Reportajes internacionales
Turbulente Amtsübernahme
Der nicht überraschende Wahlsieg des PRI-Kandidaten Enrique Peña Nieto am 1. Juli 2012 bedeutete die Rückkehr der PRI, die Mexiko zwischen 1929 und 2000 ununterbrochen regiert hatte und erst im Jahre 2000 durch den Wahlsieg des damaligen Kandidaten der PAN (Partido Acción Nacional), Vicente Fox, aus dem Präsidentenpalast verdrängt werden konnte. Auch im Jahre 2006 konnte sich der PAN-Kandidat Felipe Calderón durchsetzen.
Nachdem die zahlreichen Wahlanfechtungen durch den Zweitplatzierten der Juli-Wahlen, Andrés Manuel López Obrador, erfolglos geblieben waren und López Obrador trotz anderslautender Ankündigungen und Befürchtungen keine weiteren Aktionen unternahm, standen die nachfolgenden Monate bis zur Amtsübernahme von Enrique Peña Nieto zum einen im Zeichen der noch von Calderón in den ebenfalls am 1. Juli neugewählten Kongress eingebrachten Arbeitsrechtsreform. Diese konnte schließlich mit breiter Mehrheit verabschiedet werden und bedeutet zumindest in Teilaspekten ein Aufbrechen der jahrzehntelangen Verkrustungen des Arbeitsrechts. Sie setzt zudem wohl auch die in den alten klientelaren und kooperativistischen Strukturen begründete, soziale und politische Machtbasis der Gewerkschaften einem Modernisierungs- und Demokratisierungsdruck aus.
Zum anderen stand im Mittelpunkt des Interesses die Gestaltung des Übergangs (transición) von der Regierung Calderón zur Regierung Peña Nieto. Diese transición verlief zumindest nach außen hin problemlos. Es kam zu zahlreichen Treffen der von Peña Nieto ernannten Mitglieder seiner Übergangsmannschaft, aber auch zu Zusammenkünften zwischen Calderón und Peña Nieto.
Der Versuch, gleichsam von Beginn an zwischen den künftigen Parteien der Opposition einen grundsätzlichen Anti-PRI-Pakt zu schmieden, scheiterte nicht zuletzt an der PAN, die einer Fundamentalopposition eine Absage erteilte und vielmehr klarstellte, dass sie im Gegensatz zur PRI, die in der Regierungsperiode Calderóns ihre Mitwirkung an zahlreichen grundlegenden und dringend erforderlichen Reformvorhaben verweigerte und so eine zentrale Mitverantwortung für den beklagten Politikstau in Mexiko trägt, auf eine konstruktive Oppositionsstrategie setze.
Vor diesem Hintergrund schien einer traditionell am 1. Dezember erfolgenden, ungestörten Amtsübernahme durch Peña Nieto nichts entgegenzustehen.
Der Wahlsieg Peña Nietos, für den in Mexiko die relative Mehrheit der Stimmen reicht, darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass fast zwei Drittel der Mexikaner nicht für ihn gestimmt hatten. Die historischen Erfahrungen mit dieser das Land autoritär regierenden Partei sind nicht vergessen. Interessanterweise hatten sich bereits in den letzten Monaten des Wahlkampfes vor allem junge Menschen zum Sprachrohr dieses Nichtvergessens gemacht. Die Bewegung #Soy132 brachte über Monate hinweg hunderttausende junger Menschen im ganzen Land auf die Beine, die gegen die Rückkehr der PRI und ihres historischen Autoritarismus demonstrierten.
Diese, aber auch aus anderen Quellen gespeisten Abneigung gegen die PRI brach sich bei der Amtseinführung Peña Nietos Bahn. Der Wahlverlierer López Obrador und die Bewegung #Soy132 hatten zu einer Protestveranstaltung gegen die Regierungsübernahme der PRI aufgerufen, auf der López Obrador „friedlichen bürgerlichen Ungehorsam“ ankündigte. Diesen Kontext machten sich radikale Kräfte zu Nutze. Es gab stundenlange tumultartige Störungen in der Hauptstadt mit über hundert Verletzten, 69 Personen wurden verhaftet. Aber auch aus anderen Städten des Landes wurde von Protestveranstaltungen berichtet. Im Kongress selbst kam es zu Protesten linker Abgeordneter sowohl gegen Calderón als auch gegen Peña Nieto.
Neues Gesicht, alte Seilschaften?
Versuchten sich bereits die Analysten und Auguren an der Aufgabe, aus der personellen Zusammensetzung der verschiedenen Arbeitsbereiche und thematischen Verantwortlichkeiten für die Mannschaft des Übergangs, die Austarierung der innerparteilichen Strömungen und Gewichte der künftigen Regierungspartei herauszulesen, so nahmen diese Versuche kurz vor der Bekanntgabe des Kabinetts natürlich noch größere Ausmaße an.
Nun ist Personalpolitik immer ein dankbares Thema – in den Parteien selbst, den Medien und der Öffentlichkeit. Unabhängig von den üblichen Spekulationen und den mehr oder weniger analytischen Spielwiesen kommt dieser Frage mit Blick auf die PRI und Peña Nieto jedoch in der Tat eine besondere Bedeutung zu. Peña Nieto hat zwar als ehemaliger Gouverneur des Bundesstaates Mexiko gewisse politische Erfahrungen, verfügte jedoch abgesehen von seinem Ehrgeiz Präsident zu werden nicht über eine eigene Hausmacht in der PRI. Die Partei ist intern nach wie vor dominiert durch die verschiedenen, sehr konträren Strömungen der traditionellen Führer und ehemaligen Staatspräsidenten (vor allem der Intimfeinde Ernesto Zedillo und Carlos Salinas). Peña Nieto konnte sich dennoch relativ unproblematisch und frühzeitig durchsetzen. Das wurde allgemein darauf zurückgeführt, dass er – auf nationaler Ebene unverbraucht und aufgrund seiner Heirat mit einer bekannten mexikanischen Telenovela-Schauspielerin auch in der yellow-press permanent präsent – der PRI als Konsenskandidat ein neues Gesicht geben und somit die Wahlchancen für 2012 steigern könnte. Diese Rechnung ging am 1. Juli auf.
Das Kabinett
Die Formel „neues Gesicht, alte Seilschaften“ ist zumindest insoweit berechtigt, als das Kabinett (Die Tageszeitung LaJornada titulierte es als „treu den Ursprüngen“) von Peña Nieto im Wesentlichen als aus zwei Säulen bestehend angesehen wird: zum einen aus Vertretern der PRI-Dynastien vor allem des Bundesstaates Mexiko, zum anderen aus Anhängern des ehemaligen PRI-Staatspräsidenten Carlos Salinas und in geringerem Umfang des ehemaligen Staatspräsidenten Zedillo.
So zählen u. a. der einflussreiche Finanzminister Luis Videgaray und der junge Chef des Präsidialbüros Arzelio Nunio ebenso zur Salinas-Truppe wie dessen Nichte Claudia Ruiz Massieu Salinas (Tourismus), Rosario Robles Berlanga (Soziales), José Antonio Meade (Aussen), José Antonio González Anaya (Sozialversicherung) und Pedro Joaquín Coldwell (Energie). Demgegenüber werden Miguel Angel Osorio Chong (Innen), Emilio Chuayffeet (Bildung) und Jesús Murillo Karam (Procurador) dem Zedillo-Flügel zugerechnet. Der Koalitionspartner der PRI, die Grüne Partei Mexikos, wurde mit Juan José Guerra Abud (Umwelt) berücksichtigt.
Auch wenn damit eine Konditionierung des neuen Staatspräsidenten klar scheint, sollte man das zunächst auch nicht überbewerten. Peña Nieto wird eine ganze Reihe von innerparteilichen Fronten zu beackern haben. Dazu zählt nicht nur der Einfluss der alten Garden und ihrer Zöglinge oder die traditionell starke Rolle bestimmter Gewerkschaften, sondern auch die Gruppe der 21 Gouverneure. Diese haben in der zwölfjährigen Oppositionszeit die Bastionen der PRI gehalten, viel von der früher auf den Staatspräsidenten konzentrierten Macht an sich gezogen und stehen einer Rezentralisierung dieser Machtbefugnisse zugunsten eines PRI-Präsidenten sicherlich mehr als reserviert gegenüber.
Abzuwarten bleibt, ob Peña Nieto sich freischwimmen will und kann, oder ob er auf Dauer wirklich nur das telegene Gesicht einer alten autoritären Staatspartei ohne tatsächlichen Wandel abgeben kann.
In seiner ersten Rede als Staatspräsident nahm Peña Nieto keinen Bezug auf die Rückkehr der PRI an die Macht, sondern beschränkte sich auf eine allgemeine Zielbeschreibung seiner Regierung. Wesentliche Stichworte waren: Schaffung eines breiten Mittelstandes, ein qualitativ gutes Erziehungswesen, breiter sozialer Dialog als Bestandteil der Verbrechensbekämpfung, propositives Auftreten auf der internationalen Bühne, Zusammenführen der Meinungen.
Der „Pakt für Mexiko“
Nach rund zweimonatigen Geheimverhandlungen kam es etwa eine Woche vor der Amtseinführung von Peña Nieto zu einem überraschend einberufenen, konklaveartigen mehrtägigen Zusammentreffen der Parteichefs von PRI, PAN und PRD. Das Ergebnis dieser Verhandlungen bestand in der Unterzeichnung eines „Pakt für Mexiko“ am 3. Dezember zwischen dem Staatspräsidenten und den Vorsitzenden der drei Parteien. Insgesamt sollen langfristig 68 Gesetzesprojekte verabschiedet werden. Zum Einstand soll es um Initiativen im Bereich der Telekommunikation, des Erziehungswesens und eines Haushaltsstabilisierungsgesetzes gehen.
Interessanterweise, aber alles andere als zu Unrecht, nimmt der Einleitungstext dieses Paktes auf den „wachsenden Einfluss der faktischen Mächte“ in Mexiko Bezug, die „die Institutionen des Landes herausfordern und ein Hindernis für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben darstellen“.
Der Pakt hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: So sollen steuerliche Begünstigungen abgebaut, der informelle Beschäftigungssektor reduziert und die vielfältigen Unterstützungsprogramme überprüft werden; ebenso sollen wirtschaftliche Monopolstellungen eingeschränkt werden; im Bereich der politischen Reformen soll dem Staatspräsidenten künftig die Bildung von Koalitionsregierungen erlaubt sein, und eine Wahl soll bei Überschreitung der Höchstfinanzierungsgrenzen und einem „Medienkauf“ im Wahlkampf annulliert werden können. Auch ein neues Parteiengesetz steht auf der Agenda. In seinen fünf Einzelkapiteln (Sicherheit und Justiz; Demokratische Regierbarkeit; Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit; Transparenz; Rechnungslegung und Korruptionsbekämpfung; Gesellschaft der Rechte und Pflichten) sind eine Fülle weiterer, im Einzelnen sehr problematischer Vorhaben aufgenommen, darunter die Schaffung einer Nationalgendarmerie und eine Reform der Energiegesetze, was im Kern das Staatsmonopol der PEMEX betrifft.
Dieser Pakt ist nun kein neuer PRI-Stil, sondern schlichtweg die Einsicht in die Notwendigkeit. Peña Nieto hat keine Mehrheit im Kongress und ist daher auf die Unterstützung der Oppositionsparteien angewiesen, will er sein Gesetzgebungsprogramm umsetzen. Wie weit dieser Pakt inhaltlich wirklich trägt, bleibt abzuwarten. Da PRD und PAN dem neuen Staatspräsidenten eine Umstrukturierung der Ministerien verwehrten, dürfte auch dieser Pakt in seiner Umsetzung alles andere als ein Spaziergang für die Regierung werden.
Mexiko und sein neuer Präsident stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Die Umstände der Amtsübernahme sind nur eine erstes Zeichen dafür, dass Peña Nieto keine lange Schonfrist genießen wird und zeigen muss, was er kann.
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