründet und prüft, unter anderem, die Vermögenserklärung hoher Beamter und Amtsträger und deckt Interessenkonflikte auf. Die Autonomie und Unabhängigkeit der Kommission ist gesetzlich festgelegt, allerdings werden ihre sieben Mitglieder vom Parlament ernannt. Die laut EU-Fortschrittsbericht „selektive Passivität“ der genannten Kommission und der Generalstaatsanwaltschaft in der Ermittlung bei schwerwiegender Korruption ruft Bedenken hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit hervor.

Unabhängigkeit der Justiz

Das mazedonische Justizsystem ist weitgehend funktionsfähig und verfügt über gesetzliche Garantien der Unabhängigkeit. Faktisch werden in bestimmten Fällen von großem öffentlichem Interesse eine „selektive Justiz“ und unerlaubte (politische) Einflussnahme vermutet.

Aufgrund des Misstrauens in die Unabhängigkeit der Justiz sprechen Rechtsexperten, Rechtsanwender und oppositionelle Politiker gleichermaßen von der Möglichkeit einer Überprüfung und einer eventueller Neuwahl aller Richter. Ein solch kostspieliges Verfahren hat ebenfalls 1996 stattgefunden, ohne dass eindeutig positive Auswirkungen auf den Rechtsstaat, die Unabhängigkeit der Justiz oder die Unparteilichkeit von Richtern festgestellt werden konnte.

Insbesondere die „Abhöraffäre“ hat die erreichten Fortschritte stark untergraben und neue Zweifel hinsichtlich der Dauerhaftigkeit der eingeleiteten Reformen aufgebracht: Im Februar 2015 hat die oppositionelle Sozial-Demokratische Union (SDSM) rechtswidrig mehrere Auszüge aus Telefonmitschnitten zwischen hochrangigen Politikern und Regierungsbeamten veröffentlicht. Diese enthielten Hinweise auf vermutliche Straftaten, welche die Regierung stark belasten sollten. Unter anderem handelte es sich um Amtsmissbrauch, Korruption, Druck/ Einschüchterung der Opposition, Verabredung zur unerlaubten Einflussnahme auf Gerichtsverfahren und auf die Ernennungs- und Beförderungsverfahren von Richtern u.a.

Erste Untersuchungen fanden neun Monate später – im November 2015 - statt, als ein parlamentarischer Sonderausschuss eingerichtet wurde. Eine effiziente Ermittlung der vermeintlichen Straftaten seitens der hierfür gegründeten Sonderstaatsanwaltschaft steht z.T. noch aus. Kürzlich hat die Sonderstaatsanwaltschaft bekannt gegeben, gegen mehrere hohe Beamte und Exminister Ermittlungen in der Abhöraffäre eingeleitet zu haben.

Infolge einer Schlichtung mithilfe der EU und den USA konnte schließlich ein Kompromiss gefunden und eine provisorische Regierung aufgestellt werden. Das Mandat der Übergangsregierung beschränkt sich allein auf die Organisierung der vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni 2016.

Im April 2016 kündigte der mazedonische Präsident Gjorge Ivanov eine Freistellung von strafrechtlichen Ermittlungen aller Politiker an – sowohl der Regierung, als auch der Opposition. Betroffen sind unter anderem Politiker, gegen die im Abhörskandal von der Sonderstaatsanwaltschaft ermittelt wird. Sowohl die EU, als auch die USA sprachen heftige Kritik gegenüber dieser Entscheidung aus und wiesen auf einen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze. Die Ankündigung löste Straßenproteste in Skopje aus – sowohl gegen, als auch für die Regierung.

Herausforderungen des mazedonischen Justizsystems

Durch die Abhöraffäre ist nicht nur das Vertrauen in individuelle Politiker in Mazedonien ins Wanken geraten, sondern ebenfalls in wichtige staatliche Institutionen – die Regierung, das Parlament, die Generalstaatsanwaltschaft, die Sonderstaatsanwalt und der Rat der Staatsanwälte. Vorwürfe einer mangelnden Legitimität und politische Angriffe schaffen zugleich Druck auf die Justiz.

Dieser Bericht entstand in Zusammenarbeit mit Aleksandar Nikolov, Experte bei der NRO Zenith, Mazedonien.

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