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Reportajes internacionales

Fulminanter Wahlsieg für Evo Morales

Mit einem Rekordergebnis von 63% der Wählerstimmen und einer Wahlbeteiligung von 94% wurde Evo Morales in seinem Amt bestätigt. Seiner Partei Movimiento al Socialismo (MAS) gelang es, das Wahlziel der Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments zu erreichen.

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Dass Evo Morales wieder zum Präsidenten von Bolivien gewählt werden würde, schien seit Monaten bereits festzustehen. Allerdings sagte keine Umfrage das Rekordergebnis voraus, das er an diesem Wahlsonntag erzielen konnte. Mit 63% der Wählerstimmen übertrifft er deutlich sein schon damals historisch gutes Wahlergebnis von knapp 54% der Stimmen im Jahr 2005, das ihn zum Präsidenten machte.

Die Ergebnisse

Von den sieben Oppositionskandidaten für das Präsidentenamt konnten nur zwei nennenswerte Ergebnisse erzielen. Der Kandidat von Plan Progreso para Bolivia (PPB), Manfred Reyes Villa, erreichte 28% der Stimmen und Samuel Doria Medina der Unidad Nacional (UN) 6%. Der ehemalige Bürgermeister von Potosí René Joaquino von der Partei Alianza Social konnte in dem gleichnamigen Departement mit 14% zwar ein gutes Ergebnis einfahren, das sich allerdings im nationalen Endergebnis nur mit 0,2% niederschlug. Die Kandidaten der Parteien PULSO, GENTE, MUSPA und BOLIVIA SOCIAL DEMOCRATA waren so unbedeutend, dass sie im vorläufigen Wahlergebnis jeweils mit 0% auftauchen.

Interessant ist die Analyse der Wahlergebnisse in den neun Departements Boliviens. Sowohl beim Abberufungsreferendum im August 2008, als auch im Referendum über die Annahme der neuen Verfassung im Januar 2009 war deutlich eine Polarisierung zwischen Hochland- und Tieflanddepartements zu erkennen. Während das Hochland in den Departements La Paz, Oruro, Potosí und Cochabamba deutlich die Regierung unterstützte, lehnte die Bevölkerung in Santa Cruz, Tarija, Beni und Pando diese mehrheitlich ab. Chuquisaca wählte ausgeglichen. Durch die heutige Wahl hat sich die politische Landkarte Boliviens eindeutig verändert. Nur in Santa Cruz und Beni liegt Manfred Reyes Villa deutlich vor Evo Morales, in Pando verfügt er mit 49% lediglich über drei Punkte Vorsprung vor dem Präsidenten. In Tarija konnte der MAS mit 48% in Führung vor PPB mit 40% gehen. In Chuquisaca ist der Vorsprung der Regierungspartei mit 12%-Punkten vor dem Zweitplazierten Manfred Reyes Villa noch deutlicher.

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Das wichtigste Wahlziel des MAS war die Erlangung der Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments. Mehrfach betonte Präsident Morales im Wahlkampf, dass man in den letzten Jahren zwar die Regierung, nicht jedoch die Macht besessen habe. Leider hätte die Opposition der Regierung regelmäßig Steine in den Weg gelegt und sie somit daran gehindert, den Prozess des Wandels voranzutreiben. Um dies in Zukunft zu ändern müsse man sowohl die Legislative, als auch die Judikative kontrollieren. Im Falle der Legislative ist dieses Ziel nun erreicht.

Von 130 Sitzen im Abgeordnetenhaus gewann der MAS 89, PPB 35, Unidad Nacional 3 und Alianza Social ebenfalls 3 Sitze. Nach der neuen Verfassung gibt es sieben Spezialwahlkreise für Vertreter indigener Minderheiten. Alle sieben Wahlkreise gingen an Vertreter des MAS.

Der Senat besteht aus insgesamt 36 Parlamentariern, vier pro Departement. Der MAS darf 25 Senatoren in die Kammer schicken, PPB 11 Senatoren. Damit sind nur zwei politische Kräfte im Senat vertreten, der bisher in Händen der Opposition war und somit zahlreiche Gesetzesvorhaben des MAS blockieren konnte. Der deutliche Sieg der Regierungspartei ist unter anderem auch im auf der neuen Verfassung beruhenden Wahlsystem begründet. Der bisher aus 27 Senatoren bestehende Senat wurde über Departementlisten gewählt, wobei der stärksten politischen Kraft zwei Senatoren und der zweitstärksten ein Senator zustand. Nach dem neuen Wahlrecht kann die stärkste Partei in einem Departement alle vier Senatorenposten gewinnen.

Die Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Kammern ist von besonderer Bedeutung, da das neu gewählte Parlament bereits in den nächsten Monaten eine Reihe von Ausführungsgesetzen erlassen muss, um die neue Verfassung zu implementieren, die teilweise dieser qualifizierten Mehrheit bedürfen.

Biometrisches Wählerregister

Für die Wahl entwickelte das Nationale Bolivianische Wahlgericht ein biometrisches Wählerregister. Das vorherige Wählerregister stand vor allem in der Kritik der Opposition, da wiederholt bekannt geworden war, dass es zahlreiche Mehrfachregistrierungen gab und teilweise auch Tote noch „fleißig zur Wahl“ gingen. Durch eine Neuregistrierung aller Bolivianer und die Erfassung biometrischer Daten wollte man dieses Problem lösen. In wenigen Monaten gelang es dem Wahlgericht, 5,1 Millionen Wähler in Bolivien, den USA, Brasilien, Argentinien und Spanien zu registrieren. Allerdings kamen in den letzten Wochen auch Zweifel an diesem Prozess und an der Transparenz des Gerichts auf. So stieg die Zahl der Wähler von 3,8 Millionen im alten noch im Januar verwandten Wählerregister auf 5,1 Millionen an - in einem Land mit 10 Millionen Einwohnern. Bei Schätzungen vor der neuen Registrierung war von maximal 4 Millionen Wahlberechtigten die Rede. Selbst auf Nachfragen der Presse hin gab das Nationale Bolivianische Wahlgericht keine Erklärung ab, wie es zu so einem hohen Anstieg kommen konnte. Zwei Wochen vor der Wahl gab das Wahlgericht bekannt, dass bei 400.000 Wählern die Daten im Personalausweis nicht mit den Daten im Melderegister übereinstimmten. Den Bürgern wurde eine Woche Zeit gegeben, um bei den Wahlgerichten in den neun Departements die Originalgeburtsurkunde vorzulegen und somit zur Wahl zugelassen zu werden. Nach wenigen Tagen gab das Wahlgericht allerdings dem Druck der Regierungspartei nach und befähigte alle Bürger direkt zur Wahl, ohne die Vorlage der Geburtsurkunde zu verlangen. Der MAS hatte den Funktionären mit juristischen Schritten gedroht.

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Der Wahltag lief friedlich und ohne große offensichtliche Unregelmäßigkeiten ab. Bereits seit Freitag durfte im ganzen Land kein Alkohol ausgeschenkt werden und seit 0:00 Uhr des Wahltages durften keine Autos ohne Sondererlaubnis mehr fahren. Die Bolivianer nutzten den Wahltag, um auf den leeren Straßen Fahrrad zu fahren und spazieren zu gehen. Vor den Wahllokalen waren Markt- und Essensstände aufgebaut und das Ambiente ähnelte einem großen Familienfest. In zahlreichen Wahllokalen hing über dem Eingang gut sichtbar Werbung des MAS, was eigentlich nicht gestattet ist.

Bereits kurz nach Schließung der Wahllokale begannen Anhänger der Regierung, auf den Straßen zu feiern. Um 22.00 Uhr trat Präsident Evo Morales auf den Balkon des Regierungspalastes, um zu der auf der Plaza Murillo versammelten Menge zu sprechen. Er dankte den Bolivianern für ihr Vertrauen und betonte, dass er sich nun noch viel mehr in der Pflicht sehen würde, den Prozess des Wandels und der Einführung des Sozialismus des 21. Jahrhunderts voranzutreiben. Er lud auch die Opposition ein, sich seinem Projekt anzuschließen. Dem Imperialismus müsse weiterhin entschieden Widerstand geleistet werden, denn er richte sich gegen das Volk. Gegner des Volkes in jeglicher Gestalt müssten entschieden bekämpft werden. Höchste Priorität habe nun die Implementierung der neuen Verfassung.

Schwache Opposition

Die Stärke des Präsidenten und des MAS ist unter anderem auch auf die Schwäche der Opposition zurückzuführen, der es in vier Jahren nicht gelungen ist, eine attraktive politische Alternative zu organisieren. Das bolivianische Parteiensystem befindet sich in einem tief greifenden Wandlungsprozess. Bei dieser Wahl trat keine einzige traditionelle Partei mehr an. Mit dem MAS und Unidad Nacional gingen nur zwei Kräfte ins Rennen, die auch im bisherigen Parlament vertreten waren. Die Politiker der bisher stärksten oppositionellen Kraft PODEMOS überwarfen sich aufgrund innerer Konflikte und die Partei trat gar nicht erst zur Wahl an.

Bei PPB handelt es sich im engeren Sinne nicht um eine Partei, sondern um einen Zusammenschluss verschiedenster politischer Bewegungen und Personen, die vor allem die Ablehnung der derzeitigen Regierung eint und nicht etwa ein gemeinsames Parteiprogramm oder eine ideologische Linie. Manfred Reyes Villa nutzte geschickt das politische Gewicht der Departements und überließ es jeweils den Präfekten, die Kandidaten aufzustellen. Somit konnte er sich zwar im Tiefland eine breite Unterstützung sichern, aber es wird sicher schwierig sein, in so einer heterogenen Gruppe Fraktionsdisziplin durchzusetzen.

Manfred Reyes Villa, der lange Jahre Bürgermeister von Cochabamba und später Präfekt des gleichnamigen Departements war, verkörpert für viele Bolivianer den traditionellen Politikstil, der 2005 abgewählt wurde. Samuel Doria Medina ist ebenfalls schon lange in der Politik aktiv und wird von der Bevölkerung in erster Linie als Großunternehmer gesehen, der durch die Politik seine wirtschaftlichen Interessen sichern will. Es gab keinen Oppositionskandidaten, der die von der Regierung enttäuschte städtische Mittelklasse repräsentiert, die zwar einen Wandel unterstützt, nicht aber den Radikalkurs des Movimiento al Socialismo befürwortet. Verschiedene Versuche scheiterten, eine solche Alternative zu bilden. Im Juli bemühten sich mehrere Politiker, eine breite Oppositionsfront mit einem Einheitskandidaten ins Leben zu rufen. Der Versuch scheiterte jedoch, da kaum ein Kandidat bereit war, sich zurückzuziehen.

Ausblick

Die Regierung wird in der kommenden Legislaturperiode unter Beweis stellen müssen, dass sie die bevorstehenden politischen Herausforderungen meistern und Wahlversprechen erfüllen kann. In den vergangenen vier Jahren befand sich das Land in einem ständigen Wahlkampf und die praktische Regierungsarbeit trat in den Hintergrund. Das wird nun nicht mehr möglich sein.

Die größte Herausforderung für den MAS wird die Implementierung der neuen Verfassung darstellen. Die Verfassung ist in vielen Punkten widersprüchlich und sie lässt extrem großen Spielraum für die Ausführungsgesetze. Unter anderem durch die Einführung von z.B. vier verschiedenen Autonomieebenen und der indigenen Rechtsprechung mit gleichem Verfassungsrang wie die ordentliche Rechtsprechung steht das neu gewählte Parlament vor großen legislativen Herausforderungen. Über 95% der neuen Parlamentarier sind zum ersten Mal gewählt und verfügen über keinerlei formale politische Erfahrung.

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den letzten Jahren waren für die Regierung aufgrund der hohen Rohstoffpreise auf den Weltmärkten äußerst günstig. Über die Hälfte des bolivianischen Haushaltes finanziert sich aus den Einnahmen aus dem Erdgas- und Erdölsektor. Erdöl, Erdgas und Bergbauprodukte machen zwei Drittel der bolivianischen Exporte aus. Aufgrund fallender Preise dieser Produkte sieht die Wirtschaftsperformance Boliviens dieses Jahr bereits deutlich schlechter als letztes Jahr aus. Sollten die Preise weiter sinken, so wird die Regierung Schwierigkeiten haben, die zahlreichen direkten Geldtransfers im Rahmen staatlicher Sozialprogramme und die in den letzten Jahren deutlich gestiegenen Kosten der öffentlichen Verwaltung zu finanzieren. Da die Regierung aufgrund der deutlichen Mehrheiten nun die ganze politische Verantwortung trägt, kann sie in Zukunft nicht mehr die Opposition für fehlende Leistungen und andere aufkommende Probleme verantwortlich machen.

Interessant ist die Frage, ob sich die Regierung in Zukunft weiter radikalisieren und versuchen wird, auch stärker sozialistische Elemente im Wirtschaftssystem zu verankern und radikalen Wünschen des linken Flügels der Partei und indigener Bewegungen nachzugeben, oder ob sie stärker auf die Mittelklasse zugehen wird, um die seit Jahren herrschende Polarisierung zu beenden. Experten halten die erste Möglichkeit für wahrscheinlicher.

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