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„Ganz anders als ich es mir vorgestellt hatte.“

Arno Stoffels über seine Erfahrungen in einer italienischen Redaktion

Klischees beherrschen die deutschen und italienischen Medien: Der Italiener ist ein chaotischer Berlusconi-Wähler mit Liebe zur Pasta und Tendenz zur Emotionalität, der Deutsche ein Kartoffeln malmender Ordnungsfanatiker ohne jeden Sinn für Humor.

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Das Goethe Institut ermöglicht mit einer zweijährigen Initiative Redakteuren aus Deutschland und Italien einen „Tapetenwechsel“: Für bis zu vier Wochen tauschen italienische und deutsche Journalisten den Arbeitsplatz und lernen den Redaktionsalltag im jeweils anderen Land kennen. Arno Stoffels von den Nürnberger Nachrichten war für vier Wochen beim „Secolo XIX“ in Genua. Armin Peter hat mit ihm über seine Erfahrungen gesprochen.

 

Herr Stoffels, Sie haben Ihren Arbeitsplatz bei den Nürnberger Nachrichten für vier Wochen mit einem Redakteursessel in Genua getauscht. Was war der größte Kulturschock?

 

Arno Stoffels: Kulturschock hatte ich eigentlich keinen, ich kannte Italien und habe dort auch schon ein Jahr studiert. Ein wenig gezuckt habe ich angesichts des redaktionellen Alltags: Ich saß in einem Großraumbüro, 80 Meter lang, 20 Meter breit. Nachmittags um 17 Uhr herrschte darin eine Geräuschkulisse, die einen schier umgebracht hat. Das war, wenn man so will, ein physischer Schock. Aber psychisch hab ich’s natürlich ganz gut verkraftet.

Wie haben Sie reagiert?

 

Arno Stoffels: Ich habe mir angewöhnt, meine Artikel morgens zu schreiben. Anders ging es nicht.

 

Welche deutschen Stereotype haben Sie denn nach vier Wochen noch erfüllt?

 

Arno Stoffels: Niemand ist gekommen und hat gesagt: Das und das ist typisch deutsch. Sondern vielmehr: Wir hätten nicht gedacht, dass ein Deutscher so ist. Nicht dass sie mich für einen Italiener gehalten hätten! Aber sie sagten: Wir hatten das Vorurteil, dass die Deutschen keinen Humor verstehen, immer pünktlich sind und viel arbeiten – und dann sehen sie, dass das nicht immer stimmt und man einfach ein netter Mensch ist. Natürlich ist man geprägt von seiner nationalen Herkunft, aber man hat mich nicht unter dem Aspekt „typisch Deutsch“ betrachtet, und das fand ich sehr angenehm.

 

Hatten Sie den Eindruck, dass über Ihrer Arbeit manchmal der Schatten Berlusconis schwebt? Dass bestimmte Sachen nicht ins Blatt genommen werden aus Angst vor negativen Konsequenzen?

 

Arno Stoffels: Die Presse insgesamt ist mit Sicherheit nicht so frei wie hier in Deutschland. Immer sind die Interessen des Verlegers sehr präsent im Blatt. Dass man beispielsweise befreundete Bauunternehmer pushen will, findet viel mehr statt als bei uns. Und natürlich gibt’s Blätter die, wenn sie Pro-Berlusconi sind, viele Themen einfach nicht bringen. Das war zumindest mein Eindruck, denn ich habe ja auch viele Zeitungen gelesen.

 

Und speziell bei Ihrer Zeitung in Genua?

 

Arno Stoffels: Ich hatte den Eindruck, dass die Zeitung relativ unabhängig ist – und auf jeden Fall nicht Pro-Berlusconi. Deshalb wurden da auch alle Themen gespielt. Ich war in fast jeder Redaktionskonferenz dabei, und da wurde immer besprochen, wie man diesen oder jenen Skandal am besten ins Blatt heben und dem Mann ordentlich an den Karren fahren kann.

Also war es ganz anders als ich es mir vorgestellt hatte.

 

Gibt es eine Beobachtung, die Sie inspiriert hat, auch für Ihren Arbeitsalltag in Nürnberg?

 

Arno Stoffels: Nun ja, hier in Deutschland stehen viele Lokalzeitungen angesichts von Anzeigenrückgängen vor einer gewissen Lähmung. Und wir sind dann immer versucht, unsere Wunden in der Öffentlichkeit zu lecken, also zu sagen: Uns geht es so schlecht!

 

Dem „Secolo XIX“ in Genua geht es auch nicht gut, sie haben in den letzten Jahren 40000 Exemplare an Auflage eingebüßt. Natürlich gab es dann auch personellen Rückbau – aber trotzdem hatte ich den Eindruck, dass man sich dort nicht ergibt, sondern wirklich um den Leser kämpft. Man versucht, mit den Geschichten im Blatt etwas Besonderes zu bieten. Einen Wert, den nur Zeitungen vermitteln können: Hintergründe, manchmal auch frech sein, bessere Kommentare. Ich fand es schön, dass man in Genua nicht den Kopf in den Sand gesteckt hat und stattdessen sagte: Vorwärts, machen wir!

 

Haben Sie daraufhin Ihre eigene Arbeitsweise, oder auch die Ihrer Redaktion, zu ändern versucht?

 

Arno Stoffels: Natürlich habe ich das allen erzählt, auch der Chefredaktion, meine Wahrnehmungen geschildert. Aber als Einzelner von weit über 100 Redakteuren ein in Teilen verknöchertes System aufzubrechen ist nur schwer möglich. Und natürlich ist es ein bisschen frustrierend, nach zwei, drei Wochen zu sehen: Na gut, sie haben dir interessiert zugehört, aber es wird sich nichts ändern…da muss man eben mit gutem Beispiel vorangehen.

 

Das Interview führte Armin Peter am Rande der Journalistenkonferenz der KAS-Rom und der BpB mit dem Titel "Medien: Made in Italy / Made in Germany".

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