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Reportajes internacionales

Angst vor faulen Kompromissen

de Frank Priess

Mexiko diskutiert Wahl- und Staatsreform – PRI einmal mehr das Zünglein an der Waage – Streit um Unabhängigkeit des Wahl

Die Debatte um notwendige Staatsreformen – Verfassungsänderungen und nachgeordnete Gesetze sollen den Weg dafür bereiten – hat in Mexiko an Schärfe zugenommen, kaum dass die Aufmerksamkeit der politischen Klasse des Landes nicht mehr vollständig davon in Anspruch genommen wird, wie und in welchem Format Präsident Felipe Calderón seine erste Regierungserklärung, den sogennanten Informe im Kongress abgibt.

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Dabei hatte die Form einmal mehr den Inhalt in den Hintergrund gedrängt: Vier Minuten waren es schließlich, die sich der Präsident am 1. September den Parlamentariern präsentierte und ihnen lediglich ein dickes Textpaket hinterließ – eine Aussprache oder gar Diskussion mit dem Präsidenten hatte man ausdrücklich nicht gewünscht. Vor seiner Ankunft in San Lazaro hatten die oppositionellen PRD-Parlamentarier demonstrativ den Saal verlassen. Seine eigentliche Botschaft übermittelte der Präsident dann einen Tag später im Nationalpalast vor geladene Gästen, ganz in Kopie früherer „Tage des Präsidenten“. „Die Transformation Mexikos ist möglich“, fasste er dabei seine Überzeugung zusammen, eine Einschätzung, die für viele Beobachter aktuell sehr optimistisch klingt.

Seltsame Vermischungen

Sechs Themen sind es eigentlich, auf die sich die Debatte um Staats- und Wahlreformen in Mexiko nach übereinstimmender Meinung der Parteien konzentrieren soll: das Wahlrecht, den Föderalismus, das Regierungssystem, die Justiz, Fragen der sozialen Sicherheit und – als Basis für den handlungsfähigen Staat – die Neuordnung des Steuersystems. Angesichts der Kontroversen im Nachgang der Wahlen von 2006 ist es dabei verständlich, dass Fragen des Wahlrechts, der Wahlkampfstruktur und der Parteienfinanzierung an den Anfang gestellt wurden, allerdings mit einem gewaltigen Schönheitsfehler: das Zentrum des Konflikts bildet mittlerweile die Frage, ob die noch bis zum Jahr 2010 gewählten Mitglieder des Wahlinstituts IFE, allen voran ihr Präsident Luis Carlos Ugalde, im Zuge der Reform vorzeitig ihre Sessel räumen sollen oder nicht. Die gleiche Frage wird zudem für die aktuellen Mitglieder des Wahlgerichts gestellt, die, man erinnert sich, den Wahlprozess des vergangenen Jahres eindeutig legitimierten.

Nicht nur manche der Betroffenen sehen darin nun einen Racheakt der unterlegenen PRD, sekundiert von einer PRI, die eine Nähe verschiedener consejeros zu ihrer früheren Generalsekretärin und Fraktionsvorsitzenden Elber Esther Gordillo beklagt, der Führerin der Lehrergewerkschaft, die im Zuge des Wahlkampfes aus der Partei ausgeschlossen wurde. Die PAN ihrerseits scheint konzessionsbereit, verknüpft doch gerade die PRI, einmal mehr das Zünglein an der Waage, ihre Zustimmung zu der der Regierung wichtigen Steuerreform mit einem Kompromiss beim Wahlrecht. Über solche durchsichtigen Motive hinaus aber bleibt ein Grundproblem: welche Unabhängigkeit könnte ein „neues IFE“ noch für sich verbuchen, wenn seine Mitglieder auch für die Zukunft mit solcherart Sanktionen rechnen müssten, je nachdem, wem gerade ein Wahlergebnis nicht gefällt, noch dazu, wenn als Teil der Reform oberhalb des IFE ein parlamentarisches Kontrollgremium installiert würde, wie es manche Vorschläge vorsehen. Für den IFE-Präsidenten Ugalde wäre eine vorzeitige Abberufung sogar eine nachträgliche Legitimation derer, die 2006 lauthals von Wahlbetrug gesprochen hätten. Warum auch, so die berechtigte Frage, soll ein Institut, das innerhalb der geltenden Regeln 2000 den vielbeachteten Übergang vom PRI-System zum Machtwechsel vollbrachte und nicht nur in Lateinamerika als vorbildlich angesehen wurde, plötzlich untauglich geworden sein? Warum sollten sich Reformen nicht innerhalb des vorgegebenen Rahmens bewerkstelligen lassen?

Andererseits sehen Pessimisten für die Zwischenwahlen 2009 schon eine unheilige Allianz aus PRI und PRD voraus – eine mögliche gemeinsame Wahlanfechtung inklusive -, sollte sich bis dahin die Zusammensetzung des IFE nicht ändern und die Ergebnisse zum Missfallen der genannten Parteien gereichen. Ein Dilemma. Mehr allerdings offenbar für die Parteien als für die Bürger: Bei denen sind nach einer aktuellen Umfrage von BCG Ulises Beltrán y Asociados nur 31 Prozent der Meinung, dass die Consejeros abgelöst werden sollten. Ihr Vertrauen in das IFE ist zudem doppelt so hoch wie das in die politischen Parteien (55% zu 27%).

Fortschritte und Unausgegorenes

Bei den Detailvorschlägen, die bisher aus der Comisión Ejecutiva de Negociación y Construcción de Acuerdos (CENCA) para la Reforma del Estado verlauten, findet sich vieles, was auf allgemeinen Konsens trifft: So soll beispielsweise der Wahlkampf auf sechzig Tage reduziert werden, bisher waren es neunzig. Den drei staatlichen Gewalten soll es in dieser Zeit grundsätzlich verboten werden, mit Eigenwerbung in den Medien vertreten zu sein. Eine partielle Lockerung des Bank- und Steuergeheimnisses soll gewährleisten, dass Partei- und Wahlkampffinanzen transparent werden. Absenken will man auch die Höchstbeträge, die Präsidentschaftskandidaten künftig in ihren Wahlkampf investieren dürfen, von bisher 650 Millionen auf 320 Millionen Pesos (rund 30 Millionen Dollar). Allerdings war es schon in vergangenen Kampagnen schwierig, diese Ausgaben zu überprüfen. Vor allem „geldwerte Leistungen“ Dritter waren schwer zu quantifizieren.

Umstrittener ist da schon die Frage der bezahlten Fernseh- und Hörfunkwerbung, ein Feld, in das Parteien in Mexiko in Wahlkampfzeiten über 70 Prozent ihrer Budgets investieren, sehr zur Freude der beiden großen Senderketten Televisa und TVAzteca. Ihnen stünden Einnahmeausfälle von hunderten von Millionen Dollar jährlich ins Haus, sollte der Vorschlag Realität werden, Parteien den Kauf von Sendezeit zu verbieten. Stattdessen soll nur noch die sogenannte tiempo de estado genutzt werden dürfen, rund 50 Minuten täglich, die die Sender staatlichen Stellen täglich als Ausgleich für Steuerprivilegien zur Verfügung stellen müssen. Diese Zeit könnte im Wahlkampf vom IFE administriert und nach einem bestimmten Schlüssel an die Parteien vergeben werden. Auch privaten Dritten würde es ganz verboten, mit eigenen Schaltungen in den Wahlkampf einzugreifen.

Fraglich allerdings, wer davon wirklich begünstigt würde. Wahlkampfspots sind schließlich in Zeiten der Mediendemokratie einer der wenigen direkten Zugänge von Parteien und Kandidaten zum Bürger. Während sich Regierungen im redaktionellen Programm schon aus strukturellen Gründen ausführlich präsentieren können, bleibt der Opposition dieser Weg oft verschlossen. Spots, so zeigen es Umfragen und Mediennutzungsdaten deutlich, haben zudem eine ungleich größere Reichweite als etwa Nachrichtenprogramme, auch werden sie entgegen gängiger Vorurteile von den Rezipienten durchaus als informativ für die eigene Wahlentscheidung empfunden. Auch wäre mit einem solchen Verbot ein Grundübel politischer mexikanischer Medienwerbung nicht zu beseitigen: die sogenannten „Paketlösungen“ oder paquetazos, bei denen etwa Gouverneure von Bundesstaaten auch außerhalb der Wahlkampfzeiten nicht nur direkte als Werbung erkennbare Sendezeit kaufen, sondern mit den Sendern diskrete Verabredungen darüber treffen, wie sie im Rahmen des Pakets auch in den redaktionellen Teil gelangen.

Noch problematischer die Forderung, sogenannte „Negativkampagnen“ unterbinden zu wollen, ein Wunsch, der Zensur leicht Tür und Tor öffnet. Der vergangene mexikanische Wahlkampf und die Entscheidung des Wahlgerichts gegen bestimmte Parteienwerbung lieferte dafür schon einen Vorgeschmack. Wer etwa entscheidet, wo die Grenze kontrastierender Darstellung überschritten wird? Warum etwa sollte die subjektive Meinungsäußerung „Kandidat X – eine Gefahr für unser Land“ anfechtbar sein, die Aussage „Kandidat X – die Rettung für unser Land“ aber nicht? Inhaltsanalyen nicht zuletzt aus den in dieser Frage überaus erfahrenen USA zeigen zudem, dass unhaltbare Wahlversprechen deutlich häufiger vorkommen als Negativspots, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen: denn schließlich hat die Gegenpartei immer die Möglichkeit der Reaktion, der Angreifer läuft Gefahr, bei Lügen ertappt zu werden und den Meinungsstreit zu verlieren. So populär also die Forderung nach mehr Positivem und mehr Programmatischem auch ist, so unausgegoren ist sie auch.

Mittlerweile artikuliert sich auch Kritik an weiteren Vorschlägen: So würde bei ihrer Realisierung die Hürde für die Registrierung neuer Parteien weiter nach oben verschoben, unabhängige Kandidatenvorschläge erhielten gar keine Chance. Auch wird ein zentrales Problem überhaupt nicht angesprochen: das bisher geltende Verbot der direkten Wiederwahl von Abgeordneten. Steht es auch in der Tradition der mexikanischen Revolution und erfreut sich als populärer Demokratiemythos öffentlicher Zustimmung, stärkt es letztlich doch nur die Parteienführungen und bewirkt das Gegenteil dessen, was sich der Bürger eigentlich wünscht: eine Kontrollmöglichkeit gegenüber den Parlamentarier. Sie nämlich kann er mit Wieder- oder Abwahl nicht sanktionieren, ihre politische Zukunft liegt allein in den Händen derer, die den internen politischen Arbeitsmarkt kontrollieren und darüber entscheiden, wessen Karriere sich nach drei Jahren Abgeordnetenmandat lückenlos fortsetzt. Da ist es für jeden Politiker ungleich rationaler, auf gute innerparteiliche Vernetzung zu achten statt Zeit in die Niederungen des eigenen Wahlkreises zu investieren.

Verknüpfung mit der Steuerreform

Heikel ist gerade für die Regierungspartei PAN, dass nicht zuletzt die oppositionelle PRI Fragen der Staatsreformen mit Forderungen im Bereich der Steuerreform und anderen Projekten verknüpft, einem Vorhaben, das die Regierung Calderón mit vollem Recht unter die Strukturreformen bucht, die unbedingt angegangen werden müssen. Schon jetzt nämlich zeigt sich die Anfälligkeit des mexikanischen Staatshaushaltes und die unverminderte Abhängigkeit von schnell schrumpfenden Ölreserven. Eine große Reform mit den notwendigen Elementen, das scheint schon jetzt klar, wird es allerdings auch mit der PRI nicht geben – zu fest gefügt sind die Tabus. So steht etwa eine sinnvolle Ausweitung der Mehrwertsteuer nicht zur Debatte, stattdessen behilft man sich mit kleinen Korrekturen hier und dort und sogenannten „Kontrollsteuern“, etwa auf Bareinzahlungen. Aus Unternehmerkreisen ist sogar schon zu hören, besser gar keine Reform als so eine.

Für die PAN besteht die Gefahr, die politischen Kosten tragen zu müssen, ohne entsprechende Gegenleistung. So sollen etwa die Bundesstaaten überproportional von Mehreinnahmen profitieren, ein Geschenk nicht zuletzt an die 18 Gouverneure der PRI. Der jetzt bekannt gewordene Vorschlag, die Mineralölsteuer um 5,5 Prozent anzuheben, wird in seiner ganzen Unpopularität der Regierung und der PAN zugeschrieben, während sich die „Regionalfürsten“ gleichzeitig weigern, ihren Teil der politischen Kosten zu übernehmen, die eine Ausweitung ihrer Kompetenzen bei der Steuererhebung mit sich brächte. Da fragt sich schon, ob sich die PAN nicht eine härtere Gangart bei den Verhandlungen verordnen sollte – zumal sie in der Frage der Verfassungsreformen mit dem Präsidentenveto ein wirkungsvolles Druckmittel in der Hand hat. Die Drohung, eine Nichtverabschiedung der Steuerreform würde unmittelbar in einen engen „Sparhaushalt 2008“ mit allen Konsequenzen auch für die Bundesstaaten münden, scheint schon in diese Richtung zu gehen.

PRI als größter Nutznießer

Einmal mehr bleibt festzuhalten, dass die PRI nach ihrer verheerenden Wahlniederlage 2006 gut erholt dasteht und bisher der größte Nutznießer der Regierungszeit Calderón ist. Eine am 27. August veröffentlichte Umfrage der Zeitung El Universal ergab zwar, dass sich die PAN unter den mexikanischen Parteien derzeit der höchsten Zustimmung der Wähler erfreut. 43 Prozent der Befragten gaben der Partei eine gute bzw. sehr gute Note, bei der PRI waren es in der gleichen Kategrorie 33 und bei der PRD 17 Prozent. Auffällig allerdings, dass die PAN gegenüber Januar in dieser Kategorie vier Punkte einbüßte, während die PRI zehn Punkte gewinnen konnte. Die PRD, die eindeutig als wichtigste Oppositionspartei wahrgenommen wird, verlor drei Punkte.

Noch deutlicher aber wird der PRI-Aufschwung an den jüngsten Wahlergebnissen, zuletzt im Bundesstaat Veracruz. Hier gewann sie 155 von 212 zur Wahl stehenden Bürgermeisterposten, die PAN errang 31, die PRD 15. Bei den Direktwahlkreise zum regionalen Parlament gewann die PRI 28 von 30 Sitzen, die PAN die restlichen zwei (vorher 14). Während sich PAN und PRD nicht nur auf Gemeindeebene mehr als halbierten und wichtige Bastionen räumen mussten, verdoppelte die PRI ihren Anteil. Vor allem ihrem Gouverneur Fidel Herrera Beltrán ist es dabei gelungen, eine große Koalition zustande zu bringen, die auch die PANAL von Lehrergewerkschaftsführerin Elber Esther Gordilla, die Grünen und die Sozialdemokratische Allianz einschloss, zum Teil also Bündnispartner, auf die die PAN anderswo noch setzen konnte.

Dagegen geht der Niedergang der PRD ungebremst weiter, auch in Veracruz marginalisierte sie sich inmitten interner Zwistigkeiten weiter. Der nationale Parteikongress von Mitte August brachte da keine Wende, im Gegenteil. Trotz Formelkompromissen prallten die Parteiflügel hart aufeinander. Die Mehrheit fand sich dabei allerdings bei den sogennanten „chuchos“ des

Flügels „Nueva Izquierda“, die im Gegensatz zu den Anhängern von Andrés Manuel López Obrador (AMLO) eher einen pragmatischen Weg in die Zukunft suchen. Die Wahl eines neuen Parteivorsitzenden im kommenden März, wo sich Jesús Ortega von den „chuchos“ und Alejandro Encinas, der zwischenzeitliche Amtsnachfolger AMLOs in der Hauptstadt gegenüberstehen, wird dafür ein Lackmustest.

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