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Präsident Mahmoud Abbas hatte sich nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Salam Fayyad Mitte April 2013 etwa sieben Wochen Zeit gelassen, um einen Nachfolger zu ernennen. Doch nach nur 18 Tagen muss sich Abbas nun erneut auf die Suche nach einem Regierungschef machen. Ob er in den nächsten Wochen erneut einen Fatah-nahen Regierungschef ernennt, möglicherweise sogar jemanden aus den eigenen Reihen wählt oder das Amt selbst übernimmt, hängt vor allem mit den amerikanischen Friedensbemühungen und Fortschritten in den Versöhnungsgesprächen zwischen Fatah und Hamas ab.
Bereits nach dem Rücktritt von Fayyad befand sich Präsident Abbas in der Zwickmühle. Von westlichen Geberländern wurde Druck auf ihn ausgeübt, einen unabhängigen Technokraten zu ernennen. Dieser sollte als Garant für die ordnungsgemäße Verwaltung des geberabhängigen Staatshaushalts sorgen.
Die Hamas hingegen wollte eine Art Anti-Fayyad: Einen Regierungschef, der dem Westen nicht zu nahe steht und der Hamas im Westjordanland freien Spielraum lässt. Damit wollte sie vor allem die Wiederbelebung ihres aus Moscheen, karitativen Einrichtungen und sozialen Clubs bestehenden Netzwerks erreichen. Dieses wurde nach der Teilung der Palästinensergebiete im Juni 2007 größtenteils von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) unter Abbas und Fayyad zerschlagen.
Mitte Mai sah es dann tatsächlich so aus, als könnten die Islamisten diesen Machtkampf gewinnen. In Kairo einigten sich Fatah und Hamas darauf, innerhalb von drei Monaten eine unabhängige Technokratenregierung zu bilden. Namen wurden dabei nicht genannt. Die meisten Palästinenser haben mittlerweile aber aufgehört zu zählen, wie viele Vereinbarungen zwischen den beiden Bewegungen geschlossen – und anschließend gebrochen – wurden.
Am 2. Juni ernannte Abbas dann den weitgehend unbekannten 54-jährigen Universitätspräsidenten Hamdallah zum neuen Premier. Hamdallah war zwar kein Mitglied einer politischen Partei, stand aber der Fatah nahe. Er hatte nie ein politisches Amt bekleidet und sich stattdessen dem Ausbau des Hochschulwesens im Westjordanland verschrieben. Während seiner fünfzehnjährigen Amtszeit als Präsident der An-Najah-Universität in Nablus verdreifachte sich die Zahl der Studenten auf etwa 20.000. Unter seiner Schirmherrschaft wurden mehrere hundert Millionen US-Dollar akquiriert, ein neuer Campus errichtet und neue Fächer in das Universitätsangebot aufgenommen. Außerdem ist Hamdallah seit 2004 Generalsekretär der Zentralen Palästinensischen Wahlkommission. In seine Amtszeit fiel unter anderem auch die Durchführung der Parlamentswahlen im Januar 2006, die die Hamas mit absoluter Mehrheit gewann.
Regierungsarbeit und Friedensprozess werden entkoppelt
Die Rücktritte von Fayyad und Hamdallah werden dazu führen, dass das Thema Verhandlungen fortan von Abbas, der Fatah und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Alleinregie behandelt werden. Die Regierung soll dabei keine Rolle einnehmen.
Besonders Fayyad hatte sich immer wieder zu Themen des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses geäußert. Nach Fayyads Rücktritt wollten Abbas und die PLO sicherstellen, dass dessen Nachfolger sich auf innenpolitische Themen wie Wirtschaft und Bildung konzentriert. Die PLO sieht sich als Alleinvertreterin des palästinensischen Volkes und ist für alle Friedensverhandlungen verantwortlich. Gerne betrachtet sie sich als der PA und somit auch dem Kabinett übergeordnet.
Bereits die Ernennung von Hamdallah sollte die Entkopplung von Kabinettsarbeit und friedenspolitischen Themen mit sich bringen. Das ist der Grund dafür, dass Abbas jemand wählte, der nur über wenig Erfahrung in internationaler Politik besaß und keinen politischen Ehrgeiz erkennen ließ. Das wird sich auch unter einem neuen Regierungschef nicht ändern.
Machtzentralisierung wie einst unter Arafat
Die Ernennung eines politisch unerfahrenen Technokraten zum Regierungschef sollte darüber hinaus zu einer Machtkonzentration im Präsidentenpalast, der Muqata'a, führen. Ein langjähriger leitender Redakteur einer palästinensischen Tageszeitung äußerte in einem Gespräch, dass es der Wunsch von Abbas war, einen Regierungschef zu haben, der als Angestellter seine Politik umsetzt. Das politische System würde so immer stärker in Richtung Präsidentialismus tendieren. Ein Beobachter ging sogar soweit, Hamdallah als Marionette des Präsidenten zu bezeichnen.
Die beiden Stellvertreter Hamdallahs bestätigten diese Vermutung. Mohammed Mustafa leitet seit 2005 den Palestinian Investment Fund, dem staatlichen Investitionsfonds der PA. Er berät Abbas in Wirtschaftsfragen und ist dessen enger Vertrauter.
Das gleiche galt für Hamdallahs zweiten stellvertretenden Ministerpräsidenten, Ziad Abu Amr. Der aus Gaza stammende Abu Amr ist ehemaliges Mitglied der Fatah. Er sitzt als unabhängiger Abgeordneter im dysfunktionalen Parlament. Im Frühjahr 2007 amtierte er in der nur wenige Monate bestehenden Einheitsregierung zwischen Hamas und Fatah als Außenminister. Seine politische Loyalität gilt dennoch ganz klar der PLO. Als einer der führenden Experten zum Thema politischer Islam in den Palästinensischen Gebieten trat Abu Amr immer wieder als glühender Verfechter der PLO und ihrer jahrzehntelangen Tradition des nationalistischen Widerstands gegen die israelische Besatzung auf. Seiner Ansicht nach ist die Hamas eine nicht mehr zu vernachlässigende politische Größe geworden. Auf Grund ihres religiös geprägten Weltbildes und ihrer Versuche, die Gesellschaft zu islamisieren, würden sie jedoch in großen Segmenten der Gesellschaft Verunsicherung hervorrufen. Das gelte besonders für das liberalere Westjordanland.
Es war dann auch ein Kompetenzstreit zwischen Hamdallah und seinen beiden Stellvertretern, der zu seinem Rücktritt am 20. Juni führte, den Abbas drei Tage und mehrere Krisentreffen später annahm. Bis zu Ernennung eines neuen Regierungschefs bleibt Hamdallah geschäftsführend im Amt.
Diese verstärkte Einflussnahme durch das Büro des Präsidenten und die Fatah weckte die Befürchtung, dass das Modell eines auf Patronage basierenden Klientelismus zurückehrt. Bereits unter Jassir Arafat, der bis zu seinem Tod 2004 als Präsident amtierte, wurde die PA als eine Art Familienbetrieb mit gezielten Abhängigkeitsverhältnissen geführt. Fayyad hat diesem System zum Leidwesen der Fatah aber unter großen Jubel der internationalen Gemeinschaft zumindest teilweise Einhalt geboten. Er sorgte damit für eine massive Transformation der politischen Ökonomie des Westjordanlands. Dadurch, dass immer mehr Menschen auf den Staatsapparat angewiesen sind, stabilisierte er diesen und verringerte die Wahrscheinlichkeit einer Desintegration der PA. Eine Umkehr dieser Politik könnte die graduelle Aushöhlung der politischen Institutionen, die auf Grund fehlender Wahlen nur noch über geringe demokratische Legitimation verfügen, beschleunigen.
Ausweitung der Spaltung zwischen Fatah und Hamas
Als neu ernannter Ministerpräsident war Hamdallah dazu verpflichtet, eine eigene Regierung zu bilden. Diese wurde am 6. Juni vereidigt und bestand zum Großteil aus Ministern des Kabinetts von Fayyad. Neu in der Regierung waren unter anderem die beiden genannten Abbas-nahen stellvertretenden Ministerpräsidenten.
Es sollte vornehmlich darum gehen, die im Mai geschlossene Vereinbarung zwischen Fatah und Hamas zur Bildung einer unabhängigen Regierung umzusetzen. Hamdallah selbst wollte dabei kaum eine Rolle spielen. Er rechnete damit, dass er lediglich bis zur Bildung dieser Regierung im Amt bleibt.
Dass die Ernennung von Hamdallah und die Regierungsbildung ohne Konsultation mit der parlamentarischen Mehrheitspartei erfolgten, zeigt, wie weit eine Aussöhnung derzeit entfernt ist. Ein Sprecher der Hamas bezeichnete die Regierung Hamdallahs als illegal. Seine Ernennung beweise, dass Abbas nicht an einer nationalen Aussöhnung interessiert sei. Abbas wird sich mit der Wahl eines neuen Ministerpräsidenten Zeit lassen und Gespräche mit der Hamas einfrieren, um US-Außenminister Kerrys Friedensbemühungen nicht zu unterminieren.
Die Rolle Amerikas
Kerry übte in den letzten Monaten wiederholt starken Druck auf Abbas aus, ohne Vorbedingungen Friedensgespräche mit Israel aufzunehmen, und brachte gleichzeitig ein privates Investitionsprogramm für die Palästinensischen Gebiete in Höhe von vier Milliarden US-Dollar ins Gespräch. Die palästinensische Reaktion auf den wenig konkreten Plan war keine Überraschung. Man begrüße private Investitionen zwar, um die Geberabhängigkeit zu verringern, das Wirtschafswachstum anzukurbeln und die Arbeitslosigkeit zu verringern, aber man verbitte sich eine Verknüpfung mit politischen Forderungen.
Ende Juni reiste Außenminister Kerry zum fünften Mal in drei Monaten in die Region. Vier Tage lang versuchte er in jeweils drei Treffen mit Präsident Abbas und dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu eine Wiederaufnahme der seit 2010 ausgesetzten direkten Friedensgespräche zwischen den beiden zu erreichen. Auch wenn sich Kerry bei seiner Abreise optimistisch gab und von echten Fortschritten sprach, die eine Wiederaufnahme von Verhandlungen in greifbare Nähe gerückt hätten, blieb vor allem die palästinensische Seite pessimistisch. Die Shuttle-Diplomatie Kerrys hätte zu keinem Durchbruch geführt, da die israelische Seite weiterhin vage in Bezug auf Kernthemen wie Siedlungen und Grenzen bleibe. Der Graben zwischen den beiden Seiten und das gegenseitige Misstrauen bleiben weiterhin tief. Die eigentliche Herausforderung für den baldigen sechsten Besuch von Kerry wird nicht nur sein, dass beide Seiten miteinander reden, sondern echte Fortschritte erzielt werden.
Auch wenn die Amtszeit Hamdallahs bereits nach 18 Tagen endete, könnten sich alle beteiligten Parteien einen Satz des promovierten Linguisten zu Herzen nehmen. In einer Studie über die Vorteile der Benutzung der Muttersprache beim Erlernen einer neuen Sprache schrieb er einst: „Da der Lernende im Zentrum des Lernprozesses steht, sollten Sprachlehrer die Bedürfnisse der Lernenden beherzigen.“ Vertreter von Fatah und Hamas sowie die israelische Seite sollten diesen Satz richtig zu deuten wissen, um den Wünschen und Forderungen der eigenen Bevölkerungen in Zukunft besser nachzukommen.