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„Was hab ich mich damals geärgert als die Mauer fiel“

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Mit 8.000 leuchtenden Luftballons gedenken die Berliner des Mauerfalls. Entlang der ehemaligen

Grenze werden sie zum 25. Jubiläum fliegen gelassen. Jeweils von einem Paten. Und jeder Pate

hat eine Geschichte zu erzählen: Andrea Meyerhoffs Geschichte ist die eines Mauerfall-Fans, der

sich am Tag der Grenzöffnung maßlos geärgert hat.

14 Uhr. Erste Teile der leuchtenden Grenze stehen bereits. Noch fallen die großen weißen Kugeln

kaum auf. Es ist ja noch hell. Die Sonne scheint. Was die vielen Ballons am Checkpoint Charlie

sollen, fragte ein Tourist im Bus. Da stand mal die Berliner Mauer. Als Ost und West noch getrennt

waren. Vor 25 Jahren ist sie gefallen, die Mauer. Am Sonntag wird das hier in Berlin groß gefeiert.

14.48 Uhr. Andrea Meyerhoff sitzt in der Küche, es riecht nach Spiegelei und Speck. Ihr Sohn hat

gerade gekocht - die Pfanne steht noch auf dem Gasherd. Sie beginnt zu erzählen: ’87 ist sie nach

West-Berlin gezogen. „Ich bin gerade erwachsen geworden und freute mich auf die Stadt. Doch es

war wie in einem Käfig. Alles war sehr bedrückend.“ Sie fühlte sich eingesperrt. Rückzugsorte

fehlten. Ein schreckliches Gefühl.

Im gleichen Jahr fand in Ost-Berlin ein Jugendkirchtag statt. Da wollte sie unbedingt hin. Die vielen

Formulare und Vorschriften zur Einreise störten sie nicht. Für die Wartezeit an der Grenze hatte sie

Kaffee und belegte Brote mit. Sie wusste, sie wird lange am Grenzübergang warten müssen. Doch

das war ihr egal, erzählt sie rückblickend.

Ost-Berlin fühlte sich sehr befremdlich an. Alles war noch bedrückender, sie fühlte sich noch eingesperrter und dachte sie wird beobachtet. Sie war traurig.

15.02 Uhr. Kurze Atempause. Plötzlich beginnt sie zu lächeln. Sie erzählt von einem jungen Mann, den sie beim Kirchtag kennengelernt hat. Seinen Namen hat sie vergessen. Er hat ihr die Stadt gezeigt. „Wir waren auf dem Fernsehturm. Man konnte die gesamte Stadt sehen.“ Die Mauer war kurz vergessen.

Der junge Mann begann ihr die verschiedenen Sehenswürdigkeiten im Westen zu beschreiben. Den Teil, den sie besser kennen sollte. Er wusste über alles bescheid. Die Sehnsucht in den Westteil der Stadt gehen zu können war ihm im Gesicht anzusehen. Sein Lebenstraum. Er war voller Elan. Das stimmte sie traurig. Sie dachte sein Traum wird nie in Erfüllung gehen. 15.11 Uhr. Das Licht der Küchenlampe spiegelt sich in ihren Augen. Sie funkeln. Draußen wird es dunkler. Kater Leo miaut.

„Was hab ich mich damals geärgert“, beginnt sie als ich sie nach dem Tag des Mauerfalls frage. Sie lang krank im Bett. Zu Hause. Spät Abends kamen Freunde vorbei. Sie erzählten ihr von der Grenzöffnung. Wie alle glücklich waren. Es nicht glauben wollten. Und auf der Mauer tanzten. Alle lagen sich in den Armen. Auch Wildfremde. Alle freuten sich einfach. Und jubelten.

Sie ärgert sich immer noch, ist ein wenig neidisch. Sie hätte so gerne mitgetanzt. Mitgefeiert. Mitgejubelt. Die Freude der Menschen gesehen. Noch am selben Abend. Sie musste aber im Bett bleiben. Und ganz Berlin durfte feiern. Egal. Für sie war der Tag wie ein Wunder. Einfach unbeschreiblich. Sie war erleichtert.

Zwei Tage später war sie wieder gesund. Und durfte feiern, so wie es ganz Berlin immer noch tat. „Die Berliner waren nicht wieder zu erkennen.“ Alle waren offen, quatschten miteinander und konnten es einfach nicht fassen. Niemand war unfreundlich, mürrisch oder schroff, wie sonst immer. Eine unbeschreibliche Atmosphäre. Sie war jetzt doch glücklich. So glücklich wie bei ihrer Hochzeit. Sie ist ein Mauerfall-Fan.

Doch es wurde bald wieder gemeckert. Besonders die West-Berliner meckerte über alles mögliche. Über die langen Schlangen in den Supermärkten. Über leergekaufte Läden. Über die Ossis. Das sei schade fand sie damals. Die gute Stimmung, der Schatz des Mauerfalls, der Einheit, ist verloren gegangen. Viel zu schnell.

Die Einheit feiert sie immer noch gerne. Was in Berlin passiert ist sei für sie ein gutes Modell für andere Länder. Dort wo Menschen noch keine Einheit haben. Und wenn sie am 9. November ihren leuchtenden Ballon wegfliegen lässt, dann mit einem Wunsch: Der Mauerfall soll nie vergessen werden. Und immer wieder aufs neue gefeiert werden. Das sei wichtig. Für jede Generation. Das so etwas wie damals nie wieder passiert.

Sebastian Wochnik

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