Seit 2006 fanden in den Palästinensischen Gebieten keine landesweiten Wahlen mehr statt. Mit Präsident Mahmud Abbas’ Ankündigung vom vergangenen Juni, am Ende der vierjährigen Legislaturperiode Kommunalwahlen abhalten zu wollen, wurde eine gesellschaftliche und politische Dynamik entfaltet, die deutlich machte: Das Volk lechzt nach politischer Partizipation und personeller Erneuerung. Noch bevor der Wahlkampf offiziell losgehen konnte, wurde er durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Ramallah vorerst gestoppt.
Hintergrund
Seit zehn Jahren wurde in den Palästinensischen Gebieten nicht mehr nach demokratischen Standards gewählt. Nach dem Tod von Präsident Yasser Arafat im November 2004, wählten sich die Palästinenser 2005 dessen Gefolgsmann Mahmud Abbas zum Amtsnachfolger. Dieser veranlasste Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat, aus denen 2006 der politische Arm der Hamas als Sieger hervorging. Ein gewaltsamer Bruderkrieg führte 2007 zu einem Split zwischen dem Gazastreifen, der bis heute von der Hamas kontrolliert wird, und dem Westjordanland unter der Führung der Fatah und der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Weder Präsident noch Parlament stellten sich am Ende ihrer Amtszeiten (2009/2010) einer Wahl; seitdem regiert Abbas vor allem mittels Präsidialdekreten. Die Kommunalwahlen von 2012 wiederum endeten in einer Farce, weil die Hamas keine Wahlen im Gazastreifen zuließ. Sie zeigte sich damals uneinsichtig, weil man der PA vorwarf, mit dem Ausrufen von Kommunalwahlen den nationalen Versöhnungsprozess zu konterkarieren. Auch im Westjordanland wurden demokratische Wahlstandards mancherorts nicht erfüllt und Bürgermeister qua Ernennung ins Amt gehoben. Sieht man von diversen Universitätswahlen ab, die aus Ermangelung von nationalen Wahlen massiv politisiert wurden, fehlt es folglich seit 2006 an einem nationalen Kräftemessen der dominierenden politischen Bewegungen.
Angesichts miserabler Wirtschaftsdaten, hoher Arbeitslosigkeit (ca. 21 Prozent), gescheiterter Versöhnungsversuche zwischen Fatah und Hamas sowie Stillstand im israelisch-palästinensischen Friedensprozess, galt es zunächst als ausgemacht, dass die säkulare Fatah-Bewegung als Hauptverantwortlicher für diese Negativbilanz bei Wahlen abgestraft werden würde.
Entsprechend unerwartet kam die Ankündigung des Präsidenten, am 8. Oktober Kommunalwahlen abzuhalten. Diese Entscheidung wurde am 21. Juni von der Regierung unter Premierminister Rami Hamdallah bestätigt. Nicht weniger überrascht wurde die Öffentlichkeit über die Entscheidung der Hamas vom 15. Juli, die Wahlen ebenfalls zu unterstützen und im Gazastreifen dazu beizutragen, dass die Wahlkommission (Central Election Commission, CEC) die Wahlen vorbereiten und durchführen könne.
Zu dieser Entscheidung beigetragen haben gewiss drei Faktoren: (1.) die innerhalb der Hamas weit verbreitete Ansicht, dass man in den von ihr verwalteten Städten und Kommunen in Gaza gute Arbeit geleistet habe (eine Überzeugung, die im Widerspruch zur katastrophalen humanitären, wirtschaftlichen und energiepolitischen Krise des dichtbesiedelten Landstrichs steht); (2.) die antizipierte schlechte Ausgangslage der Fatah aus den oben angeführten Gründen; und (3.) die Strategie, Kooperationswillen zu demonstrieren und nicht der Grund für die Absage von Wahlen sein zu wollen.
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