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de Stefan Burgdörfer

CELAC-Gipfel in Costa Rica

Sie kamen, um sich auf Punkte zu einigen, über die sie sich vorab einig waren: Die Staats- und Regierungschefs Lateinamerikas und der Karibik haben sich am 28. und 29. Januar in Belén nahe der costa-ricanischen Hauptstadt San José getroffen. Der dritte Gipfel dieser Art – III Cumbre de la CELAC – war von dem Bemühen um Harmonie geprägt. Das gelang nicht immer.

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Die Comunidad de Estados Latinoamericanos y del Caribe (CELAC), Zusammenschluss aller 33 lateinamerikanischen und karibischen Staaten, geht auf die „Erklärung von Caracas“ zurück, die am 3. Dezember 2011 unterzeichnet wurde. Die Initiatoren, unter ihnen Venezuelas verstorbener linksautoritärer Präsident Hugo Chávez, waren unter anderem um ein Gegengewicht zur Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) bemüht. Diese in Washington ansässige Organisation umfasst neben den in der CELAC vertretenen Staaten auch die USA und Kanada, nicht jedoch Venezuelas Bruderstaat Kuba.

CELAC: Diskussionsrunde und Wirtschaftsinteressenverband

Im Januar 2013 fand ein erster CELAC-Gipfel in Santiago de Chile statt, dem im Januar 2014 ein zweiter Gipfel in Havanna folgte. Dazwischen kam es zu einem gemeinsamen Gipfel der CELAC und der Europäischen Union in Chile 2013 sowie Anfang Januar dieses Jahres zu einem China-CELAC-Gipfel in Peking. Letzterer brachte konkrete Ergebnisse: China kündigte an, in den kommenden zehn Jahren 250 Milliarden US-Dollar in den Subkontinent zu investieren. Viele lateinamerikanische Regierungschefs flogen mit mehr oder minder großen Geldgeschenken nach Hause – nicht zweckgebunden, wie es hieß.

Die Ziele der CELAC-Vertreter in Peking dürften im Wesentlichen als erreicht gelten, und sie waren auch im Vorfeld klar definiert. In Belén dagegen nahmen keine internationalen Geldgeber und potentielle Bündnispartner teil. Die Mitgliedsstaaten waren unter sich und nicht durch ein konkretes wirtschaftspolitisches Ziel verbunden. Was waren also die Ziele des Gipfels? Wohin steuert das Bündnis CELAC? Welche politischen Projekte möchten die Regierungen gemeinsam umsetzen?

Unruhestifter: Expräsident und Abgeordnete benennen Missstände

Dieser unklaren Ausgangslage und dem fraglichen Nutzen des Gipfels dürfte es geschuldet sein, dass einige Regierungschefs dem Treffen fernblieben. Die Präsidenten Perus, Mexikos, Paraguays und Argentiniens sowie die Premierminister von Belize und sieben karibischer Staaten sagten ihre Teilnahme ab.

Dass diejenigen Staats- und Regierungschefs, die sich angekündigt hatten, brisante Themen wie die Verletzung von Menschenrechten und die autoritären Tendenzen in einigen Mitgliedsstaaten ansprechen würden, wurde vorab nicht erwartet. Für Aufsehen sorgte jedoch zwei Tage vor Gipfelbeginn ein offener Brief des ehemaligen costa-ricanischen Präsident Oscar Arias an die venezolanische Regierung, in dem er diese für die katastrophale wirtschaftliche Lage des Landes verantwortlich macht, sie als korrupt und ineffizient bezeichnet und zur Unterstützung eines demokratischen Wandels aufruft. Der Friedensnobelpreisträger wurde vielfach zitiert. Die Antwort aus Venezuela klang gewohnt dramatisch: Einige Abgeordnete der Regierungspartei bezichtigten Arias der Anstiftung zum Staatsstreich.

Ein zweites ermutigendes Signal setzte das costa-ricanische Parlament, die Asamblea Legislativa: Kurz vor Beginn des Gipfels brachte Mario Redondo, Vorsitzender und einziger Abgeordnete der Alianza Demócrata Cristiana, einen Antrag ein, der Präsident möge die Repressalien gegen Oppositionelle in Venezuela ansprechen. Mit 21 zu 19 Stimmen wurde der Antrag angenommen. 17 Abgeordnete enthielten sich. Gegenstimmen kamen unter anderem aus den Fraktionen der linksgerichteten Frente Amplio, der sozialdemokratischen PLN und der Regierungspartei PAC, während die christdemokratische PUSC geschlossen dafür stimmte. Jedoch war der Beschluss des Parlamentes nicht bindend, und der Präsident kam der Aufforderung, soweit bekannt, auch nicht nach.

Der Affront: Nicaraguas Präsident Ortega spaltet

Das Bemühen des Präsidenten Solís um ein geschlossenes Auftreten wurde von einem Staatschef auf die Probe gestellt, der offenbar in der Absicht gekommen war, den Gipfel für seine eigenen politischen Ziele zu kapern: Nicaraguas Präsident Daniel Ortega gab einmal mehr den Vorkämpfer gegen die angebliche imperialistische Politik der USA und schleuste mit falschen nicaraguanischen Pässen vier Puerto-Ricaner als Teil seiner Delegation in den Gipfel ein.

In einer Sitzung, die für eine Aussprache der Staats- und Regierungschefs vorgesehen war, gab Ortega seine Redezeit an einen hinter ihm sitzenden Herren ab, der sich als Vorsitzender der Partido Independentista Puertorriqueño herausstellte und für die Unabhängigkeit Puerto Ricos von den USA warb. Die separatistische PIP stellt einen von 27 Sitzen im puerto-ricanischen Senat, im Abgeordnetenhaus ist sie nicht vertreten. In einem Referendum im Jahr 2012 hatten lediglich 5,5 Prozent der Wähler für eine Unabhängigkeit gestimmt. Trotz des geringen Rückhalts der Partei und ihres Kernziels präsentierte Ortega die eingeschleusten PIP-Vertreter jedoch als legitime Stimme des puerto-ricanischen Volkes und brachte damit insbesondere die Gastgeber in Verlegenheit.

Staatspräsident Solís musste als Sitzungsleiter zur Ordnung rufen. Es kam zu einem kurzen Wortgefecht zwischen den Staatschefs, das in den Medien Wort für Wort widergegeben wurde. Solís behauptete höflich, aber bestimmt seine Autorität. Angesichts der Einreise vierer Delegationsteilnehmer mit falschen Pässen war er dennoch der Düpierte. Am zweiten Sitzungstag reiste Ortega ab – seine Mission war offenbar erfüllt.

„Bekräftigen“, „erneuern“, „befürworten“: Abschlusserklärung bietet wenig Neues

Nach Ortegas Abreise einigten sich die übrigen Sitzungsteilnehmer auf eine Abschlusserklärung, in der vielfach auf frühere Erklärungen verwiesen wird, in der Forderungen und Absichtserklärungen erneuert und Entwicklungen in einzelnen Staaten und internationalen Gremien befürwortet werden. Konkrete Maßnahmen, Referenzrahmen und Zeitpunkte zur Erreichung von Zielen werden nicht genannt. Die 94 Punkte der Declaración de Belén lassen sich grob in vier Themenbereiche einteilen:

  1. Gemeinsames Wirken an einer nachhaltigen Entwicklung auf der Grundlage gleicher Rechte
  2. Teilhabe an der Ausarbeitung einer globalen Entwicklungsagenda
  3. Gemeinsame Anstrengungen gegen den Klimawandel und die Erderwärmung
  4. Gemeinsames Eintreten für den Frieden als Basis einer nachhaltigen Entwicklung
Als elementar für eine nachhaltige Entwicklung wird es angesehen, den Hunger und die extreme Armut in den Ländern Lateinamerikas und der Karibik vollständig zu besiegen. Im Vorwort heißt es: „Die endgültige Beseitigung der Armut (erradicación irreversible de la pobreza) ist unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung”, die “ohne eine Inklusion schutzbedürftiger sozialer Gruppen” nicht gelingen könne. Darüber hinaus bedürfe es der Förderung einer Kultur des Friedens. Die folgenden Punkte gehen auf diese Ziele ein: Bekämpfung des Hungers, gleiche Rechte für Minderheiten insbesondere der Indigenen, Inklusion am Arbeitsplatz, Recht auf kostenlose Schulbildung, Beseitigung des Analphabetismus. In 94 Punkten ist jedoch Platz für weit mehr: Soziale Teilhabe durch Sport, nachhaltige Produktions- und Konsumweisen sowie nukleare Abrüstung, die Ablehnung jeder Form des Terrors und die explizite Unterstützung Argentiniens im Disput um die Falklandinseln finden sich ebenso darin wieder.

An zwei Stellen wendet sich das Dokument direkt an die Vereinigten Staaten. In Punkt 64 findet sich eine Bekräftigung der Forderung an die USA, Kuba von der Liste der Terror unterstützenden Staaten zu streichen. Es handelt sich um eine Erneuerung der gleichlautenden Formulierung in der Abschlusserklärung des 2. CELAC-Gipfels im Mai 2014. In Punkt 74 wird der US-Präsident, ohne ihn namentlich zu nennen, direkt angesprochen, sämtliche Sanktionen gegen Kuba aufzuheben – auch dies nicht zum ersten Mal.

Darüber hinaus befinden sich in der Erklärung einige Punkte, die jeder Mitgliedsstaat je so auslegen kann, wie es ihm für die heimische Diskussion nützt. Punkt 68 betont den „lateinamerikanischen und karibischen Charakter Puerto Ricos”. Das lässt sich als Unterstützung der Eigenstaatlichkeit lesen, jedoch nicht zwingend. Dasselbe gilt für den Punkt 69, der auf die Resolution 1514 (XV) der Vereinten Nationen verweist. Im Jahr 1960 hatte sich die Generalversammlung dafür ausgesprochen, Lateinamerika und die Karibik sollten „frei von Kolonialismus und Kolonien” sein. Puerto Rico als US-Kolonie zu bezeichnen, ist gängige linke Rhetorik – Regierungen, die diese Formulierung nicht teilen, haben an dieser Stelle aber kein Statement für die Unabhängigkeit abgegeben.

Applaudiert wurde in lateinamerikanischen und linksgerichteten deutschen Medien auch der Erklärung 37, die sich so lesen lässt, als stärkten sämtliche CELAC-Mitgliedsstaaten Argentinien den Rücken im Kampf gegen die Hedgefonds. Darin heißt es: “Wir bekräftigen unsere Solidarität und unsere Unterstützung der Republik Argentinien auf der Suche nach einer Einigung.” Solidarität gegen die “Geierfonds”? Der Text ist viel zurückhaltender.

Wenn es den Staaten nicht gelang, sich auch nur auf derart unspezifische Formulierung zu einigen, taten sich einzelne Regierungen zusammen, um Zusatzerklärungen abzuschließen. Zu den 94 Punkten der Deklaration von Belén kommen 26 solcher Minderheitsentscheidungen, etwa zur politischen Situation in Haiti, “unilateralen Aktionen” gegen Venezuela (auch hier ist der Adressat die USA) oder zu den Friedensverhandlungen der kolumbianischen Regierung mit der FARC.

Fazit und Ausblick

Der dritte CELAC-Gipfel war die größte Konferenz, die je in Costa Rica ausgerichtet wurde. Für Präsident Solís, der sein Amt während der einjährigen CELAC-Präsidentschaft Costa Ricas übernommen hatte, war der Gipfel sein bislang wichtigster außenpolitischer Auftritt. In der Öffentlichkeit wird der Gipfel weitgehend positiv bewertet. Anfangs wegen der hohen Kosten in der Kritik, überwog schließlich der Stolz, als Gastgeber eine gute Figur abgegeben und die internationale Bedeutung Costa Ricas gestärkt zu haben. Dabei sind sich auch die costa-ricanischen Medien einig, dass der Gipfel kaum konkrete Ergebnisse brachte. Die ausufernde, 94 Punkte umfassende Abschlusserklärung kann die ideologischen Differenzen ebenso wenig verdecken wie das Desinteresse nahezu aller anwesenden Staaten, durch eine zunehmende Institutionalisierung die regionale Kooperation und Integration zu fördern.

Auf 22 Seiten ist in der Deklaration von Belén 85-mal von Entwicklung die Rede, meist in Verbindung mit „desarrollo sostenible“ und „desarrollo democrático“. Dies zeigt zum einen die Bedeutung, die die Staats- und Regierungschefs Lateinamerikas und der Karibik dem Thema Entwicklung beimessen, und die Überzeugung, sich an Fortschritten in diesem Bereich messen lassen zu müssen. Zum anderen zeigt es aber auch, wie viel in diesem Zusammenhang noch zu tun ist. Hinzu kommt, dass der Begriff unspezifisch ist, da konkrete Fort- und vor allem Rückschritte in der demokratischen Entwicklung nicht offen angesprochen wurden, um keinen der Anwesenden zu brüskieren. Die Staatschefs Venezuelas, Kubas, Ecuadors und Nicaraguas, die demokratische Grundrechte ihrer Bürger einschränken, mussten sich keine öffentliche Kritik anhören.

Diese Abschlusserklärung, die den Konsens unter den Mitgliedsstaaten betont ohne zu konkreten Ergebnissen zu kommen, ist durch zwei Faktoren zu erklären. Erstens finden in der CELAC Staaten mit ganz unterschiedlichen politischen Systemen, unterschiedlichen Regierungen und unterschiedlichen Stadien der demokratischen Entwicklung zusammen: Von Korruption und Gewalt beherrschte Staaten am Rande der Regierbarkeit wie die Länder des nördlichen Dreiecks Zentralamerikas, wirtschaftlich aufstrebende, etablierte Demokratien wie Panama und Chile, bettelarme karibische Inselstaaten mit fragwürdiger demokratischer Entwicklung, die zwei Dickschiffe Mexiko und Brasilien mit ihren eigenen regionalpolitischen Zielen sowie einige Staaten, deren zumeist linke, populistische oder autoritäre Regierungen demokratische Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte nach und nach verspielen.

Ein zweiter Faktor ist das gering ausgeprägte Interesse der Staaten Lateinamerikas und der Karibik, die regionale Kooperation durch eine weiterreichende Institutionalisierung voranzubringen. Für die Mitgliedsländer der CELAC ist regionale Integration kein Wert an sich, den es aus historischer Erfahrung und aus Verantwortung für die Zukunft anzustreben gilt, wie dies Gründungsgedanke der Europäischen Union war. Interregional wird zusammengearbeitet, wenn dies Vorteile verspricht. Wegen eines abstrakten Einigungsgedankens dagegen gibt kein lateinamerikanischer Staat Teile seiner Souveränität auf.

Im Vergleich der beiden aufeinanderfolgenden Gipfel im Januar – zunächst in Peking, dann in Belén – zeigt sich: Die CELAC kommt zu konkreten Ergebnissen, wenn es um gemeinsame Wirtschaftsinteressen geht. Es fehlt dagegen an einer Vision, wenn es darum geht, was die Mitgliedsstaaten in ihrer Region gemeinsam politisch erreichen wollen.

Am Ende der zweitägigen Großveranstaltung übergab Präsident Solís die Präsidentschaft an Ecuadors Präsidenten Rafael Correa. Dieser wird im kommenden Jahr den nächsten Gipfel austragen, und so geht es in den folgenden Jahren weiter: Es übernehmen im Anschluss die Dominikanische Republik (2017) und Bolivien (2018). Sollte kein anderer Geist in das Regionalbündnis einziehen, ist davon auszugehen, dass auch in den kommenden Abschlusserklärungen vor allem vom „Erneuern“ und „Bekräftigen“ früherer Standpunkte die Rede sein wird. Konkrete Maßnahmen, Zeitpunkte und Ziele werden sich auch in diesen Dokumenten nicht finden. Ergebnisse liefern könnte dagegen der nächste Gipfel, der die CELAC mit einem Partner von außen zusammenführt und in dem sie gemeinsame wirtschaftspolitische Ziele eint: Am 10. und 11. Juni findet in Brüssel der zweite CELAC-EU-Gipfel statt.

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