Die Ausbreitung von COVID-19 in Guatemala
Am 13. März 2020 wurde in Guatemala der erste Fall einer Infektion mit COVID-19 diagnostiziert. Seit dem 16. März sind Grenzen und Schulen geschlossen. Bereits vor der Diagnose des ersten Falles wurde bei allen, die ins Land einreisten, die Körpertemperatur gemessen, und umgehend war auch schon eines der Krankenhäuser in der Metropolregion Guatemala als Quarantäne- und Behandlungszentrum eingerichtet.
Seit dieser Zeit hat sich Präsident Giammattei das Management der Epidemie persönlich auf die Fahnen geschrieben, wie er stets betont „als Arzt und als Präsident“. Jeden Tag informiert er, fast immer persönlich, im Fernsehen und in den Kanälen der Sozialen Medien über die neuesten Statistiken. Und die demonstrieren, dass die von der Regierung angeordneten Maßnahmen effektiv sind. Zwar wird es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichtes in Guatemala auch über 300, vielleicht fast 400 Fälle geben. Angesichts einer Bevölkerung von mehr als 16 Millionen Menschen ist diese Zahl im Weltmaßstab jedoch gering; auch bei den Todesfällen (2,4 Prozent im Vergleich zu weltweit 6,9 Prozent) muss Guatemala den internationalen Vergleich nicht scheuen.
Für die Behandlung der erkrankten Menschen wurden bzw. werden fünf temporäre Krankenhäuser eingerichtet, die so über das Land verteilt sind, dass eine flächendeckende Versorgung gewährleistet werden kann. Damit stehen rund 3.500 zusätzliche Betten, davon etwas 80 Intensivbetten, für die Versorgung der COVID-19-Patienten zur Verfügung.
Jede Woche verkündet Giammattei die Verhaltensregeln, mit denen die Epidemie unter Kontrolle gehalten werden soll. Dabei gewinnt man als Betroffener und Beobachter den Eindruck, dass – etwa im Vergleich mit anderen lateinamerikanischen Ländern – die Regierung mit Bedacht und Augenmaß vorgeht, um die Einschränkungen sowohl effektiv als auch erträglich zu gestalten und so die Zustimmung und Kooperationsbereitschaft der Bevölkerung zu sichern. Dabei wägt sie vor allem drei Ziele miteinander ab: die Eindämmung der Infektionsausbreitung, die finanziellen Möglichkeiten des Staates zur Unterstützung der Bevölkerung und der Wirtschaft sowie die Chancen für die zahlreichen informell Beschäftigten,1 wenigstens ein klein wenig eigenes Einkommen zu erzielen. Weder redet sie also das Problem klein oder ignoriert es, wie die beiden großen Nachbarn im Norden, Mexiko und die USA, dies teils tun, noch verordnet sie Restriktionen, die den Menschen das Überleben bedrohlich erschweren wie die angrenzenden Länder im Süden, Honduras und El Salvador. So gibt es zum Beispiel zwar auch hier eine Ausgangssperre, aber nicht für ganze Tage, sondern mit einer zeitlichen Beschränkung von zuerst 16 Uhr bis 4 Uhr, jetzt 18 Uhr bis 4 Uhr. Auch die für das Überleben der ganz überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung lebenswichtigen mercados (Märkte) dürfen zwischen 4 Uhr und 12 Uhr öffnen.
Insgesamt zeigt sich in dieser Ausnahmesituation im ganzen Land ein hohes Maß an Verständnis und Kooperationsbereitschaft bei den Menschen. Es gibt aber eine besondere Herausforderung, für die das nur eingeschränkt gilt.
Rückkehrer aus den USA und Mexiko
Denn trotz der Epidemie halten die USA und Mexiko am Rücktransport von als illegal geltenden Migranten aus Guatemala, Honduras und El Salvador fest. Aufgrund des noch von der Vorgängerregierung unterzeichneten „Drittstaatenabkommens“2 ist Guatemala gezwungen, die Rückkehrer aus allen drei Ländern aufzunehmen. Weder die USA noch Mexiko halten sich jedoch an Protokolle oder Absprachen zu medizinischen Untersuchungen auf COVID-19-Infektionen unter den Abgeschobenen. Inzwischen machen daher Infizierte, die aus den beiden Ländern nach Guatemala zurücktransportiert wurden, rund ein Drittel der COVID-19-Fälle im Land aus.
In der Bevölkerung, vor allem der ländlichen Gebiete des Landes, hat dies zu erheblichem Unmut und gelegentlich zu Anfeindungen gegenüber den Rückkehrern geführt, obwohl diese alle auf eine Infektion getestet und grundsätzlich vorsorglich bei der Einreise unter Quarantäne gestellt werden, so dass von ihnen kein Infektionsrisiko ausgeht. Eine Atempause gab es während der Karwoche, als die Rücktransporte ausgesetzt waren. Aber bereits am Ostermontag traf wieder ein Flugzeug aus den USA ein, in dem von 42 Passagieren 31 infiziert waren. Aufgrund dieses Falles ist es dem guatemaltekischen Außenminister inzwischen gelungen, ein erneutes Aussetzen der Flüge zu erreichen, wenigstens für einige Tage. Dennoch treffen über die Grenze zu Mexiko auf dem Landweg weiterhin Abgeschobene ein.
In einem Zeitungsinterview kommentierte der guatemaltekische Kardinal Álvaro Ramazzini, dessen Bistum Huehuetenango an Mexiko grenzt und viele unkontrollierte Übergänge hat: „Die Menschen handeln mehr aus Angst als aus Liebe. Wenn sie sich aber Christen nennen, sollten sie nicht vergessen, dass das Gebot, den Nächsten zu lieben, das wichtigste ist.“
Wirtschaftliche und soziale Folgen
Auch für Guatemala, dessen Staatshaushalt aufgrund mangelnder Steuereinnahmen keine großen Spielräume zulässt, sind die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Epidemie erheblich. Der für das Land so wichtige Tourismus-Sektor liegt ausgerechnet zur Hochsaison komplett darnieder. Die Bewegungs- und Kontaktbeschränkungen machen es sehr vielen Menschen, die in der sogenannten informellen Wirtschaft ihren Lebensunterhalt verdienen, unmöglich, überhaupt an Geld zu kommen. Für die 200.000 am stärksten betroffenen Familien hat die Regierung daher ein Notversorgungsprogramm aufgelegt. Im April erhalten diese Familien ein Lebensmittelpaket, ab Mai bekommen sie monatlich GTQ 1.000.-,3 um damit die wichtigsten Einkäufe tätigen und unabwendbare Rechnungen bezahlen zu können. Für dieses Programm stehen insgesamt GTQ 11 Mrd. zur Verfügung.
Mit weiteren GTQ 3,6 Mrd. greift die Regierung den von der Epidemie betroffenen Unternehmen, bzw. deren Arbeitern und Angestellten unter die Arme. Dazu wurde ein der Kurzarbeit vergleichbares Instrument eingeführt, das Arbeitgebern und Arbeitnehmern erlaubt, im gegenseitigen Einvernehmen Arbeitsverträge zu suspendieren. Die Initiative muss vom Arbeitnehmer ausgehen, der dann von der Regierung pro Arbeitstag GTQ 75.- Lohnersatz erhält und seinen Arbeitsplatz nicht verliert. Einerseits haben bislang erst gut 3.000 Personen von dieser Option Gebrauch gemacht; andererseits hat es bisher auch noch keine Welle von Entlassungen gegeben.
Der IWF sagt für Guatemala aufgrund der COVID-19-Pandemie einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um zwei Prozent für das Jahr 2020 voraus. Ursprünglich war ein Wachstum von rund 3,5 Prozent erwartet worden. Das staatliche Einnahmendefizit könnte GTQ 12 Mrd. erreichen. Die Rating-Agentur Fitch hat daher zwar die Bonität Guatemalas um eine Stufe abgesenkt, Standard & Poors auf einen solchen Schritt hingegen verzichtet.
Im Bildungssektor ist die Regierung bemüht, mit den Betroffenen die Rückkehr zur Normalität vorzubereiten und vor allem eine geordnete Fortsetzung und Beendigung des Schuljahres, das im Januar beginnt, sicherzustellen. Da rund die Hälfte der jungen Menschen, die in Guatemala überhaupt eine weiterführende Schule besuchen,4 in privaten Bildungseinrichtungen lernt, gibt es Gespräche und Verhandlungen über das anzuwendende Unterrichts- und Prüfungsregime, die bereits recht weit fortgeschritten sind. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen sollen jedenfalls, wenn irgend möglich, das Schuljahr nicht wiederholen müssen. Viel weniger klar ist die Situation für die Grundschüler und die andere Hälfte der Kinder in staatlichen weiterführenden Schulen. Die wenigsten von ihnen haben einen Computer zu Hause und vielen fehlt selbst der Zugang zum Internet. Wie und ob sie in dieser Zeit in ihrem Lernstoff vorankommen, ist fraglich.
Senacyt (Secretaría Nacional de Ciencia y Tecnología), die nationale Einrichtung zur Förderung von Wissenschaft und Technologie, hat in einem eilends ausgeschriebenen Wettbewerb nach Ideen zur Meisterung der mit der Epidemie verbundenen Herausforderungen gesucht. Aus 234 innerhalb von nur 17 Tagen eingereichten Vorschlägen wurden sieben zur Realisierung ausgesucht, und zwar diejenigen, die ohne großen finanziellen Aufwand umsetzbar sind und eine praktisch sofortige Wirkung erzielen. Sieger ist der Prototyp eines mechanischen Beatmungsgerätes, von dem nun 20 bis 30 täglich produziert werden sollen, wobei das Unternehmen, das die Produktion übernommen hat, bis zu 200 Stück am Tag herstellen könnte. Damit hofft man, eine bedrohliche Knappheit an Beatmungsgeräten abwenden zu können.
Kritik
Natürlich trifft auch in Guatemala das Krisenmanagement der Regierung nicht auf ungeteilte Zustimmung. Insbesondere wird immer wieder auf die vergleichsweise niedrige Zahl an durchgeführten Tests verwiesen. Inzwischen stehen zwar ausreichend Testkits zur Verfügung. Trotzdem werden aber täglich nicht mehr als 300 bis 400 Abstriche und Analysen vorgenommen. Auch bei den derzeit mehr als 10.000 Personen in Quarantäne werden Tests erst dann durchgeführt, wenn sie eindeutige Symptome einer Erkrankung an COVID-19 zeigen; Ausnahmen sind die zurückgeführten Migranten. Präsident Giammattei hat jedoch angekündigt, das mit der Eröffnung weiterer Labors nach und nach mehr Tests durchgeführt werden sollen, spätestens ab Mai täglich mindestens 1.500 .
Auch bei der Schutzausrüstung für medizinisches Personal mangelt es erheblich. Mehrere Ausschreibungen des zuständigen Gesundheitsministeriums sind gescheitert, weil sie unzulänglich vorbereitet waren. Spenden von privaten Stiftungen und Unternehmen haben zwar die gröbsten Defizite bislang ausgleichen können, dennoch zeigt sich auch in dieser Situation, dass die Verwaltung des Landes, selbst wenn ihr ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, oft damit überfordert ist, diese auch planmäßig zu verausgaben.
Das gilt nicht zuletzt für Conamigua (Consejo Nacional de Atención al Migrante de Guatemala), die nationale Einrichtung, die sich um die Anliegen der zurückgeführten Migranten kümmern soll. Insgesamt stehen ihr sowie der Einwanderungsbehörde und dem Außenministerium GTQ 71,5 Millionen zur Verfügung, um die Rückkehrer bei ihrer Eingliederung zu unterstützen. Davon ist aber bislang praktisch nichts bei der vorgesehenen Zielgruppe angekommen.
Herausforderungen bei der Mehrheitssuche im Parlament
Jenseits des Managements der durch COVID-19 verursachten Ausnahmesituation bleibt Giammatteis größte, im engeren Sinne, politische Herausforderung die Zusammensetzung des Parlaments, in dem er nicht einmal annähernd auf eine Mehrheit kommt.5 Bereits bei den Wahlen zum Präsidium des Kongresses sowie zu den Ausschussvorsitzen hat sich jedoch gezeigt, dass der Präsident in der Lage ist, Mehrheiten zu organisieren. Zwar gibt es keine formelle Koalition, aber insgesamt haben zwölf parlamentarische Gruppierungen, darunter auch ein Teil der größten Oppositionsfraktion, offiziell ihre Unterstützung für die Regierung bekundet. So gewann VAMOS, die Partei des Präsidenten, nicht nur den Vorsitz im Präsidium des Kongresses, sondern auch in vier der wichtigsten Ausschüsse, darunter der Haushalts- und der Hauptausschuss (Comisión de Gobernación).
Auch bei den Abstimmungen über die insgesamt rund GTQ 20 Milliarden zur Bekämpfung der COVID-19-Folgen und zum Ausbau des Gesundheits- und Bildungswesens konnte sich Giammattei durchsetzen. Es wurde ihm von mancher Seite vorgeworfen, dass er während der Krise auch eine Erhöhung des Haushalts für Gesundheit und Bildung durchgesetzt hat; diese Kritik scheint aber mindestens insoweit überzogen, als es sich dabei durchaus um krisenrelevante Haushaltstitel handelt. Die Verausgabung der Mittel soll von vier durch das Präsidium des Kongresses eingesetzte Kommissionen überwacht werden. Zurzeit verweigern jedoch einige Abgeordnete, die sonst die Regierung unterstützen, die Mitarbeit und fordern die Budgetkontrolle durch das Plenum des Parlaments.
Kabinettsbildung und Personalentscheidungen
Einen nicht unerheblichen Teil zum bisherigen Erfolg des Präsidenten trägt natürlich das Personal bei, das Giammattei sich ausgesucht hat, an erster Stelle Vizepräsident Guillermo Castillo. Zwar wurde auch hier kritisiert, der Präsident habe zu viele ehemalige Kandidaten seiner Partei VAMOS, die bei den Wahlen kein Mandat erringen konnten, sowie Personen, die in Korruptionsvorwürfe verwickelt sind, in die Regierungsmannschaft geholt, aber unter denen, die an entscheidenden Stellen sitzen, finden sich davon kaum welche. Dennoch musste Giammattei bereits in den ersten 100 Tagen fünf Regierungsposten neu besetzen, ein Ministeramt und drei Vizeministerämter, vergleichbar deutschen Staatssekretären, eines davon gleich zwei Mal binnen vier Wochen.
Mit dem in Guatemala wichtigen Landwirtschaftsminister hatte sich Giammattei offenbar im Zusammenhang des Krisenmanagements überworfen, weil der Minister Anweisungen des Präsidenten zur Unterstützung der ländlichen Bevölkerung nicht oder nicht rasch genug umgesetzt hat. Ein Vizeminister für Gesundheit war bereits vorher wegen „Überforderung in der Krise“ entlassen worden. Der allererste Personalwechsel fand noch vor dem 13. März statt und betraf eine Vizeministerin für Kultur, die durch den Abschluss eines „unsauberen“ Vertrages in die Schlagzeilen geraten war und die Giammattei mit dem Hinweis entließ, das Kabinett müsse bei der Korruptionsbekämpfung mit gutem Beispiel vorangehen. Diesem Willen, nach dem Ende der CICIG6 seitens der Regierung dennoch eine Null-Toleranz-Haltung gegenüber korrupten Machenschaften innerhalb der Verwaltung zu demonstrieren, ist auch die Entlassung gleich zweier Vizeminister im Gesundheitsministerium am 20. April geschuldet. Zugleich ist dieser Fall der erste „große Erfolg“ der von Giammattei eingesetzten Antikorruptionskommission des Präsidenten. Die hatte nämlich ein Netzwerk von mindestens acht Mitarbeitern des Ministeriums aufgedeckt, das sich die Ausnahmesituation zunutze machen und ausgerechnet an den Beschaffungen zum Management der COVID-19-Pandemie „mitverdienen“ wollte. Die Mitarbeiter wurden festgenommen, die Vizeminister ersetzt.
Tribunal Supremo Electoral: Bemühen um größere Transparenz und eine stärkere Demokratie
Zu den parlamentarischen Erfolgen des Präsidenten zählt auch die Wahl der Richterinnen und Richter der Obersten Wahlbehörde, dem Tribunal Supremo Electoral (TSE). Dabei gelang es den Vertretern des Präsidenten im Kongress nicht bloß, Mehrheiten zu organisieren: Die fünf ordentlichen Richterinnen (2) und Richter (3) erhielten jeweils sogar deutlich über 80, zum Teil über 90 Prozent der möglichen Stimmen im ersten Anlauf. Bei den fünf Stellvertretern war diese parlamentarische Einigkeit allerdings schon wieder zerbrochen, so dass es mehrerer Wahlgänge bedurfte. Dennoch wurde die Wahl des TSE von allen Beobachtern gelobt und als Vorbild für die parlamentarische Zusammenarbeit bezeichnet.
Das neue Präsidium des TSE aus den fünf ordentlichen und fünf stellvertretenden Richterinnen und Richtern hat die Konrad-Adenauer-Stiftung um eine Fortsetzung der Zusammenarbeit gebeten und dabei drei wichtige Projekte in den Mittelpunkt gestellt:
Erarbeitung eines neuen Wahlgesetzes
Kampagne für die Einschreibung der Bevölkerung in das Wahlregister
Ausbildung der Wahlhelferinnen und Wahlhelfer sowie des technischen Personals des TSE insbesondere in den Regionen
Ausblick
Neben dem Management der Ausnahmesituation hat die Regierung bislang kaum Gelegenheit gehabt, ihr Programm zur wirtschaftlichen Entwicklung, zur Armutsbekämpfung usw. anzugehen. Lediglich in den Bereichen Gesundheit und Bildung hat sie Ansätze erkennen lassen und erste Projektvorschläge unterbreitet. Die Mittel dafür stehen auch bereits zur Verfügung.
Die Amtszeit von Alejandro Giammattei dauert vier Jahre. Am 105. Tag seiner Regierungszeit wird übrigens der erste guatemaltekische Satellit, Quetzal-1, der am 6. März zur Raumstation ISS transportiert worden war, im All ausgesetzt und beginnt mit seiner Forschungsarbeit.