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Reportajes internacionales

Argentinien bejubelt Papst Franziskus

de Dra. Kristin Wesemann

Nur die Präsidentin freut sich nicht

Der 266. Papst kommt aus Argentinien und ist eine besondere Figur: Franziskus liebt Fußball und Tango, fährt gern U-Bahn, scheut keine Konflikte und erträgt sogar Tränengas im Schlafzimmer. Seine Rolle als Oberhaupt von weltweit 1,2 Milliarden Katholiken wird er trotzdem erst finden müssen: Bislang hat er sich im Rampenlicht nicht wohlgefühlt. In seiner Heimat wird Jorge Mario Bergoglio SJ wegen seiner Bescheidenheit geschätzt – mit der argentinischen Präsidentin Cristina Kirchner hat er es sich allerdings verdorben.

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Am „Ende der Welt“ hätten sie ihn gefunden, so weit seien die Kardinäle nämlich gegangen, um in der Sixtinischen Kapelle den Nachfolger von Benedikt XVI. zu wählen . Das waren die ersten Worte Jorge Mario Bergoglios (76) am Mittwochabend auf dem Balkon des Petersdoms in Rom, noch bevor er den Segen urbi et orbi sprach. Wenn man die Vorliebe der Argentinier für Übertreibungen und Poesie abzieht, bleibt immer noch genug übrig, um zu staunen: Zum ersten Mal seit 1272 Jahren kommt das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche nicht aus Europa. Zum ersten Mal überhaupt kommt der Papst aus Lateinamerika. So gesehen ist Argentinien schon einigermaßen das Ende der – zumindest vertrauten – Welt.

Ganz überraschend kommt die Wahl nicht. Schon 2005 hatte Bergoglio nach Joseph Ratzinger die meisten Stimmen des Konklaves erhalten. Mit dem Argentinier übernimmt nun ein Mann das Pontifikat, der dort zu Hause ist, wo der katholische Glaube besonders stark ist: Fast 500 Millionen der weltweit 1,2 Milliarden Katholiken leben in Südamerika.

Kardinal der Armen

Vom Fenster seiner kleinen Wohnung neben der Kathedrale von Buenos Aires hat der bisherige Erzbischof Jorge Mario Bergoglio das politische Geschehen seiner Heimat stets gut im Blick gehabt. Da ist die Plaza de Mayo, wo die Argentinier fast täglich lautstark oder auch ganz leise protestieren. Da sind die vielen Bettler, darunter Kinder, die allabendlich ihre Nachtruhe an den Wänden der Kathedrale finden. Und da ist der rosa leuchtende Präsidentenpalast, der in den vergangenen zehn Jahren nur zwei Mieter hatte: Kirchner I. und Kirchner II., erst Néstor, dann seine Frau Cristina. Gleich nebenan lebte Bergoglio. Und als Ende 2001 die Straßen brannten, es Tote gab und Argentinien wirtschaftlich wie politisch vor dem Zusammenbruch stand, bekam auch der Erzbischof etwas vom Tränengas ab, das eigentlich die Demonstranten vertreiben sollte. Bis ins Schlafzimmer gelangte es. Bergoglio hatte nicht anderswo Zuflucht gesucht, er war geblieben. Auch das hat seinem Ansehen nicht geschadet. Mut zählt zu den menschlichen Eigenschaften, die Argentinier besonders verehren.

Der am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires geborene Jorge Mario Bergoglio ist mit 21 Jahren in den Jesuitenorden eingetreten. Zuvor hatte er Chemietechniker gelernt. Der Sohn italienischer Einwanderer hat Geisteswissenschaften in Deutschland und Chile studiert, später Philosophie und Theologie in Argentinien. Dorthin kehrte er 1973 nach dem Terziat in Spanien – der letzten Prüfungszeit im Jesuitenorden – als Novizenmeister und Theologiedozent zurück. Zehn Jahre später wurde er Rektor seiner eigenen Alma Mater, der Theologischen Fakultät des Colegio Máximo San José in San Miguel. Auch viele Schüler und Mitarbeiter dieser Einrichtung sind unter den Verschwundenen und Ermordeten der brutalen Militärdiktatur von 1976 bis 1983. Bergoglio wurde immer wieder vorgeworfen, der Junta nicht genug widerstanden zu haben. Er hat die Nähe zu den Machthabern in Uniform stets damit gerechtfertigt, er habe Novizen und den Jesuitenorden schützen wollen. Man kann davon ausgehen, dass seine Rolle jetzt noch einmal beleuchtet wird – freilich wohl eher im Ausland als in der Heimat, wo die Aufarbeitung der Diktaturzeit bereits weit fortgeschritten ist.

Um zu forschen, ging er 1985 nach Frankfurt am Main, seine Promotion hat er gleichwohl nie abgeschlossen. Fortan war er zunächst in Córdoba und von 1992 an als von Papst Johannes Paul II. ernannter Weihbischof wieder in Buenos Aires. Sechs Jahre später folgte er Antonio Kardinal Quarracino als Erzbischof der Hauptstadt-Diözese. Bergoglio, der stets die Kontakte über die Grenzen Argentinien zu den Gläubigen gepflegt hat, hatte 1995 die Präsidentschaft des Lateinamerikanischen Bischofsrat (CELAM) inne und übernahm 2005 für fünf Jahre zudem den Vorsitz der südamerikanischen Bischofskonferenz.

Vor allem in dieser Zeit hat sich zwischen der Konrad-Adenauer-Stiftung und Jorge Mario Bergoglio eine enge Zusammenarbeit entwickelt. Der Erzbischof wurde ein wichtiger Ratgeber, er trat bei Veranstaltungen der KAS auf und brachte seine Ideen zum gesellschaftlichen und politischen Dialog ein. So begleitete er im Mai 2011 den „Ersten Nationalen Kongress der Sozialdoktrin der Kirche“ in Rosario (Provinz Santa Fe) als höchste Autorität der katholischen Kirche in Argentinien. Dort war auch der Ehrenvorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Prof. Dr. Bernhard Vogel, anwesend und führte den Dialog über die Sozialdoktrin der katholischen Kirche und die Politik.

Ob in Buenos Aires oder Rom, der neue Papst mischt sich gern unters Volk. Er fährt U-Bahn oder Bus wie die Schar der Nichtprominenten. In seiner Heimat ist er für seinen unaufgeregten, sehr asketischen Lebenswandel bekannt. Er pflegt sehr irdische und sehr argentinische Leidenschaften: Er ist Mitglied Nummer 8235 des Fußballvereins San Lorenzo de Almagro und mag den Tango.

Als Bergoglio 2001 zum Kardinal berufen wurde, verzichtete er auf eine maßgeschneiderte neue Robe und ließ einfach die seines Vorgängers Quarracino umnähen. Wenn er sich durch die Stadt bewegte, trug er ohnehin meist das schwarze Priestergewand. Es wird spannend sein zu beobachten, wie jemand, der die große Öffentlichkeit immer gescheut hat und das Zwiegespräch bevorzugt, mit seiner neuen Rolle zurechtkommt. Denn der Stellvertreter Gottes ist, ob er will oder nicht, ein Star, der von Millionen empfangen wird, wenn er ein Land bereist.

Freude auf den Straßen und bei der Opposition

Als am Abend des 13. März der weiße Rauch aufgestiegen war und der französische Kardinal Jean-Louis Tauran das Wahlergebnis verkündet hatte, war Argentinien überwältigt und feierte. Es gab Freudenschreie, Umarmungen und viele Tränen, Hupkonzerte und spontane Gottesdienste. Die Opposition versammelte sich bei Twitter, dem Lieblingsmedium argentinischer Politiker. Hauptstadtbürgermeister Mauricio Macri sprach von „Freude und Stolz“ und dem „großen Papst, den die Welt haben wird“. Seine Parteifreundin, die PRO-Abgeordnete Gabriela Michetti, dichtete: „Unser Papst ist Demut, Liebe, Brüderlichkeit, Einheit und Dialog.“ Roberto Lavagna, der immer noch berühmte Ex-Wirtschaftsminister, schrieb: „Möge Gott ihn segnen und erleuchten. Möge seine Wahl für unser Volk ein Zeichen des Friedens und Übereinstimmung sein.“ Patricia Bullrich (Unión para Todos) versprach, ihn von ganzem Herzen in seiner Arbeit zu unterstützen.

„Kühle Distanz seitens der Regierung“

Nur die Parlamentarier der Regierungsseite entzogen sich dem Jubel. Als der neue Papst schon ein Gesicht und einen Namen hatte, waren die Kirchneristen im Abgeordnetenhaus noch immer damit beschäftigt, dem verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez zu huldigen – auch nach Ablauf der dreitägigen argentinischen Staatstrauer für den international umstrittenen Comandante. Die Opposition bat, die Debatte wenigstens kurz zu unterbrechen und den ersten Worten von Franziskus I. zu lauschen. Die Präsidentinnenpartei und der zu ihr gehörende Parlamentspräsident Julían Domínguez verbaten sich das. Omar de Marchi aus Mendoza, der stets mit der PRO-Partei von Macri stimmt, empörte sich und rief: „Nachtragende, Anstandslose!“ Die Kritisierten versuchten sich zu wehren und sanken noch tiefer: „Hau doch ab und hör ihm zu!“ Mit „ihm“ war der Papst gemeint. Also ging es weiter wie geplant – mit Lobreden auf Chávez. Die Opposition verschwand und applaudierte draußen dem wahren Helden des Tages.

Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner hatte die Wahl nicht verfolgt, sondern die Zeit genutzt, um aus der Andenprovinz Neuquén Erfolge ihrer Regierungsarbeit über Twitter zu vermelden. Beachtliches war darunter: Das 45. von 200 geplanten „Bicentenario“-Häusern, den Kulturzentren zur Feier der Unabhängigkeit vor 200 Jahren – sei ebenso eingeweiht worden wie das offene Digitalfernsehen und eine Kühlanlage für Früchte. Dennoch erreichte Franziskus aus Buenos Aires eine Glückwunschkarte – freilich ohne Unterschrift. Im Ton eher unterkühlt, wünschte die Staatschefin dem neuen Papst vor allem Erfolg angesichts der großen Verantwortung, die er mit Blick auf Gerechtigkeit, Gleichheit, Brüderlichkeit und den Frieden der Menschheit trage. Es fehlte die Wärme, die etwa der amerikanische Präsident und die deutsche Bundeskanzlerin dem Heiligen Vater übermittelten. Und es fehlte der Stolz darauf, dass nun ein Argentinier als erster Mann eines über die Jahrzehnte arg gebeutelten Kontinents Papst geworden ist.

Dass sich ausgerechnet die Nummer 1 in Argentinien erkennbar nicht freut über die Wahl eines Argentiniers zum Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, mag nur auf den ersten Blick erstaunen. Denn nicht nur Cristina Kirchner hatte sich schon vor Jahren mit Bergoglio überworfen, sondern auch Néstor, ihr Gatte. Der Ex-Präsident hatte den Erzbischof sogar den „wahrhaftigen Repräsentanten der Opposition“ genannt.

Als Jorge Bergoglio 2011 als Kardinal in den Vatikan ging, hatte er sich einige Gefechte mit den Kirchners geliefert. Es ging dabei um die Armut im Land, den Agrarkonflikt und die Ehe gleichgeschlechtlicher Partner, die in Argentinien seit 2010 erlaubt ist. Die Kirchners verweigerten sich den Gottesdiensten und Heiligen Messen des Kardinals. Der hatte schon 2005 erkannt: „Es gibt keine Beziehung der Kirche mit dieser Regierung.“ Nachdem Cristina Kirchner 2007 zur Nachfolgerin ihres Mannes gewählt worden war, entspannte sich das Verhältnis zunächst jedoch. Beide Seiten gingen aufeinander zu – nur um kaum ein Jahr später einander wieder unversöhnlich gegenüber zu stehen. Im Agrarkonflikt bat der Kardinal die Präsidentin einzulenken und auszugleichen. Im Jahr darauf lud er sie wiederum zur Messe in die Kathedrale von Luján ein, die wegen ihrer Marienstatue zu den großen heiligen Orten Lateinamerikas gehört. Bergoglio tat freilich auch, was die Präsidentin wenig mag: Er kritisierte immer wieder die Regierung, wenn er es für angebracht hielt. So warnte er 2009, dass die „Gleichschaltung des Denkens das schlimmste Risiko“ sei – und die Kirchners sind nie durch allzu große Leidenschaft für Meinungsvielfalt und Pressefreiheit aufgefallen. Und nachdem Benedikt XVI. gefordert hatte, es müsse endlich Schluss sein mit dem „Skandal“ der Armut in Argentinien, fügte Bergoglio hinzu: „Seit Jahren nimmt sich niemand in diesem Land der Menschen an.“

2010 aber, als Néstor Kirchner plötzlich starb, hielt der Erzbischof von Buenos Aires gleichwohl eine Heilige Messe für ihn und sprach von Versöhnung.

Dazu kam es nicht – auch weil der Kongress bald darauf die Ehe gleichgeschlechtlicher Partner rechtlich erlaubte. Bergoglio war das argentinische Gesicht der Gegenbewegung. Doch auch in Argentinien, wo 90 Prozent katholisch sind, waren die Reformgegner in der Minderheit. In Umfragen sprachen sich 70 Prozent für die neue Regelung aus.

Ein politischer Papst?

Ein sogenannter Befreiungstheologe und Modernisierer ist Bergoglio nie gewesen. Der Jesuit hat jedoch stets Nächstenliebe und unbedingte Nähe zu den Menschen gelebt. Als erster Papst hat er sich den Namen des Heiligen Franz von Assisi gegeben, der die Ursprünglichkeit des Glaubens suchte.

Bergoglio war in Argentinien „der Kardinal der Armen“, er kennt also auch die Abgründe der Welt. Er scheut Konflikte mit den Mächtigen nicht und steht im Zweifelsfall an der Seite derer, von denen er glaubt, dass sie Beistand brauchen. Politisch kann er durchaus deutlich werden. In den vergangenen Jahren hat er sich gern und oft mit der Opposition gezeigt, die ebenjenen Beistand brauchen kann: weil sie um ihre Kontrollrechte kämpfen muss und weil sie zu selten Geschlossenheit zeigt.

Die Regierung der Kirchners hat sich vor der Opposition bislang eher nicht gefürchtet – vor dem Mann, der jetzt Papst ist, indes schon.

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Olaf Jacob

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