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Reportajes internacionales

Sicherheit, Wirtschaft, Bildung

de Frank Priess

Prioritäten in Calderóns zweiten Bericht zur Lage der Nation

Auch wenn das Thema Sicherheit in Mexiko derzeit alles andere in den Hintergrund drängt: die Herausforderungen an die Wirtschaftspolitik und der andauernde Bildungsnotstand gehören ebenfalls zu den Prioritäten im zweiten „Bericht zur Lage der Nation“, den Präsident Felipe Calderón jetzt dem Kongress vorlegte – erstmals in einem neuen und unprätentiösen Format.

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In neuer Form präsentierte sich Anfang September der obligatorische „Bericht zur Lage der Nation“ (informe), den der Präsident dem Parlament erstatten muss. War dieser früher und zu PRI-Zeiten der „Tag des Präsidenten“, wo dieser unter dem Beifall zahlreicher Jubelperser in den Straßen seinen Weg von der Residenz Los Pinos zum Kongress nahm, reicht mittlerweile und zum ersten Mal seit Jahrzehnten eine schriftliche Fassung. Nachdem die letzten beiden informes, 2006 noch von Vicente Fox, 2007 erstmalig von Felipe Calderón, wegen massiver Proteste der Linksopposition im Parlament schon nicht ordnungsgemäß von statten gehen konnten, hatten sich die Parlamentarier auf diese neue Form geeinigt. So war es Innenminister Juan Camilo Mouriño vorbehalten, den Bericht im wahrsten Sinne des Wortes nur abzugeben. Eine wenig richtungsweisende Parlamentsaussprache folgte.

Analog der aktuellen öffentlichen Debatte beschränkte sich das Interesse auf wenig Prioritäten: die enormen Probleme des Landes auf dem Felde der inneren Sicherheit, den andauernden Bildungsnotstand und die angespannte Wirtschaftslage, nicht zuletzt mit Blick auf die anstehenden Reformen im Energiesektor.

Hauptsorge innere Sicherheit

Als besonders dringlich und immer dramatischer wird dabei die Sicherheitslage wahrgenommen. Mit Großdemonstrationen hatten die Mexikaner am 30. August in zahlreichen Städten des Landes, aber auch im Ausland, auf die überbordende Kriminalität im Lande aufmerksam gemacht und von der Politik Lösungen gefordert. „Iluminemos México“ (Erleuchten wir Mexiko) war das Motto. Die Beschlüsse, die Tage zuvor der „Nationale Sicherheitsrat“ gefasst habe, sind für viele der Teilnehmer nur einmal mehr abgegebene Versprechen. Artikel 16 des Gesetzes zur öffentlichen Sicherheit sieht vor, dass dieser Rat als höchstes Organ in dieser Materie mindestens zweimal im Jahr zusammentreten soll. Dass dies, eben bis vor kurzem, im Laufe eines Jahres nicht einmal der Fall war, spricht Bände.

In repräsentativen Umfragen zeigt sich die Bevölkerung mit der Effizienz der Regierungspolitik gerade in den Bereichen Sicherheit und Wirtschaft unzufrieden. Nur 38 bzw. 22 Prozent der Bürger stellen ihrem Präsidenten hier ein gutes Zeugnis aus. Kein Wunder: nach gleicher Umfrage geben etwa 79 Prozent der Bürger der Hauptstadt an, dass Familienangehörige bzw. nahe Bekannte in den vergangenen zwölf Monaten Opfer von Verbrechen geworden seinen, ähnlich hoch sind diese Angaben für die Großstädte Monterrey und Guadalajara. Besonders prominent dabei die Zahlen für Entführungen. Weit jenseits von 70 Prozent der Bürger haben zudem Angst, selbst Opfer einer Entführung zu werden. Die offiziellen Kriminalitätsstatistiken jedoch spiegeln diese Dramatik kaum wieder. Ein Hauptgrund: viele Bürger zeigen Verbrechen gar nicht erst an – ein klares Signal für ihr Misstrauen in die Behörden. So geben in Mexiko-Stadt nur 38 Prozent der Verbrechensopfer an, dieses den Behörden gemeldet zu haben, in Monterrey und Guadaljara waren es immerhin mehr als die Hälfte. Signifikante Unterschiede auch bei den angegebenen Fällen: Während in der Hauptstadt 39 Prozent der Befragten angaben, in den vergangenen zwölf Monaten selbst Opfer eines Verbrechens geworden zu sein, waren es in Monterrey und Guadalajara jeweils 25 bzw. 29 Prozent.

Selbst wenn diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind, lassen sie zumindest Rückschlüsse auf die psychologische Befindlichkeit der Mexikaner zu. Dies hat auch Auswirkungen auf ihre Wahrnehmung von Präsident Calderón. Generell hält sich die Zustimmung zu seiner Person auf Vorjahresniveau: 6,6 (September 2007: 6,8) Punkte auf einer Skala von eins bis zehn erhält er dabei. (Reforma, 1.9.2008). Alarmsignale aber gibt es auch für ihn. Auf die Frage: „Glauben sie dem Präsidenten, wenn er sich mit Botschaften an die Nation wendet“, sagten jetzt 44 Prozent der Befragten „ja“, zehn Prozent weniger als vor einem Jahr.

Angst vor weiterer Eskalation

An den Nerven zerrt vor allem die tägliche Berichterstattung über immer neue und immer grausamer Verbrechen in Zusammenhang mit dem narcotrafico. Selbst aus Bundesstaaten, die bisher als ruhig galten, werden Gewaltverbrechen gemeldet. Von der Touristenhalbinsel Yucatan etwa kam in diesen Tagen die Meldung über den Fund von 12 enthaupteten Leichen, ähnliche Greuel gehören zur täglichen Lektüre der Mexikaner. Und dass manche Bundesstaaten in der Kriminalitätsstatistik nur am Rande auftauchen, heißt keineswegs, dass das organisierte Verbrechen hier nicht tätig wäre. Nicht wenige vermuten dort stattdessen lediglich eine besonders effiziente Form der Kumpanei mit staatlichen Autoritäten.

Im Verteidigungsministerium und unter Parlamentariern macht sich derzeit eine weitere Sorge breit: die von einer möglichen Gewalteskalation seitens der Drogenmafia, sollte sie an Lebensnerven wirksam getroffen werden. So sei es schon verwunderlich, so ein Abgeordneter, dass der lange Katalog von Maßnahmen gegen das organisierte Verbrechen so gut wie nichts Handfestes zum Thema Geldwäsche enthalte. Liege hier, so die Frage, vielleicht schon ein Einknicken des Staates vor, in Erwartung möglicher terroristischer Gegenaktionen, wie man sie noch aus dem Kolumbien Pablo Escobars in Erinnerung hat? Könnte dies daran liegen, dass der Staat mit dem massiven Militäreinsatz bereits die letzte Karte ausgespielt hat und nun nicht mehr nachlegen kann? Die anfängliche Hoffnung jedenfalls, die „Enthauptung“ der Kartelle durch die Auslieferung verschiedener Bosse an die USA werde zum Zusammenbruch der führungslosen Körper führen, hat sich jedenfalls nicht erfüllt. Im Gegenteil: ungleich gewaltbereitere Führungsfiguren stehen nun an der Spitze der kriminellen Organisationen, vielfach hervorgegangen aus deren bewaffneten Armen wie den „Zetas“. Keine guten Perspektiven für die nähere Zukunft.

Eingetrübte Wirtschaftsaussichten

Vor großen Herausforderungen steht die mexikanische Regierung auch auf dem Felde der Wirtschaftspolitik. Immer mehr zeigt sich, dass der noch Anfang des Jahres demonstrativ zur Schau getragene Optimismus von der Realität überholt wurde. Neben hausgemachten Problemen zieht die Abschwächung der Weltwirtschaft Mexiko mit nach unten. Die Indikatoren sind alarmierend: Die Inflation steuert mit rund 5,5 Prozent auf etwas das doppelte dessen zu, was die Zentralbank als Ziel vorgegeben hat und jetzt nach Meinung von Analysten frühestens wieder für das Jahr 2010 ins Auge fassen kann. Die mexikanischen Leitzinsen liegen, als Gegenmittel der Währungshüter, inzwischen beim Dreifachen dessen, was die Fed der USA den Kreditnehmern zumuten will. Die Arbeitslosigkeit liegt mit 4,15 Prozent – gerade in den Großstädten ist sie noch deutlich höher – auf Rekordniveau, viele Mexikaner suchen nach Zweit- und Drittjobs, um ihre Kaufkraftverluste auszugleichen. Kein Wunder, dass der Konsum einbricht.

Wie erwartet, gehen im laufenden Jahr auch die Überweisungen der Auslandsmexikaner in die Heimat erheblich zurück. Um 6,9 Prozent etwa sanken sie im Juli gegenüber dem gleichen Vorjahresmonat, ein klares Zeichen der Konjunkturabschwächung in den USA und schwierigerer Bedingungen gerade für illegale Migranten. Immerhin lagen die Überweisungen aus dem Norden im genannten Monat aber immer noch bei 2,02 Milliarden Dollar, im gesamten Jahr 2008 sind es bisher 13,62 Milliarden (2,9 Prozent weniger als im gleichen Vorjahreszeitraum). Nach den Ölexporten bleiben sie die zweitwichtigste Einnahmequelle Mexikos.

Dieses Panorama schreit förmlich nach der Umsetzung weiterer struktureller Reformen in Mexiko, angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse im Parlament und mit Blick auf die Wahlen 2009 ein Ansatz mit ungewissem Ausgang. Die Debatten um die Energiereform, sie werden jetzt mit der neuen Sitzungsperiode des Parlaments wieder aufgenommen, dürften da die Richtung vorgeben.

Streiks und Lehrerproteste

Parallel zum „informe“ prägten zahlreiche Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen das Bild in Mexiko. Besonders prominent vertreten einmal mehr: der Bildungssektor und die verschiedenen Fraktionen der Lehrergewerkschaften SNTE sowie ihrer Abspaltung CNTE. Seit sich die SNTE- Führung um Elba Esther Gordillo mit dem Erziehungsministerium auf eine „Allianz“ zur Verbesserung des Bildungswesens geeinigt hatte, gärt es – obwohl schon deren Ansatz eher bescheiden wirkt: eine Qualitätsauswahl für frei werdende Lehrerstellen und eine fortlaufende Evaluierung sind den Protestierenden ein besonderer Dorn im Auge. Nachdem bei ersten Einstellungstest rund 70 Prozent der Anwärter die Minimalkriterien nicht erfüllten, haben sie dazu offenbar auch Anlass. Darüber hinaus wehren sich die „Pädagogen“ etwa im Bundesstaat Morelos dagegen, dass die Positionen künftig nicht einfach „weitervererbt“ werden können – ein Anachronismus.

Neue Präsidenten im Kongress

Viel Arbeit also für die Abgeordneten und Senatoren des mexikanischen Kongresses, die jetzt nach der Sommerpause wieder zusammenkommen.

Der Bestellung der neuen Präsidien gingen kleinere Scharmützel zwischen und innerhalb der Parteien voraus – besonders im Senat. Nachdem der PAN-Fraktionsvorsitzende Santiago Creel von seinem Parteivorsitzenden dieses Amtes enthoben worden war, gab es Tendenzen in der Fraktion, ihn an der Spitze des Senats gleichwohl zu belassen, ein Amt, dass er parallel ausübte. Auch in der PRI und sogar in der PRD gab es Stimmen, dies zu unterstützen. Parallel insistierte allerdings die PRD, dieses Amt zu übernehmen, da die PRI mit dem Abgeordneten César Horacio Duarte bereits den Vorsitz im Abgeordnetenhaus führt.

Creel selbst allerdings stellte sich für diese Spiel, das seine Partei erheblich beschädigt hätte, nicht zur Verfügung. Nun wurde sein Nachfolger im Amt des Fraktionsvorsitzenden, Gustavo Madero Muñoz mit 89 Stimmen zum Senatspräsidenten gewählt, eine Wahl, die hinter den Kulissen auch in der PAN nicht unumstritten ist. Vor allem wird seine mangelnde Parlamentserfahrung mit Sorge betrachtet. Santiago Creel wird sich nun erst einmal in die hinteren Reihen seiner Fraktion zurückziehen – ohne allerdings die öffentliche Bühne preisgeben. In Interviews hat er seine Differenzen mit verschiedenen Positionen der Regierung Calderón deutlich gemacht. Gerade das Thema Mediengesetzgebung ist für ihn prioritär, auch wenn dies die Feindschaft der großen Fernsehsender noch verschärft und seine Präsenz auf der Mattscheibe gering bleibt. In Umfragen bleibt er bei den PAN-Anhängern gleichwohl bisher die populärste Alternative für die Präsidentschaftskandidatur 2012 – und die Glaubwürdigkeitskarte könnte ihm da noch sehr helfen.

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