Country reports
Nach Meinung von Experten wäre Klitschko der Präsidentschaftskandidat der Opposition mit den besten Chancen.
Nach Umfragen liegt er mal kurz vor, mal kurz hinter dem amtierenden Präsidenten Viktor Janukowitsch. Würde sich die Opposition in den kommenden Monaten auf einen einheitlichen Kandidaten im ersten Wahlgang einigen, wozu erfahrene Politiker wie Jurij Luzenko raten, könnte sie den nächsten Präsidenten der Ukraine stellen.
Aber auch Oleh Tjahnybok von Swoboda hat Ambitionen in Richtung Präsidentschaft. Aufgrund seiner radikalen Positionen ist er allerdings nur für einen Teil der Ukrainer wählbar und wäre daher für Janukowitsch ein leichter Gegenspieler.
Die Wahlen im Oktober letzten Jahres hat-ten die parlamentarische Opposition in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, gestärkt. Die regierende Partei der Regionen (PdR) erreichte mit 208 Mandaten keine einfache Mehrheit und ist daher bei allen Beschlüssen entweder auf Stimmen aus den Reihen der Kommunistischen Partei (KPU), einiger fraktionsloser oder der drei demokratischen Oppositionsfraktionen Batkiwschtschyna, UDAR und Swoboda angewiesen. Die Opposition zeigte in den vergangenen Monaten trotz ihrer ideologischen Unterschiede weitestgehend Geschlossenheit durch ihr gemeinsames Ziel, die bestehende Regierung abzulösen. Die Gegnerschaft zwischen Regierungsfraktion und Opposition eskalierte allerdings regelmäßig in Blockaden der Rednertribüne des Parlaments und handfesten Rangeleien.
Batkiwschtschyna
Die „Vereinigte Opposition Batkiwschtschyna“ war im Parlamentswahlkampf als Bündnis von acht Parteien angetreten und verfügt als Fraktion nach einigen Austritten heute noch über 93 Abgeordnete. Bereits unmittelbar nach den Wahlen wurde über eine bevorstehende Vereinigung des Wahlbündnisses als Partei spekuliert. Zum einen wird durch diese Fusion eine inhaltliche Schärfung und strategische Profilierung in der Gegnerschaft zur derzeitigen Regierung angestrebt, vor allem aber wurde die Zuspitzung auf den Fraktionsvorsitzenden und neuen Leiter des politischen Rates der Partei Arsenij Jazenjuk durchgesetzt.
Formal bleibt zwar Julia Timoschenko weiterhin die Vorsitzende der Partei, auch hat sie ihre Ambitionen auf das Präsidentenamt noch nicht aufgegeben. Aufgrund ihrer Verurteilung aber ist ihr der direkte Weg zu einer Kandidatur versperrt. Dies würde sich auch bei einer immer wahrscheinlicher werdenden Freilassung bis Ende des Jahres nur mit einer Änderung der Wahlgesetzgebung ändern lassen. Für Jazenjuk wäre somit der Weg zu einer Kandidatur frei.
Die Fusion vom Wochenende umfasst drei Parteien aus dem Parlamentsbündnis der Vereinigten Opposition: Batkiwschtschyna als größte, die kleinere, aber finanzkräftigere Front Smin unter ihrem ehemaligen Parteivorsitzenden Jazenjuk sowie die kleine liberale Partei Reformy i porjadok unter dem Vorsitz von Sergij Sobolew. Mit dabei sind auch die Abgeordneten der nationaldemokratischen Narodny Ruch, welche in den letzten 20 Jahren von einer bedeutenden nationalen Freiheitsbewegung zu einer autoritär geführten Splitterpartei mutierte. Die Partei selber hat sich dem Bündnis nicht angeschlossen.
Die anderen Parteien aus dem Parlamentsbündnis der Vereinigten Opposition, von denen keine ein Ergebnis oberhalb von einem halben Prozent der Wählergunst erreichen würde, wollen derweil unabhängig bleiben. Die Unzufriedenheit über die Fusion aber bleibt auch bei den beteiligten Parteien groß. Es ist die Rede von weiteren möglichen Überläufern zu einer neuen Fraktion im Parlament unter Leitung des früheren Wirtschaftsministers und noch fraktionslosen Petro Poroschenko, oder auch zur Regierungsfraktion. Diese versucht nach wie vor mit hohem Einsatz Abgeordnete „einzukaufen“, um die einfache Mehrheit zu erreichen.
Swoboda
Das Ergebnis von Swoboda mit 10,44 % nach Verhältniswahl hatte im Oktober alle Erwartungen übertroffen. Bei der ersten Parlamentswahl 2006, an der Swoboda teilnahm, waren es noch lediglich 0,36 % gewesen.
Die ideologisch motivierte Stammwählerschaft der Partei konzentriert sich in der Westukraine, hier insbesondere in Galizien. Hervorgegangen ist Swoboda 2004 aus der rechtsradikalen Gruppierung „Sozial-Nationale Partei“, die ihre Anlehnung an die nationalsozialistische Ideologie der NSDAP nie verborgen hatte. Ihre historischen Wurzeln sieht Swoboda in der Organisation Unabhängiger Nationalisten (OUN) und deren bewaffneten Arm, der UPA. Sie verherrlicht Stepan Bandera als den politischen Anführer der UPA. Die Geschichte der OUN/UPA ist sehr umstritten, da sie sich neben ihrem Freiheitsbestreben als ukrainische Nationalbewegung gegen die Rote Armee zwischen 1941-44 auch an Kriegsverbrechen gegen Juden, Polen und Russen schuldig gemacht hat.
Noch im Oktober letzten Jahres organisierte Swoboda eine Demonstration zum Gedenken des 70. Jahrestages der UPA und versammelte zu dieser Veranstaltung 10.000 Teilnehmer, wobei einige Aktivisten die Flaggen der regierenden „Partei der Regionen“ und der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU) in Brand setzten. Die tiefe gegenseitige Abneigung von KPU und Swoboda beruht auf diesen historischen Wurzeln. Noch im Jahr 2011 organisierte Jurij Mychaltschyschyn, ein hoher Parteifunktionär und Vertrauter von Tjahnybok, eine Kundgebung zu Ehren der Gründung der Division Waffen-SS Galizien, die in der UPA eingegliedert war. Die Geschichtsmythologie von Swoboda um OUN/UPA spaltet de facto die Ukraine, da der fanatische Kult um Stepan Bandera beim Großteil der Bevölkerung in der Ost- und Südukraine auf strikte Ablehnung stößt. Nur in der Westukraine verfügt Swoboda daher über eine stabile Wählerschaft.
Dieser ausgeprägte Regionalcharakter der Partei wurde bei den letzten Parlamentswahlen durch die hohe Anzahl von Protestwählern verwischt und lässt sich größtenteils mit der radikalen Konfrontationshaltung von Swoboda zur Partei der Regionen erklären, die viele Wähler überzeugt hat. Nach der Orangen Revolution 2004 hatten zudem die damaligen demokratischen Hoffnungsträger ihren Glanz verloren. Es soll daher an dieser Stelle klar herausgestellt werden, dass der überwiegende Teil der Wählerschaft von Swoboda diese nicht als rechtsradikal ansieht.
Auf europäischer Ebene aber ist Swoboda seit 2009 Mitglied der „Allianz Nationaler Bewegungen“, zu der auch die ungarische Jobbik und die französische Front National zählen. Ein Besuch von Mandatsträgern der Partei Swoboda bei der NPD im Sächsischen Landtag vor wenigen Wochen machte deutlich, in welcher Richtung man weiter nach Verbündeten in Europa sucht.
Zu dem Aufstieg von Swoboda hat auch beigetragen, dass Batkiwschtschyna bereits vor den Parlamentswahlen ein offizielles Wahlbündnis mit Swoboda eingegangen war. Dieses Bündnis wurde getragen von der pragmatischen Lösung, in einigen Wahlkreisen einheitliche Kandidaten aufzustellen, um sich nicht gegenseitig die Wählerstimmen wegzunehmen. Unmittelbar nach den Wahlen bildete sich als Gegenwicht zur Regierung eine Oppositionskoalition der ukrainischen demokratischen Parteien, einschließlich der Ukrainischen Demokratischen Allianz für Reformen (UDAR) von Witalij Klitschko heraus.
Swoboda unterstützt den pro-europäischen Kurs der Opposition. Ihre parlamentarische Aktivität ist bisher nicht von ultranationalistischen Motiven geprägt. Aber so sehr ihr Vorsitzender Tjahnybok sich auch bemüht, einen gemäßigten Kurs einzuschlagen, so bleibt die Partei in ihrer Kernideologie ethnozentrisch und homophob.
UDAR
Die Partei UDAR von Witalij Klitschko ist pragmatischer und ideologisch deutlich weniger belastet als die anderen beiden Oppositionsparteien. Im Gegensatz zu Swoboda wirkt sie grundsolide. Mit 13,96% der Stimmen hatte sie – ähnlich wie Swoboda – bei den letzten Parlamentswahlen einen Überraschungserfolg erzielt. In der kurzen Zeit seit Beginn der neuen Legislaturperiode etablierte sich UDAR als eine stabile politische Kraft und schärfte ihr Profil sogar, das sich an den Leitprinzipien Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Europäische Integration und Soziale Marktwirtschaft orientiert. Auf europäischer Ebene hat sich UDAR wie Batkiwschtschyna für eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Volkspartei (EVP) entschieden.
Im Unterschied zu Batkiwschtschyna und Swoboda erreicht sie auch Wählerschichten im Osten und Süden der Ukraine. Ihr Vorsitzender Klitschko hat zwar mittlerweile an politischem Gewicht und an Erfahrung gewonnen. Es fehlt ihm aber noch an politischer Erfahrung und rhetorischer Ausgereiftheit. Diese Fähigkeiten werden derzeit eher Jazenjuk zugeschrieben. Es steht aber außer Zweifel, dass Klitschko 2015 für das Amt des Präsidenten kandidieren will. Hierfür braucht er vor allem eines: Eine kompetente und überzeugende Mannschaft.