Reportajes internacionales
Wahlsystem und Parteiengesetz
Alle fünf Jahre gehen mit den stattfindenden Präsidentschaftswahlen in Peru auch die Kongresswahlen sowie Wahlen zum Andenparlament einher. Dabei werden 130 Abgeordnete gewählt, die ab dem 28. Juli 2016 für fünf Jahre das Volk im Kongress vertreten werden. Für alle Peruaner zwischen 18 und 70 Jahren gilt eine in der Verfassung verankerte Wahlpflicht. Bei Verstoß gegen diese, drohen Strafzahlungen und weitere Sanktionen, beispielsweise bei der Ausstellung eines Führerscheins.
Die Wahl des Kongresses erfolgt nach einem Wahlkreissystem. Der Nationale Wahlgerichtshof ordnet jedem der 26 Wahlkreise (zugleich Departments) proportional zur Einwohnerzahl eine bestimmte Anzahl an Sitzen im Kongress zu. Für jeden Wahlkreis gibt es eigene Listen der Parteien oder Parteienbündnisse. Im Gegensatz zum früheren System einer einzigen nationalen Liste, ist somit eine Vertretung aller Regionen im Kongress gewährleistet. Der größte Wahlkreis ist Lima mit 36 Sitzen im Kongress. Eine Besonderheit stellt das Wahlrecht der Peruaner im Ausland (ca. 900.000 Wählberechtigte) dar, die von zwei der Mandate aus Lima vertreten werden.
Zusätzlich beeinflusst das Parteiengesetz die Zusammensetzung der departamentalen Kandidatenlisten. Hohe Zugangshürden für die Gründung einer nationalen Partei (rd. 500.000 Unterschriften sind erforderlich) sowie fehlende staatliche Parteien- und Wahlkampffinanzierung haben dazu geführt, dass die Aktivitäten der nationalen Parteien zumeist auf die Hauptstadtregion beschränkt sind und auf Grund fehlender dezentraler Präsenz in den Regionen Allianzen mit lokalen und regionalen Parteien suchen. Für deren Gründung und Finanzprüfung gelten weniger strenge Regeln, doch im Gegenzug können sie alleine nicht an nationalen Wahlen teilnehmen. In der Regel handelt es sich um politische Organisationen lokaler oder regionaler Führungspersönlichkeiten, die sich eine Partei „zulegen“, um über ein Bündnis mit einer nationalen Partei in den Kongress zu kommen und dort für ihre Partikula-rinteressen Lobbyarbeit zu betreiben. Nicht immer sind ihre Finanzquellen transparent und legaler Natur.
Für den Einzug in den Kongress muss eine Partei mindestens fünf Prozent der gültigen Wählerstimmen (landesweit) auf sich vereinen (ein Parteienbündnis für jeden Allianzpartner einen weiteren Prozentpunkt zusätzlich) oder wenigstens sechs direkt gewählte Abgeordnete aus mindestens zwei Wahlbezirken entsenden. Die Wähler können entweder ein Kreuz für die favorisierte Partei setzen oder bis zu zwei Listennummern der von ihnen präferierten Kandidaten wählen. Überkreuzwahl ist dabei ausgeschlossen, der Wähler muss sich für eine Partei entscheiden.
Dieses komplexe Wahlverfahren führt dazu, dass in der Regel mehrere Wochen vergehen, bis das endgültige Wahlergebnis feststeht. Erreichen die Parteien beziehungsweise Bündnisse unter diesen Bedingungen keine Präsenz im Kongress, so verlieren sie ihre Rechtspersönlichkeit. Das führt dazu, dass einige Parteien(-bündnisse) noch kurz vor dem Wahltag ihre Kandidatenlisten zurückziehen, um dadurch ihre Rechtspersönlichkeit bis zu den nächsten nationalen Wahlen zu sichern.
Auf den einzelnen Listen dürfen bis zu 25 Prozent „eingeladene“ Kandidaten vertreten sein, die nicht der Partei angehören. Das soll die Institutionalität der Parteien stärken, wird aber angesichts des Präferenzwahlsystems ad absurdum geführt.
Individueller Wahlkampf ohne klares Programmprofil
Das praktizierte Präferenzwahlsystem beeinflusst auch die Wahlkampfführung der einzelnen Kandidaten derart, dass der Kampf gegen die Konkurrenten auf der eigenen Liste im Vordergrund steht und weniger das Gesamtergebnis der Partei. Dies verhindert ein klares gemeinsames Programmprofil der Kandidaten zugunsten der Partei und untergräbt die bestmögliche Parlamentsaufstellung zur Umsetzung ebendieses. Gleichzeitig ist es schwer, den Ursprung und die Ausgaben der verwendeten Gelder auszumachen, da die einzelnen Kandidaten nur teilweise oder keine Angaben über ihre Ressourcen machen.
Turbulenzen im Präsidentschaftswahlkampf beeinflussen die Kongresswahlen
Im parallel zum Kongresswahlkampf geführten Kampf um das Präsidentenamt geht es derzeit heiß her. Julio Guzmán („Todos por el Peru“) und Cesar Acuña („Alianza para el Progreso“) wurden vom Nationalen Wahlgerichtshof von den Wahlen ausgeschlossen. Bei Acuña haben unzulässige Geldgeschenke während Wahlkampfveranstaltungen zum Ausschluss geführt. Bei Guzmán waren fehlerhafte Prozesse bei der Ernennung zum Kandidaten seiner Partei ausschlaggebend. Vor allem durch den Ausschluss Guzmáns werden die Karten neu gemischt, denn zuletzt lag er in Umfragen eindeutig an zweiter Stelle hinter der Spitzenreiterin Keiko Fujimori.
Zudem haben mittlerweile drei weitere Kandidaten ihre Bewerbung zurück gezogen und mit ihnen die sie unterstützenden Parteien. Auch die Partei Guzmáns zog mit Hin-weis auf die Umstände des ihrer Ansicht nach fragwürdigen Ausschlusses ihres Präsidentschaftskandidaten sämtliche Kongresslisten zurück.
Somit konkurrieren noch 13 verschiedene Parteien und Bündnisse gegeneinander. Von ihnen lässt sich jedoch nur die Minderheit als wirkliche Partei beschreiben. Viele Parteien werden ausschließlich für die Unterstützung eines bestimmten Präsidentschaftskandidaten gegründet und haben entsprechend keinen programmatischen Kern, sondern sind allein auf die Führungsfigur ausgerichtet. Dadurch fehlt eine inhaltliche Kohärenz und organisatorische Stabilität. Den meisten Parteien gelingt es daher auch nicht, sich bis zu den nächsten Wahlen zu konsolidieren, so dass sie schnell wieder von der Bildfläche verschwinden. Ausnahmen bilden bislang drei etablierte Parteien: die sozialdemokratisch geprägte Partei „APRA“ (Alianza Popular Revolucionaria Americana – Revolutionäre Volksallianz Amerikas), die christdemokratische „PPC“ (Partido Popular Cristiano - Christliche Volkspartei) und die liberale Partei „Acción Popular“ (Volks-Aktion). Die fehlende Stabilität des Parteiensystems begünstigt zudem spontane Parteiwechsel von Abgeordneten, so dass die Fraktionen im Kongress zum Ende einer Legislaturperiode oft eine andere Größe haben, als zu Beginn.
Einschätzung der Wahlaussichten
Für die Kongresswahlen gibt es bislang lediglich zwei Umfragen, da der Schwerpunkt der Erhebungen auf den Präsidentschaftswahlen liegt. Dabei zeigt sich, dass die Umfrageergebnisse zu den Präsidentschafts- und Kongresswahlen oft miteinander korrelieren.
So steht die fujimoristische Partei „Fuerza Popular“ (Volkskraft) ebenso an der Spitze der Umfragen zur Kongresswahl, wie ihre Präsidentschaftskandidatin Keiko Fujimori. Diese kann mit 37 Prozent Zustimmung auf eine breite Unterstützung zählen. Die meisten Befürworter kommen aus den unteren Gesellschaftsschichten und erhoffen sich ein hartes Vorgehen gegen die omnipräsente Korruption. Allerdings gibt es auch eine hohe Ablehnungsrate gegen Fujimori (ca. 40% würden keinesfalls Fujimori wählen ). „Fuerza Popular“ stellte daher umstrittene Leistungsträger aus der Zeit Alberto Fujimoris nicht mehr auf.
Mit dem Ausschluss Julio Guzmáns und Cesar Acuñas müssen sich 20 bis 30 Prozent der Wähler neu entscheiden. Davon profitieren offensichtlich besonders die anti-fujimoristischen Kandidaten. Einen Monat vor der Wahl ergibt sich so auch ein neues Stimmungsbild bezüglich der Parteien im Kongress. Weniger aus jahrelanger Tradition und Überzeugung, sondern vielmehr aus mangelnder Alternative zum bisherigen Establishment, zog insbesondere Guzmáns Partei „Todos por el Perú“ die Aufmerksamkeit der jüngeren Generationen auf sich. Diese werden ihre Stimmen nun voraussichtlich auf andere Kandidaten und Parteien übertragen, denen sie am ehesten einen Wandel der politischen Kultur zutrauen.
Hauptprofiteur ist derzeit die Partei „Perú por el Kambio“ (Peru für den Wandel) mit dem Präsidentschaftskandidaten Pedro Pablo Kuczynski, der in Umfragen nun wieder den Platz hinter Fujimori besetzt. Weitere Parteien, die in den letzten Wochen – teils überraschend – zulegen konnten, sind die liberale „Acción Popular“ mit dem Präsidentschaftskandidaten Alfredo Barnechea und das linksorientierte Parteienbündnis „Frente Amplio“ (Breite Front) mit der Kandidatin Verónika Mendoza. Während Barnechea im Januar noch mit 0,5 Prozent und Mendoza mit zwei Prozent bei Umfragen unter der Kategorie „Sonstige“ geführt wurden, erreichen sie in jüngsten Umfragen neun beziehungsweise acht Prozent, ihre Parteien immerhin 5,1 beziehungsweise 3,7 Prozent.
Ein klares Zeichen, dass die Peruaner einen Wandel herbeisehnen, zeigt die geringe Unterstützung der älteren Parteien, wie der „APRA“, die sich diese Wahlen mit der „PPC“ zu dem Bündnis „Alianza Popular“ zusammengeschlossen hat. Sie stößt auf weniger Begeisterung unter den Wählern als erwartet und leidet unter der parteiinternen Ablehnung des Bündnisses sowohl innerhalb der „PPC“ als auch in der „APRA“. Der Spitzenkandidat des Bündnisses, der zweimalige Ex-Präsident Alan García, weist mit rund 67 Prozent zudem die höchste Ablehnungsrate auf. Auch die Partei „Perú Posible“ (Mögliches Peru) des Ex-Präsidenten Alejandro Toledo gehört mit 1,6 Prozent der Zustimmung für den Präsidentschaftskandidaten nicht zu den Favoriten. Dabei wäre es wichtig, Parteien mit Beständigkeit im Kongress vertreten zu haben, da sie zur Stabilität des politischen Systems beitragen.
Transparenz und Ethik im Wahlkampf
Um dem, zum Teil vorgetäuschten, Unwissen der Präsidentschaftskandidaten über laufende juristische Anzeigen der Kandidaten auf ihren Kongresslisten vorzubeugen, wurde im Mai 2015 das Gesetz „Ventanilla Única de Antecedentes para Uso Electoral“ verabschiedet. Dadurch ist es den Präsidentschaftskandidaten möglich, Einsicht in die Vorstrafen oder anhängende Verfahren gegen Kongresskandidaten zu erlangen. Diesem Schritt liegt unter anderem der Umstand zu Grunde, dass nach den Wahlen 2011 allein 33 rechtskräftig verurteilte Personen als Abgeordnete im Kongress saßen.
Bereits Ende Februar konnte festgestellt werden, dass mindestens 73 Kongresskandidaten mit rechtkräftigen Strafurteilen behaftet sind sowie 110 Kandidaten mit laufenden Gerichtsprozessen. Die meisten lassen sich in den politischen Gruppierungen „Alianza Por el Progreso“ und „Solidaridad Nacional“ (Nationale Solidarität) wegen Straftaten wie der Unterschlagung öffentlicher Gelder finden. Weitere 79 Listenkandidaten für den Kongress sind von Zwangsschuldeneintreibung der nationalen Zoll- und Steuerbehörde SUNAT betroffen, zwei Personen weisen nationale und ein Kongresskandidat sogar einen internationalen Haftbefehl auf. Diese deliktbelasteten Kongresskandidaten ziehen sich durch fast jede Parteiliste. Findet das Nationale Wahlgericht (JNE) heraus, dass ein Kandidat zu seiner Vorgeschichte wichtige Informationen unterschlagen hat, kann er diesen bis zu zehn Tage vor der Wahl aus der Liste entfernen.
Trotzdem liegt es in der Verantwortung der Parteien beziehungsweise Allianzen, sich über die Vorgeschichte ihrer Kandidaten ein Bild zu machen. Diese machen unterschiedlich intensiv Gebrauch davon. Die meisten der rund 3.000 Anfragen, die bis Ende Januar eingingen, stellten die Parteien „Peruanos Por el Kambio“, „Fuerza Popular“ und „Frente Amplio“. Am wenigsten scheint die juristische Vorgeschichte ihrer Kandidaten die „Alianza del Progreso“ zu interessieren, die zu gerade einmal neun ihrer Kandidaten Informationen einholte.
So lassen die endgültigen Auswirkungen des „Ventanilla Única“-Gesetzes zu wünschen übrig. Zwar herrscht mehr Transparenz bezüglich der Vorgeschichte der Kongresskandidaten, werden diese aber trotzdem als Abgeordnete zugelassen, ist Peru mit dem Ziel der Verringerung der Straftäter im Kongress nicht weitergekommen.
Ein Hauptproblem bei den Kongresswahlen stellt außerdem die Unsicherheit der endgültigen Kongresslisten der einzelnen Wahlbezirke dar. So lehnten die Wahlgerichte einen Monat vor der Wahl 67 Kandidatenlisten für den Kongress ab. Durch Berufungsverfahren vor dem Nationalen Wahlgerichtshof verzögert sich die endgültige Feststellung der Zulässigkeit der Listen jedoch stark.
Für die Präsidentschaftswahl ist die Zusammensetzung der Kandidatenlisten für den Kongress nicht von großer Bedeutung. Wohl aber für eine gute und erfolgreiche Regierungsarbeit. Mahnend steht hier das Beispiel des scheidenden Präsidenten Ollanta Humala, der über eine schwache und zudem wenig geschlossene Kongressfraktion verfügt, die im Laufe der aktuellen Legislaturperiode zunehmend ge-schrumpft ist.