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Reportajes internacionales

Eine zweite Chance für die Nuklearenergie in Vietnam

de Isis Helen Urbanczyk, Florian C. Feyerabend

Der steigende Energiebedarf in Vietnam führt zu einem (Wieder-)Einstieg in die Nuklearenergie

Vietnam, eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Südostasiens, steht vor der dringenden Herausforderung, seinen stetig wachsenden Energiebedarf nachhaltig und zuverlässig zu decken. Stromengpässe und Blackouts in den vergangenen Jahren hatten ausländische Investoren aufgeschreckt. Angesichts der globalen Bemühungen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen und der Notwendigkeit, den nationalen Energiemix zu diversifizieren, rückt nun die Nuklearenergie zunehmend in den Fokus.

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Abhängigkeit von Kohleverstromung und frühere Nuklearenergiepläne

Vietnam hat eine vielfältige Stromerzeugungsstruktur die aus Kohle, Wasserkraft, Erdgas und erneuerbaren Energie besteht, wobei Kohle dominiert und im Jahr 2024 rund die Hälfte der Stromerzeugung ausmachte. Die einheimische Kohleförderung ist hierbei bei weitem nicht ausreichend und so stiegen im vergangenen Jahr die Kohleimporte um 31 Prozent.1 Die installierte Gesamt-stromerzeugungskapazität von zuletzt über 80 Gigawatt soll in den nächsten Jahren durch massiven Zubau mehr als verdoppelt werden. Um der wachsenden Nachfrage nachzukommen und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, insbesondere Kohle, zu verringern, erwägt Vietnam den (Wieder-)Einstieg in die Kernenergie.2

Vietnam begann schon früh, sich mit dem Thema Kernenergie auseinanderzusetzen. Erste Machbarkeitsstudien zur Errichtung von Kernkraftwerken wurden in den 1980er-Jahren angestellt, konkrete Pläne folgten ab den 2000er-Jahren. Im Jahr 2009 wurde beschlossen, in der Provinz Ninh Thuận zwei Kernkraftwerke mit Unterstützung aus Russland und Japan zu errichten. Diese Pläne sahen mehrere Reaktoren mit einer Gesamtkapazität von 4 GW vor, die bis 2024–2028 sukzessive ans Netz gehen sollten.Ziel war es, langfristig eine stabile, CO₂-arme Stromquelle zu etablieren, die den steigenden Energiebedarf deckt.4 Allerdings stieß das Projekt schon in den Planungsphasen auf finanzielle, technische und gesellschaftspolitische Hürden: Die geschätzten Baukosten stiegen stark an, während gleichzeitig, nach der Katastrophe von Fukushima 2011 in vielen Ländern eine erhöhte Skepsis gegenüber Kernenergie herrschte. Hinzu wurden Bedenken hinsichtlich nuklearer Versorgung, Entsorgung und lokaler Akzeptanz laut.5

Ein entscheidender Faktor war auch die gesunkene Wirtschaftlichkeit von Nuklearenergie, unter anderem bedingt durch fallende Kosten für erneuerbare Energien. Nach intensiven Beratungen beschloss die vietnamesische Nationalversammlung schließlich im November 2016, das Nuklearprojekt in Ninh Thuận vorerst auszusetzen. Begründet wurde dies mit finanziellen Risiken, aber auch fehlender Dringlichkeit, da sich Investitionen in Wind- und Solarenergie als attraktiver erwiesen.6

 

Überarbeitung des Stromentwicklungsplans

Internationale Klimaschutzverpflichtungen wie das Pariser Abkommen von 2015 und die auf der COP 26 in Glasgow verkündete Klimaneutralität bis 2050 bringen Vietnam zusätzlich unter Druck, sich nach CO₂-armen Energieträgern umzuschauen. In den letzten Jahren hat die vietnamesische Regierung deshalb ihr Interesse an der Nuklearenergie bekräftigt und die Notwendigkeit einer diversifizierten Energieversorgung betont.

So musste auch der erst im Mai 2023 verabschiedete 8. National Power Development Plan (PDP8; Nationaler Stromentwicklungsplan) jüngst angepasst werden, um Optionen für Kernenergie mit einzubeziehen. Dieser Plan sieht vor, die installierte Stromerzeugungskapazität des Landes von über 80 Gigawatt Ende 2023 auf über 183 bis 236 Gigawatt im Jahr 2030 zu erhöhen – mit einer langfristigen installierten Leistung von bis zu 14,4 Gigawatt Nuklearenergie. Damit soll die nationale Energiesicherheit gewährleistet und ein jährliches Wirtschaftswachstum im zweistelligen Bereich sichergestellt werden (ein Ziel, das freilich vor der Verkündung der Strafzölle der Trump-Regierung verkündet wurde, an dem man aber weiterhin festhält). Der Fokus liegt auf dem Ausbau der Solar- und Windkapazitäten, die bei sinkenden Kosten zunehmend interessant für Investoren werden. Gleichzeitig steht aber hier die Frage der Versorgungssicherheit im Vordergrund, da wetterabhängige Schwankungen der Stromerzeugung eine modernisierte Netzinfrastruktur und Energiespeicherlösungen erfordern.7 So hat die Wasserkraft mittlerweile ihre maximale Produktionskapazität erreicht, während eine weitere Erhöhung der Kapazität Gefahren im Zusammenhang mit Naturkatastrophen und dem Klimawandel birgt.

Der (Wieder-)Einstieg in die Kernenergie und die Wiederaufnahme der Kraftwerkspläne in der Provinz Ninh Thuận versprechen hier einen Ausweg.
 

Kooperation mit der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) und Bekenntnis zur friedlichen Nutzung der Kernenergie

Vietnam arbeitet bereits eng mit internationalen Organisationen wie der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) zusammen, um die Entwicklung der Nuklearinfrastruktur und die Einhaltung internationaler Sicherheitsstandards sicherzustellen.8 Zwar ist Vietnam seit längerem Mitglied der IAEA und hat zahlreiche Abkommen zur nuklearen Sicherheit unterzeichnet, doch gibt es bislang keine umfassenden nationalen Regelungen für den Bau und Betrieb von Kernkraftwerken  sowie keine klare Roadmap, die die festlegt, wie und wann die Regierung Kernenergieprojekte wieder aufnehmen will. In diesem Zusammenhang gab es 2022 eine IAEA-Mission, die den technischen und regulatorischen Vorbereitungsstand überprüfte und Vietnam ein solides Fundament für mögliche künftige Entwicklungen bescheinigte.

Vietnam verpflichtet sich außerdem zur ausschließlich friedlichen Nutzung der Kernenergie und betont seine Absicht, keine Atomwaffen zu entwickeln oder zu besitzen. So ist Vietnam Vertragspartei des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen sowie des Vertrags von Bangkok, der eine nuklearwaffenfreie Zone in Südostasien etabliert.9
 

Russland und Vietnam als Partner in der Nuklearenergie

Vietnam steht bei der Entwicklung seines Nuklearprogramms mit verschiedenen potenziellen Partnern wie zum Beispiel Frankreich, Japan und Südkorea im Austausch. Besonders Russland werden jedoch gute Chancen zugeschrieben, beim (Wieder-)Einstieg in die Nuklearenergie und dem Bau der ersten beiden Reaktoren in der Provinz Ninh Thuận eine wichtige Rolle zu spielen. Obwohl sich Vietnam 2016 dazu entschied, sein Nuklearbauprojekte vorübergehend auszusetzen blieb die Partnerschaft mit Russland bestehen. In diesem Kontext unterstütze der staatliche russische Atomenergiekonzern Rosatom Vietnam weiterhin bei der Ausbildung von Fachkräften und dem Technologietransfer sowie der Entwicklung der Nuklearwissenschaft und -technologie zu friedlichen Zwecken.

Im Januar 2025 besuchte der russische Premierminister Mikhail Mischustin Vietnam, um die bilaterale Zusammenarbeit weiter zu stärken – insbesondere im Bereich der Nuklearenergie. Während dieses Besuchs unterzeichneten Russlands staatlicher Atomenergiekonzern Rosatom und Vietnams staatlicher Energieversorger EVN eine Vereinbarung zur Intensivierung der Zusammenarbeit im Nuklearsektor.10 Zuletzt gab es jedoch auch Spekulationen, dass die US-Administration unter Präsident Trump Vietnams nukleare Zukunft finanzieren könnte.11
 

Kernkraft als strategischer Baustein der Energiezukunft Vietnams

Die Nuklearenergie spielt aus vietnamesischer Perspektive eine Schlüsselrolle bei der Sicherstellung der Energieversorgung Vietnams, indem sie eine stabile und grundlastfähige Stromversorgung gewährleisten würde. Sie könnte dazu beitragen, die Abhängigkeit von importierten, fossilen Brennstoffen zu verringern und die Schwankungen der Energiepreise zu reduzieren. Als kohlenstoffarme Energiequelle würde sie eine signifikante Reduzierung der Treibhausgasemissionen ermöglichen und damit die Erreichung der Klimaziele Vietnams unterstützen. Außerdem könnte sie zur Stärkung der wissenschaftlichen und technischen Kapazitäten Vietnams beitragen, neue Arbeitsplätze in hochqualifizierten Bereichen schaffen und die wirtschaftliche Entwicklung fördern. Bis 2045 will Vietnam ein entwickeltes Land mit hohem Einkommen werden. Die zivile Nutzung der Kernenergie verspricht auch einen Ansehensgewinn.

Allerdings ist die Umsetzung dieser Pläne mit erheblichen Herausforderungen verbunden. Die Entwicklung von Kernkraftwerken erfordert Investitionen, technisches Know-how und eine robuste Infrastruktur. Vietnam hat wie beschrieben in der Vergangenheit bereits Nuklearprojekte aufgrund finanzieller und sicherheitstechnischer Bedenken ausgesetzt und die jetzige Wiederaufnahme dieser Pläne erfordert daher eine sorgfältige Planung und internationale Unterstützung. So muss Vietnam infrastrukturelle Engpässe überwinden, internationale Partnerschaften effektiv nutzen, die öffentliche Akzeptanz für Kernenergie verbessern sowie ein umfassendes Sicherheitskonzept vorlegen können.

 

Parlament und Regierung haben grünes Licht gegeben

Nach einer achtjährigen Unterbrechung des Nuklearprogramms stimmte die vietnamesische Nationalversammlung schließlich im November 2024 der Wiederaufnahme des Ninh Thuan Kernkraftprojektes zu. Die Standortfreigabe für das erste Kernkraftwerk soll dieses Jahr bereits abgeschlossen und eine sichere Umsiedelung der Bürger gesichert werden. Premierminister Pham Minh Chinh hat im Februar 2025 die Staatskonzerne EVN und Petrovietnam (PVN) als Investoren für die Kernkraftwerke Ninh Thuan 1 und 2 beauftragt, und das zuständige Ministerium aufgefordert, bis spätestens Ende 2030/2031 die beiden Kernkraftwerke fertig zu stellen.12 Sie sollen 6,4 Gigawatt installierte Kapazität bereitstellen. Bis zur Mitte des Jahrhunderts sollen weitere 8 Gigawatt an Nuklearenergie hinzugebaut werden.

 

Ausblick

Die Kernkraft bietet Vietnam eine vielversprechende Möglichkeit, seine Energiesicherheit zu stärken, den Klimaschutz voranzutreiben und die technologische Entwicklung zu fördern. Um die Vorteile der Nuklearenergie zu nutzen, muss Vietnam jedoch die damit verbundenen Herausforderungen bewältigen, insbesondere in Bezug auf Sicherheit, Abfallmanagement und öffentliche Akzeptanz. Durch eine sorgfältige Planung, internationale Zusammenarbeit und eine transparente Kommunikation kann Vietnam eine nachhaltige und sichere Nutzung der Nuklearenergie gewährleisten. Damit einhergehend sind umfangreiche Transparenz- und Sicherheitskonzepte notwendig, um Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung und in internationalen Fachkreisen zu schaffen.

Ökonomisch interessant wäre für Vietnam eine diversifizierte Versorgungsstruktur: Solar- und Windparks decken Spitzenlasten, während Kernenergie eine konstant verfügbare Grundlast zur Verfügung stellt. Hierbei stellt sich jedoch die Frage der Skalierung. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten und die notwendige Infrastruktur (z.B. sichere Endlager für radioaktive Abfälle) müssen frühzeitig geplant werden. Zudem ist offen, inwiefern Kernenergie mit den sinkenden Kosten für erneuerbare Energien mithalten kann. Die Entwicklung der Kohle- und Gaspreise kann ebenso Einfluss haben, zumal Vietnam sich von Importen unabhängiger machen möchte. Aber auch und insbesondere bei der Kernkraft bedeutet die Auswahl der internationalen Partner das Eingehen einer strategischen Partnerschaft (und Abhängigkeit) für die nächsten Jahrzehnte.

 


 

1https://www.reuters.com/markets/commodities/vietnams-industrial-boom-drives-global-coal-imports-new-highs-maguire-2025-02-11/ [zuletzt aufgerufen am 22.04.2025]

2 https://www.pwc.com/vn/en/publications/2023/230803-pdp8-insights.pdf [zuletzt aufgerufen am 22.04.2025]

3 https://www.reuters.com/world/asia-pacific/vietnam-consider-nuclear-power-development-govt-office-document-2024-09-13/ [zuletzt aufgerufen am 22.04.2025]

4 https://www.world-nuclear-news.org/articles/vietnam-looks-to-accelerate-construction-of-nuclear-power-plants [zuletzt aufgerufen am 22.04.2025]

5 https://www.world-nuclear-news.org/articles/vietnam-and-russia-expand-nuclear-energy-cooperation [zuletzt aufgerufen am 22.04.2025]

https://world-nuclear.org/information-library/country-profiles/countries-t-z/vietnam [zuletzt aufgerufen am 22.04.2025]

7 https://world-nuclear.org/information-library/country-profiles/others/asias-nuclear-energy-growth [zuletzt aufgerufen am 22.04.2025]

8 https://www.iaea.org/newscenter/news/iaea-reviews-vietnams-progress-nuclear-power-development [zuletzt aufgerufen am 22.04.2025]

9 css.ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/gess/cis/center-for-securities-studies/pdfs/CSS-Analyse179-EN.pdf [zuletzt aufgerufen am 22.04.2025]

10 https://www.world-nuclear-news.org/articles/vietnam-and-russia-expand-nuclear-energy-cooperation sowie https://www.reuters.com/business/energy/vietnam-signs-nuclear-cooperation-deal-with-russias-rosatom-2025-01-14/ [beide zuletzt aufgerufen am 22.04.2025]

11 https://www.csis.org/blogs/new-perspectives-asia/strategic-opportunity-us-funding-vietnams-pursuit-nuclear-power [zuletzt aufgerufen am 22.04.2025]

12 https://theinvestor.vn/ninh-thuan-province-to-complete-site-clearance-for-vietnams-first-nuclear-power-plant-in-2025-d14776.html [zuletzt aufgerufen am 22.04.2025]

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Florian Constantin Feyerabend
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Lewe Paul KAS

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