Apciauri

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Wir wünschen frohe Weihnachten

de Marcus Schoft

Ein Interview zum orthodoxen Weihnachtsfest in Georgien

Nino Apciauri ist eine unserer Stipendiatinnen und Stipendiaten orthodoxen Glaubens. In Ihrer Promotion forscht sie über die christlich-orthodoxe Theologie. Im Interview blickt sie auf das Weihnachtsfest in Georgien, das nach julianischem Kalender am 7. Januar gefeiert wird. Das war nicht immer selbstverständlich. "Es gehört unglaublich viel Mut dazu, trotz gewalttätiger Angriffe für die höchsten eigenen Werte zu kämpfen und sich gegen das Regime aufzulehnen", sagt sie über die Religion in Georgien zu Zeiten der Sowjetunion.

Liebe Frau Apciauri, Sie sind Stipendiatin der KAS, kommen aus Georgien und forschen im Rahmen Ihrer Promotion über die christlich-orthodoxe Theologie. Am 7. Januar feiert die Orthodoxe Kirche Georgiens das Weihnachtsfest. Wie können wir uns dieses Fest vorstellen?

Zunächst einmal möchte ich die Gelegenheit nutzen und allen frohe Weihnachten wünschen. Sowohl denen, die es am 25. Dezember gefeiert haben als auch denen, die es am 7. Januar feiern.

Frohe Weihnachten, ihr Lieben! Gott möge uns in 2023 Frieden auf der Welt und echte göttliche Liebe zwischen den Menschen geben!

Die Details der unterschiedlichen Kalender sind sehr komplex. Es ist aber wichtig zu wissen, dass ein großer Teil der orthodoxen Kirchen Weihnachten nach dem gregorianischen Kalender gefeiert hat. Also genau wie die Westkirchen am 25. Dezember. Die Autokephale Kirche Georgiens verwendet aber den julianischen Kalender und feiert Weihnachten erst am 7. Januar. So wie auch das Patriarchat von Jerusalem, die Klöster des Heiligen Berg Athos, die orthodoxe Kirche Serbiens und das Moskauer Patriarchat sowie die orthodoxe Kirche der Ukraine. Insbesondere in der Ukraine - aber auch in vielen anderen Kirchen - wird immer wieder darüber diskutiert, welches Datum genutzt werden soll.

Weihnachten stellt in den orthodox-christlichen Kirchen eines der zentralsten Feste dar. In Georgien feiern die Gläubigen am 7. Januar in den Kirchen zusammen. Die Liturgie beginnt kurz vor 24 Uhr am 6. Januar und dauert ungefähr 3 bis 4 Stunden. Die Teilnahme an der Liturgie sowie der Empfang der heiligen Eucharistie ist das wichtigste bei diesem Fest. Erst danach kommen die Gläubigen in den Familien zusammen und feiern auch zuhause.

Im Rahmen Ihrer Promotion waren Sie für einige Zeit zur Feldforschung in Georgien. Während Ihres Aufenthalts in einer Gemeinde in Tiflis haben Sie mit vielen Gläubigen gesprochen. Was ist ihre wichtigste Erkenntnis?

Ich habe entdeckt, wie grenzenlos spannend der Erfahrungsschatz der Menschen ist. Insgesamt habe ich 19 Interviews aufgezeichnet. Ich hoffe, dass diese Gespräche einen Weg in die Öffentlichkeit finden. Sie haben mir verdeutlicht, dass Worte ihren Sinn verlieren können, wenn sie außerhalb des Herzens gesagt werden. Wir sollten versuchen die göttlichen Mysterien in eigener Erfahrung zu erleben.

Damit meine ich nicht, etwas in Ekstase zu erleben. Zum Beispiel indem man sich die göttlichen Ereignisse vorstellt und versucht, sie imaginär zu spüren. Es geht hier eher darum, dass ein Mensch die Veränderung im Sinne der Geburt Christi verinnerlicht. Jesus ist geboren, womit sich die Worte unseres Gottes - Jesus Christus - erfüllen: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, damit, wie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebt. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ (Joh 13,34-35)

Ein ausführliches Gespräch haben Sie auch mit dem Erzpriester der Gemeinde, Theodore Gignadze, geführt. Man kann es hier in voller Länge hören. Er spricht unter anderem vom „Regime des totalen Atheismus“, in welchem auch er aufgewachsen ist. Was meint er damit?

Erzpriester Theodore ist von der Generation meines Vaters. Diese Generation hat das sowjetische Regime noch erlebt. Leider wurde Religion damals als eine verworfene Ideologie gesehen. Genau über diese tragischen Erfahrungen spricht Priester Theodore in dem Interview. Gott sei Dank bin ich und meine Generation schon im unabhängigen Georgien groß geworden und haben solche Erfahrungen nicht gemacht. Die Generation unserer Väter hat dafür eigenes Blut geopfert, dass wir dieses gewalttätige Regime nicht erleben müssen. Ich bin dieser Generation dafür unglaublich dankbar!

Wenn ich das richtig verstanden habe, ist die Orthodoxe Tradition in Georgien also einerseits sehr alt. Aber auch sehr jung, da viele Menschen erst vor Kurzem wieder zur Kirche gefunden haben?

Wir sollten diese Tragödie unter dem Regime der Sowjetunion nicht falsch verstehen, als ob die Orthodoxe Tradition in Georgien damals unterbrochen wurde. Im Gegenteil: die Menschen beschützten ihren Glauben an Jesus Christus vorbildlich, indem sie sich opferten für die göttliche Wahrheit und für diejenige Freiheit, die Gott den Menschen gegeben hat. Hier geht es eher darum, dass diese Tradition für die neuen Generationen damals sehr schwierig zu erreichen war. Wer aber trotz des gewalttätigen Regimes an seinem orthodox-christlichen Glauben festhalten konnte, hat noch einmal bestätigt, dass Glaube und die Hoffnung Gottes die Menschen gegenseitig stützen. Es gehört unglaublich viel Mut und Wagnis dazu, trotz gewalttätiger Angriffe für die höchsten eigenen Werte zu kämpfen und sich gegen das Regime aufzulehnen. Ein gutes Beispiel ist Ambrosi Chelaia. Er war der Patriarch der georgischen orthodoxen Apostelkirche von 1921 bis 1927. Und er protestierte gegen die sowjetische Okkupation Georgiens. Schließlich wurde er vor Gericht gestellt und er verteidigte sich mit den Worten: „Meine Seele gehört Gott, mein Herz meinem Land. Sie, meine Henker, mögen mit meinem Körper tun, was sie wollen.“

Für viele hier in Deutschland ist die Orthodoxe Kirche unbekannt. Wie würden Sie den orthodoxen Glauben beschreiben?

Orthodox zu sein, heißt auf dem Weg zu Gott zu sein. Orthodox zu sein bedeutet, dass ein Mensch versucht, eine innere Reise zu machen, um den in sich verborgenen Gott zu entdecken. Irgendwann hat der Mensch aufgehört, mit Gott unmittelbar zu sprechen. Die zweite Person der Heiligen Trinität - der Sohn Gottes - ist genau dafür als Mensch auf der Erde gekommen, den Menschen die Erlösung und dadurch die neue Hoffnung zu bringen. Könnt ihr euch das vorstellen?

Genau an diesem Punkt wird es wichtig, unsere volle Konzentration auf den Ursprung der Feiertage zu lenken um die Geburt Gottes auf der Erde mehr zu verstehen. Der orthodoxe Glaube versucht, sowohl Weihnachten als auch die anderen göttlichen Mysterien vom Herzen zu denken und damit einen Menschen zurück zu seinem göttlichen zu Hause zu begleiten.

Was bedeutet das für Weihnachten? Und was könnten wir auch hier in Deutschland daraus lernen?

Unser Gehör hat sich daran gewöhnt, die weihnachtliche Nachricht zu hören, aber die Verkündung der irdischen Geburt des Sohnes Gottes zu ignorieren. Unser Herz bleibt oft abseits, wenn es um Weihnachten geht. Das gilt übrigens auch für das Weihnachtsfest in anderen  christlichen Kirchen. Es scheint mir, dass zwischen so vielen schönen Traditionen, wie Weihnachtsmärkten, geschmückten Tannenbäumen oder Lebkuchen der Hauptsinn des Weihnachtsfestes verloren geht. Das passiert oft auch in Georgien, wenn die Menschen an den echten Sinn des göttlichen Fests gar nicht denken und ihn mit vielen schönen Bräuchen bedecken. Ich meine damit nicht, dass wir diese Festlichkeiten vergessen sollen. Ich meine, dass unsere Aufmerksamkeit oft mit der ästhetischen Seite alleine bezaubert bleibt. Und das hindert uns daran, über den echten Anlass dieses Festes nachzudenken.

Wie werden Sie das Weihnachtsfest feiern?

Weihnachten feiern wir, wie gesagt, mit der Teilnahme an der Liturgie. Dabei erhält man die heilige Eucharistie. Ich weiß nicht, ob ich in diesem Jahr diese Möglichkeit finde, weil es in Deutschland nicht einfach ist, eine orthodoxe Kirche in der Nähe zu finden, in welcher am 7. Januar gefeiert wird. Wir werden aber Weihnachten in der Familie feiern und versuchen, an die Geburt Jesu Christi zu denken und sie zu verstehen. Wir werden auch an diesem Tag besonders für Frieden in der Welt und für alle Elenden beten.

Vielen Dank für das Gespräch und ich wünsche Ihnen ein besinnliches Fest mit der Familie

 

Nino Apciauri kommt aus Georgien und forscht über die orthodoxe Theologie im Rahmen ihrer Promotion. Sie hat in Georgien Philologie und Philosophie im Bachelor an der Staatlichen Universität von Tiflis studiert und einen Master der wissenschaftlichen Übersetzung gemacht. Das Thema ihrer Masterarbeit war die Übersetzung und Kommentierung des Werks von Martin Heidegger — „Unterwegs zur Sprache“.

Seit 2017 forscht sie in Deutschland. Zunächst mit Unterstützung des DAAD, mit dessen Hilfe Sie ihren Master „Christentum und Kultur“ an der Universität Heidelberg abgeschlossen hat. In ihrer Masterarbeit widmete sie sich der Filioque-Kritik des Gregorios Palamas.

Die KAS lernte sie als Stipendiatin seit 2020 kennen. Die Stiftung fördert sie während ihrer Promotion an der Universität Heidelberg. Das Ziel ihrer Arbeit ist, die Verbindung zwischen zwei christlichen Mysterien zu finden - zwischen der Menschwerdung des Sohnes Gottes und der Vergöttlichung des Menschen.

Im Sommer 2022 reiste sie für ihre Feldforschung nach Tiflis, wo sie die Erfahrungen der Gläubigen kennenlernen wollte. Das vorliegende Interview stellt ein Produkt dieser Feldforschung dar.

 

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Piotr Franz

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