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Country Reports

Herausforderungen bei Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofes

Das Beispiel Uganda

Ende des Jahres 2011 wird die Versammlung der Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) einen neuen Chefankläger für das Gericht bestimmen. Die neunjährige Ära des derzeitigen Anklägers, des Argentiniers Moreno Ocampo, nähert sich damit seinem Ende. Uganda war das erste Land, in dem der IStGH auf Einladung des Präsidenten Museveni Ende 2003 Ermittlungen aufnahm. Das Ende des Mandates Moreno Ocampos, und der Fakt, dass die Ermittlungen seit nunmehr fast acht Jahren andauern, bieten Anlass für eine Zwischen-betrachtung der bisherigen Arbeit des Gerichtshofes in Uganda.

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Die Ermittlungen in Uganda haben eine Reihe von Problemen und Herausforderungen offenbart, mit denen das Gericht voraussichtlich auch in künftigen Fällen konfrontiert werden wird. Dies betrifft sowohl Probleme, die sich aus dem Rom-Statut, dem Gründungsvertrag des IStGH, ergeben, als auch Herausforderungen, die aus der kon-kreten Ermittlungstätigkeit des Gerichtes erwachsen. Während sich der vorliegende Text auf die Herausforderungen bei den IStGH-Ermittlungen in Uganda konzentriert, findet sich eine ausgewogene Bestandaufnahme der Ermittlungen in den KAS Auslandsinformationen 10/2010 (zum Download).

Zeitliche Beschränkung

Ein erstes Problem ergibt sich aus der zeitli-chen Beschränkung des Rom-Statutes, das Ermittlungen nur in Bezug auf Verbrechen erlaubt, die nach in Kraft treten des Vertra-ges im Juli 2002 begangen wurden. Der Na-tional Resistance Army (NRA), Vorläufer der ugandischen Armee (Uganda People’s De-fence Forces, UPDF), werden jedoch viele Verbrechen in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren angelastet. Die NRA-Truppen des heutigen Präsidenten Museveni rückten nach der Machtübernahme in Kampala in den Norden Ugandas vor, wo sich die Reste der Uganda People’s Liberation Army des vorherigen Regimes zurückgezogen hatten. Für die Zeit nach 1986 werden der NRA im Norden Ugandas Menschenrechtsverletzungen, Massaker, Exekutionen und Raub von Viehherden vorgeworfen. Das wohl schwerwiegendste Verbrechen, dass der NRA in dieser Zeit vorgeworfen wird, ereig-nete sich in Mukura, wo NRA-Soldaten an-geblich über 200 Zivilisten in Zugwaggons sperrten und diese im Anschluss anzünde-ten. Diese Fälle können vom internationalen Strafgerichtshof aufgrund der Einschränkungen des Rom-Statutes nicht berücksichtigt werden. Dieser Umstand stößt vor allem unter den Opfern in Uganda auf Unver-ständnis. In drei Erhebungen des Berkely Center for Human Rights aus den Jahren 2005, 2007 und 2010 verlangten zwischen 55 und 76 Prozent der Bevölkerung, dass Vorwürfe gegen beide Seiten des Konfliktes untersucht werden sollten.

Vorwurf der einseitigen Ermittlung

Es gibt jedoch auch in der Zeit nach 2002 Anschuldigungen gegen die ugandische Armee und deren verbündete Milizen. Da die LRA-Rebellen oft erbeutete Uniformen der ugandischen Armee benutzten, ist es schwer nachvollziehbar, ob diese Vorwürfe stichhaltig sind. Dem IStGH wird vor diesem Hintergrund jedoch vorgeworfen, einseitig Ermittlungen gegen die LRA zu verfolgen. Dies offenbart zwei große Herausforderungen, mit denen sich der IStGH bei seiner Ermittlungstätigkeit in Konflikten wohl immer wieder konfrontiert sehen wird. Zum Einen verhindert die zeitliche Beschränkung auf Verbrechen nach Juli 2002 die umfassende Aufarbeitung von lange andauernden bewaffneten Konflikten durch den IStGH. Zum Anderen muss der Gerichtshof seine Unabhängigkeit bei Selbstüberweisung von Staaten an den IStGH unter Beweis stellen. Gelingt dies nicht, werden, wie im Falle von Uganda, schnell Vorwürfe laut, dass der Gerichtshof die Regierung schone, um sich ihre Kooperation zu sichern. Die Selbstüberweisung Ugandas an das Gericht hat einen Präzedenzfall geschaffen, der im Rom Statut so nicht vorgesehen war. Ursprünglich rechneten die Verfasser des Statutes damit, dass andere Mitgliedsstaaten des Statuts die Fälle in betroffenen Staaten vor das Gericht bringen würden, und nicht die betroffenen Staaten selbst. Die komplizierte Frage nach der Unabhängigkeit von Ermittlungen bei Selbstüberweisungen stellt sich, neben Uganda, auch in der Demokratischen Republik Kongo, der Elfenbeinküste, und der Zentralafrikanischen Republik.

Internationale Standards versus lokale Ansätze

Weiterhin stellt sich in Uganda die Frage, inwiefern internationale Standards der Strafgerichtsbarkeit auch gegen den Willen der lokalen Bevölkerung durchgesetzt werden sollten. Vor den Ermittlungen des IStGH hatte die Regierung, unter starkem Druck der Zivilgesellschaft im Norden Ugandas, ein Amnestiegesetz erlassen, von dem viele vormals entführte LRA-Kämpfer Gebrauch machten. Neben dem Amnestiegesetz un-terstützten Stammesführer im Norden die Nutzung traditioneller Versöhnungsrituale wie Mato Oput. Als der Gerichtshof seine Ermittlungen aufnahm, formierte sich unter den Stammesführern, religiösen Autoritäten und vielen Nichtregierungsorganisationen schnell Widerstand. Die Argumentationslinie dieser Kritiker lautete, dass der Strafgerichtshof lokale Vorstellungen von Gerech-tigkeit als Versöhnung aushöhle und dadurch Friedensbemühungen im Norden Ugandas untergrabe. Das Meinungsbild in der Bevölkerung der betroffenen Gebiete war jedoch zu keinem Zeitpunkt eindeutig. Zwar gab es die Sorge, dass die Haftbefehle gegen die LRA den Friedensprozess gefähr-den könnten, aber große Teile der Zivilbevölkerung sprachen sich gleichzeitig dafür aus, Kriegsverbrecher auf beiden Seiten des Konfliktes zur Rechenschaft zu ziehen.

Bei den Verhandlungen zwischen der Regierung und der LRA während des Juba-Friedensprozesses in den Jahren 2006 bis 2008 erwies sich der Umgang mit den Haftbefehlen dann auch als ein Stolperstein, der zum Scheitern der Gespräche beitrug. Die LRA-Führung war nicht bereit, sich einem formellen Verfahren vor dem IStGH zu stellen, und der Vorschlag der Nutzung alternativer Versöhnungsrituale konnte die Richter am IStGH nicht davon überzeugen, dass die LRA-Führung auch bei Rücknahme der internationalen Haftbefehle zur Rechenschaft gezogen werden würde. Die Angst des Rebellenführers Joseph Kony, nach der Entwaffnung seiner Kämpfer in Den Haag den Prozess gemacht zu bekommen, trug somit dazu bei, dass die Rebellen den Vertrag nie unterschrieben. In diesem Zusammenhang stellt sich die komplizierte Frage, ob es dem IStGH zusteht, seine Haftbefehle trotz lokalen Widerstands seitens der Opfer aufrecht zu erhalten, zumal es auch die lokale Zivilbevölkerung ist, die mit den Folgen eines Haftbefehles leben muss.

Historischer und kultureller Kontext

Außerdem zeigt der Fall von Uganda die Schwierigkeiten des Gerichtshofes auf, wenn dieser in fremden historischen und kulturellen Kontexten ermitteln muss. Von Anfang an unterliefen den Ermittlern des Strafgerichtshofes Fehler bei ihren Ermittlungen, welche auch auf die große räumliche und kulturelle Entfernung zwischen Den Haag und Uganda zurückzuführen sind. Der Chefankläger Moreno Ocampo entschied sich, die Ermittlungen des IStGH Seite an Seite mit dem ugandischen Präsidenten Mu-seveni auf einer Pressekonferenz in London anzukündigen. In Uganda, wo es seit der Unabhängigkeit im Jahre 1962 zahlreiche Putsche und Gegenputsche gab, wurde die-se gemeinsame Ankündigung als Partei-nahme seitens des IStGH für die Regierung gewertet. Die Unabhängigkeit des IStGH wurde dadurch von Anfang an in Zweifel ge-zogen. Diese Probleme setzten sich bei den Ermittlungstätigkeiten vor Ort fort. Man muss dem Gerichtshof zu Gute halten, dass er sichtlich darum bemüht war, die Meinung der lokalen Zivilgesellschaft einzuholen. Dennoch zeichneten sich die Kommentare und Handlungen von Vertretern des Gerich-tes oft durch mangelnde interkulturelle Kompetenz aus. So reisten europäische Ermittler des IStGH in den Norden des Landes, um ehemalige Kindersoldaten bezüglich der Verbrechen der LRA zu befragen. Einige dieser Zeugen waren traumatisiert und hat-ten in ihrem Leben noch nie einen weißen Menschen zu Gesicht bekommen. Die Inter-views hätten mit höchster Sensibilität und nach Aufbau einer nötigen Vertrauensbasis zwischen Ermittlern und Zeugen stattfinden sollen. Berichten zufolge war dies unglückli-cherweise jedoch nicht der Fall. Gleichzeitig waren die Ermittler des IStGH sowohl vor als auch nach den Ermittlungen vor Ort ausschließlich in Den Haag stationiert, was den Graben zwischen Ermittlern und Opfern verbreiterte. Das Gericht hat bis heute keine Präsenz im Norden Ugandas aufgebaut. Die Arbeit mit den Opfergemeinden, die im Allgemeinen erfolgreich ist und auf die Probleme der Zivilbevölkerung eingeht, wird ausschließlich aus einem Büro in der 5 Autostunden entfernten Hauptstadt Kampala organisiert. Kein Schild weist darauf hin, dass sich hinter dem großen, grauen Stahltor in Kololo das Uganda Büro des IStGH befindet. Der interessierten Bevölkerung wird es so unnötig schwer gemacht, den Strafgerichtshof direkt zu kontaktieren. Ein weiteres Beispiel für mangelnde Sensibilität war der Vorwurf des Chefanklägers Moreno Ocampo während einer Veranstaltung in London, dass im Norden Ugandas lebende Acholis, die den IStGH kritisierten, mit der LRA sympathisieren würden.

Fazit

Trotz dieser Probleme hat der Strafgerichtshof in seinen ersten neun Jahren viel erreicht. Der IStGH hat Fälle in sieben Ländern aufgenommen, acht Angeklagte vor Gericht gebracht, und steht nun kurz davor, seinen ersten Fall abzuschließen. Zweifler stellten in Frage, ob der IStGH jemals eine funktionierende Institution werden könnte. Der Gerichtshof hat diesen Kritikern bewiesen, dass er durchaus in der Lage ist, Ermittlungen und Verfahren in hochkomplexen Situationen durchzuführen. Trotz dieser Erfolge zeigt die konkrete Ermittlungstätigkeit in Uganda jedoch auch einige Probleme auf, die der IStGH in den nächsten Jahren angehen muss, um seine Relevanz für die lokale Bevölkerung unter Beweis zu stellen.

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