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„Europa muß mit beiden Lungenflügeln atmen“

Ost- und Westkirchen im Gespräch

Positionspapier von Rom der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Dialog mit der Orthodoxie

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Als Papst Johannes Paul II. das so treffende und seitdem immer wieder gebrauchte Bild von den zwei Flügeln einer Lunge, welche Europa beide zum Atmen benötige, zum ersten Mal verwendete, zog sich noch eine Bruchstelle durch Ost und West, war der Kontinent durch einen eisernen Vorhang geteilt.

In diesem Jahr gedenken wir der siebzig Jahre, vor denen der Krieg, der für diese Teilung verantwortlich war, ausgebrochen ist. Und wir feiern zwei Jahrzehnte seit dem Fall der Mauer, der die Teilung wieder aufgehoben hat.

Was für Konrad Adenauer, Robert Schumann und Alcide De Gasperi noch ein Traum gewesen ist, ist inzwischen Realität geworden. Und die Bruchlinie, die auch eine konfessionelle war, weitgehend aufgehoben: Seit dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens gehören rund 40 Millionen orthodoxe Christen zur Europäischen Union und prägen das Gesicht des neuen Europa mit - Griechenland, Zypern und die stetig wachsenden orthodoxen Diasporagemeinden nicht zu vergessen. Nicht nur durch die Osterweiterung der Europäischen Union ist der Ausspruch, „Europa endet dort, wo die Orthodoxie beginnt“, unhaltbar geworden.

Und dennoch ist diese Haltung noch weit verbreitet, ist Europa für viele „Westeuropa“ geblieben. Die politische Wende ist vollzogen, der geistig-kulturelle Wandel aber steht noch weitgehend aus. Ost und West begegnen sich, aber sie kennen sich kaum. Die neuen Nachbarn werden nach wie vor mit Skepsis betrachtet, die orthodoxen Kirchen als ein Fremdkörper des 21. Jahrhunderts wahrgenommen.

Doch könnten gerade sie zu einem integrierenden Faktor des europäischen Geisteslebens werden, der das Zusammenwachsen unterstützt und den gesellschaftlichen und politischen Diskurs bereichert und erneuert. Und zwar auf der Basis des gemeinsamen Wertefundaments, das Ost und West verbindet und das ein christliches ist: Wir teilen das gleiche Menschenbild, die gleichen christlichen Grundwerte. Das europäische Haus ist auf diesem Fundament gebaut, das Christentum der geistige Kitt, der es zusammenhält.

Doch wir teilen nicht nur dieselben Werte, wir begegnen auch denselben Schwierigkeiten: Die Herausforderungen der Moderne, die Folgen der Globalisierung betreffen West wie Ost. „Noch sind unsere Kirchen voll“, mag es bei einigen unserer östlichen Nachbarn noch heißen, noch habe die Orthodoxie ihre große Bindekraft vielerorts noch nicht verloren. Aber die Zeit beginnt bereits, ihre Zeichen zu setzen. Die unmittelbar nach der Wende einsetzende Renaissance der Religiosität im Osten ist bereits im Abklingen begriffen. Säkularismus und Pluralismus, die Begegnung mit anderen, konkurrierenden Weltanschauungen und Lebensmodellen, erzeugen auf beiden Seiten Orientierungsbedarf, machen eine erneute Reflektion der Basis unserer handlungsleitenden Grundwerte notwendig - auch und vor allem in Politik und Gesellschaft.

Wir teilen ein gemeinsames Wertefundament, wir begegnen gemeinsamen Herausforderungen - somit müssen wir auch gemeinsam die noch offene, die große Zukunftsfrage angehen, wie das Gesicht Europas künftig aussehen könnte, und gemeinsam die Initiative ergreifen, es mit zu formen, dieses neue Europa nicht nur zu verwalten, sondern auch zu gestalten.

Auf der Grundlage ihrer gemeinsamen Wertorientierung können die Kirchen also in doppelter Hinsicht - sowohl in der geforderten Orientierungsleistung der Moderne wie auch für die Integrationsleistung im europäischen Einigungsprozeß - für die Politik Grundpfeiler und Partner sein.

Somit ist es nicht nur hilfreich, sondern geradezu unerlässlich, Ost und West auch kulturell in einen Dialog zu bringen.

Für die politische und gesellschaftliche Dimension bedeutet dies konkret:

Auf nationaler und europäischer, aber zunehmend ebenso globaler Ebene, geht es immer mehr auch um komplexe, teilweise neue ethische Fragestellungen, die einer Antwort bedürfen. Diese Antwort muß eine an christlichen Grundwerten orientierte Politik mit gemeinsamen handlungsleitenden Werten sein: Die Achtung der Menschenwürde und der Schutz der Menschenrechte, die Bewahrung der Schöpfung, Solidarität und Nächstenliebe. Diese neuzeitlichen Ideale und Errungenschaften sind aus dem christlichen Gedankengut erwachsen, ihm liegen die konstituierenden Werte unseres sozialen und politischen Lebens zugrunde: die Bedeutung des Individuums in seiner Personalität, die Ideale von Freiheit und Selbstbestimmung - gepaart mit Gerechtigkeit und Verantwortung sowie der sozialen Verpflichtung für die Gemeinschaft und das Gemeinwohl.

Dieses Wertefundament ist die Grundlage, auf der sich der europäische Integrationsprozeß zeigt und gelingt. Die christlichen Kirchen im Westen haben sich als Dialog- und Reibungspartner für Politik und Gesellschaft bewährt. Vor allem in sozialethischen Fragen machen sie ihre Anliegen geltend und bringen sich in den politischen Diskurs mit ein.

Die orthodoxen Kirchen stehen diesbezüglich noch am Anfang. Nach den Zeiten des Umbruchs in ihren jeweiligen Transformationsländer ist ihre Rolle in der neuen Zivilgesellschaft noch vielfach ungeklärt. Hierin liegt aber auch eine unschätzbare Chance - die Gelegenheit, sich einzubringen und einen signifikanten Beitrag dazu zu leisten, das geistig-moralische Vakuum, das Jahrzehnte kommunistischer Zwangsherrschaft hinterlassen haben, mit Inhalten zu füllen und den Kurs der Gesellschaft mitzubestimmen. Die Möglichkeit, Antworten zu geben - auch und vor allem dort, wo eine enthemmte und schrankenlose Konsumherrschaft, als die sich der postkommunistische Kapitalismus zuweilen zeigt, sie schuldig bleiben muß. In Spannungsregionen entdecken die Kirchen zudem ihr friedensförderndes Potential und leisten einen Beitrag zur Verständigung, Versöhnung und Stabilität in ihrem Land.

Die orthodoxen Kirchen beginnen, ihre gesellschaftliche Prägekraft und ihr erhebliches Gestaltungspotential zunehmend zu erkennen und suchen den Dialog auch über ihre geistlich-religiöse Bestimmung hinaus. Auf der Grundlage der Überzeugung, daß die christlichen Kirchen erheblich zu einer konstruktiven Entwicklung der Gesellschaft beitragen können und sollen, unterstützt die Konrad-Adenauer-Stiftung seit nunmehr vielen Jahren diesen gesellschaftlichen und politischen Dialog. Die Förderung einer christlichen Soziallehre der orthodoxen Kirchen steht dabei im Mittelpunkt. Als erste und bisher einzige hat die Russische Orthodoxe Kirche zur Jahrtausendwende zu einer auch systematisch und programmatisch formulierten Sozialdoktrin gefunden, die von der Konrad-Adenauer-Stiftung ins Deutsche übersetzt und herausgegeben worden ist. Damit liegt die erste kirchenamtliche Stellungnahme der Orthodoxie überhaupt zu grundsätzlichen und aktuellen politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlich-kulturellen Fragen vor. Das zweite sozialethische Dokument der ROK bezüglich der Grundlagen ihrer Lehre „über die Würde, die Freiheit und die Menschenrechte“, knüpft hieran an und wurde im Juli 2008 ebenfalls von der KAS in deutscher Sprache herausgegeben und einem breiteren Kreis zugänglich gemacht.

Diesen Dokumenten kommt im Dialog zwischen Ost und West eine bedeutende Rolle zu - der interkonfessionelle und interreligiöse sozialethische Diskurs ist damit um eine dritte Dimension reicher.

Doch auch andere orthodoxe Kirchen und Stimmen setzen sich damit vermehrt auseinander und erkennen die Möglichkeit als Chance, sich ebenfalls Gehör zu verschaffen, um auch ihre eigenen Antworten auf Fragen der Zeit systematisch und programmatisch zu reflektieren und einzubringen.

Es gilt, sie alle in den europäischen Gestaltungsprozeß mit einzubinden, die vielfältigen und heterogenen byzantinischen und römisch-lateinischen Stimmen miteinander ins Gespräch zu bringen. Denn ihre Vielheit sieht sich in eben jener Einheit aufgehoben, welche Europa ausmacht, ihre Dialekte in jener Sprache, die ihre gemeinsame Muttersprache ist. Denn „das Christentum ist die Muttersprache Europas“, wie es Johannes Paul II. einmal gesagt hat.

Ost trifft West: Mit Johannes Paul II. hat dieser Dialog schon lange vor der eigentlichen politischen Wende begonnen. Als Karol Woytila 1978 zum Papst gewählt wurde, trat mit ihm seit mehr als vier Jahrhunderten nicht nur ein Nichtitaliener, sondern auch zum ersten Mal ein Slawe aus einem kommunistischen Land ins Amt. Selbst an der Bruchstelle aufgewachsen, hat „der polnische Papst“ sein Bemühen, die Bedeutung der osteuropäischen Völker für Europa in Erinnerung zu rufen, ins Zentrum seines Pontifikats gerückt und erste Zeichen der Hoffnung für eine geistig-kulturelle Einheit des Kontinents gesetzt. Eine Einheit, die er auch selbst verkörperte. Entsprechend war es ihm von Anfang an ein Kernanliegen, den Osten in Europa einzubinden, die Aufhebung der Teilung Europas mit vorzubereiten, die Spaltung zwischen West- und Ostkirchen zu überwinden. So hat er die Slawenapostel Kyrill und Methodius zu Schutzheiligen Europas erklärt und sie dem hl. Benedit als Vater des Abendlandes zur Seite gestellt. Als geistige Brücke zwischen Ost und West, hat er damit den Blick vom Abendland zur byzantinisch-slawischen Welt, vom Atlantik zum Ural erweitert und mit seinem berühmten Wort von den beiden Lungenflügeln immer wieder unterstrichen: Europa müsse mit beiden atmen, um als Gesamteuropa leben zu können.

Dieses Gesamteuropa sollte ein christliches sein - an seiner Vision von einer an christlichen Werten orientierten Zukunft Europas hat er zeitlebens festgehalten. Denn die europäische Anatomie braucht, um im Bild zu bleiben, nicht nur beide Lungenflügel, sondern auch den Atem, der sie belebt, sie, wenn man so will, beseelt.

„Europa eine Seele geben“ - auch diese Vorstellung ist inzwischen zu einem Prägebegriff geworden.

West trifft Ost: Dem Brückenbauer Europas und seinem Eintreten für gesamteuropäische, christliche Werte zu folgen, den auch in Rom begonnenen und auch von hier aus maßgeblich geprägten Dialog eben hier wieder aufzunehmen und fortzuführen, ist der Konrad-Adenauer-Stiftung - gerade und vor allem in Rom - eine besondere Aufgabe und Verpflichtung zugleich.

Europa wurde, was es ist, auch und vor allem durch das Christentum. Wie Europa künftig sein wird, ist eine der noch offenen Zukunftsfragen, deren Antwort nicht zuletzt auch vom Gestaltungswillen der Kirchen abhängig ist.

Der Dialog zwischen den orthodoxen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche hat sich intensiviert. Die Adenauer-Stiftung beteiligt sich konstruktiv an diesem Austausch. Zwischen den Kirchen besteht zwar Einigkeit in vielen Fragen. Doch zu Fragen der Umsetzung in staatliches Handeln, der Nähe der Kirche zum Staat oder deren Trennung, gibt es unterschiedliche Standpunkte – nicht nur zwischen orthodoxen oder römisch-katholischen Christen, sondern auch innerhalb der Konfessionen. Die Trennlinien gehen quer durch die Rechtsordnungen der Länder Europas. Dies betrifft auch Fragen der Wirksamkeit und Verbindlichkeit im gesellschaftlichen Leben, der Zivilgesellschaft oder dem, was man als politische Kultur bezeichnet. Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der KAS-Tagung in Rom.

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