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Reportajes internacionales

Startschuss für Dauerwahlkampf? - Calderóns kämpferische Bilanz

de Frank Priess
Auf den Tag genau ist es zehn Jahre her, dass mit Vicente Fox ein Vertreter der PAN die jahrzehntelange Herrschaft der mexikanischen PRI beendete. Präsident Calderón nutzte dieses Jubiläum nun, um kämpferisch Bilanz zu ziehen. Für Beobachter wurde klar: die Zeit der Kompromisssuche ist vorbei, der Dauerwahlkampf bis zur Präsidentschaftswahl 2012 scheint nun auch offiziell eröffnet, überraschenderweise vom Staatspräsidenten selbst. Der neue alte Gegner dabei: die PRI. Die Warnung: die Gefahr eines Rückfalls in autoritäre Zeiten. Nur: erwartet Mexiko nun ein zweijähriger legislativer Stillstand?

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„Zehn Jahre demokratischer Regierungen“ lautete das Motto über einer Feier, bei der Mexikos Präsident Felipe Calderón jetzt vor Parteianhängern höchstselbst Bilanz zog. Mit dramatischen Worten und in kämpferischer Attitüde warnte er dabei vor einer „Rückkehr zum Autoritarismus“ früherer Zeiten. Dies wäre, so der Präsident, „ein Unglück“. Mexiko verdiene eine solche „Tragödie“ nicht, denn sie heiße „Korruption, Armut, die Negierung von Freiheitsrechten“. Später relativierte er seine Worte zwar dahingehend, dass er nicht über eine bestimmte Partei gesprochen habe – die Botschaft wurde gleichwohl verstanden.

Streit über materielle Regierungsbilanz

Was die materielle Bilanz der PAN-Regierungen angeht, fiel sie erwartungsgemäß sehr positiv aus, etwas, dass politische und wirtschaftliche Beobachter landauf landab für ergänzungs- und korrekturbedürftig halten. Unbestritten ist, dass die erstmalige demokratische Transition eine weitere Öffnung des politischen Wettbewerbs gebracht hat, Presse- und Meinungsfreiheit sind heute – trotz zahlreicher Übergriffe – allgegenwärtig, die Zivilgesellschaft artikuliert sich energischer als früher. Unbestritten auch die makroökonomische Stabilität Mexikos, die bereits in der zweiten Hälfte der Amtszeit von Ernesto Zedillo begann und heute vielen Mexikanern Planungssicherheit bietet: solide Staatsfinanzen, vergleichsweise geringe Auslandsverschuldung, beachtliche Währungsreserven und eine unter Kontrolle gehaltene Inflation sind hier zuvörderst zu nennen.

Schwächen weist Mexiko allerdings beim Wirtschaftswachstum auf, gerade im Vergleich mit Konkurrenten aus den Schwellenländern. Gerade einmal um 1,27 Prozent wuchs das Bruttoinlandsprodukt im Jahresmittel der letzten zehn Jahre – bei einer Pro-Kopf-Umrechnung ist es angesichts der gewachsenen mexikanischen Bevölkerung sogar negativ. Allerdings hat die PRI kaum Anlass, bessere Zahlen während ihrer eigenen Regierungszeit zu bejubeln: sie wurden auch mit zwei gewaltigen Wirtschaftszusammenbrüchen bezahlt, die nicht wenige Mexikaner noch in traumatischer Erinnerung haben.

Deutlich besser ist die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnungen, auch bei der allgemeinen Gesundheitsversorgung gibt es klare Fortschritte. Die Transparenz des Regierungshandelns ist – zumindest auf der Ebene der Bundesregierung – gewachsen, die Einrichtung des entsprechenden Instituts IFAI war eine der großen Leistungen der Regierung Fox. Die aktuelle Wirtschaftskrise hat der Regierung Calderón eine Erfolgsbilanz bei der Armutsbekämpfung deutlich verhagelt, die Jugendarbeitslosigkeit trübt die Freude über einen deutlich gestiegenen Universitätsbesuch.

Heftige PRI-Reaktionen

Die Reaktionen der PRI ließen nicht auf sich warten. In einer Parlamentsdebatte erklärten wichtige Abgeordnete der Partei den Dialog mit dem Präsidenten für beendet. „Es ist vorbei, so geht man in der Demokratie nicht miteinander um“, sagte etwa der PRI-Abgeordnete Sebastián Lerdo de Tejada. Der Präsident des Abgeordnetenhauses Jorge Carlos Ramírez Martín seinerseits hielt es für unangemessen, dass die Exekutive in Form des Präsidenten eine Partei angreife. Ein solches Verhalten „schließe jede Möglichkeit von Übereinkünften für den Rest der Amtszeit aus.“ Der Führer der PRI im Senat, Manlio Fabio Beltrones meinte, Calderón müsse sich entscheiden, ob er Präsident oder Parteiführer sein wolle – beides gleichzeitig gehe nicht.

Führende PRI-Politiker erkannten gleichzeitig aber den Kampf gegen das organisierte Verbrechen seitens der Regierung Calderón ausdrücklich an. Auch gibt es speziell aus der Legislative zumindest verbal immer wieder Angebote, Reformvorhaben voranzubringen – das gerade verabschiedete „Anti-Entführungsgesetz“ ist dafür ein Beispiel. Die unmittelbare Zukunft schon wird zeigen, was bei der aktuellen Auseinandersetzung Theaterdonner und was wirklich ernst gemeint ist.

Es gibt für die Regierung aber auch „friendly fire“: So ging der ehemalige Parteivorsitzende der PAN, Manuel Espino Barrientos, mit Calderón fast schon gewohnheitsmäßig hart ins Gericht und bezeichnete die Rede als kontraproduktiv und wenig hilfreich– den Hintergrund allerdings liefert sein gerade von einem Schiedsgericht im Bundessstaat Sonora bestätigter Parteiausschluss, den der nationale Parteivorstand beantragt hatte.

Die Regierungszeit von Vicente Fox, so Espino, sei deutlich erfolgreicher gewesen als die von Felipe Calderón. Vicente Fox selbst hatte an der Feier seiner Partei nicht teilgenommen, sich aber über die Medien zu Wort gemeldet. Die Errungenschaften der Transition seien evident, so Fox, nicht zuletzt, was die Respektierung der Menschenrechte, die wirtschaftliche Stabilität und die Verbesserung der Lebensumstände der Mexikaner angehe. Die PRI lud er ein, einmal die konkreten Daten der unterschiedlichen Regierungszeiten zu vergleichen – vorher hätten Autoritarismus, die Verletzung der Menschenrechte und Wirtschaftskrisen dominiert.

Vor all diesem Hintergrund fragte sich etwa der Leitartikel der Zeitung El Universal, was Calderón wohl motiviert haben könnte, der größten politischen Kraft im Kongress auf diese Weise den Krieg zu erklären. An anderer Stelle im gleichen Blatt gab Kommentator José Carreño Carlón eine mögliche und durchaus plausible Antwort: “Es ist eine strategische Botschaft an die Wähler des Jahres 2012 für ein Referendum über die Rückkehr der PRI an die Macht.” Calderón sei wohl zu dem Ergebnis gekommen, dass die kommende Auseinandersetzung allein mit Regierungserfolgen nicht zu gewinnen sei.

Was denken die Bürger?

Die Bürger haben derweil ihre eigene Perspektive über das bisher Erreichte. In einer Umfrage, die die Zeitung Reforma zum zehnten Jahrestag der PAN-Regierungsübernahme veröffentlichte, sehen 31 Prozent der Befragten Verbesserungen gegenüber früher, 26 Prozent meinen, es sei schlechter geworden und 41 Prozent glauben, es gäbe keinen Unterschied. Etwas schlechter noch ist die Bilanz bei Mexikos Eliten.

Präsident Calderón kann immerhin derzeit mit einer Zustimmung von 59 Prozent der Bürger zu seiner Amtsführung rechnen, 33 Prozent äußern sich unzufrieden. Auf einer Skala von 1 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut) kommt der Präsident auf einen Wert von respektablen 6,5. Interessant auch die Antworten auf die Frage, ob die Regierung Fox oder die Regierung Calderón besser für Mexiko sei: 48 Prozent sprechen sich hier für Calderón aus, 15 Prozent für Fox, 15 Prozent sehen keinen Unterschied. 19 Prozent meinen, keiner der beiden sei gut für das Land gewesen.

Etwas schwächer hatte die Zustimmung für Calderón in einer Umfrage der Zeitung El Universal vom 29. November ausgesehen: hier hatten sich 45,4 Prozent der Befragten zustimmend zu seiner Regierungsführung geäußert, 33,3 Prozent ablehnend.

Besonders problematisch sehen Bürger und Eliten die Bilanz der aktuellen Regierung auf den Gebieten Arbeitslosigkeit, Sicherheit und Korruption. 89 Prozent der Meinungsführer etwa sagen, hier habe der als „Präsident der Beschäftigung“ angetretene Calderón versagt. Nach einer am 5. November in der Zeitung Milenio veröffentlichten Umfrage des Gabinete de Comunicación Estratégica glauben zudem 62,7 Prozent der Mexikaner, das organisierte Verbrechen sei dabei, den Anti-Drogenkrieg zu gewinnen, nur 21,2 Prozent trauen das ihrer Regierung zu. 83,8 Prozent der Befragten sagen, das Gewaltniveau in Mexiko sei heute höher als vor einem Jahr.

Nach dem aktuellen Zensus der Statistikbehörde INEGI hat Mexiko übrigens inzwischen rund 112,3 Millionen Einwohner. Fast die Hälfte davon lebt in nur fünf der 31 Bundesstaaten und dem Hauptstadtdistrikt DF: Bundesstaat Mexiko, Veracruz, Jalisco, Puebla und Guanajuato.

Nutznießer Bundesstaaten

Nach intensiven Verhandlungen hat das Abgeordnetenhaus jetzt den Haushalt 2011 auf der Ausgabenseite beschlossen. Er hat ein Volumen von 3.483.895.500.000 Pesos. Er liegt damit um rund 60 Millionen Pesos höher als von Präsident Calderón vorgeschlagen.

Über hohe Zuwendungen können sich einmal mehr die Bundesstaaten freuen: erhielten sie im Jahr 1998 nur zehn Prozent der insgesamt zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel, waren es im Jahr 2008 bereits 38 Prozent. Tendenz: weiter steigend! Nicht in gleichem Maße gestiegen ist allerdings die Transparenz. Auch gibt es so gut wie keine Sanktionen, wenn die Bundesstaaten die Mittel anders verwenden, als im Haushaltsplan vorgesehen. Zudem verfügen die Gouverneure über erhebliche Mittel, über die sie überhaupt keine Rechenschaft ablegen – abgesehen davon kontrollieren sie meist komplett die regionalen Kontrollbehörden. Alle Versuche der Bundesregierung, hier Verbesserungen zu erzielen, sind am Widerstand vor allem der PRI gescheitert.

Dies nämlich gilt es bei allen Bilanzen zu berücksichtigen: Mexiko verfügt institutionell über eine der schwächsten Präsidialsysteme weltweit. Vorbei die Zeiten, in denen ein PRI-Präsident seine Macht auch auf den totalen Durchgriff gegenüber der Legislative, der Judikative, Ländern und Gemeinden stützen konnte. Heute steht der Präsident – da musste Felipe Calderón direkt an Vicente Fox anknüpfen – ohne Mehrheit im Parlament dar. Die Haushaltshoheit etwa liegt beim Abgeordnetenhaus, in dem PRI und Grüne derzeit über eine absolute Mehrheit verfügen. Alle Erfolge sind nur als kleine Schritte in aufwendigen Kompromissverfahren mit dem politischen Gegner zu erreichen – und der hat bekanntlich auch seine eigene, wahlorientierte Tagesordnung.

Parteien stellen sich neu auf

Diese ist momentan auch durch personelle Weichenstellungen bedingt:

Die Regierungspartei PAN wählt am Wochenende des 4. und 5. Dezember ihren Parteivorsitzenden neu, fünf Kandidaten liefern sich derzeit ein engagiertes Rennen. Trotz eines mit rund 380 Mitgliedern überschaubaren Wahlgremiums ist das Ergebnis offen – eine zweite Wahlrunde zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten macht Koalitionen möglich, über die schon jetzt hinter den Kulissen heftig verhandelt wird. Eine wichtige Frage für die neue Führung wird in jedem Fall sein, wie man es in 2011 – und vielleicht darüber hinaus – mit Anti-PRI-Wahlallianzen halten will, die im laufenden Jahr in den Bundesstaaten Puebla, Oaxaca und Sinaloa zu Erfolgen führten.

Die Nagelprobe dabei ist der Bundesstaat Mexiko, wo man dem bisher aussichtsreichsten PRI-Kandidaten für 2012, Gouverneur Enrique Peña Nieto gern ein Bein stellen würde. Dieser profitiert derzeit von vielen schönen Bildern, die seine glamouröse Hochzeit mit einer bekannten Schauspielerin produziert hat – böse Zungen sehen darin allerdings lediglich einen wichtigen Baustein in einer seit Jahren laufenden Medienstrategie, 48 Prozent der Befragten hielten bei einer Umfrage sogar die Hochzeit für entsprechend für „arrangiert“.

Auch die PRI wählt in Kürze ihre Führung neu, ebenfalls nicht konfliktfrei. Derzeit scheint alles auf dem Gouverneur des Bundesstaates Coahuila, Humberto Moreira als neuen Parteivorsitzenden hinauszulaufen, obwohl die aktuelle Vorsitzende, Beatriz Paredes, nicht müde wird, den ehemaligen Fraktionsvorsitzenden ihrer Partei im Abgeordnetenhaus, Emilio Gamboa Patrón im Gespräch zu halten.

In der PRD mehren sich die Stimmen, die Lazaro Cárdenas Batel, Sohn des legendären Parteigründers Cuauhtémoc Cárdenas, zum neuen Parteivorsitzenden machen wollen. Sowohl Andrés Manuel López Obrador als auch der Gouverneur von Michoacan, Leonel Godoy sowie die Ex-Gouverneurin von Zacatecas, Amalia Garcia, äußerten sich in diesem Sinne. Auch Hauptstadtbürgermeister Marcelo Ebrard hatte sich bereits für Cárdenas Batel ausgesprochen – gute Voraussetzungen für einen Burgfrieden mindestens bis zur innerparteilichen Kandidatenkür für 2012. Der aktuelle Parteivorsitzende Jesús Ortega hatte zuvor angekündigt, im März 2011 den Weg für seine Nachfolge freizumachen.

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