Reportajes internacionales
Die bereits abgeschriebenen Christdemokraten von der Partido Unidad Social Cristiano (PUSC) legten entgegen aller Umfragen und Vorhersagen zu.
Wenn drei sich streiten, freut sich der Vierte. Die Erweiterung dieses Sprichworts trifft auf die erste Runde der Präsidentschaftswahlen zu, bei denen sich Luis Guillermo Solís (PAC) überraschend als Erstplatzierter durchsetzte. Anfang Januar sahen ihn Umfragen noch bei etwa fünf bis zehn Prozent der Stimmen, doch zog er in den letzten Tagen vor dem Urnengang an drei Favoriten vorbei und landete mit 31 Prozent auf dem ersten Platz. Der Kandidat der bürgerlich-sozialdemokratischen PAC wurde frenetisch von seinen Anhängern gefeiert und ist nun Favorit für die Stichwahl in zwei Monaten. Kontrahent wird der Zweitplatzierte Johnny Araya sein, der sich lange Zeit als Sieger wähnte und noch auf einen Sieg in der ersten Runde setzte. Dass er nur 29,6 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, kommt fast einer Niederlage gleich und überrascht ebenfalls.
Nicht minder unerwartet waren das schlechte Abschneiden von Sozialist José Maria Villalta (FA) und Otto Guevara (ML). Villalta wurde mit 17,1 Prozent der Stimmen Dritter. Guevara enttäuschte seine Anhänger mit einem Ergebnis von 11,2 Prozent. Umfragen zur Folge hatten beide Kandidaten die Möglichkeit, die Stichwahl zu erreichen. Eindeutig erteilten die costa-ricanischen Wähler dem linksextremen Villalta und rechtsliberalen Guevara eine Absage und entschieden sich für die politische Mitte. Ein Indiz hierfür ist auch das unerwartet gute Abschneiden des christdemokratischen Kandidaten Rodolfo Piza.
Vorläufiges Ergebnis der Präsidentschaftswahl :
- Luis Guillermo Solís, PAC: 31,0 %
- Johnny Araya, PLN: 29,6 %
- José Maria Villalta, FA: 17,1 %
- Otto Guevara, ML: 11,2 %
- Rodolfo Piza, PUSC: 6,0 %
- Sonstige Kandidaten (8): 5,1 %
Die zeitgleich stattfindenden Parlamentswahlen zeigten von der Präsidentschaftswahl abweichende Ergebnisse und führen zu keinen eindeutigen Mehrheiten im Ein-Kammer-Parlament. In Costa Rica werden geschlossene Parteilisten pro Provinz gewählt. Die in das nationale Parlament entsendete Anzahl von Abgeordneten pro Provinz entspricht ungefähr der jeweiligen Bevölkerungsgröße. Die ungleiche Verteilung und das angewandte Auszählverfahren sorgen dafür, dass in einigen Provinzen mit deutlich weniger Stimmen ein Abgeordnetenmandat errungen werden kann als in anderen. Die Provinz San José stellt bspw. 19, die Provinz Limón nur vier von 57 Volksvertretern.
Darüber hinaus kam es bei diesen Wahlen offensichtlich verstärkt dazu, dass die Wähler ihre Stimmen auf den Präsidentschaftskandidaten und die Abgeordnetenliste verschiedener Parteien verteilten.
Vorläufiges Ergebnis der Parlamentswahlen , erhaltenen Stimmen (in %):
- PLN:25,52 %
- PAC:23,82 %
- FA:13,08 %
- PUSC:10,01 %
- ML: 7,92 %
- Renovación Nacional, REN: 4,11 %
- Renovación Costarricense, PRC: 3,97 %
- Accesibilidad sin Exclusión, PASE: 3,95 %
- Patria Nueva, PN: 2,07 %
- Nueva Generación, NG: 1,25 %
- Alianza Demócrata Cristiana, ADC: 1,15 %
- Sonstige Parteien: 3,15 %
- PLN:18 Sitze
- PAC:14 Sitze
- FA: 9 Sitze
- PUSC: 8 Sitze
- ML: 3 Sitze
- PRC: 2 Sitze
- REN: 1 Sitz
- PASE: 1 Sitz
- ADC: 1 Sitz
Wie ist der Stimmungswandel erklärbar?
Anfang des Jahres sah es noch eindeutig nach einem Dreikampf zwischen Araya (PLN), Villalta (FA) und Guevara (ML) aus. In den Fernseh- und Radiodebatten fand ein entsprechender Schlagabtausch statt, in dem vorrangig Villalta gegen die etablierten Parteien wetterte und sich als „neues Gesicht“ präsentierte. Mit einer weichen Rhetorik verkaufte er sozialistische Ideen als einziges Mittel für mehr Arbeit und Lohn, mehr soziale Gerechtigkeit. Er mahnte Korruption und Intransparenz der Regierung an und konnte damit besonders bei politikverdrossenen Wählern punkten. Darüber hinaus vertrat er wertliberale Ansichten und sprach sich beispielsweise für gleichgeschlechtliche Ehe und Abtreibung aus. Damit wollte er hauptsächlich junge Wähler für sich gewinnen. Demgegenüber waren es vor allem Johnny Araya und Otto Guevara, die vor dem Kommunisten Villalta warnten. Ihnen schien es gelungen zu sein, Villalta in die Ecke eines kubafreundlichen Linksextremisten zu stellen. Zumindest mit Blick auf Teile der Partei Frente Amplio hatten sie damit nicht unbedingt Unrecht.
Guevara selbst ist in der costa-ricanischen Politik kein Unbekannter. Er trat nun bereits zum vierten Mal bei der Präsidentschaftswahl für die ML an, zeigte sich neuerdings als liberal-konservativer Kandidat und fischte damit nach Stimmen im rechten Lager. Er hoffte offensichtlich auf Stimmen ehemaliger Anhänger der christdemokratischen PUSC sowie die unzufriedenen und unentschlossenen Wähler. Mangelnde Glaubwürdigkeit, genährt durch wiederkehrende Korruptionsvorwürfe, und ein zu häufiger Wechsel seiner Ansichten dürften ihm geschadet haben. Seine Rechnung ist offensichtlich nicht aufgegangen: In keinem Wählerlager konnte er punkten und bleibt mit nur 11,2 Prozent bei der Präsidentschaftswahl und nur drei errungenen Abgeordnetenmandaten weit hinter den Erwartungen zurück.
Araya attackierte im Wahlkampf vor allem die Kontrahenten Villalta und Guevara. Er präsentierte sich als Kandidat der Mitte, der für Stabilität und Kontinuität des costa-ricanischen Modells stand. Die Kandidaten Solís (PAC) und Piza (PUSC) nahm er in den Debatten nicht in den Fokus. Damit hat er sich stark verkalkuliert.
Zwei Punkte sind für den Stimmungswandel hervorzuheben: Erstens dürften die Warnungen vor dem Linksextremismus Wirkung gezeigt haben. Viele Wähler dürften sich von Villalta abgewendet haben, jedoch zugunsten von Luis Guillermo Solís, der sich als deutlich gemäßigte Alternative zu Villalta positionierte. Zweitens hat Araya sowohl die Antipathie der Wähler gegen ihn selbst und auch seine Partei PLN unterschätzt. Araya war vor seiner Kandidatur über 20 Jahre Bürgermeister von San José. Allerdings verlor er sogar hier sein „Heimspiel“ und schnitt in der Hauptstadt schlechter ab als Kontrahent Solís. Ebenso scheinen viele Wähler die dritte Legislaturperiode einer PLN-geführten Regierung in Folge unbedingt verhindern zu wollen. Die PLN-Regierung unter Oscar Arias (2006-2010) ging aufgrund eines strittigen Handelsabkommens Costa Ricas mit den USA mit großer PLN-Antipathie zu Ende. Die jetzige Präsidentin Laura Chinchilla (2010-2014) galt bereits seit langem als erfolglose Staatschefin, die die Probleme des Landes nicht zu lösen im Stande ist. Die Wahl für Solís war somit auch eine Wahl gegen Araya und eine Neuauflage einer PLN-Regierung.
Araya kämpft gegen die Abwahl der PLN
Mit Blick auf das beschriebene Szenario sind die Aussichten für Johnny Araya eher düster. Fast schon realitätsfremd trat er am Wahlabend in Siegerpose auf und schien das vorbereitete Programm eines Wahlsiegs herunterzuspulen. Vermutlich hatte das Wahlkampfteam zumindest mit einem deutlichen Vorsprung gerechnet. Zwei Monate hat Araya nun Zeit, die Wahlkampfmaschine PLN, die bei weitem über die beste Struktur im Lande verfügt, auf die Stichwahl am 6. April vorzubereiten. Dabei muss das Wahlkampfteam auch eine neue Argumentationslinie gegen Luis Guillermo Solís finden. Weder die Warnung vor der Gefahr von links (Villalta) oder von rechts (Guevara) werden gegen den gemäßigten Solís nützen. Darüber hinaus stigmatisierte Araya Villalta als zu jungen Kandidaten für das Präsidentenamt. Solís hingegen verfügt mit seinen 55 Jahren über ebenso viel (politische) Erfahrung wie Araya. Als ehemaliger PLN-Funktionär kann Solís zudem die Fehler der PLN glaubwürdig darstellen, die ihre eigenen Werte verkauft hat. Längst hat die PLN nicht mehr das Image einer sozialdemokratischen, sondern vielmehr einer neoliberalen Partei.
Das Rennen um die Präsidentschaft ist somit erneut eröffnet. Sollte die PAC die Welle der Sympathie nutzen und weiter für die Abwahl der PLN werben, hat sie gute Chancen, mit Solís den nächsten Präsidenten zu stellen. Die PLN hingegen muss zu ihrer traditionellen Wahlkampfstärke zurückfinden und neben der eigenen großen Parteibasis auch die unentschlossenen Wähler für sich gewinnen. Mitentscheidend wird das Verhalten der ausgeschiedenen Präsidentschaftskandidaten sein. Üblicherweise kommt es zu absprachen, welchem der beiden Stichwahlkandidaten sie öffentlich ihre Zustimmung bekunden. Dies könnte für weitere Wählerstimmen sorgen, auch wenn keineswegs sicher ist, dass die Wähler dem Aufruf folgen.
Eine Wiederauferstehung der PUSC?
Die politischen Analysten zeigten sich überaus überrascht über das gute Abschneiden der PUSC. Christdemokrat Rodolfo Piza und die gewählten Abgeordneten seiner Partei sind sicherlich unter den Gewinnern bei diesen Wahlen. Piza, Rechtsanwalt und ehemaliger Präsident der Sozialversicherungskasse, unterlag noch in den Vorwahlen der PUSC im Mai 2013 deutlich gegen den bekannten Leiter einer Kinderklinik, Rodolfo Hernández. Der Arzt, der über keine Erfahrung in der Politik verfügte, ernannte Piza zu dessen Vizepräsidentschaftskandidaten. Zeitweilig erreichte Politneuling Hernández gute Umfragewerte und ließ die Hoffnung in der Partei aufkommen, dass man nach zwei verlorenen Wahlen zu alter Stärke zurückfinden würde. Im Oktober warf Hernández überraschend das Handtuch, nachdem er mit dem Parteivorstand über die Verwendung von Wahlkampfmitteln in Streit geraten war. Er verabschiedete sich mit einem öffentlichen Brief, in dem er eine Art „Dolchstoßlegende“ in der Partei gegen seine Person beschrieb, ohne nähere Details nennen zu wollen. Am Folgetag ließ er sich wiederum von seinen Anhängern zu einer Rückkehr bewegen. Drei Tage später erklärte der Kinderarzt erneut seinen Rücktritt und hinterließ einen großen Imageschaden für die Partei, den er durch allerlei Anschuldigungen verstärkte. Mitte Oktober, kurz nach dem Einläuten der offiziellen Wahlkampfphase durch den Obersten Wahlgerichtshof, rückte Piza als PUSC-Präsidentschaftskandidat nach. Er hatte nicht nur mit einem desaströsen Öffentlichkeitsbild und einer diffundierenden Parteistruktur, sondern auch einer leeren Wahlkampfkasse zu kämpfen. Ehemalige Parteigrößen wie Ex-Staatspräsident Calderon oder der Abgeordnete Luis Fishman versagten ihrer eigenen Partei ihre Unterstützung und wandten sich dem Movimiento Libertario bzw. der PLN zu. Möglicherweise hat der öffentlich bekundete Austritt dazu geführt, dass alte PUSC-Wähler zurückkehrten. Zudem dürfte der Wahlkampf der PUSC-Kandidaten in ihren jeweiligen Provinzen Wirkung gezeigt haben. Auch wenn die Wähler einen anderen Präsidentschaftskandidaten wählten, so entschieden sie sich zumindest für die Parteiliste der PUSC bei der Wahl der Abgeordneten.
Zukunft der PUSC
Wie es mit der PUSC weitergeht, ist fraglich. Noch im April vergangenen Jahres verhandelte man eine Koalition mit der PAC, die aus heutiger Sicht beste Siegchancen hätte. Die PUSC-interne Vorwahl, aus der Hernández als Präsidentschaftskandidat hervorging, beendete den Koalitionsplan mit der PAC, da dieser nur unter seiner Führung regieren wollte. Ob die PAC im Parlament bei einem möglichen Wahlsieg von Solís eine gute Option zur Zusammenarbeit für die PUSC wäre, sollte maßgeblich von inhaltlichen Standpunkten abhängen. Noch wichtiger wird es für die PUSC sein, die mediale Präsenz einer relativ großen Fraktion als Vorlage für den Kommunalwahlkampf im Jahr 2016 zu nutzen.
Oberster Wahlgerichtshof zufrieden - ein Sieg der Demokratie
Laut dem Obersten Wahlgerichtshof (TSE), der für die organisatorische Durchführung und die Überwachung der Wahlen verantwortlich ist, gab es keine Zwischenfälle bei den Wahlen. Erstmals überschritt die Anzahl der Wähler die Drei-Millionen-Marke. Internationale Wahlbeobachter zeigten sich von dem Verlauf der Wahlen zufrieden und beeindruckt. Mit gegenseitigem Respekt und einem farbenfrohen Bekenntnis zu den jeweiligen Parteien zelebrierten die Costa-Ricaner ihre Demokratie. Am Abend verkündete der Vorsitzende des Obersten Wahlgerichtshofs feierlich die ersten Ergebnisse vor einem international geladenen Publikum und Pressevertretern, während sich auf den Straßen die Anhänger der unterschiedlichsten Parteien mischten. Rund 13.000 freiwillige Wahlhelfer und Angestellte des TSE, zehntausende von Wahlbeobachtern der Parteien sowie die Polizei sorgten für einen friedlichen und reibungslosen Wahlverlauf. Negativ fiel nur die hohe Wahlenthaltung auf. Rund 32 Prozent der costa-ricanischen Wähler machten von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch. Besonders in den Küstenprovinzen war die Wahlabstinenz deutlich größer. Erklärungsmuster könnte die größere Entfernung zum jeweiligen Wahllokal sein. Viele Costa-Ricaner arbeiten zudem im dichter besiedelten Zentraltal, sind allerdings noch an ihrem ursprünglichen Heimatort registriert. Ebenso haben Wähler in den dünner besiedelten Küstenprovinzen weniger Einfluss auf die Auswahl der Abgeordneten, da nur weniger Mandate verteilt werden und somit in der Regel mehr Stimmen erforderlich sind, um ins Parlament gewählt zu werden.
Nach dem vorläufigen Ergebnis werden vermutlich 18 Frauen als Abgeordnete ins Parlament einziehen. Damit verfügt Costa Ricas nationale Volksvertretung über einen Frauenanteil von rund 31 Prozent. Der hohe Anteil ist der Regel zu verdanken, nach der Parteilisten alternierend nach Geschlecht aufgestellt werden müssen. Da in den meisten Fällen Männer die Listen anführen, ergibt sich so nach wie vor eine höhere Männerquote, dennoch wird die politische Partizipation von Frauen deutlich gefördert.
Zukunft der costa-ricanischen Demokratie
Ganz gleich, wer der kommende Staatspräsident von Costa Rica sein wird, er wird sich mit großen Problemen, unklaren Mehrheitsverhältnissen im Parlament und wenig politischem Handlungsspielraum zurechtfinden müssen. Das Land muss sein Haushaltsdefizit in den Griff bekommen. Besonders im öffentlichen Sektor sind Reformen notwendig. Ebenso muss die Sozialversicherung zukunftsfähig gemacht werden. Viele wichtige Reformprojekte blieben in der laufenden Legislaturperiode unvollendet und führten zu der allgemein verbreiteten Ansicht, dass das Land sich nicht (zum Positiven) weiterentwickeln würde. Infrastrukturprojekte im Straßenbau, der Kanalisation und dem öffentlichen Transportsektor müssen vorangetrieben und die zunehmende Ungleichheit zwischen Arm und Reich bekämpft werden. Der neue Präsident muss sich daher um eine Vermittlung und Kompromisse zwischen den ideologisch heterogenen Abgeordnetengruppen bemühen.